Sascha Stanicic: Anti-Sarrazin
Rezensiert von Dipl.-Päd. Nina Jann, 19.01.2012

Sascha Stanicic: Anti-Sarrazin. Argumente gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Sozialdarwinismus.
PapyRossa Verlag
(Köln) 2011.
168 Seiten.
ISBN 978-3-89438-477-7.
D: 11,90 EUR,
A: 12,30 EUR.
Reihe: Neue kleine Bibliothek - 171.
Thema und Entstehungshintergrund
Sascha Stanicic reagiert mit „Anti-Sarrazin. Argumente gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Sozialdarwinismus“ auf die Veröffentlichung des Buches „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin 2010 und die sich daran anschließenden medialen und innenpolitischen Diskurse. Stanicic setzt sich intensiv mit den derzeitigen politischen Kräfteverhältnissen in Deutschland auseinander und entwickelt „eine alternative Antwort“ auf die Frage, „wie eine lebenswerte Zukunft [fernab einer kapitalistisch geprägten Gesellschaftsordnung] möglich ist“ (12). Stanicic sagt selbst von sich, dass er mit seinem Buch „die wirklichen Probleme an[spricht] und […] Lösungsvorschläge [macht], um die Lebenssituation der MigrantInnen und aller Menschen in diesem Land (mit Ausnahme der Superreichen, Großaktionäre und Kapitalisten) zu verbessern“ (10). Weiterhin will Stanicic zeigen, „dass der Aufbau einer sozialistischen und internationalistischen Linken, der Wiederaufbau der Arbeiterbewegung nötig ist, um sowohl Rassismus und Islamfeindlichkeit, als auch den reaktionären islamischen Fundamentalismus zurückzudrängen“ (31).
Autor
Stanicic beschreibt sich selbst als Sozialisten und Vertreter einer marxistischen Gesellschaftsanalyse. Zum Zeitpunkt der Erscheinung von „Anti-Sarrazin“ war er Bundessprecher der Sozialistischen Alternative (SAV) und verantwortlicher Redakteur eines sozialistischen Internetportals sowie eines Magazins. Seine politischen Grundüberzeugungen prägen das Buch deutlich, was sich sowohl argumentativ, als auch an seinen Belegquellen zeigt.
Aufbau und Inhalt
In seinem ersten Kapitel „Was sagt Sarrazin?“ führt der Autor kurz in die inhaltlichen Kernargumente Thilo Sarrazins ein und charakterisiert dessen Argumentationstechniken. Stanicic beschreibt Sarrazins Denken als „eindimensional, nationalistisch, rassistisch und kapitalistisch“ (15). Sarrazins Aussagen sind für Stanicic „Neoliberalismus pur“ (16).
Im zweiten Kapitel „Warum hat Sarrazin sein Buch geschrieben?“ geht Stanicic auf die unterschiedlichen öffentlichen Rollen ein, die Sarrazin bislang bekleidete, da Sarrazins „Schlussfolgerungen […] nicht von seinen Interessen und diese ihrerseits nicht von seiner Rolle in der Gesellschaft zu trennen [seien]“ (20). Stanicic will Sarrazin als Vertreter einer Klasse verstanden wissen, deren Interessen er vertritt. Zudem verfolgten seine rassistischen und nationalistischen Äußerungen den Zweck die ‚wahren‘ gesellschaftlichen Trennlinien, die zwischen den Klassen verlaufen zu verschleiern und stattdessen ‚künstliche‘ zu betonen, die suggerieren, dass es diese zwischen Kulturen, Nationalitäten, Religionen gäbe.
In dem darauf folgenden dritten Kapitel „Die Sarrazin-Debatte: Tabubruch oder Kampagne?“ setzt sich Stanicic mit der Frage auseinander, ob Sarrazin mit seinen Äußerungen tatsächlich Grenzen des Sagbaren überschritten oder aber vielmehr politischen Entscheidungsträgern gezielt argumentativ in die Hände gespielt habe. Stanicic geht davon aus, „Sarrazin […] [habe] eine schon über einen langen Zeitraum angeheizte Debatte auf die Spitze getrieben“ (25) und stellt fest, dass „die etablierten Parteien Sarrazin als einen Rammbock [nutzen], um Verschärfungen im Einwanderungsrecht und einen weiteren Ausbau des ‚starken Staats‘ vorzubereiten“ (28). Weiterhin unterzieht er SPD, Gewerkschaften und DIE LINKE einer kritischen Betrachtung und wirft diesen politische Trägheit vor in Bezug auf das politische Potenzial, das die Sarrazin-Debatte für den Kampf der Arbeiterklasse hätte bieten können. Auch an anderer Stelle zeigt sich Stanicics Überzeugung, insbesondere die Gewerkschaften und DIE LINKE hätten „die Aufgabe, den zurecht wütenden, dem kapitalistischen Deutschland entfremdeten und von ihm enttäuschten MigrantInnen (und den genauso wütenden und enttäuschten deutschen ArbeiterInnen und Erwerbslosen) eine Perspektive für einen gemeinsamen Kampf von deutschen und nichtdeutschen Beschäftigten und Erwerbslosen für soziale Verbesserungen aufzuzeigen“ (55).
Im vierten Kapitel „Migration und Integration – Schafft sich Deutschland ab?“ geht Stanicic auf die deutsche Migrationsgeschichte insbesondere ab Mitte der 1950er Jahre ein. Dieser unterstellt er zwei Ziele: Zum einen sollte auf den in Deutschland herrschenden Arbeitskräftemangel reagiert werden, andererseits sollte die Anwerbung ausländischer ArbeiterInnen „den steigenden Lohnforderungen der deutschen ArbeiterInnen etwas entgegen setzen, ausländische ArbeiterInnen also als Lohndrücker“ (38) missbraucht werden. Stanicic geht davon aus, dass die eingewanderten ArbeiterInnen „einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft und zur Finanzierung der Sozialsysteme geleistet“ (41) haben. Er verweist jedoch ebenfalls auf die Tatsache, „dass MigrantInnen in besonderem Maße von sozialen und politischen Missständen betroffen sind“ (43). Dieser Umstand wiederum steht nach Stanicic dem Begriff ‚Integration‘ diametral entgegen, da dieser „eine strukturelle, soziale Komponente umfassen [muss] und […] nicht ohne soziale und demokratische Rechte der MigrantInnen gedacht werden kann“ (53). Weiterhin räumt der Autor mit der Annahme auf, es gäbe “eine deutsche Kultur“ (56) und bestätigt das Vorhandensein von Parallelgesellschaften, die er jedoch nicht zwischen den Kulturen, sondern zwischen den Klassen vermutet. Stanicic stellt darüber hinaus die Annahmen Sarrazins in ihren sozialen Kontext und entkräftet so dessen Aussagen zu „kriminelle[n] Ausländer[n] (59), der „Demografie-Frage“ (62) und Sarrazins „Eugenik“ (64).
Dem fünften Kapitel „Islamfeindlichkeit als neuer Rassismus“ liegt die Annahme zugrunde, „Muslime und Menschen aus islamischen Ländern stehen heute unter vielfältigem Generalverdacht“ (69). Islamfeindlichkeit zeichnet sich nach Stanicic insbesondere durch die „Gleichsetzung der Religion Islam mit politischen Strömungen“ (71) aus und darüber hinaus „durch ein hohes Maß an Pauschalisierungen und die Weigerung, die Vielfältigkeit und Komplexität der Lebensrealität von Muslimas und Muslimen anzuerkennen“ (71). Weiterhin beschäftigt er sich mit Elementen der Islamfeindlichkeit, wie „der Rolle der Frau“ (77), „Moscheen und Minaretten“ (85), „islamischer Fundamentalismus“ (88) mit dem Ziel deren Verwobenheit in gesellschaftliche Verhältnisse aufzuzeigen und sie von der jeweiligen Religionszugehörigkeit zu lösen. Gleichzeitig verweist er auf die Verantwortung der Politik der westlichen kapitalistischen Mächte für den islamistischen Terror.
Im Rahmen eines sechsten Kapitels „Arbeit, Bildung und Soziales – Sarrzins wahres Gesicht“ verdeutlicht Stanicic dieneoliberale Logik, der die Aussagen Sarrazins folgen. „Sarrazins These der Eigenverantwortung für die persönliche Lebenssituation führt direkt zu seiner Absage an den Gedanken von Solidarität und gesellschaftlicher Verantwortung für die Schwachen im Gemeinwesen“ (97). Mit dieser Absage an solidarische Gesellschaftsbeziehungen verbinden sich nach Stanicic Maßnahmen des Sozialabbaus, die insbesondere der „Klasse von Kapitalbesitzern und Superreichen“ (103) in die Hände spielen.
In einem siebten Kapitel „Das mit den Genen und der Intelligenz“ beschäftigt sich Stanicic mit den biologistischen Argumentationen Sarrazins und dessen biologistischem Umgang mit dem Thema Intelligenz. Stanicic kommt in diesem Kapitel zu dem Schluss, dass Intelligenz nicht messbar und schon gar nicht vererbbar sei, sondern sich in starker Abhängigkeit zu Umwelteinflüssen entwickelt.
Stanicic legt in seinem achten Kapitel „Was ist Rassismus – und warum gibt es ihn?“ eine kurze Geschichte des Rassismus vor und zeigt abschließend dessen Verwobenheit mit einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Er betont den engen Zusammenhang von „sozialen Problemen und Migrantenfeindlichkeit“ (135) und geht deshalb davon aus, dass „der Kampf gegen Rassismus und Migrantenfeindlichkeit sich auch gegen die tieferen gesellschaftlichen Ursachen dieser Probleme richten“ (135) muss.
Im Rahmen des neunten Kapitels diskutiert Stanicic die Frage „Kommt die Sarrazin-Partein?“ und kommt zu dem Schluss, dass „die Reaktionen auf Sarrazins Buch aus dem bürgerlichen Establishment […] auch in einem Zusammenhang mit den Aussichten für die Entstehung einer politischen Kraft rechts von CDU/CSU“ (141) stehen. Die einzige Möglichkeit das Erstarken der rechten politischen Kräfte zu verhindern, stellt für Stanicic „eine starke linke Arbeiterpartei“ (151) dar. Denn „gerade um diejenigen Schichten der Bevölkerung zu erreichen, die für die Propaganda der Rechten aufgrund ihrer sozialen Situation anfällig sein können, muss man eine Perspektive zur Lösung der sozialen Probleme aufzeigen“ (152). Gemeinsames Ziel der Gewerkschaften und Parteien wie der LINKEN muss es sein zum gemeinsamen Widerstand gegen die kapitalistische EU und die nationalen Regierungen“ (154) aufzurufen.
In einem abschließenden zehnten Kapitel mit der Überschrift „Alternativen zu Sarrazin und wie man sie verwirklichen kann“ beschreibt Stanicic ein „Programm für die Lösung der sozialen Missstände und eine Strategie zur Durchsetzung eines solchen Programms“ (155). Auch hier spielt der gemeinsame Kampf der Arbeiterklasse „gegen Sozialabbau, Niedriglöhne, Privatisierungen und Kapitalismus“ (68) eine entscheidende Rolle. Leider werden die Vorschläge dem einen Lösungsanspruch nicht gerecht und bleiben vage und ungenau.
Diskussion und Fazit
Stanicic weist deutlich darauf hin, dass sein Buch nicht den Anspruch der Wissenschaftlichkeit erhebt, sondern eine „politische Gegenargumentation“ (12) darstellt, weshalb sich eine Lektüre für LeserInnen, die sich für eine analytische und theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit der Debatte interessieren, nicht eignet. Stattdessen liefert Sascha Stanicic Vorschläge für politische Maßnahmen, die es vermögen sollen den sich angeblich durch Bücher wie „Deutschland schafft sich ab“ abzeichnenden gesellschaftlichen Rechtstrend abzuwenden.
Stanicic beschreibt „Deutschland schafft sich ab“ als „politische Kampfschrift“ (16), die als „Propagandaschrift für einen Klassenkampf von oben“ (16) betrachtet werden kann. Ein ähnliches Urteil lässt sich über Stanicics Ausführungen fällen, die vehement und wiederholt die Arbeiterklasse zum gemeinsamen Kampf, also zum Klassenkampf von unten aufrufen. Leider geht jedoch an einigen Stellen die marxistische Leidenschaftlichkeit des Autors auf Kosten der Stringenz, Logik und des Gehalts seiner Aussagen. Ebenso unklar ist an manchen Stellen der Aufbau des Buches.
Und auch wenn Stanicic darauf verweist, dass er sich mit komplexen Zusammenhängen beschäftigt, so wirken seine Thesen oft ein wenig vereinfachend. So legt er ein Integrationsverständnis vor, dass sich in der Form des gemeinsamen Widerstands realisiert. Deutsche und nichtdeutsche ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose und Jugendliche sollen sich hier zu einer gemeinsamen Bewegung zusammenschließen. Hier liegt meiner Meinung nach eine Homogenisierung der Lebenssituation der Arbeiterklasse vor, die den tatsächlichen Lebensbedingungen der einzelnen Gruppen nicht gerecht wird.
Insgesamt vermag es das Buch – trotz vieler guter Gedanken – nicht, die von Sarrazin vorgegebene Ebene der polemischen Ungenauigkeit zu verlassen und bleibt damit in seiner gegenargumentativen Kraft weit hinter bestehenden kritischen Analysen zurück.
Rezension von
Dipl.-Päd. Nina Jann
FU Berlin/Arbeitsbereich Sozialpädagogik
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