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Karin Schwiter: Lebensentwürfe

Rezensiert von Dr. Barbara Stiegler, 13.01.2012

Cover Karin Schwiter: Lebensentwürfe ISBN 978-3-593-39428-2

Karin Schwiter: Lebensentwürfe. Junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen. Campus Verlag (Frankfurt) 2011. 270 Seiten. ISBN 978-3-593-39428-2. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR, CH: 49,90 sFr.
Reihe: "Politik der Geschlechterverhältnisse" - Band 47.

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Thema

Von jungen Erwachsenen wird erwartet, dass sie ihr Leben aktiv und selbstständig planen. Wie diese Planungen genau aussehen, welches Selbstverständnis hinter diesen Planungen liegt und auf welche Konzepte und Normierungen von Geschlecht sie sich dabei beziehen, das ist die Fragestellung dieser Arbeit.

Autorin

Die Autorin ist Oberassistentin am Geographischen Institut der Universität Zürich und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Gender Studies der Universität Basel.

Entstehungshintergrund

Die Arbeit wurde 2010 an der Universität Basel als Dissertation angenommen.

Aufbau

  1. Zunächst werden im ersten Teil der Forschungsstand referiert und die eigene Methodologie, mit der das Thema bearbeitet werden soll, dargestellt.
  2. Der bei weitem umfangreichste zweite Teil beinhaltet die Ergebnisse der Auswertung der Lebensplanungen junger Erwachsener.
  3. Im dritten Teil wird ein weiterer Auswertungsschritt gemacht, der zum Ziel hat, den Diskurs und dessen inhärente Spannungsfelder in den Aussagemustern zur Lebensplanung zu zeigen und Schlussfolgerungen zu ziehen.

Inhalt

Bereits im ersten Teil der Arbeit wird das Besondere des Forschungsansatzes entwickelt: In Erweiterung des bisherigen Forschungsstandes wird die Frage nach der Lebensplanung erstmals auf junge Schweizer Erwachsene fokussiert. Wichtiger ist aber, dass es weder allein um Frauen noch um Geschlechterdifferenzen in den Lebensplanungen geht. Auch sollen nicht, wie oft üblich, Typologien konstruiert werden. Vielmehr geht es um die Frage, wie „vergeschlechtlichte gesellschaftliche Diskurse in den Individuen ineinander verflochten sind“ (S.41). Um darauf eine Antwort zu finden, werden Foucaults diskursanalytische Überlegungen zugrunde gelegt und ein Forschungsdesign entworfen, das diesen Überlegungen angemessen erscheint.

Die Auswertung der 24 leitfadengestützten, offenen Interviews aus den Jahren 2005 – 2007 bezieht sich auf die Themen: Ausbildung- Beruf- Erwerbsarbeit/ Kinderwunsch-Familiengründung/ Elternschaft-Vatersein-Muttersein/ und Arbeitsteilung. Unter diesen Aspekten werden viele, oftmals widersprüchliche Aussagemuster in der Lebensplanung sichtbar: So gehen die jungen Erwachsenen davon aus, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben, sie eine Wahlfreiheit bezüglich des Berufes besitzen, dass sie sich ständig weiterbilden müssen, um mitzuhalten, dass aber die berufliche Zukunft alles andere als gewiss und sicher ist. Kinder zu haben gehört einerseits zum normalen Leben dazu, die heterosexuelle Norm gilt, aber für das eigene Leben werden viele Voraussetzungen formuliert, die für die Entscheidung für ein Kind gegeben sein müssen: feste Partnerschaft, finanzielle Sicherheit und eine Übereinstimmung mit dem Partner, der Partnerin, in den Vorstellungen zur Arbeitsteilung in der Familie. Dabei gehen die meisten Frauen davon aus, dass sie beruflich weit zurückstecken, wenn sie ein Kind bekommen und die meisten Männer gehen davon aus, dass ihre Partnerin das auch tut. Das Ernährermodell für die Männer und das Modell der für das Kind „zu hause“ bleibenden Mutter wird von vielen unhinterfragt zugrunde gelegt. Allerdings gibt es zwischen den Modellen von Vaterschaft und Mutterschaft, die die jungen Erwachsenen bei ihren eigenen Eltern erlebt haben und den eigenen Vorstellungen doch einige Unterschiede. Männer möchten nicht der abwesende Vater sein, der wenig Beziehung zu seinen Kindern entwickelt sondern ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenken und gemeinsame Erlebnisse mit ihnen haben. Frauen möchten nicht so „Glucken“ wie sie es bei ihren Müttern häufig erlebt haben, sondern zwar immer für die Kinder da sein, aber das eigene Leben dabei nicht verpassen. Damit sind die Weichen für die antizipierte Arbeitsteilung bereits gestellt. Hinzu kommt ein von den meisten getragenes Feindbild“ Doppelverdienerpaar mit Krippenkind“, das das väterliche Primat der Erwerbsarbeit und das mütterliche Primat der Kinderbetreuung verfestigt. Alternative Arbeitsteilungsmuster werden von wenigen, vor allem in homosexuellen Partnerschaften lebenden jungen Erwachsenen erwogen, wobei aber die „Andersartigkeit“ dieser Modelle stark betont und damit die herrschende Norm verfestigt wird. Auch in kinderlosen Paarhaushalten lassen sich die ersten Indikatoren für die traditionelle Arbeitsteilung finden, wenn sie auch in einigen Fällen durch symbolische „Bezahlung“ (Mietzinsreduktion der hausarbeitenden Partnerin) abgemildert wird.

Diskussion

Wie der Entstehungshintergrund vermuten lässt, handelt es sich um eine wissenschaftliche Arbeit, was aber in diesem Fall kein Indikator für einen schwer verständlichen Text ist. Vielmehr ist der Aufbau klar und Leser und Leserin werden in drei Teilen durch ein gut durchstrukturiertes Forschungsprojekt geführt. In der geschlechterpolitischen Diskussion wird oft die Frage gestellt, wieso die Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen so langsam von statten gehen. Hier finden wir eine Antwort, die aus der Diskursanalyse von Lebensplanungen gefunden wurde: verborgen aber wirksam sind traditionelle Vorstellungen von der Rolle von Mann und Frau. Das Fatale daran allerdings ist, dass sie nicht als solche wahrgenommen werden sondern in dem Gewand einer selbst bestimmten, individuellen Entscheidung, die gerade zum eigenen Selbstbild „passt“, daherkommen. Mit dieser, dem neoliberalen Diskurs von der Freiheit und Selbstverantwortung des Individuums gemäßen Denken können die jungen Erwachsenen sich selbst als „modern“ definieren und trotzdem den traditionellen Geschlechtervorstellungen entsprechen. Widersprüche werden nicht gelöst: sie empfinden sich einerseits als höchst individuelle Personen, schreiben sich und anderen andererseits aber typisch männliche bzw. weibliche Eigenschaften zu. Der einzige Punkt, der junge Erwachsene von den Eltern unterscheidet, ist, dass sie die traditionelle Arbeitsteilung als selbst gewählt empfinden und die Polarisierungen in den Elternrollen vermeiden möchten. Sicherlich können die Ergebnisse nicht auf alle anderen Länder, z.B. auf Ostdeutschland, übertragen werden, denn im Gegensatz zur Schweiz leben dort nicht 80% aller Paarhaushalte mit Kindern unter 7 Jahren nach dem Ernährermodell. Aber diese qualitative Analyse zeigt doch in Augen öffnender, aber auch bestürzender Weise, wie traditionelle Geschlechterdiskurse sich in individuellen Überlegungen über die eigene Zukunft verschränken, ohne als solche erkannt zu werden.

Fazit

Wer etwas über die Lebensplanung junger Männer und Frauen erfahren möchte und dabei auch daran interessiert ist, wie Geschlechterkonzepte in diese Planungen eingehen, findet in dieser Arbeit eine Fülle von Informationen, aber auch Erkenntnissen über die Verwobenheit von Diskursen. Der Einblick in die Widersprüchlichkeiten zwischen einer neoliberalen Selbstbestimmung und der eigenen Definition als Mann/Frau und Vater/Mutter in den Aussagemustern kann dabei helfen, Ansatzpunkte in der Beratung junger Erwachsener zu finden. Allen, die in der Praxis mit jungen Erwachsenen zu tun haben, sei diese Arbeit wärmsten empfohlen, – kann sie doch auch zur eigenen Reflexion wertvolle Anregungen bieten.

Rezension von
Dr. Barbara Stiegler
Bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung
Friedrich Ebert Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
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Es gibt 48 Rezensionen von Barbara Stiegler.

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ISSN 2190-9245