Seth J. Schwartz, Koen Luyckx et al.: Handbook of Identity Theory and Research
Rezensiert von Dipl.-Psych. Gesche Keding, 02.07.2012

Seth J. Schwartz, Koen Luyckx, Vivian L. Vignoles: Handbook of Identity Theory and Research. Springer (Berlin) 2011. 998 Seiten. ISBN 978-1-4419-7987-2. 426,93 EUR.
Thema
Ob man nun die Frage „wer bin ich?“ oder „wer bist du?“ aus wissenschaftlicher Perspektive beantworten will oder sich fragt, wer die handelnden Subjekte jeweils sind und was sie zu ihren Handlungen motiviert, oder wissen möchte, was Gruppen eigentlich zusammenhält, es gibt ganz unterschiedliche Wege, die zum Untersuchungsgegenstand Identität führen. Wenn man dann allerdings Literatur dazu recherchiert, kann man die schiere Fülle der Publikationen nicht mehr überblicken. Ein Suchauftrag in der Datenbank PsychINFO ergibt mit diesem Stichwort mehr als 76.000 Treffer. Dazu kommen Publikationen in Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie. In der interdisziplinären Datenbank Web of Science bekommt man mit diesem Stichwort entsprechend über 179.000 Treffer.
Die vorliegende Publikation erhebt den Anspruch, den Stand der Forschung und Theorie in der Psychologie zu diesem Thema zusammenzuführen. Die Herausgeber aus Nordamerika, und Europa haben aus unterschiedlichen Gebieten der Psychologie Beiträge zu diesem fast 1000-seitigen Handbuch zusammen getragen. Sie unterscheiden Identität zunächst aus individueller bzw. Person bezogener, aus beziehungsbezogener und aus kollektiver Sicht.
Herausgeber
Seth J. Schwartz, Koen Luyckx und Vivian Vignolese teilen ihr Hauptforschungsgebiet Identität. Aber während Schwatz und Luyckx aus der Entwicklungspsychologie kommen, ist der Hintergrund von Vivian Vignoles eher die Sozialpsychologie. Seth J. Schwartz ist heute Professor an der University of Miami Leonard M. Miller School of Medicine in den Vereinigten Staaten. Nach einer Promotion in Entwicklungspsychologie beschäftigt er sich heute mit kultureller Identität und Akkulturation, aber auch mit der Wirkung von Elternschaft auf die Adoleszenz. Koen Luyckx ist Professor für Psychologie an der katholischen Universität von Leuven in Belgien. Sein Forschungsschwerpunkt ist der Übergang in das Erwachsenenalter, Elternschaft und Eltern-Kind-Konflikte. Er hat in diesem Jahr auf dem Europäischen Kongress für Psychologie in Istanbul den „Comenius Early Career Psychologist Award 2011“ erhalten. Vivian Vignolese forscht über Selbst und Identität an der Universität von Sussex, Groß Britannien. Besonders interessieren ihn dabei Motivation und soziale Repräsentation.
Die drei Herausgeber haben neben ihren eigenen Beiträgen Beiträge von 75 Autoren zu dem genannten Themenspektrum zusammen getragen.
Entstehungshintergrund
Identität hat auf vielen Ebenen etwas mit Narration zu tun. Kein Wunder also, dass das Buch gleich als Einstieg die Geschichte der Entstehung dieses Werkes enthält. Sie reicht zurück in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts und die Gespräche zwischen dem Absolventen Seth Schwarz und seinem, inzwischen verstorbenen, Professor Richard Dunham. Dieser hatte den Traum, ein großes Buch über Identität zu schreiben, um die verschiedenen Richtungen der Identitätsforschung zusammenzuführen. Dieses Ziel haben auch die Herausgeber des vorliegenden Werkes verfolgt. Über alle Stadien ist die Geschichte dieses Buches verknüpft mit Begegnungen und Gesprächen zwischen Forschern und ihrem Wunsch dieses große Sammelwerk, „the grand book“ – es handelt sich um ein englisches Buch – zusammenzustellen und so die weitverzweigte und verstreute Forschung zur Identität in der Psychologie zu einer Gesamtschau zusammen zu tragen.
Aufbau
Zwei Bände, 998 Seiten und 39 Beiträge umfasst das Handbuch.
Der erste Band befasst sich mit Strukturen und Prozessen. Die drei Teile dieses ersten Bandes sind Persönliche und Entwicklungspsychologische Perspektiven, Soziale und kontextuelle Perspektiven und Wohlergehen, Bedürfnisse und Motive.
Der zweite Band befasst sich mit Lebensbereichen (Domains) und Kategorien und enthält die Teile IV Moralische und Spirituelle Bereiche, Teil V Familie, Geschlecht und Sexualität, Teil VI Ökonomische und Bürgerliche Partizipation, Teil VII Ethnische und Kulturelle Identität und Teil VIII Nationale Identität, Zusammenhalt und Konflikt.
Jeder Band enthält ein Inhaltsverzeichnis des Gesamtwerkes und jeweils ein Autoren- und ein Sachregister, die sich in jedem Band auf beide Bände beziehen. Jedem Beitrag ist eine Zusammenfassung vorangestellt. Eine schöne Ergänzung wäre ein Inhaltsverzeichnis der Teile jeweils zu Beginn eines Teiles gewesen, wie einige Bücher des Springer Verlages es haben.
Die Inhalte des zweibändigen Handbuches werden durch jeweils kurze Darstellungen der einzelnen Beiträge bzw. Kapitel dargestellt, denen eine übergreifende Beschreibung der Inhalte der Teile (s.o.) vorangestellt ist. Das erste Kapitel ist ein Überblick über alle Inhalte und wird daher in dieser Rezension nicht behandelt.
Band 1, Strukturen und Prozesse
Teil I – Individuelle und Entwicklungspsychologische Perspektiven
Identität ist sicherlich eins der Konstrukte mit der umfangreichsten Literatur und verschiedenen sozialwissenschaftlichen- und verhaltenswissenschaftlichen Disziplinen. Trotz dieser Fülle gibt es einige Forscher, die mit diesem Begriff besonders in Verbindung gebracht werden und um deren Rezeption man in der Identitätsforschung nicht herum kommt. Einer der Forscher aus der Psychologie ist der Psychoanalytiker Erik Erikson, der in den 1959 sein Schlüsselwerk zu diesem Thema „Identität und Lebenszyklus – Drei Aufsätze“ erstmals herausbrachte. Die Ich-Identität entwickelt sich nach ihm durch Krisen in acht Entwicklungsstufen. Ein Großteil der Beiträge im ersten Teil des ersten Bandes baut auf dem Gedankengut von Erikson auf.
Kapitel 2 „Identity Statuses: Origins, Meanings, and Interpretations“beschäftigt sich mit Methoden, die sich aus dem Gedankengut Eriksons und dem Identitätsstatusmodell des Entwicklungspsychologen James E. Marcia ergeben, und zwar sowohl Untersuchungs- als auch Interventionsmethoden. Die Untersuchungsmethoden sollen den Status der Identität erheben und gehen vor allem auf die Instrumente von James E. Marcia ein, der den Beitrag mitverfasst hat. Ein kleinerer Teil des Beitrags gibt einen Überblick auf bisherige Interventionsversuche, die auf dem Statusmodell von Marcia beruhen.
In Kapitel 3 „A Social-Cognitive Perspective on Identity Construction“ wird Identität als Prozess gesehen, der die Strategien der sozialen Kognition reguliert und bestimmt, die dazu beitragen persönliche Identität wahrzunehmen. Es werden drei Stile unterschieden, selbstrelevante Informationen zu verarbeiten. Der Autor Michael D. Berzonsky stellt damit ein konstruktivistisches Modell vor. Er unterscheidet den informationalen Stil, den normativen und den diffus-vermeidendenden Stil. Menschen, die den erstgenannten Stil anwenden, sind sich der eigenen Sicht auf sich selbst nicht sicher und suchen und verarbeiten identitätsrelevante Informationen. Der normative Stil besagt, dass Menschen eher automatisch die Normen und Standards der relevanten sozialen Umgebung übernehmen. Diejenigen mit diffus-vermeidendem Stil gehen situativ vor und zögern Identitätskonflikte hinaus.
Auch Kapitel 4 „Processes of Personal Identity Formation and Evaluation“ baut auf das in Kapitel 2 erwähnte Inditätsstatusmodell von Marcia und auf Erikson auf. In dem entwicklungspsychologischen prozessorientierten Modell von Koen Luyckx, Seth J. Schwartz, Luc Gossens, Wim Beyer und Lies Missotten geht es um die Bildung und Evaluation der Identität über die gesamte Lebensspanne. Erkundung (exploration) und Bindung oder Festlegung (commitment) werden hier als interagierende Prozesse gesehen und in fünf Dimensionen unterteilt: nachdenkliche Erkundung, Erkundung in der Breite, Erkundung in der Tiefe, Bindung und Identifikation mit Bindung. Erkundung in der Breite führt zu Bindung und Festlegung. Festlegung wird von einer erneuten Explorationsphase – Erkundung in der Tiefe – gefolgt, die zur Identifikation mit der Bindung/Festlegung führt.
Dass Menschen Zusammenhang in ihren Leben durch Narration beschreiben und herstellen sowie die Bedeutung einzelner Aspekte erkunden bzw. hinterlegen, ist Inhalt des 5. Kapitels „Narrative Identity“ von Dan P McAdams. Nach McAdams beginnen Menschen in der späten Adoleszenz damit, ihr Narrativ zu entwickeln und setzen diesen Prozess ihr ganzes Leben fort. Narrative Identität ermöglicht Kontinuität über die Zeit trotz vieler Veränderungen und Empfinden von Sinnhaftigkeit. Auch erlaubt Narration den Zusammenhang zwischen Individuum und umgebender Kultur und den in der Kultur vorhandenen moralischen Vorstellungen. Das Konzept der narrativen Identität wurde durch den Autor in den 90er Jahren begründet, der Eriksons Idee der Ego Identität in narrative Begrifflichkeit übersetzte.
Kapitel 6 mit dem Titel „Possible Identities“ behandelt mögliche positive oder negative zukünftige Identitäten. Laut Daphna Oysermann und Leah James beeinflussen mögliche Identitäten Motivation und Wohlergehen. Sie stellen in ihrem Beitrag dar, wie diese sich über die Lebensphasen verändern. Und sie untersuchen die These, dass wenn mögliche Identitäten als passend zur gegenwärtigen Identität wahrgenommen wird, Probleme eher als Bedeutungszuwachs für die zukünftige Identität gesehen werden. In der Folge werden Ziele in diesem Zusammenhang mit mehr Durchhaltevermögen verfolgt. In Bezug auf das Wohlergehen wird der Zusammenhang zwischen negativ wahrgenommenen versus positiv wahrgenommenen zukünftigen Identitäten auf das gegenwärtige Wohlergehen thematisiert.
Teil II – Soziale und kontextuelle Perspektiven
Kapitel 7 bietet einen Überblick über Theorien und Untersuchungen zum relationalen Selbst in Bezug zu bedeutsamen Anderen wie es die Persönlichkeits- und die Sozialpsychologie beforscht. Es ist entsprechend mit „The Relational Self“ betitelt. Bedeutsame oder relevante Andere sind nahe Personen aus dem Familien- und Freundeskreis. In der Hauptsache geht es dabei um ein Modell sozial-kognitives Modell der Übertragung der Autoren. Mit diesem Modell werden folgende Modelle in Beziehung gebracht: die Theorie der relationalen Schemata, die Bindungstheorie, das Inklusion-von-anderen-in-das-Selbst-Modell und das Modell der relational-interdependenten Selbstkonstruktion. Die Autoren vertreten ein integriertes Konzept des relationalen Selbst, zu dem sie vier Annahmen machen: Das relationale Selbst speist sich aus Wissen über das Selbst wenn es mit nahen Anderen in Beziehung tritt und der Verbindung von Gedächtnisinhalten über diese nahen anderen Personen, das relationale Selbst existiert auf mehreren Ebenen, das relationale Selbst kann chronologisch oder kontextspezifisch aktiviert werden, das Selbst setzt sich zusammen aus Selbstwahrnehmungen und anderen Aspekten des Selbst (z.B. Ziele, Selbstregulationsstrategien).
„Discourse and Identity Construction“ lautet der Titel des 8. Kapitels. Ausgehend von den Disziplinen Sprachwissenschaften und Psychologie sowie dem Konstruktivismus und Diskurstheorien untersuchen sie Identität als Konstruktion in D-Diskursen und d-Diskursen. Mit D-Diskursen meinen sie die Theorien von Habermas, Foucault und Lyotard. Mit d-Diskursen meinen sie den alltäglichen Austausch der Menschen in verschiedenen Gesprächsformen. Sie postulieren, dass Menschen Identität auf drei Ebenen aushandeln. Jede Ebene bringt in gewisser Weise ein Dilemma mit sich: Tätigkeit und Kontrolle (Konstruiere ich wie die Welt ist oder werde ich durch die Welt geformt, Unterschied und Ähnlichkeit zwischen bzw. mit anderen, Konstanz und Veränderung über die Zeit. Teil dieses Kapitels ist auch ein Überblick über verschiedene Methoden aus Soziolinguistik und Ethnographie und eine Untersuchung eines d-Diskurses als Beispiel.
„Group Identities: The Social Identity Perspective“, Kapitel 9: Die Soziale Identitätstheorie (SIT) geht auf Forschung in den 70er Jahren zurück. Henri Tajfel hat nach dem Zweiten Weltkrieg, auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als polnischer Jude und seiner Inhaftierung während des sogenannten Dritten Reiches Theorie und Forschung zu diesem Thema mit begründet. Mit ihr wird die Favorisierung der eigenen Gruppe, die Diskriminierung anderer Gruppen, das Entstehen von Vorurteilen erklärt. Eine wichtige mit der SIT verbundenen Theorie ist die Theorie der Selbst Kategorisierung von John Turner. Sie besagt, dass man mehrere soziale Identitäten hat, die je nach Situation mehr oder weniger im Vordergrund stehen. Es gibt verschiedene Erklärungen dafür, was Personen motiviert, sich selbst als zu einer Gruppe zugehörig anzusehen: Aufwertung des Selbstwertgefühles, Verminderung subjektiver Unsicherheit, Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialer Zugehörigkeit und sozialer Unterscheidbarkeit.
Soziologische Perspektiven der Identität lassen sich vielfach auf den Symbolischen Interaktionismus zurückführen. Darum geht es in Kapitel 10, The „Symbolic Interactionist Perspective and Identity Theory“. Sie gehen weit zurück bis in das 18. Jahrhundert und Schriften von Adam Smith, Adam Fergusen und David Hume. Näher an der heutigen Zeit und für Identitätsforschung zentral sind die Gedanken von George Heribert Mead, der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gewirkt hat. Sowohl Gesellschaft als auch Selbst gehen nach Mead aus sozialen Prozessen hervor. Mitglieder einer Gruppe müssen einen Eindruck entwickeln, wie die Gruppe sie sieht. Dabei wird das „Ich“ vom „ICH“ unterschieden. Während das „Ich“ die Reaktionen auf die Erwartungen der Gruppe repräsentiert, ist das „ICH“ Folge der Interaktion mit der Gruppe. Dieser Prozess ist fortlaufende und geschieht durch die Kommunikation mittels signifikanter Symbole.
In „Cross Cultural Perspektives“ Kapitel 11 geht es um kulturelle Unterschiede wie sie die interkulturelle Psychologie erforscht. Von den sechs Dimensionen, die Hofstede in seiner bekannten Studie ausmacht, wird hier auf die Dimension Bezug genommen, die wohl die vielzitierteste und am häufigsten untersuchte ist Kollektivismus – Individualismus. Neuere Untersuchungen machten deutlich, dass die Untersuchungsmethode kontextualisiert und sprachlich angepasst werden muss, um die Variationen der Dimension besser zu erfassen. Die inhaltlich ähnliche Dimension Unabhängigkeit – Interdependenz ist in den 90er Jahren untersucht worden. Auch Selbst-Konstruktion als Prädiktor für Verhalten ist untersucht worden.
Die historischen Wurzeln des westlichen Konstruktes „Identität“ werden in Kapitel 12 „Identity Construction in Sociohistorical Context“behandelt. Der Autor geht der geschichtlichen Genese und Veränderung der Idee von einem inneren Selbst nach, einem Selbst, das wir durch Introspektion zu ergründen suchen. Er postuliert, dass es im Westen ein Konzept gibt, wonach sich eine öffentliche Person mit Status und Ansehen unterscheidet von einer privaten inneren nur ihr selbst bekannten Person. Dieses Konzept lässt sich auf die späte griechisch-römische Kultur zurück verfolgen.
Besonders junge Erwachsene haben durch Medien, leichtere Reisemöglichkeiten und die zunehmend multikulturelle Zusammensetzung der Städte häufig nicht mehr nur mit einer sondern mit mehreren Kulturen Kontakt. In Kapitel 13, Globalization and Cultural Identity geht es einerseits um die Stile, die eigene kulturelle Identität zu schützen oder anzupassen, die Berry in den 90er Jahren definiert hat. Er unterscheidet vier Bewältigungsstrategien: Assimilation, Separation, Integration und Marginalisierung. Des Weiteren schildert der Autor die möglichen Gefährdungen durch Globalisierung und geht dabei auf kulturelle Identitätskonfusion und die entstehenden Unterschiede zwischen der kulturellen Identität von Eltern und Kindern ein.
Teil III – Wohlergehen, Bedürfnisse und Motive
In Dynamics of Identity: Between Self-Enhancement and Self-Assessment, Kapitel 14 setzen sich die Autoren mit den Bedürfnissen einerseits eine positive Selbsteinschätzung zu haben und andererseits eine akkurate Selbsteinschätzung und den Folgen für das Wohlergehen. Weitere Bedürfnisse, die sich aus der Identität ergeben sind: Bedeutung, Kontinuität, Kohärenz, Gemeinschaft bzw. Zugehörigkeit und Handlungsfähigkeit bzw. Selbstwirksamkeit.
Selbstwert gilt als Motiv bei der Identitätskonstruktion und ist ein Konstrukt, das in vielen alltäglichen Kontexten diskutiert wird und das daher eher diffus ist und intuitiv verwendet wird. Die einfache Perspektive, von Selbstwert kann man nie genug haben, wird in Kapitel 16, „High Self-Esteem: Multiple Forms and their Outcomes“ aufgebrochen. Selbstwert wird als heterogenes Konstrukt dargestellt, mit den Dimensionen schwaches und hohes Selbstwertgefühl sowie stabiles und schwankender Selbstwert. Als weiterer Unterschied wird implizites – nicht bewusstes und explizites – also bewusstes und ausgedrückter Selbstwert diskutiert. Die Kombination der Dimensionen und die jeweiligen Folgen für das Wohlergehen werden ausgeführt.
Im Unterschied zur modernen Philosophie geht die Idee einer eudaimonistischen Identität von einem wahren Selbst aus. Sie hat ihre Wurzeln in der klassischen griechischen Philosophie, insbesondere in der Nikomachischen Ethik von Aristoteles. Der Autor bringt Ansätze zeitgenössischer Psychologen wie den von Karen Horney, Carl Rogers und Maslow mit der Idee der eudaimonistischen Identität in Verbindung. Glück, Erfüllung und Wohlergehen werden einem Leben in Übereinstimmung mit dem wahren Selbst zugeschrieben.
In der Selbstbestimmungstheorie der Psychologen Deci und Ryan werden die Begriffe Identität und Selbst unterschiedlich definiert. Das Selbst repräsentiert das Streben nach Entwicklung Richtung einer höheren Stufe der Integration. Dies geschieht in beständigem Austausch mit dem relevanten sozialen Umfeld. Die Befriedigung der psychologischen Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, Kompetenzerleben und Zugehörigkeit ist für diesen Prozess bedeutsam. In Kapitel 17, „When Is Identity Congruent with Self? A Self-Determination Theory Perspective“ wird die Selbstbestimmungstheorie, die Deci und Ryan auf der Grundlage der Maslowschen Bedürfnispyramide entwickelten, untersucht und neueren Theorien der Identitätsentwicklung gegenübergestellt.
Im letzten Kapitel des ersten Bandes, „Identity Motives“, gibt die Autorin einen Überblick über die Literatur zu den Motiven der Identitätskonstruktion. Menschen haben, nicht immer bewusst, unterschiedliche Motive für die Konstruktion ihrer Identität. Das Selbstwertmotiv, das Kontinuitätsmotiv, das Bedürfnis nach Unterscheidbarkeit von anderen, das Bedürfnis nach Sinn im Leben, das Zugehörigkeitsmotiv und das Selbstwirksamkeitsmotiv gehören dazu. Ausgehend von der Theorie über Identitätsprozesse von Glynis Breakwell entwickelt die Autorin ein eigenes integratives Modell der Identitätsmotive und zeigt unterstützende Forschung auf.
Band 2, Bereiche und Kategorien
Nachdem in Band 1 die Grundlagen gelegt wurden, haben in Band 2 die Anwendungsbereiche ihren Platz. Aus Platzgründen werden im Folgenden die Teile zusammengefasst.
Teil IV – Moralische und Spirituelle Bereiche
Im Teil IV sind vier Kapitel zu genanntem Thema enthalten, zwei davon zu Moral und Werten, die beiden folgenden übe spirituelle Identität. Beide Kapitel zum Thema Moral und Werte gehen von einer zentralen Bedeutung dieser Themen für die Identität aus. Das erste, „Moral Identity“, steht in der Tradition von Erikson, das zweite, „Values, Personal Identity, and the Moral Self“, schlägt eine Brücke zwischen sozialen Bräuchen und individuellen Vorlieben und ist aus einer soziologischen Perspektive. Die beiden folgenden Kapitel „Spiritual Identity: Individual Perspectives“ und „Spiritual Identity: Contextual Perspectives“ ergänzen einander und haben beide Wurzeln im Gedankengut Eriksons.
Teil V – Familie, Geschlecht und Sexualität
Damit wird in diesem Teil die relationale Identität hier eindeutig in den Mittelpunkt gestellt. Die beiden ersten Kapitel des Teiles, „Family Processes and Identity“, Kapitel 23, und „Adoptive Identity“, Kapitel 24, beschäftigen sich mit der Familie als nahes soziales Umfeld. In Kapitel 23 wird die Familie als ein System mit einer Identität gesehen und ihre Grenzen nach außen und innerhalb des Systems thematisiert. Kapitel 24 führt den Einfluss einer Adoption auf die Identitätskonstruktion aus. Es folgen zwei Kapitel zum Thema Geschlecht. „Gender Identity Development“ diskutiert geschlechtsspezifische Rollen und Stereotype und ihre Abhängigkeit von der umgebenden Kultur. Eine zugrundeliegende Theorie ist dabei die Lerntheorie von Bandura. Dagegen stellt „Transgender Experience and Identity“ die Notwendigkeit einer geschlechtsbezogenen Identitätskonstruktion infrage und thematisiert die Bereiche, die sich nicht auf die klare Unterscheidung von männlich und weiblich reduzieren lassen. Die Entwicklung der sexuellen Identität wird in „Sexual Identity as a Universal Process“ als ein Prozess dargestellt, bei dem es darum geht, die eigenen sexuellen Vorlieben zu erkunden und gleichzeitig sich sozial zu orientieren und abzugrenzen.
Teil VI – Wirtschaftliche und gesellschaftliche Beteiligung
Das Kapitel „Occupational Identity“ und das folgende Kapitel „Identity Processes in Organizations“ thematisieren berufliche Identität, das erste auf der individuellen Ebene, geht davon aus, dass eine gelungene berufliche Identität von den familiären Vorbildern und Prozessen abhängt und eine zentrale Rolle bei dem Übergang in das Erwachsenenalter spielt. Das zweite betrachtet Gruppenidentität im Kontext des Arbeitsumfeldes auf der Grundlage der Sozialen Identitätstheorie. „Material and Consumer Identities“ untersucht den Einfluss von Besitzverhältnissen mit der Perspektive des symbolischen Interaktionismus. Dinge können als Ausdruck der Identität angeschafft werden. In „Civic Identiy“ geht es um politische und gesellschaftliche Beteiligung und gesellschaftliche Identität als ein sozial geteiltes Bedeutungssystem.
Teil VII – Ethnische und kulturelle Identität
„Ethnic Identity“ bietet einen Überblick über die Forschung zu Minoritäten in der Entwicklungs- und Sozialpsychologie. Insbesondere geht es darum, wie ethnische und kulturelle Identität durch Eltern vermittelt wird. Eine neo-eriksonsche Sicht wird in diesem Kapitel einer sozialpsychologischen Sicht verbunden. Im nächsten Kapitel, „Cultural Identity and Public Health“ werden die Folgen des Verlustes kultureller Identität und Traditionen auf die Gesundheit durch gesundheitsschädigendes Verhalten dargestellt. Einige Bikulturell geprägte Personen gehen unterschiedlich mit ihrer Bikulturalität um. Einige legen großen Wert auf beide Kulturen, andere schaffen sich eine „dritte“ integrierende Kultur. Darum geht es in „Bicultural Identity“.
Teil VIII – Nationale Identität, Kohäsion und Konflikt
In diesem Teil geht es um Identität im Kontext der Beziehungen zwischen Gruppen. Identität auf der Gruppenebene in den Vereinigten Staaten von Amerika, die Entstehung dieser Identität und die wahrgenommene Gefährdung dieser Identität sind Gegenstand des Kapitels „National Identity in the United States“. Es hat in Amerika zu allen Zeiten Immigranten gegeben. Wie sie sich eingefügt haben oder wurden, wie sie sich heute sehen und am amerikanischen Leben teilnehmen untersucht der Autor des Kapitels „Becoming American“. Im folgenden Kapitel „Identity, Immigration, and Prejudice in Europe: A Recognition Approach“ geht es um das Verhältnis von Majorität und Minorität aus politiktheoretischer und sozialpsychologischer Sicht. „Identity, Genocide, and Group Violence“ befasst sich mit Gewalt zwischen Gruppen. Die Rolle von sozialen Identitätsprozessen in Feindseligkeiten zwischen Gruppen bis hin zum Völkermord wird in diesem letzten Kapitel untersucht.
Diskussion
Identität wird hauptsächlich aus Sicht der Sozial- und der Entwicklungspsychologie betrachtet. Identität in der klinischen Psychologie und aus psychodynamischer Sicht kommt nur am Rande in den einzelnen Kapiteln vor, wird aber nicht in einem eigenen Kapitel ausdrücklich behandelt. Störungen sind daher nicht Gegenstand des Buches. Dabei wäre ein Blick auf z. B. Persönlichkeitsstörungen schon allein der Vollständigkeit halber wichtig gewesen. Auch Beiträge der Kognitiven Psychologie kommen allenfalls am Rande – so z.B. in Kapitel 7 – vor obwohl z.B. das Gedächtnis eine entscheidende Rolle dabei spielt, die Kontinuität in der Identitätswahrnehmung zu erhalten bzw. herzustellen. Der Anspruch, Theorien und Forschung der Identität zusammen zu führen, zumindest in der Psychologie, hätte an dieser Stelle mehr Vollständigkeit erwarten lassen. Alternativ hätten einleitende Hinweise in dieser Richtung Transparenz geschaffen. Benachbarte Disziplinen wie Soziologie, Philosophie und Politik werden eklektisch in einigen Kapiteln mit herangezogen, ohne das genauer transparent gemacht würde, wie die Auswahl getroffen wurde. Bei der eingangs genannten unübersehbaren Fülle der Literatur zu diesem Themenkomplex ist allerdings das vorliegende Handbuch dennoch von beachtlichem Umfang und reicht weit in verschiedene Bereiche der Psychologie hinein.
Fazit
Interessenten wird das Werk sicherlich eher in Hochschulen bei denjenigen, die sich forschend oder lehrend mit diesem Thema auseinandersetzen, finden. Für beide Gruppen bietet es aber einen wirklich wertvollen Überblick über Theorie und Forschung in der Psychologie mit Schwerpunkten in Entwicklungs- und Sozialpsychologie. Studierende können sich innerhalb eines Werkes einen breiten Wissensstand erarbeiten und von hier aus durch die Verweise in weitere Bereiche eindringen. Mithilfe des Handbuches können sich Forschende und Lehrende gut über das je eigene Gebiet und benachbarte oder sonst relevante Forschungsgebiete orientieren. Die Zusammenstellung in diesem Doppelband ermöglicht, was durch Journalartikel, die man einzeln recherchiert, so nicht gegeben ist, nämlich das Nebeneinander und damit die gegenseitige Ergänzung der enthaltenen Theorien und Forschungsergebnisse.
Rezension von
Dipl.-Psych. Gesche Keding
Leuphana College, Universität Lüneburg
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