Angelika A. Schlarb, Harlich H. Starvemann: Einführung in die KVT mit Kindern und Jugendlichen
Rezensiert von Dr. Alexander Tewes, 29.06.2012

Angelika A. Schlarb, Harlich H. Starvemann: Einführung in die KVT mit Kindern und Jugendlichen. Grundlagen und Methodik. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2011. 246 Seiten. ISBN 978-3-621-27693-1. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 41,90 sFr.
Thema
Die kognitive Verhaltenstherapie, kurz KVT, ist in der Behandlung von Erwachsenen längst etabliert. Im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie herrschen derweil immer noch klassisch verhaltenstherapeutische oder analytisch fundierte Therapiemodelle vor. Die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ist auch dementsprechend ausgerichtet. Die Herausgeber des insgesamt zweibändigen Werkes (vgl. die Rezension zu Schlarb 2012) haben es sich folglich zum Ziel gesetzt, diesen vielversprechenden Ansatz in einem störungsübergreifenden Buch zu Papier zu bringen. Da bislang lediglich Therapiemanuale zu speziellen Störungen wie beispielsweise Depression (Harrington 2001), Anorexie (Salbach-Andrae et al. 2010) oder Sozialer Phobie (Joormann & Unnewehr 2002) veröffentlicht wurden, war solch ein Buch überfällig.
Herausgeber
Dr. Angelika A. Schlarb, Dipl.-Psych. ist Kinder-Jugendlichen-Therapeutin mit Schwerpunkt auf KVT am Psychologischen Institut, Abt. für Entwicklungspsychologie in Tübingen.
Dr. Harlich H. Stavemann, Dipl.-Psych., KVT-Lehrtherapeut/Supervisor, seit 25 Jahren als niedergelassener Psychotherapeut tätig, Leiter des Instituts für Integrative Verhaltenstherapie (IVT) in Hamburg.
Entstehungshintergrund
Bereits in der Einleitung verweisen die Herausgeber auf die Hauptintention, dieses Buch zu veröffentlichen: Sie wollen mit zwei Mythen bezüglich der KVT aufräumen:
- „Die klassisch lerntheoretisch begründeten S-R-Verfahren haben sich gut begründet. Warum sollte man das nun ändern?
- Kinder, insbesondere Vorschulkinder, sind noch nicht hinreichend kognitiv entwickelt, um KVT-Verfahren anzuwenden.“ (S. 11).
Dem ersten Punkt begegnen die Autoren mit einer Argumentation, die der analytischen Herangehensweise ähnelt: Die klassische VT arbeite vor allem am Symptom, während die eigentliche Ursache (hier die Kognitionen) jedoch unberücksichtigt bliebe. Bezogen auf das zweite Argument sei es auch mit jüngeren Kindern durchaus möglich, an Grundüberzeugungen zu arbeiten. Zudem sei die Arbeit über die Kognitionen der Eltern – eine so genannte „Billiard-Therapie“ (S. 12) vielversprechend.
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau des grundlegenden Buches orientiert sich weitestgehend an den von Stavemann postulierten Phasen der kognitiven Therapie:
Phase 1: Erstkontakt. Hier wird auf die Struktur und die Ziele beim Erstkontakt und das therapeutische Vorgehen eingegangen. Abschließend wird – wie auch bei den meisten anderen Kapiteln – auf phasentypische Probleme und Widerstände eingegangen (hier beispielsweise mangelnde Eigenmotivation des Kindes).
Phase 2: Exploration, Anamnese, Diagnose und Therapieplanung. Der Aufbau ist identisch mit dem des ersten Kapitels. Den Kernpunkt dieses Kapitels bildet die funktionelle Verhaltensanalyse nach dem kognitiv-behavioralen Modell.
Phase 3: Lebenszielanalyse und Lebenszielplanung. Dieses Kapitel basiert vor allem auf der diesbezüglichen Literatur von Stavemann (2008). Vor allem bei Jugendlichen ist dieser Abschnitt eminent wichtig.
Phase 4: Wissensvermittlung und Aufbau der Krankheitseinsicht bei Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Nach Erläuterung von beiden Störungsfeldern werden die diesbezüglichen Strategien und das therapeutische Vorgehen dargestellt. Psychoedukation bildet einen wichtigen Kernpunkt jeglicher moderner Psychotherapie, wird in der Praxis jedoch immer noch viel zu häufig vernachlässigt.
Phase 5: Das kognitive Modell zur Emotionsentstehung vermitteln. Kern der KVT ist das sogenannte ABC-Modell, mit dem auslösende Situationen, Grundüberzeugungen und Konsequenzen durchgearbeitet werden können. Dieses wird vorgestellt und zudem wird vor allem auch auf die altersspezifischen Umsetzungsmöglichkeiten eingegangen.
Phase 6: Dysfunktionale und schädliche Konzepte identifizieren. Losgelöst von der konkreten Situationsbetrachtung in Phase 5 werden nun hier die situationsübergreifenden, stabilen Grundüberzeugungen mithilfe des ABC-Modells herausgearbeitet. Vor allem bei jüngeren Kindern ist es oft noch wichtiger, die Überzeugungen der Eltern zu identifizieren, da diese sowohl als Modell als auch als Vermittler dieser Überzeugungen fungieren.
Phase 7: Dysfunktionale und schädliche Konzepte prüfen. In logischer Konsequenz werden anschließend die zuvor identifizierten Konzepte dahingehend geprüft, „ob auch alle Voraussetzungen für einen Veränderungsprozess gegeben sind“ (S. 137). Wichtige Voraussetzungen seien demzufolge ein Problembewusstsein, eine Veränderungsmotivation und eine konkrete Zielsetzung. Hier werden viele Vorgehensweisen vorgestellt, die sich auch im Selbstmanagementtherapieansatz von Kanfer (2000) wiederfinden.
Phase 8: Aufbau neuer, funktionaler Konzepte. In diesem Abschnitt geht es fast ausschließlich um das „B“ des ABC-Schemas, also die Gedankenebene („beliefs“). Es werden Methoden vorgestellt, mit denen in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien (Vorschul-, Grundschulkinder und Jugendliche), sowie mit den Eltern gearbeitet werden kann.
Phase 9: Training der neuen Konzepte. Erst zum Ende der Therapie (und somit auch des Buches) wird tatsächlich in-vivo – also „im wirklichen Leben“ an konkreten Verhaltensänderungen gearbeitet. Dieser Punkt, unterstützt durch Verstärkersysteme, bildet den Kernpunkt der bereits oben genannten klassischen Verhaltenstherapie. Die KVT hingegen geht davon aus, dass es primär darum gehe, die grundlegenden Konzepte zu verändern. Die letzte Therapiephase diene lediglich der Umsetzung und Erfolgskontrolle.
Die Therapieerfolgskontrolle sei ebenfalls in jedem modernen verhaltenstherapeutischen Ansatz unverzichtbar. Daher schließen die Autoren das Buch auch damit ab.
Diskussion
Wie bereits zuvor erwähnt, hat sich die KVT hat in der Behandlung von Erwachsenen längst etabliert – hier werden bereits neue, die sogenannten verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren der „dritten Generation“ entwickelt (vgl. die Rezension zu Luoma et al. 2009). Insofern war diese Publikation wichtig und überfällig. Abgesehen von leichten Mängeln einer Erstauflage (so wird beispielsweise im ersten Kapitel eine Eigenschaftsbeurteilungsliste dargestellt, ohne genauer zu beschreiben, wie diese zu nutzen sei), ist das Buch klar gegliedert und gut verständlich geschrieben. Besonders hilfreich sind die vielen Dialogbeispiele, die die konkrete Umsetzung der einzelnen Schritte verdeutlichen. Abgesehen von diesen Punkten bewegt sich das Buch jedoch vor allem auf theoretischer Ebene. Wer konkretere Hinweise für die Therapie spezieller Störungsbilder sucht, sollte sich unbedingt den zweiten Band „Praxisbuch KVT mit Kindern und Jugendlichen“ zulegen (Schlarb 2012, vgl. die Rezension). Da in dem Buch auch sämtliche Inhalte dieses Buches nochmals in komprimierter Form dargestellt werden, bleibt angesichts des Preises beider Bücher kritisch anzumerken, ob es nicht eventuell sinnvoller gewesen wäre, beide Bücher in einem umfassenden Werk zusammenzufassen.
Fazit
Ein eminent wichtiges und lehrreiches Buch für alle Psychotherapeuten, die sich dem verhaltenstherapeutischen Ansatz verpflichtet fühlen. Wer Geld sparen möchte, sollte eher den zweiten Band des Gesamtwerkes kaufen, wer es sich leisten kann, sollte sich unbedingt beide zulegen. Der erste Band alleine greift meines Erachtens nach zu kurz.
Rezension von
Dr. Alexander Tewes
Instituts- und Ausbildungsleiter LAKIJU-VT (Lüneburger Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichen-Verhaltenstherapie), Psychiatrische Klinik Lüneburg gemeinnützige GmbH im Verbund der Gesundheitsholding Lüneburg
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