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Franz Stimmer, Harald Ansen: Beratung in psychosozialen Arbeitsfeldern

Rezensiert von Dr. Wolfgang Rechtien, 05.12.2018

Cover Franz Stimmer, Harald Ansen: Beratung in psychosozialen Arbeitsfeldern ISBN 978-3-17-021143-8

Franz Stimmer, Harald Ansen: Beratung in psychosozialen Arbeitsfeldern. Grundlagen - Prinzipien - Prozess. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2016. 402 Seiten. ISBN 978-3-17-021143-8. 26,00 EUR.

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Autoren

  • Prof. Dr. Franz Stimmer leitete bis 2006 die Abteilung Gesundheitspsychologie am Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften der Leuphania Universität Lüneburg, seitdem Lehrbeauftragter, er ist heute in der Praxisgemeinschaft Stimmer tätig.
  • Prof. Dr. Harald Ansen ist Experte für Soziale Sicherungssysteme an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und lehrt im Schwerpunkt Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit.

Thema

Die Autoren stellen ein Modell vor, in dem Theorien, Definitionen, begriffliche Abgrenzungen, Prozesse, Methoden sowie rechtliche Fragen der Beratung systematisiert sind. Die verschiedenen Beratungsformen werden auf der Grundlage dieses Modells vorgestellt. Praxisbeispiele illustrieren die jeweiligen Beschreibungen.

Aufbau

Das Buch enthält auf 402 Seiten 16 Kapitel sowie ein Verzeichnis der Literatur und ein – im Inhaltsverzeichnis nicht angeführtes – Stichwortverzeichnis:

  1. Einleitung (S. 9-12)
  2. Beratungsangebote – Beratungsfelder (S. 13-14)
  3. Gesellschaft und Beratung (S. 15-39)
  4. Grundverständnis von Beratung (S. 40- 54)
  5. Prinzipien beraterischen Handelns (S. 55-113)
  6. Zirkulärer Beratungsprozess (S. 114-144)
  7. Tools: Verfahren der Situationsanalyse (S. 145-197)
  8. Ziele (S. 198-208)
  9. Hypothesen (S. 209-213)
  10. Interventionen: Beratungsansätze und -methoden (S. 214-309)
  11. Soziale Beratung (S. 310-338)
  12. Evaluation (S. 319-342)
  13. Beratungsrecht (S. 343348)
  14. Kompetenzprofil (S. 349-356)
  15. Beratung von Fachkräften (S. 357-366)
  16. Exkurs: Beratung – ein Beruf, eine Profession, eine Disziplin? (S. 368-378)

Mit Ausnahme der beiden ersten schließen die Kapitel mit einer kurzen Zusammenfassung.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

In der Einleitung geben die Autoren einen Überblick über die wesentlichen Inhalte des Buches und weisen auf zwei Einschränkungen hin: auf eine detaillierte Darstellung einzelner Beratungsbereiche wurde verzichtet, und von den Beratungsformaten wurde – in Abgrenzung zur organisations- und sozialraumbezogenen Beratung – lediglich die „Personale Beratung“ (hier missverständlich auch als „Personzentrierte Beratung“ bezeichnet; vgl. z.B. Gahleitner u.a., 2013; Sander & Ziebertz, 2010; Kriz & Slunecko, 2007) aufgenommen. Grundlegend sind dabei zwei Sichtweisen:

  • der Dialog als handlungsleitendes Prinzip und
  • der Idealtypus als wissenschafttheoretische Perspektive, in der wesentliche Aspekte der Beratung betont – und damit auch gegenüber der Realität vereinfacht – dargestellt werden.

Durch die Zunahme etwa von Mobilität(snotwendigkeiten), Komplexität und Geschwindigkeit des sozialen Wandels hat der Beratungsbereich eine unübersehbare Ausweitung und auch Unübersichtlichkeit erfahren, ein Prozess, der noch längst nicht abgeschlossen ist. Verdeutlicht wird diese Unübersichtlichkeit in Kapitel 2 durch eine Auflistung von 51 Beratungsangeboten, angefangen von Allgemeiner Lebensberatung über Familien-, Patienten- und Suchtberatung bis zur Wohnungslosenberatung.

Kapitel 3 behandelt die o.g. sozialen Rahmenbedingungen für diese Entwicklung sowie für die Entstehung einer – idealtypisch charakterisierten – „modernen“ Persönlichkeit, die durch eine stark individualisierte Form der Selbstverwirklichung gekennzeichnet ist, deren Realisierungsmöglichkeiten gesellschaftlich ungleich verteilt sind.

Das in Kapitel 4 formulierte Beratungsverständnis bildet die Basis für die weiteren Kapitel. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der formalisierten, in entsprechenden Einrichtungen durchgeführten Beratung, die – so die Autoren – auf einem Kontinuum zwischen Auskunft und Psychotherapie liegt.

Im folgenden Kapitel 5 geht es um die unspezifischen, das heißt verfahrensunabhängigen Prinzipien für eine gelingende und stabile Gestaltung von Beratungsprozessen, die Beratern eine Reflexionsgrundlage zur Fundierung des Handelns bieten sollen: „Verständigungsorientiert Handeln“, „Sinn verstehen“, „Bestätigen“, „Ressourcen fördern“, „Kontext stabilisieren“, „Mehrperspektivisch denken und handeln“, „Motivieren“, „Moralisch handeln“, „Netzwerkorientiert denken und handeln“.

Beratung ist als zirkulärer Prozess zu verstehen (Kapitel 6), der in aller Regel nicht linear verläuft, sondern u.a. von Bedürfnissen der Ratsuchenden und ihren Ressourcen, den Kompetenzen des Ratgebenden, den sozialen Umgebungsbedingungen usw. bestimmt wird, und der sich vom Erstkontakt über die Gestaltung der beraterischen Beziehung, über Fallanalyse und Zielentwicklung, Interventionsplanung und -durchführung bis zur Evaluation erstreckt. Besondere Bedeutung – so Stimmer und Ansen – kommt dabei den Erstkontakten und Erstgesprächen sowie der sozialen Diagnostik zu. Die Komplexität der Letzteren wird durch Fallbeispiele aufgezeigt, die für die Situationsanalyse zur Verfügung stehenden Tools werden im folgenden Kapitel 7 behandelt:

  • Biographie,
  • Netzwerkorientierte Verfahren,
  • Mehrperspektivorientierung: Person-in-Environment-System, das einen strukturierten Zugang zur Lebenssituation von Klienten ermöglichen soll
  • Persönlichkeitsanalyse,
  • Verhaltensanalyse,
  • Ressourcenanalyse,
  • Krisenanalyse.

Die Auseinandersetzung mit Zielentwicklung, Zielformulierung und -dynamik ist für den Beratungsprozess besonders wichtig. Behandelt werden diese sowie entsprechende Tools im vergleichsweise kurzen Kapitel 8, welches thematisch überleitet zur beraterischen Hypothesenbildung (Kapitel 9), also den Erwartungen über die Erreichbarkeit dieser Ziele.

  • Anthropologische, beratungstheoretische und praxeologische Grundlagen der
  • Klientenzentrierten (heute besser: personzentrierten),
  • Tiefenpsychologischen,
  • Verhaltens-,
  • Systemischen und
  • Ressourcenorientierten Beratung

werden dargelegt (Kapitel 10: Interventionen: Beratungsansätze und -methoden), weiter findet sich ein Abschnitt über Beratung in Gruppen, speziell zur themenzentrierten Interaktion und zur Psychodramatischen Beratung.

In der lebenslagenbezogenen Sozialen Beratung (Kapitel 11) geht es den Autoren zufolge um die „Verbesserung der alltäglichen Lebensbedingungen insbesondere durch die einzelfallbezogene Erschließung sozialer Sicherungsleistungen sowie die persönliche Unterstützung“ (S. 338). In diesem Verständnis handelt es sich um eine Variante der fallbezogenen angewandten Sozialpolitik (S. 11).

Kurz behandelt werden in den folgenden Kapiteln 12 bis 16 prozessbegleitende und summative Evaluation, rechtliche Aspekte von Beratung, schulenübergreifende Kompetenzen zur fachgerechten Durchführung von Beratung, sowie Supervision (für psychosoziale Berater) und Coaching (für Führungskräfte) und die Frage, inwieweit Beratung (bereits) den Status einer Profession (im Unterschied zur Beruflichkeit) erreicht hat.

Diskussion und Fazit

Darüber, ob Beratung ein sozialgeschichtlich neues Phänomen ist (Kapitel 1, S. 10), kann man diskutieren. Sicher konstatieren Stimmer und Ansen zu Recht die durch den sozialen Wandel bedingte Ausweitung von Bedarf und Angebot; dennoch: „Beratung“ in ihren verschiedenen Ausprägungen ist so neu nicht, sondern eine uralte Kulturtechnik (vgl. Wandhoff, 2016).

In ihrem Buch geben Stimmer und Ansen einen weitgehend detallierten Einblick in wesentliche Aspekte der aktuellen „Beratungslandschaft“. Zu kurz erscheinen mir die Ausführungen zum Professionalierungsprozess von Beratung; hier liegen andere fundierte Überlegungen vor (z.B. Rechtien, 2009 a, b; Seel, 2009).

Angesichts des wachsenden Bedarfs und der oft großen Unsicherheit von (potentiellen) Klienten zum Umgang mit ihrem Bedarf finden sich im aktuellen Beratungsdiskurs zwei „Settings“, die erwähnt zu werden verdient hätten: die „Beratung zwischen Tür und Angel“ (z.B. Hollstein-Brinkmann & Knab, 2014) und psychosoziale Online-Beratung (z.B. Huth-Hildebrandt, 2013).

Die zu Beginn der Migrationsbewegung in der 1960er Jahren institutionalisierte „Ausländerberatung“ geriet seit den 90er Jahren in die Kritik und die Beratungsangebote für Migranten wurden in die allgemeinen Dienste integriert. Der damit immer deutlicher werdende Bedarf an interkultureller Beratungskompetenz und der entsprechende Diskurs (z.B. Huth-Hildebrandt, C., 2013; Rechtien, 2014) findet sich bei Stimmer und Ansen – angesichts der Brisanz des Themas: leider – nicht. Schließlich ist Beratung auch immer ein Diskurs über – kulturell differente – Realitätsdeutungen.

Literatur

  • Gahleitner, S. B., Maurer, I., Ploil, E. O., Straumann, U., 2013. Personzentriert beraten: alles Rogers? Theoretische und praktische Weiterentwicklungen. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
  • Hollstein-Brinkmann, H., Knab, M., 2014. Beratung zwischen Tür und Angel. Wiesbaden: Springer.
  • Huth-Hildebrandt, C. (2013). Kompetenzentwicklung und kultursensible Beratung re-visited. In S. B. Gahleitner & I. Maurer & E. O. Ploil & U. Straumann (Hrsg.). Personzentriert beraten: alles Rogers? Theoretische und praktische Weiterentwicklungen. Weinheim: Beltz. S. 248-255
  • Huth-Hildebrandt, C., 2013. Mobile Beratung – Counselling aus dem Netz. In: S. B. Gahleitner, I. Maurer, E. O. Ploil, U. Straumann (Hrsg). Personzentriert beraten: alles Rogers? Theoretische und praktische Weiterentwicklungen Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 132–140.
  • Kriz, J., Slunecko, T., 2007. Gesprächspsychotherapie. Die therapeutische Vielfalt des personzentrierten Ansatzes. Wien: Facultas.
  • Rechtien, W. (2014). Kulturelle Diversität und Realitätsdeutungen – Zur Reichweite von Beratungskonzeptionen. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 21(3), S. 329–341.
  • Rechtien, W., 2009 a. Beratung auf dem Weg vom Beruf zur Profession. In: W. Rechtien, J. Waldhecker, H. E. Lück, G. Sewz (Hrsg), Personzentrierte Beratung. Beiträge zur Fundierung professioneller Praxis. Köln: GwG-Verlag, S. 345–353.
  • Rechtien, W., 2009 b. Professionalisierung des Beratungswesens – die Ausbildung. In: Journal für Psychologie. www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/151/223
  • Sander, K., Ziebertz, T., 2010. Personzentrierte Beratung. Ein Lehrbuch für Ausbildung und Praxis. Weinheim: Juventa.
  • Seel, J.,2009. Professionalisierung von Beratung – Fragen und Thesen. In: Journal für Psychologie. www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/148/103
  • Wandhoff, H., 2016. Was soll ich tun? Eine Geschichte der Beratung. Hamburg: Corlin Verlag.

Rezension von
Dr. Wolfgang Rechtien
Bis 2009 Vorstandsmitglied und Geschäftsführer des Kurt Lewin Institutes für Psychologie der FernUniversität sowie Ausbildungsleiter für Psychologische Psychotherapie.
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Es gibt 37 Rezensionen von Wolfgang Rechtien.

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Zitiervorschlag
Wolfgang Rechtien. Rezension vom 05.12.2018 zu: Franz Stimmer, Harald Ansen: Beratung in psychosozialen Arbeitsfeldern. Grundlagen - Prinzipien - Prozess. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2016. ISBN 978-3-17-021143-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12457.php, Datum des Zugriffs 06.12.2024.


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