Helga Theunert, Ulrike Wagner (Hrsg.): Alles auf dem Schirm?
Rezensiert von Michael Lehmann-Pape, 20.12.2011

Helga Theunert, Ulrike Wagner (Hrsg.): Alles auf dem Schirm? Jugendliche in vernetzten Informationswelten.
kopaed verlagsgmbh
(München) 2011.
185 Seiten.
ISBN 978-3-86736-262-7.
D: 16,80 EUR,
A: 17,30 EUR.
Reihe: Interdisziplinäre Dikurse - 6.
Thema
Die Erschließung und Aneignung der Welt mittels des Umgangs mit medial transportierten Informationen ist das betrachtete Grundthema der dem Buch zugrunde liegenden Tagung aus dem Jahre 2010. Dieser Umgang ist zugleich eine „wichtige Grundlage für die Teilhabe der Mitglieder einer Gesellschaft am sozialen, kulturellen und politischen Leben“. Welche Rolle aber spielt das Subjekt in vernetzten Informationswelten und wie vor allem ist der Umgang von Jugendlichen mit dem, was man gemeinhin das „Web 2.0“ nennt im Rahmen globalisierter, zeit- und ortsunabhängiger Informationszugänge? Wobei insbesondere in den sozialen Netzwerken vernetzte Tätigkeiten und potentiell erweiterte Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (und genutzt werden). Sich selbst und die eigene Verortung in der Welt zu suchen und zu testen, dies ist vorrangig eines der grundlegenden Motive von Jugendlichen und jugendlichen Erwachsenen in der Nutzung besonders der „Mitmachoptionen“ des Web 2.0.
Im Horizont all dieser Feststellungen wenden sich die Autoren dem Ziel zu, aus verschiedenen „Forschungs- und Praxisperspektiven“ den Umgang von Jugendlichen im Rahmen der vernetzten Informationswelten näher zu betrachten und zu beleuchten.
Autorinnen
Helga Theunert, Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaften / Medienpädagogik an der Universität Leipzig und Ulrike Wagner, Direktorin des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, München, haben an dieser Schnittstelle von Jugendlichen und Medienumgang Arbeitsschwerpunkte gesetzt und sind daher umfassend in die Fragestellung eingearbeitet.
Entstehungshintergrund
Das Buch basiert auf der Tagung „Alles auf dem Schirm?“ des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, München aus dem Jahre 2010 und nimmt eine Reihe der dort gehaltenen Fachvorträge auf.
Aufbau und Inhalt
In drei Hauptteile gliedert sich die Diskussion der zugrundeliegenden Fragen.
1. Informationen ohne Grenzen: Soziale Funktionen medialer Informationssystem in einer mediatisierten Welt. Der Titel dieses ersten Teiles verdeutlicht bereits die Grundannahmen zum Thema. Eine „mediatisierte“ Welt bildet durchaus eine Form ganz eigenen, durchaus realen, Lebens ab. Eine „augmented realitiy“, eine „computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung“. Damit aber steht im Raum, dass sich durchaus auch eigene Realitäten durch segmentierte Informationen herausbilden, die wiederum deutlichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Welt, auf Werteentwicklung und die Entwicklung sozialer Regeln nehmen. Sinnvoll ist es daher, in diesem ersten Teil des Buches auch den Informationsauftrag der Medien in der vernetzten Gesellschaft einer näheren Betrachtung und Bewertung zuzuführen. Der Beitrag von Wolf-Dieter Ring ist in dieser Hinsicht durchaus lesenswert.
2. Aufnehmen und aussenden; Informationsverhalten Jugendlicher in vernetzten Medienwelten. Im zweiten Teil des Buches richtet sich der Fokus der Beiträge deutlich mehr als im ersten Teil auf die speziellen Parameter der Nutzung digitaler Medien durch Jugendliche, die sich, zunächst festzustellen, einer Informationsflut sondergleichen und damit einhergehend auch der dahinter stehenden Informationsproduktion gegenüber sehen. Aufgrund der schieren Masse an Informationen bedarf es zur gezielten Aufnahme einer Entwicklung von Auswahlkriterien. Erschwerend stehen im Raum die von Jers, Uzler und Schenk ausführlich erläuterten Ungleichheiten in der Nutzung des Web 2.0. Ungleichheiten nicht im technischen Zugang, sondern ein starkes Gefälle in der Auswahl von Inhalten und der Aneignung des Mediums an sich. Ein Gefälle, das sich im Blick auf die sozialen Netzwerke aber mehr und mehr hin auflöst und keine relevante „digitale Spaltung“ von Jugendlichen letztlich aufweist. Eine Feststellung, die umgehend Relevanz für den abschließenden Artikel des zweiten Teils, die Verbindung von Jugend, Internet und Politik aufweist. Um im politischen Rahmen Jugendliche aller Schichten zu erreichen, muss fast zwangsläufig das Web 2.0. als erstes und wichtigstes Instrument betrachtet werden.
3. Anregen und stärken: Medienpädagogische Räume und autonome Informationspraxen. Der dritte Teil des Buches baut inhaltlich auf den beiden ersten Teilen des Buches auf uns führt die dort vorliegenden Ergebnisse über in eine denkbare und mögliche medienpädagogische Praxis. Wie Jugendliche Medien aktiv gestalten und damit „machen“, wie spezielle Jugendinformationen im Internet vorliegen, erstellt und verarbeitet werden und wie, den letzten Beitrag des zweiten Teils qualitativ aufnehmend, Wege zur politischen Partizipation Jugendlicher „online“ gefunden und gestaltet werden können.
Diskussion
Umfassend bildet das Buch die wesentlichen Inhalte der Fachtagung von 2010 ab und bietet damit ebenso umfassend einen Einblick in den Stand medienpädagogischer Forschung und Feststellungen. Wie wichtig und mit dem eigenen Leben eng verzahnt im Sinne einer „augmented Reality“ das Web 2.0 inzwischen nicht nur zum Alltag, sondern auch zur Werteentwicklung und Lebensorganisation jugendlicher Nutzer einen wesentlichen Beitrag liefert, ist an den einzelnen Einlassungen des Buches gut abzulesen und ebenso eindeutig wird die Verantwortung von Medien und Politik im Rahmen eines Informationsauftrages betont. Zudem liefern einige Beiträge durchaus auch praxisbezogene Anregungen für eine Umsetzung politischer Bildung und verantwortlicher Informationsproduktion (ein Ort, an dem eine nachlassende Qualität durch eine eher Zielgruppen orientierte Informationsherstellung deutlich im Buch benannt wird).
Fazit
Gründlich und breit aufgestellt bietet das Buch einen medienpädagogischen Blick auf die aktuelle „Lebenswelt“ des Web 2.0 und bindet im Schwerpunkt die Fragen nach faktischer Nutzung, Chancen und Risiken der digitalen Informationswelten gerade in sozialen Netzwerken ein. Sachgerecht und fundiert werden zentrale „Zugangspunkte“ dargelegt und Thesen entwickelt. Das Buch findet seine Adressaten vor allem in der medienpädagogischen Forschung, kann aber auch zur Reflexion eigener, praktischer Arbeit mit jugendlichen Dienen. Weniger geeignet sind die einzelnen Beiträge für jene, die konkrete und praktische Hilfestellungen suchen. Diese müssen auf Basis der Erkenntnisse im Buch weitgehend in Eigenarbeit entwickelt werden.
Rezension von
Michael Lehmann-Pape
Pfarrer
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