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Daniel Meier: Inked (Tätowierung)

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Beck, 02.12.2011

Cover Daniel Meier: Inked (Tätowierung) ISBN 978-3-935607-38-4

Daniel Meier: Inked. 0,3 mm unter der Haut der Gesellschaft. Empirische Analyse gesellschaftlicher Diskriminierungs- und Exklusionsprozesse in der Moderne - untersucht am Phänomen der Tätowierung. RabenStück Verlag (Berlin) 2010. 88 Seiten. ISBN 978-3-935607-38-4. 11,90 EUR. CH: 17,05 sFr.

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Thema

2.733 tätowierte Menschen zwischen fünfzehn und zweiundsechzig Jahren haben sich an der Befragung beteiligt, die diesem Buch zugrunde liegt. Was hat die Menschen zur Tätowierung motiviert, sind sie wegen ihrer Tätowierung schon einmal diskriminiert worden und in welchen Milieus unserer Gesellschaft lassen sich tätowierte Menschen finden? Der Autor will vor allem deren Diskriminierung und Exklusion aufzeigen, als Probleme, die durch die moderne Gesellschaft verursacht sind. Hier sieht der Autor einen „Handlungsraum für die Soziale Arbeit“, um „einer benachteiligten Gruppe unterstützende Hilfe zukommen zu lassen“ (S. 10).

Autor

Meier hat Soziale Arbeit studiert an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, Abteilung Benediktbeuren.

Entstehungshintergrund

Das Buch gründet auf einer weitgehend standardisierten Online-Erhebung, die Meier im Winter 2008/09 durchgeführt hat – Thema: „Das Phänomen der Tätowierung in der deutschen Gesellschaft“. Zugrunde gelegt war eine deutschlandweite, willkürliche Stichprobe.

Aufbau

Zwei Drittel des Haupttextes (von 60 Seiten) gelten der Untersuchungsanlage und Ergebnisdarstellung sowie der Diskussion; ein Anhang gibt weitere tabellarische Daten wieder. Den vorausgehenden Theorieteil fokussiert Meier auf „Fragen der Stigmatisierung, Diskriminierung und gesellschaftliche[n] Exklusion tätowierter Menschen“ (S. 13). Der Haupttext endet auf 1½ Seiten mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick.

Inhalt

Setzt man an diesem Schlusskapitel an, so hebt Meier hervor: „Die Diskriminierung tätowierter Menschen scheint, betrachtet man die Forschungsergebnisse dieser Studie, zu vielen tiefgreifenden Erlebnissen bzw. Erfahrungen zu führen, die psychische Wunden hinterlassen können. Ebenso lässt sich feststellen, dass ein großer Drang nach Richtigstellung von Vorurteilen durch die befragten Personen zum Ausdruck gebracht wird, damit zukünftig eine uneingeschränkte Inklusion von tätowierten Menschen gelingen kann.“ (S. 67; Hervorhebung C.B.) Letzteres werde durch die hohe Beteiligung an der Befragung und durch Kommentare zum Fragebogen belegt.

Das theoretische Konstrukt der Diskriminierung hat Meier mit einer einzigen Frage operationalisiert: „Haben Sie durch Ihre Tätowierung/en bereits gesellschaftliche Vorurteile bzw. Nachteile verspürt?“ (S. 54; Fußnote) Von den befragten Frauen haben 17,8 Prozent dies bejaht, von den Männern 20,4 Prozent. Die Frage wurde mit einer offenen Antwortmöglichkeit und mit der Möglichkeit zur Mehrfachnennung gestellt.

Die Kategorisierung erbrachte

  • an erster Stelle mit 132 Nennungen die „öffentliche Beleidigung“ (das entspricht 4,8 Prozent aller Befragten; eigene Berechnung C.B. sowie auch der beiden folgenden Prozentwerte). Als Beispiel zitiert Meier: „Das beginnt beim bloßen Anschauen auf der Straße und endet bei blöden Sprüchen in der vollen Fußgängerzone“ (S. 55).
  • An zweiter Stelle folgt mit 125 Nennungen die „Konfrontation mit Vorurteilen“ (4,6 Prozent der Befragten). Als Beispiele nennt Meier Kriminalität, Drogenabhängigkeit und Prostitution – Vorurteile, die verstärkt von älteren Menschen entgegengebracht würden.
  • Die „Diskriminierung am Arbeitsplatz“ steht an dritter Stelle mit 87 Nennungen (3,2 Prozent der Befragten). „Ich bin Lehrerin und habe schon einige negative Blicke oder Äußerung von Kollegen erfahren dürfen“, zitiert Meier (ebd.). (Die 16 weiteren Kategorien fallen in ihrer Häufigkeit deutlich ab; die letzten sind nur mit je einer einzigen Nennung vertreten.)

Meier hat darüber hinaus untersucht, ob Tätowierte ihrerseits andere Tätowierte stigmatisieren. Nicht sichtbar sein sollten Tätowierungen den Antworten zufolge vor allem bei Bankangestellten (288 Nennungen), ÄrztInnen, VerkäuferInnen und LehrerInnen/ErzieherInnen (145, 101 und 97 Nennungen),

Nun zur Frage: Was motiviert Menschen, sich tätowieren zu lassen? (Meier hatte dazu 15 Antwortkategorien vorgegeben.)

  • Die Daten erbringen, dass den Körper zu schmücken die wichtigste Absicht darstellt: 83,9 Prozent der Frauen stimmen hier voll oder teilweise zu sowie 84,7 Prozent der Männer (vgl. S. 53; eigene Berechnung C.B.).
  • An zweiter Stelle steht die Tätowierung als „Zeichen eines Lebensabschnitts“ (S. 50): mit 72,5 Prozent voller oder teilweiser Zustimmung bei Frauen, 71,8 Prozent bei Männern (eigene Berechnung C.B.).
  • Die Betonung von Individualität steht sodann an dritter Stelle (vgl. S. 49); hier verschiebt sich der Schwerpunkt auf eine teilweise Zustimmung: 48,4 Prozent bei Frauen, 47,8 Prozent bei Männern (voll zutreffend: 26,2 und 32,1 Prozent).

Um das Tätowieren von abweichendem Verhalten abzugrenzen, zeigt Meier, dass tätowierte Menschen in allen sozialen Milieus zu finden sind (er lehnt sich dazu an das Modell der Sinus-Milieus an). „Die stärkste Gruppe bilden die ‚Postmaterialisten‘ mit 30,28 % gefolgt von den ‚Performern‘ (26,15 %) und den ‚Hedonisten‘ (23,36 %).“ (S. 62) In der Summe verortet Meier diese Milieus in der Mitte der Gesellschaft.

Der Theorieteil des Buches, der dem Dargestellten vorangeht, soll vor allem Theorien anführen, „die im Rahmen der Diskussion gesellschaftlicher Stigmatisierungs- und Exklusionsprozesse in der Moderne relevant erscheinen“ (S. 12). Dazu zählt Meier einen „Überblick über die Geschichte und Bedeutung von Bodymodifikationen“, dann Niklas Luhmanns soziologisches Konzept der Exklusion, ergänzt um die Perspektive abweichenden Verhaltens, sodann einige „Aspekte des sozialen Wandels“ und eine Begründung des verwendeten Milieuansatzes (S. 13) – dies sind fünf theoretische Bezüge, die Meier auf 15 Seiten unterbringt.

Diskussion

Die Stärke der hier vorgelegten Untersuchung besteht darin, dass sie mit vielfältigen Umfragedaten das aktuelle Phänomen der Tätowierung beschreibt. Der Theorieteil deutet dagegen eher an, in welche Richtung eine theoretische Grundlage ausgearbeitet werden könnte: Selbst für das Thema wichtige Theorien referiert Meier nur kurz. Er geht beispielsweise bloß in einem einzigen Absatz auf Luhmanns Konzept der Exklusion ein, und das nur anhand von Sekundärliteratur (vgl. S. 15 f.).

Außer auf die in dieser Rezension dargestellten Hauptfragestellungen bezog sich der Fragebogen auf eine ganze Reihe weiterer interessanter Aspekte des Phänomens Tätowierung: etwa Motivauswahl, tätowierte Körperpartien oder Anzahl der Tätowierungen. Die Erstellung des Fragebogens folgte insgesamt zwar bestimmten Zielinhalten, von einer Hypothesenformulierung und Operationalisierung im Sinne klassischer quantitativer Forschung lässt sich jedoch keineswegs sprechen.

Dass die Befragung nicht repräsentativ ist, ist kaum anders zu erwarten – um Repräsentativität zu sichern, hätte als erster Schritt eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe gezogen werden müssen. Meyer weist auf die Einschränkung hin, hält aber „Rückschlüsse auf das Kollektiv“ für möglich (S. 33). Demgegenüber sollte man allerdings vorsichtig sein, weil schwer zu kalkulieren ist, welche Verzerrungen eine willkürliche Online-Befragung mit sich bringt.

Meier spricht mit Bezug auf seine Ergebnisse noch am Schluss von „der vorherrschenden [!] Diffamierung gegenüber Tätowierten“ (S. 67); diese Behauptung lässt sich aber nicht aufrechterhalten: Denn 81,3 Prozent der Befragten gaben an, dass sie keine (!) gesellschaftlichen Vorurteile bzw. Nachteile verspürten (vgl. S. 85; eigene Berechnung C.B.). Meier verquickt zudem seine Fehldeutung mit einer Art Zwangsvorstellung für die Soziale Arbeit: mit der „Obsession“, der vermeintlich vorherrschenden Diffamierung „in Form von Publikationen auf Makroebene entgegenzutreten“ (S. 67). Er schreibt, dass auch das vorliegende Buch diese Obsession „in sich trägt“ (ebd.).

Fazit

Das Buch ist interessant für LeserInnen, die auf der Basis aktueller, umfangreicher Umfragedaten einen Eindruck vom Phänomen der Tätowierung in Deutschland gewinnen wollen. Die Deutung des Verfassers sollte man jedoch kritisch betrachten.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Beck
Pädagogische Forschung und Lehre
Website

Es gibt 53 Rezensionen von Christian Beck.

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Zitiervorschlag
Christian Beck. Rezension vom 02.12.2011 zu: Daniel Meier: Inked. 0,3 mm unter der Haut der Gesellschaft. Empirische Analyse gesellschaftlicher Diskriminierungs- und Exklusionsprozesse in der Moderne - untersucht am Phänomen der Tätowierung. RabenStück Verlag (Berlin) 2010. ISBN 978-3-935607-38-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12306.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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