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Hans-Ernst Schiller: Ethik in der Welt des Kapitals

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 24.10.2011

Cover Hans-Ernst Schiller: Ethik in der Welt des Kapitals ISBN 978-3-86674-148-5

Hans-Ernst Schiller: Ethik in der Welt des Kapitals. Zu den Grundbegriffen der Moral. zu KLAMPEN! Verlag (Springe) 2011. 238 Seiten. ISBN 978-3-86674-148-5. 28,00 EUR.

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Thema

Das Buch stellt die Grundbegriffe der Moral in den Mittelpunkt der Betrachtung ihrer wechselhaften Bedeutungsbeziehungen zu den unterschiedlichen Konstellationen aufgrund sich verändernder gesellschaftlicher Verhältnisse. Dabei geht es dem Autor vordringlich um die Frage nach dem Stellenwert der Moralphilosophie unter den Bedingungen einer kapitalistischen Systemdurchdringung einer zunehmend globalisierten Vernetzung – und darum, welche Hilfestellung die Philosophiegeschichte zur Bewahrung einer moralischen Unabhängigkeit leisten kann.

Autor

Hans-Ernst Schiller, Jahrgang 1952, studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie und ist Professor für Sozialphilosophie und Sozialethik an der FH Düsseldorf. Seine Arbeiten über Karl Marx (Magister), Ernst Bloch (Promotion) und Wilhelm von Humboldt (Habilitation) weisen auf seine philosophisch-historische Forschungsausrichtung hin.

Entstehungshintergrund

Den Autor treibt die Frage um, dass, wenn wir heute in einer Welt des Kapitals ungeahnten Ausmaßes leben, wo „Geld als allgemeine Form des gesellschaftlichen Reichtums gilt“ (S. 9), Leitbilder und Wertbegriffe distanziert hinterfragt werden müssen. Er sieht eine besondere Verbindung zwischen dem, was den Kapitalismus mit bestimmten Ansichten, Einstellungen und Eigenschaften verbindet und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Entwicklungen bis hin zu jenen Menschen, die letztlich auf der Strecke bleiben. Das Buch ist offensichtlich als Ergebnis einer Analyse der gegenwärtigen nach Ansicht Schillers unter kapitalistischem Vorzeichen stehenden gesellschaftlichen Realität im Verhältnis zu der historischen Entwicklung der ethischen Grundbegriffe der Hochkulturen zu verstehen. Dabei greift der Autor auch auf eigene Texte (Kapitel 3 und 4) in anderen Publikationen aus den Jahren 2008 bzw. 2009 sowie auf einen Vortrag von 2009 (Kapitel 6) zurück.

Aufbau

Das Buch weist eine Vorbemerkung und sieben weitere Kapitel unterschiedlichen Inhalts auf. Jedem Kapitel schließt sich eine Auflistung der Anmerkungen und entsprechenden Fundstellen an. Am Ende des Buches befindet sich ein Literaturverzeichnis.

Der Autor unternimmt es in den einzelnen Kapiteln besondere Begrifflichkeiten als da sind: Moral, Glück, Solidarität, Kritik, Gerechtigkeit und Gleichheit, Menschenwürde, Verantwortung und Freiheit herauszugreifen und diese einer weitergehenden Analyse zu unterziehen. Dabei erscheinen die einzelnen Kapitel in sich konsistent, schließen die jeweilige Thematik ab und stehen nicht zwangsläufig in einer logischen Abfolge.

Inhalte

So geht der Autor im ersten Kapitel der Frage nach, was nun eigentlich Moral ist. Er geißelt dabei alte, überkommene Moralvorstellungen, konstatiert ein gewisses Misstrauen gegenüber der Moral, verweist etwa auf den holländischen Sozialtheoretiker Bernard Mandeville sowie auf Heinrich Heine und erkennt die „großen Entlarver der Moral“ auch als „unerbittliche Rechtfertiger des sozialen Unrechts“ (vgl. S. 13), spricht von einer ‚Interessenmoral‘, die ihren Nutzen darin sieht, dass sie eine Moral der Gegenseitigkeit ist. Moral schaffe in gewisser Weise auch Regeln, die für ihre Durchsetzung unabdingbar sind, dabei handle es sich um Rechtsregeln, die für etwaige Strafsanktionen notwendig sind. Als Beispiele für moralische Gebote, die in das Privat- wie auch in das Strafrecht Eingang gefunden haben, nennt Schiller u. a. das Tötungsverbot, die Vertragstreue, die Ehrlichkeit und den Eigentumsschutz. Den weiteren Ausführungen lässt sich die Schlussfolgerung entnehmen, dass ein Rechtssystem nur dann akzeptiert werden kann, wenn es einer aus einer gewissen Kulturalität entspringenden Moralität entspricht. Es wird die Frage nach den Werten gestellt und dabei vor allem auf die Begriffe ‚Gut‘ und ‚Böse‘ eingegangen. Natürlich stehen Normen in einem gewissen Zusammenhang mit Werten, so dass Schiller zu Recht davon spricht, dass diese einander korrespondieren. Er geht auf Immanuel Kant ein, der ähnlich wie John Locke Normen als ‚Gesetze der Freiheit‘ im Sinne eines Sittengesetzes (vgl. S. 25) begreift. Dabei versteht er die Ethik Kants als Versuch, „das Unbedingte der Moral in einer Welt geltend zu machen, die vom Interesse und vom Antagonismus der Interessen beherrscht ist – ohne sie in Frage zu stellen“ (S. 37). Gemeint ist damit, dass zunächst der Einzelne Gegenstand der Moral bei Kant ist, welcher sich jedoch letztlich einer allgemeinen Gesetzlichkeit einzuordnen hat. Der Autor will mit seinen Ausführungen über die Moral offensichtlich vor allem deutlich machen, dass diese – trotz oder gerade wegen der Notwendigkeit einer historischen Reflexion – in der modernen Welt des Kapitalismus und der repräsentativen Demokratie schwieriger im täglichen Leben umzusetzen ist.

Die nächsten Kapitel wenden sich einerseits der Glücksproblematik sowohl bezüglich der Individualität und der Solidarität im politisch-gesellschaftlichen Zusammenleben zu (Kap. 2), andrerseits geht es um das Mitleid und u. a. um dessen egoistische Komponente und die Frage nach ihrer Moralität (Kap. 3). Im nachfolgenden Kapitel nimmt sich der Autor der ‚Gerechtigkeit‘ und der ‚Gleichheit‘ an. Schiller geht eingangs von der These aus, dass Gerechtigkeit Gleichheit ist, meint jedoch damit nicht Gleichmacherei. Er verweist auf den wohl einst selbstverständlichen und heute in Vergessenheit geratenen Unterschied von einfacher und proportionaler Gleichheit – eine an Leistung gebundene Verhältnismäßigkeit ins Feld führend. Des weiteren werden die ‚soziale Gerechtigkeit‘ und deren Teilaspekte, wie zum Beispiel die Einkommensgerechtigkeit, die Bildungs- und Steuergerechtigkeit angesprochen, es wird aber auch auf die politische Gerechtigkeit näher eingegangen oder der Neidfaktor mit Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit (in Anlehnung an Franz von Hayek) in Verbindung gebracht. Ausgehend von Platon und Aristoteles geht der Autor auf eine differenzierende Betrachtung von Gleichheit über, wie etwa bei der Verteilung von materiellen und immateriellen Gütern, prüft die Maßstäbe der Verteilung und die Grenzen der dabei auftretenden Gerechtigkeitsforderung und stellt die Frage, „welche gerechtigkeitstheoretische Bedeutung der Idee der allgemeinen Menschenwürde zukommt“ (S. 105). Schiller zieht als Antwort darauf die UN-Erklärung der Menschenrechte von 1948 zu Rate und erkennt ein Missverständnis bezüglich der Begründung und des Geltungsbereichs dieser Rechte. Moderne Sichtweisen in Bezug auf den sozialen Aspekt von Menschenrechten, auf die Gerechtigkeit von Verfahren bei politischen und juristischen Entscheidungen oder bezüglich der Auswirkungen des technischen Fortschritts auf künftige Generationen (‚Generationengerechtigkeit‘) einerseits und von sozialen Ungerechtigkeiten nicht nur in der sog. Dritten Welt mit der Folge zunehmender globaler Armut andrerseits schließen dieses Kapitel im Wesentlichen ab. Quasi in Ergänzung zu diesem Kapitel beschäftigt sich das nachfolgende mit dem Universalitätsanspruch der Menschenwürde und einem daraus resultierenden globalisierten Rechtsprinzip.

Folgerichtig stellt der Autor im 6. Kapitel die Frage nach der Verantwortung – die er für den „Schlüsselbegriff des modernen Lebens“ (S. 160) hält – und deren Modernität. Wiederum greift er zurück in die historisch-philosophische Entwicklung einer tradierten Ethik des Verantwortungsbegriffs, benennt die vier wichtigsten Verantwortungsrelationen, untersucht die Aspekte politischer Verantwortung, indem er u. a. auch auf die Unterscheidung in die Gesinnungsethik und die Verantwortungsethik von Max Weber näher eingeht, dabei auch die Verantwortung des Bürgers (‚citoyen‘) nicht außer acht lassend. Bezugnehmend auf die jüngste Finanzkrise wendet sich Schiller schließlich der Verantwortung in der Wirtschafsethik zu und plädiert letztlich für ein selbstverantwortliches Handeln der Individuen, um eine bessere Gesellschaft begründen zu können.

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff der Freiheit (S. 192 ff.), stellt eine Beziehung zwischen der Freiheit und der Verantwortung her, indem der Autor u. a. die Freiwilligkeit des Handelns im Sinne einer Willensfreiheit hinterfragt, dabei auch nach den äußeren und inneren Zwängen sucht, die unsere Entscheidungen zu beeinflussen vermögen. Das Kapitel schließt mit der Forderung ab, das die Freiheit bedingende Zusammenspiel von äußeren Bedingungen und subjektiven Fähigkeiten quasi zur Bewältigung gesellschaftlicher Fragen zu nutzen.

Diskussion

Das vorliegende Buch bietet in kleiner Schrift gehalten eine Fülle an Informationen in ‚verdichteter‘ Weise, ist klar gegliedert und entsprechend belegt. Die inhaltliche Umsetzung der jeweiligen Kapitelthematik erscheint auf Grund der großen Informationsfülle nicht selten verwirrend und könnte von dem weniger in der Materie steckenden Leser nicht immer leicht verständlich nachvollziehbar sein.

Darüber hinaus könnte der Obertitel des Buches einerseits eine starke Hinwendung zu einer vom Kapitalismus dominierten Welt suggerieren, andrerseits jedoch wiederum die Problematik der Durchsetzung ethischer Grundsätze und Wertvorstellungen in einer vom Kapital bestimmen Welt von heute meinen wollen. Weder das eine noch das andere erscheint dem Rezensenten jedoch klar erkennbar, möglicherweise auch nicht so gewollt zu sein. Insofern wird der Untertitel des Buches (‚Zu den Grundbegriffen der Moral‘) dem Werk insgesamt am ehesten gerecht, so dass eine Titelumkehr sinnvoller gewesen wäre. Allerdings gilt es insgesamt anzumerken, dass die Verquickung des Ethik- mit dem Moral-Begriff im Buchtitel als höchst problematisch erachtet werden muss, konzentriert sich doch der Buchinhalt beinahe ausschließlich auf Aspekte von Moral, die nun wiederum eigentlich als philosophiehistorische Werte und deren Verortung in der modernen Gesellschaft dargestellt werden.

Fazit

Das Buch von Schiller ist aufgrund der Fülle an komprimierten Fakten und Erkenntnissen gerade auch für den geübten und nicht unbedingt fachunkundigen Leser bereichernd – falls er nicht aufgrund der geschilderten Titelproblematik andere Erwartungen hat und diese so ggf. nicht erfüllt werden. All jene, die sich mit Moral und Wertvorstellungen auseinandersetzen, bietet das Werk wichtige Anregungen zur weiterführenden Beschäftigung mit der Gesamtthematik.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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Es gibt 85 Rezensionen von Peter Eisenmann.

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ISSN 2190-9245