Granger E. Westberg: Gute Trauer
Rezensiert von HS-Prof. Dr. Doris Lindner, 04.01.2012
Granger E. Westberg: Gute Trauer. Vom Umgang mit Verlusten.
Verlag C.H. Beck
(München) 2011.
109 Seiten.
ISBN 978-3-406-62120-8.
10,00 EUR.
Beck’sche Reihe - 6014.
Thema und Entstehungshintergrund
Mit dem vor mehr als vierzig Jahren in englischer Sprache erschienen Werk des Amerikaners Granger E. Westbergs ist ein Klassiker der Trauerarbeit nun auch in erster Auflage in deutscher Sprache zu lesen. Darin beschreibt Westberg Phasen der Trauer, die es zu überwinden gibt; sofern wir sie zulassen, kann Trauer uns lehren, auch in den schmerzhaftesten Verlusten Sinn zu entdecken und Reife zu entwickeln. Westbergs Einsichten fußen auf 35 Jahren Selbsterfahrung im Umgang mit vielfältigen Verlusterfahrungen und nicht umsonst wird das Werk erstmals in den 1970iger Jahren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Vermehrt gelangen Tod, Sterben und Trauer in das Blickfeld wissenschaftlicher Diskurse, moderne, individualisierte Gesellschaften zeigen sich geprägt von Orientierungslosigkeit im Umgang mit Tod und Trauer und einem Sinngebungsdefizit, das zusammen mit dem Realitätsverlust des Todes zu traumatischer Handlungsinkompetenz führt. Wie wichtig es ist, Trauer aufzuarbeiten und in dieser Entwicklung nicht steckenzubleiben, versucht dieser Leitfaden dem Leser als natürlichen Prozess näherzubringen. Und da jeder Mensch im Laufe seines Lebens in Situationen gelangt, wo er jemanden oder etwas verliert, das ihn wichtig war, ist das Werk für alle gleichermaßen aktuell wie hilfreich.
Autor
Granger E. Westberg (1911-1999), ehemaliger Professor für Medizin und Theologie an der Universität für Chicago, wird gewürdigt als Pionier einer insbesondere ganzheitlichen Medizin. Er war Autor zahlreicher Werke, in denen er die Verbindung zwischen Religion, Glaube und Gesundheit als zentral erachtete. Anerkennung erlangte er insbesondere für besprochenes Werk, im Originaltitel unter „Good Grief: A Constructive Approach to the Problem of Loss“, erstmals 1971 publiziert. Die englische Ausgabe hat sich millionenfach verkauft, seine Beliebtheit bleibt ungebrochen hoch. Westberg verstarb 87-jährig an den Folgen einer mehrjährigen Leukämieerkrankung in Illinois, wo er seinen letzten Lebensabschnitt verbrachte.
Aufbau und Inhalt
Das Buch „Good Grief“ wurde aus dem amerikanischen Englisch von Rita Seuß übersetzt und beinhaltet in dieser deutschen Fassung darüber hinaus auf den Text einstimmende Fotos des Künstlers Bobby Boe als dezente Untermalung der einzelnen Kapitel. Schlank aber kompakt und auf das Wesentliche konzentriert verzichtet das Buch auf unnötig lange Introduktionen und beinhaltet neben einem kurzen Vorwort des Autors und einer kurzen Einführung in das Thema die Beschreibung der zehn Phasen. Da Trauern ein sehr individueller und persönlicher Prozess ist, macht Westberg darauf aufmerksam, dass nicht jeder gleichermaßen diese zehn Stadien und in beschriebener Reihenfolge durchlaufen muss. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, insbesondere, wenn man sich in einer unterstützenden und helfenden Rolle wiederfindet, dass es nicht nur ‚einen‘ oder einen ‚richtigen‘ Weg zu trauern gibt. Die Phasen zeigen einen durchgängigen ‚roten Faden‘, der in aufeinander aufbauenden Ausdifferenzierungen der einzelnen Trauerphasen weitergeführt wird.
Phase 1, ‚Der Schock‘, beschreibt den Zustand nach dem Tod einer geliebten Person. Kummer und Trauer mögen so unermesslich sein, dass die Gefühle des Trauernden wie betäubt sind und eine zeitweise mentale Flucht aus dieser schmerzhaften Realität als angemessen erscheint. Diese Reaktion ist normal und hilfreich, wenn sie vorübergehender Natur bleibt. Schock kann auf diese Weise helfen, mit dem Kummer fertig zu werden; die Herausforderung liegt nicht in der mentalen Flucht, sondern in dem emotionalen Akzeptieren, das der geliebte Mensch nicht mehr da ist.
Wenn die ‚Emotionen aufbrechen‘, wie in Phase zwei beschrieben, sind wir mehr und mehr dazu in der Lage die Ernsthaftigkeit und Schwere des Verlustes zu erkennen. Die Klarheit findet Ausdruck in dem Bedürfnis, Gefühle zu zeigen, die wir durchleben und die uns reicher machen, sofern wir sie nicht unterdrücken.
Nach Schock und Aufbrechen der Emotionen folgen in Phase 3 ‚Niedergeschlagenheit und das Gefühl tiefer Einsamkeit‘, begleitet von der Empfindung, das niemand je so schwer gelitten hat wie man selbst nun leidet. Jeder Mensch trauert anders, doch Isolation und Niedergeschlagenheit ist jedem anheim.
„Zwischen einer Krankheit und der Bewältigung eines schweren Verlustes besteht ein engerer Zusammenhang als wir gemeinhin annehmen“ (S.53) schreibt Westberg in Phase vier, ‚Körperliche Symptome eines seelischen Kummers‘, die sich im Falle unbewältigter Trauer in körperlichen Beschwerden manifestieren können.
Wenn Menschen an nichts anderes mehr denken als an den erlittenen Verlust, kann sie ‚Panik‘, ein Gefühl, den Verstand zu verlieren, überfallen. In dieser Phase fünf kann die Fixierung auf den Verlust die Fähigkeit nehmen, sich auf Alltägliches, die Arbeit oder auf das, was andere sagen, zu konzentrieren. Dabei ist diese Unfähigkeit jedoch vollkommen normal und Teil des Trauerprozesses, wie der Autor betont.
In Phase sechs schließlich geht es um ‚Schuldgefühle‘, die es zu überwinden gilt, wobei Westberg zwischen ‚normaler‘ und ‚neurotischer‘ Schuld unterscheidet. Oft wird zu Lebzeiten versäumt, Dinge zu tun oder man hat etwas getan, das den anderen gekränkt hat. Versäumnisse oder Fehler lassen uns aufgrund unserer Erziehung Schuldgefühle entwickeln. Sie sind irrationaler Art, wenn sie tieferliegender Natur sind und treten dann oft auch als überzogene Selbstvorwürfe zutage.
Auf Schuldgefühle folgen in Phase sieben ‚Wut und Groll‘, Gefühle, die nach der Phase der Niedergeschlagenheit heftig, aber ein hilfreicher Motor sein können. Manches Mal benötigen Menschen nach Verlusten etwas oder jemanden, den sie für den Verlust verantwortlich machen können, was nicht immer mit Verständnis honoriert wird und zu Verfeindungen innerhalb von Familien oder anderen Institutionen führen kann. Insbesondere dann können so stark erlebte Emotionen mehr Schaden anrichten als hilfreich sein, weil sie alle anderen Gefühle in den Schatten stellen.
Phase acht, ‚Der beschwerliche Wiedereinstieg ins Leben‘, wird im Englischen mit ‚Resistance‘ umschrieben. Obwohl wir im Trauerprozess ein gutes Stück weitergekommen sind und den Wunsch haben, zu gewohnten Aktivitäten zurückzukehren, kann es innerliche Widerstände geben, die uns daran zu hindern versuchen, entweder, weil zu trauern sicher und vertraut geworden ist, oder das Leben draußen als zu schmerzvoll erscheint, um den Kampf wieder aufzunehmen. Widerstand tritt auch als Folge einer Gesellschaft auf, in der Trauer keinen Platz hat und das Individuum auf sich zurückgeworfen wird, die Last alleine tragend.
Trauer ist unbestimmt und kann über Wochen bis Monate dauern, doch ‚Allmählich kehrt die Hoffnung zurück‘. Phase neun weist nochmals auf die Individualität der Trauer hin: während einer still und heimlich trauert, geschieht dies bei einem zweiten offen und expressiv. Unabhängig von Art des Trauerverhaltens stellt Westberg die Unterstützung, Zuneigung und Ermutigung von Trauernden in Zeiten von Verlusten als bedeutsam hervor.
Die letzte Phase, ‚Die Realität annehmen‘, beschreibt die Akzeptanz der Wirklichkeit, wie sie ist, ohne den Anspruch, es wieder so werden zu lassen, wie es einmal war. Verlust und Trauer verändern Personen, darüber hinaus aber, so Westberg, gibt es noch vieles und gutes im Leben, das es zu „akzeptieren und bejahen“ gibt (S.105).
Diskussion
Im Umschlagtext der deutschen Erstausgabe steht zu lesen: „Trostbuch der amerikanischen Nation.“ Und in der Tat, dieses Buch hat sich bisher drei Millionen Mal verkauft. Granger E. Westberg hat mit ‚Gute Trauer‘ seinen vielen Büchern ein weiteres, in diesem Fall kurzes Opusculum hinzugefügt. Viele Menschen erfahren Trauer als Resultat eines Verlustes. Im Buch wird beschrieben, was mit uns passiert, wann immer wir jemanden Nahen oder etwas Wichtiges in unserem Leben verlieren. Gleichzeitig hält es Einsichten und Ratschläge bereit, die uns einen tieferen Blick in das Wesen der Trauer, die einzelnen Trauerphasen bietet, ohne oktroyierend und allzu belehrend zu wirken. Trauer ist und ist zugleich ein individuelles wie universelles Phänomen. Auf das Wesentliche reduziert haben wir es mit einem Buchband zu tun, der engagiert und verständlich geschrieben ist und dessen Autor durchaus Eigenes sagen will. Das Ich des Erzählers ist dann auch in den einzelnen Geschichten unübersehbar präsent. Deutlich zu spüren ist seine Affinität zur Religion und den Glauben, den er als zentral erachtet und der in seinen Ratschlägen maßgeblich wirkt. Seine Erfahrungen als Krankenhausseelsorger und unterschiedlichster Verlusterfahrungen vieler Menschen fanden dann auch Eingang in das kleine Werk und sind frappant mit seiner religiösen Überzeugung verwoben. Ein Aspekt, mit dem man sich nicht unbedingt identifizieren muss; das Buch kann zwar sein Verhältnis zum christlichen Glauben nicht leugnen, es wird aber dennoch nicht gepredigt oder propagiert, ein großes Plus in ‚gottfernen‘ Realitäten. Ungehindert dessen kann dieser Leitfaden so auch für Nicht-Gläubige eine wertvolle Hilfe sein und ist wohl nicht nur aufgrund seiner kompakten Einsichten und Ratschläge beliebt, sondern auch aufgrund seiner nicht zu verlierenden Aktualität.
Fazit
‚Gute Trauer‘ ist zwar nur ein schmaler Buchband, aber komprimiert mit hilfreichen Informationen über den Trauerprozess, basierend auf medizinischen und religiösen (Er)Kenntnissen des Autors. Was das Buch so wertvoll macht, ist nicht nur die Fokussierung auf große, schwere Verluste, sondern auf Verluste insgesamt, auch den kleinen, von uns meist nicht wahrgenommenen, aber dennoch wirksamen. Wir alle trauern, zu verschiedenen Zeiten in unserem Leben und trauern ist ein natürlicher Teil menschlicher Erfahrung, die wir nicht unterdrücken sollten. Auch dazu wird der Leser ermutigt. Das Buch ist nicht nur in seiner deutschen Erstausgabe und Übersetzung gelungen, es ist insgesamt ein Werk, das aufgrund seiner Bescheidenheit und natürlichen, aufklärerischen Absicht in Erinnerung bleiben wird und, um bei der Wortwahl zu bleiben, als ‚Trostbuch‘ zur Trauerarbeit ermutigt.
Rezension von
HS-Prof. Dr. Doris Lindner
Institut Qualitätsmanagement und Hochschulentwicklung
Private Pädagogische Hochschule Wien/Niederösterreich
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Zitiervorschlag
Doris Lindner. Rezension vom 04.01.2012 zu:
Granger E. Westberg: Gute Trauer. Vom Umgang mit Verlusten. Verlag C.H. Beck
(München) 2011.
ISBN 978-3-406-62120-8.
Beck’sche Reihe - 6014.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12477.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
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