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Marisa Przyrembel, Kai J. Jonas et al.: Todesnachrichten übermitteln

Rezensiert von Dipl.-Theol., Dipl.-Soz.Arb. Kai Herberhold, 08.12.2011

Cover Marisa Przyrembel, Kai J. Jonas et al.: Todesnachrichten übermitteln ISBN 978-3-621-27791-4

Marisa Przyrembel, Kai J. Jonas, Christine Knaevelsrud: Todesnachrichten übermitteln. Manual für Polizei, Seelsorge, Notfallmedizin und Notfallpsychologie. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2011. 143 Seiten. ISBN 978-3-621-27791-4. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 41,90 sFr.
Mit CD-ROM.

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Thema

Der Tod eines nahestehenden Menschen – noch dazu ein plötzlicher Tod – bedeutet für alle Angehörigen, Freunde und Bekannten eine schwere Belastung. Oft erfahren Menschen durch Mitarbeitende der Rettungsdienste oder der Polizei überbracht. Damit die Helfenden den Auftrag professionell ausführen können, brauchen sie – neben persönlicher Kompetenz wie z.B. Empathie, – auch Fachwissen. Das vorliegende Werk ist als Training konzipiert, die Teilnehmenden lernen mit dessen Hilfe entsprechende Situationen vertieft kennen und können (sich) daran üben. Auf diese Weise erhalten die Teilnehmenden die Möglichkeit, Handlungssicherheit zu erlangen bzw. zu erhöhen und auf Schwierigkeiten aufmerksam zu werden.

Autorinnen und Autor

Marisa Przyrembel ist diplomierte Psychologin, Promotionsstipendiatin der Volkswagen-Stiftung an der Humboldt-Universität Berlin und Mitglied im „Trainernetzwerk Zivilcourage e.V.“.

Dr. Kai J. Jonas arbeitet als Assistant Professor für Sozialpsychologie an der Universität von Amsterdam (NL).

Prof. Dr. Christine Knaevelsrud ist Diplom-Psychologin, Juniorprofessorin für klinisch-psychologische Intervention an der Freien Universiät Berlin und wissenschaftliche Leiterin des Behandlungszentrums für Folteropfer, Berlin.

Entstehungshintergrund

Ausgangspunkt der Autoren ist der von Profis in diesem Bereich wahrgenommene und beschriebene „Mangel an adäquater Schulung zu der Todesnachrichten-Thematik“ (16), der immer wieder zu persönlicher und beruflicher Überforderung führt.

Aufbau und Inhalt

Nach einem Begleitwort von René Treunert (Polizeioberrat der Landespolizei Thüringen) und einem Vorwort ist das Buch inhaltlich in zwei Teile gegliedert. Der Teil I (11-30) bietet „Grundlagen: Über den Tod reden“. Hier werden drei Unterkapitel bearbeitet: Das Unterkapitel 1 „Entstehung und Ziele des Buches“ (12-17) hat als ein Hauptziel die Sensibilisierung in der gespannten und schwierigen Situation. Betont wird immer wieder, dass das Buch „keinen ’perfekten’ Umgang mit Trauer und Trauernden darstellen [kann…] Es vermittelt jedoch Wissen und somit Sicherheit sowie Entlastung im Umgang mit der Situation“ (15). Ziele der Autoren sind daher die „Befähigung, Hinterbliebene möglichst professionell vom Tod eines nahestehenden Menschen benachrichtigen und sie empathisch betreuen zu können […], den Übermittlern der Botschaft mehr Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit dem beruflichen Stress zur Hand zu geben sowie ihre Sensibilität dafür zu schärfen, was diese berufliche Aufgabe in ihnen selbst auslösen kann“ (12).

Im Unterkapitel 2 „Merkmale einer komplexen Kommunikationssituation“ (18-25) befassen sich die Autoren mit der „Interaktion in Krisensituationen aus sozialpsychologischer Sicht“ (14). Hierbei kommen auch mögliche „interkulturelle Missverständnisse“ (23) in den Blick. Die Methode, aus Filmen zu Lernen, wird ausführlich dargestellt, mit dem Ziel, „erprobte, eingeübte Verhaltensweisen […] auf ihre Tauglichkeit hin“ (23) zu überprüfen.

Im Unterkapitel 3 wird „Hilfreiches aus der Notfallpsychologie“ (26-30) angeboten. Hierbei geht es insbesondere um Reaktionen von Menschen in Krisen und deren Verarbeitung aus Sicht der klinischen Psychologie (15). Die Unterstützung bei der Bewältigung einer Krise ist dabei ebenso wichtig wie die Reflexion des eigenen Vorgehens, um „ein Gleichgewicht zwischen versorgendem, direktivem Vorgehen einerseits und autonomieförderndem Verhalten andererseits zu finden“ (28). Des Weiteren werden Anpassungsstörungen und der Umgang mit der Presse thematisiert, bevor die Ziele für das Training ausführlich beschrieben werden.

Im Teil II, dem im Untertitel angekündigten „Manual zur Überbringung von Todesnachrichten“ (31-96), wird anhand von fünf Unterkapiteln das Training intensiv vorgestellt und beschrieben. Die ersten Kapitel befassen sich mit den Rahmenbedingungen: einem „Überblick über Material und Durchführung des Trainings“ (Unterkapitel 4, 32-34), der Beschreibung der Zielgruppen (Unterkapitel 5, 35-38) sowie der Struktur und dem chronologische Ablauf des Trainings (Unterkapitel 6, 39-43).

Die eigentlichen Elemente des Trainings (Unterkapitel 7, 44-96) werden kleinschrittig erarbeitet, (Lern-)Ziele und Methoden sind sehr gut aufbereitet und mit vielen praktischen Erfahrungen durchsetzt. Das Training bietet acht Module, eine zentrale Stellung nimmt dabei die Arbeit mit den Filmen auf der beiliegenden CD-ROM ein. Zunächst schauen die Teilnehmenden die Filme an (Modul 1a, 45-47) und werten sie aus (Modul 1b, 48 f.). Auf diesem Hintergrund werden die folgenden Module bearbeitet, die theoretisch-vermittelnde Ablaufanalyse (Modul 2, 50-60) sowie die professionelle Bewertung der bearbeiteten Szenen (Modul 3, 61-63). In Rollentrainings (Modul 4, 64-71) mit anschließendem Videofeedback (Modul 5, 72-76) vertiefen die Teilnehmenden die theoretischen Inhalte, durch eigenes praktisches Ausprobieren und Reflektieren wird Handlungssicherheit erreicht. Die Module 6 (Krisenmanagement, 77-83) und 7 (Posttraumatische Belastungsstörung, 84-89) vermitteln nochmals Hintergrundwissen. Mit der Abschlussdiskussion (Modul 8, 90-96) endet das eigentliche Training.

Da das Training in Kooperation mit der Universität Jena und den Landespolizeien Thüringens, Berlins und Bayerns erarbeitet wurde und entsprechend evaluiert werden konnte, stellen die Autoren die „Wirkungen des Trainings“ anhand ihrer Ergebnisse vor (97-98).

Mit dem “Ausblick“ (100 ff.) werden mögliche Vertiefungen vorgeschlagen, so z.B. Gespräche mit „echten“ Betroffenen – dies intensiviert das Training um ein vielfaches.

Der Anhang (103-143) bietet neben den aufbereiteten Fragebögen zur (eigenen) Evaluation (104-112), Kopiervorlagen der Arbeitsblätter (113-138), ein Literatur- (139-142) und ein Sachwortverzeichnis (142-143) sowie die CD-ROM mit den Lehrfilmen und Präsentationen.

Zielgruppen

Explizit als potentielle Leserinnen und Leser werden „alle [genannt], die in ’Blaulichtberufen’ arbeiten [sowie] mit Hinterbliebenen Kontakt haben: […] Mediziner, Pflegekräfte, Seelsorger, Psychologen, Bestattungsunternehmer, Polizisten oder Feuerwehrleute“ (32). Eingeschlossen sein dürften Rettungsdienstmitarbeitende sowie Führungskräfte, die sich mit entsprechend relevanten Fragen im Einsatz befassen oder die eigene Tätigkeit bzw. Ausbildung reflektieren wollen. Dabei werden erfreulich wenig Schranken zwischen den Berufsgruppen aufgebaut.

Diskussion

Im Vorwort beschreiben die Autoren einen zwar hinlänglich bekannten, aber hier wichtigen Zustand der bundesdeutschen Gesellschaft: „Der Verlust von uns nahestehenden Menschen lässt normalerweise keinen unberührt. Wir leben jedoch in einer Zeit, in der ein unverkrampfter, natürlicher Umgang mit dem Tod, der Trauer und dem Sterben kaum mehr möglich ist“ (9). Das Buch trägt daher dem Wunsch insbesondere der Überbringer nach besserer, weil angemessenerer, Ausbildung Rechnung.

Das Training oder Manual ist entsprechend konzipiert, ein klarer Schwerpunkt liegt auf der Praxis- und Handlungsorientierung. Erfreulich ist die klare Aufteilung des Konzeptes. Zahlreiche Tabellen, Zusammenfassungen und Symbole erleichtern das Lesen, spezielle Tipps für Dozenten und Teilnehmende erläutern und vertiefen die behandelte Thematik der Module und theoretische Hintergründe. Die Durchführung der Rollenspiele mit Videofeedback und die Sammlung der umfangreichen Materialien auf der CD (Präsentationen, Filme, Arbeitsblätter) entsprechen in Didaktik und Methodik moderner Erwachsenenbildung. Die Ergebnisse der Evaluation sorgen für Transparenz und zeigen den Erfolg wie auch den Bedarf eines solchen Trainings auf.

Somit können die Ziele der Autoren erreicht werden, nämlich die Steigerung der Professionalität bei der Überbringung einer Todesnachricht, die (bessere) empathische Betreuung der Hinterbliebenen, die Erhöhung der Handlungsmöglichkeiten und -sicherheit für die Profis sowie die Steigerung der Sensibilität dafür, dass dies eine belastende Aufgabe auch für sie sein kann (12). Die Betroffenen profitieren in der Begleitung direkt davon, wenn beteiligte Helferinnen und Helfer ihre jeweiligen Kompetenzbereiche kennen und auch um die eigenen und fremden Grenzen wissen.

Besonders innovativ und interessant ist für den Rezensenten das Lernen am Film, im ersten Film stellen sich zwei Polizisten mit Berufserfahrung als Laienschauspieler der Aufgabe. Der zweite Teil aus dem „Polizeiruf 110“ zeigt eine weitere Situation durch zwei Kriminalkommissare. An beiden Filmen lassen sich gute und verbesserungswürdige Verhaltensweisen erarbeiten, Diskussionsstoff ist somit reichlich gegeben. Leider ist in keinem der Filme ein Begleiter, Psychologe oder Seelsorger anwesend – entsprechende Systeme sind gut etabliert und weit verbreitet, ihre Professionalität bekannt, zumindest der explizite Hinweis darauf wäre – im Film wie im Buch – wünschenswert.

Die Module sind variabel konzipiert, sie können innerhalb einer regulären Ausbildung oder als Fort- bzw. Weiterbildung bereits in der Aufgabe stehender Kolleginnen und Kollegen genutzt werden, durch die hohe Strukturierung und Flexibilität können die Teile auch einzeln abgearbeitet werden. Das Konzept ist sowohl für Ausbildungs-Gruppen wie auch für Selbstlerner geschrieben. Letztere bekommen im Buch immer wieder konzentrierte Tipps und Anweisungen für erfolgreicheres Erarbeiten. Dennoch scheint dem Rezensenten gerade diese Vorgehensweise sowohl aus eigener Erfahrung als Notfallseelsorger wie als Ausbilder in diesem Bereich schwierig. Nicht nur der Austausch mit (angehenden) Kollegen und Kolleginnen unterbleibt, auch die gruppendynamischen Prozesse einer Ausbildungsgruppe fehlen. Besonders bei einer so schwierigen und potentiell belastenden Aufgabe ist das Arbeiten in (multidisziplinären) Teams wichtig! Dies sicher auch im Hinblick auf die eigene Psychohygiene und – bei Ehrenamtlichen – den eigenen Entscheidungsprozess für oder gegen die Tätigkeit. Die „selbstständige Aneignung der jeweiligen Wissensinhalte“ (Umschlagtext) ersetzt nicht das Feedback und die Gruppen-Erfahrung.

Kritisch sei zudem angemerkt, dass die z.T. sehr detaillierten Praxistipps manchmal zu Vieles und auch Selbstverständliches enthalten: wer sich mit Erwachsenenbildung auskennt, braucht es nicht ganz so kleinschrittig.

Neben sehr knappen Ausführungen zu Burnout und Anpassungsstörungen (88 ff.) wird die Posttraumatische Belastungsstörung (Modul 7) kurz angesprochen. Besser wäre es, zumindest auch auf die akuten traumatischen Belastungssymptome einzugehen, diese sind im Erstkontakt der Überbringung sicher vordringlicher zu beachten.

Im „Ausblick“ (100 ff.) finden sich weitere wertvolle Anregungen zur Abänderung des Moduls und damit Anpassung an das je eigene System vor Ort, so dass das Training intensiver und zielgruppenspezifischer ausgerichtet werden kann.

Die „Auseinandersetzung mit der Verdrängung und der (Ent-)Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft“ (13) kommt in einem solchen praktisch ausgerichteten Buch selbstverständlich schnell an ihre eigenen Grenzen – diese werden deutlich benannt. Solche wohltuenden Einschränkungen, eigene Begrenzungen wahrzunehmen und (selbst-)kritische Anfragen zu stellen, runden die Lektüre des Buches ab, wenn die Grenze zur Therapie genannt wird und man „keinen ’perfekten’ Umgang mit Trauer und Trauernden“ anzielen will (15) – dafür sind auch die Situationen, die Hinterbliebenen und die Helfenden viel zu verschieden.

Fazit

Für diese Thematik ist das lesenswerte Buch mit 143 Seiten eher schmal, das den Leserinnen und Lesern sehr viel Praxiswissen an die Hand gibt. Das Lernkonzept ist verständlich geschrieben und scheint gut umsetzbar. Besonders innovativ und interessant ist dabei der Ansatz des Filmlernens. Die Ausbildung in diesem schwierigen Feld wird somit einen wesentlichen Schritt vorangebracht.

Rezension von
Dipl.-Theol., Dipl.-Soz.Arb. Kai Herberhold
Pädagogischer Leiter Bildungshaus Mariengrund
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Es gibt 6 Rezensionen von Kai Herberhold.

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ISSN 2190-9245