Hans-Werner Bierhoff, Dieter Frey: Sozialpsychologie
Rezensiert von Dr. Alexander N. Wendt, 01.03.2012

Hans-Werner Bierhoff, Dieter Frey: Sozialpsychologie. Individuum und soziale Welt.
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2011.
320 Seiten.
ISBN 978-3-8017-2154-1.
D: 29,95 EUR,
A: 30,80 EUR,
CH: 40,90 sFr.
Reihe: Bachelorstudium Psychologie.
Thema
Die sozialpsychologische Forschung untersucht den Einfluss sozialen Kontextes auf das menschliche Bewusstsein und die Eigenschaft sozialer Entitäten, aus Individuen zu bestehen. Der vorliegende Band beschränkt sich auf die erste Perspektive. Hierbei werden gleichermaßen rudimentäre Voraussetzungen des sozialen Lebens wie soziale Kognition oder Einstellung und spezielle Dispositionen, etwa Kontrolle und Stereotype, eingeführt.
Herausgeber
Hans-Werner Bierhoff studierte Psychologie in Bonn, wurde 1974 promoviert und habilitierte 1977. Seit 1992 lehrt er Sozialpsychologie an der Ruhr-Universität Bonn. Publikationen (Auswahl): Psychologie Prosozialen Verhaltens. Warum wir anderen helfen (2010); Narzissmus – die Wiederkehr (2009, mit Michael Jürgen Herner); Sozialpsychologie. Ein Lehrbuch (2006).
Dieter Frey studierte Sozialwissenschaften in Mannheim und Hamburg, wurde 1973 promoviert und habilitierte 1978. Seit 1993 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Publikationen (Auswahl): Die Einstellung zur Sozialen Marktwirtschaft (2007, u. a.); Fusionen – Herausforderungen für das Personalmanagement (2003, u. a.).
Entstehungshintergrund
Die Einführung gliedert sich in die Reihe „Bachelorstudium Psychologie“ des Göttinger Verlages Hogrefe ein. In ihr sind zu den maßgeblichen psychologischen Forschungs- und Lehrschwerpunkten, wie etwa zur Entwicklungspsychologie (s. www.socialnet.de/rezensionen/10319.php), Publikationen neben dem vorliegenden Band zusammengefasst worden Er wird durch die zweite sozialpsychologische Bachelor-Einführung „Sozialpsychologie – Interaktion und Gruppe“ von Hans-Werner Bierhoff und Dieter Frey ergänzt.
Zwar zielen die Autoren an erster Stelle darauf ab, mit der Einführung eine „Grundlage für Studierende des Bachelorstudiums in Sozialpsychologie“ zu bieten, doch darüber hinaus sei sie „auch für Studierende sozialwissenschaftlicher Studiengänge geeignet, in denen sozialpsychologisches Wissen vermittelt wird“ (S. 17). Außer dem Dienst für das Bachelorstudium biete der Band zudem auch eine praktische Implikation für den sozialen Alltag der Leser: so wird geraten, mithilfe des vermittelten Wissens „die täglichen Entscheidungen, Interaktionen und Gruppen zufrieden und erfolgreich zu gestalten, um soziale Beziehungen zu entwickeln und zu verbessern“ (S. 17).
Aufbau
Das Thema wurde in zwölf Abschnitte gegliedert, die separat von internationalen, akademischen Autoren ausgearbeitet wurden:
- Selbst
- Die problematische Persönlichkeit
- Konsistenztheorien
- Das Streben nach Kontrolle
- Interpersonale Attraktion
- Physische Attraktion
- Soziale Wahrnehmung
- Soziale Urteile und Rationalität bei Entscheidungen
- Soziale Kognition
- Einstellung und Verhalten
- Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung
- Methoden in der Sozialpsychologie
Die Gliederung deutet eine Ordnung vom Rudimentären zum Konsekutiven an, wobei das Methodenkapitel an letzter Stelle gewissermaßen ebenfalls bereits zu Beginn notwendiges Wissen darstellt. Ergänzend liegen zur vereinfachten Übersicht ein vollständiges Inhaltsverzeichnis, ein Inhaltsverzeichnis vor jedem Kapitel, ein Glossar, Kontrollfragen und Literaturempfehlungen am Ende jedes Kapitels vor.
Inhalt
Das erste Kapitel („Selbst“) definiert den Gegenstand der sozialpsychologischen Theorie, das zweite („die problematische Persönlichkeit“) umreißt klassische Ergebnisse und skizziert mögliche Anwendungen, etwa inwiefern sich Narzissmus ausprägt. Die Darstellung schließt hierbei gleichermaßen an klassische geisteswissenschaftliche und psychologische Strömungen (Adorno, Lewin, Freud) wie an aktuelle Forschungsergebnisse an. Im dritten Kapitel („Konsistenztheorien“) wird der Theoriekanon der Sozialpsychologie vorgeführt, wobei speziell die Dissonanztheorie nach Festinger und die Balancetheorie nach Heider in den folgenden Aufsätzen wiederholte Beachtung als Paradigmen der Disziplin finden.
Die folgenden Kapitel vier bis elf verdeutlichen die theoretischen Konzeptionen anhand vielfältiger Anwendungsfelder. Exemplarisch kann der Aufsatz über Physische Attraktivität beschrieben werden. Mithilfe eines suggestiven Beispiels aus dem Alltag gelingt die Einführung in die soziale Relevanz von Gesichts- und Figurattraktivität. Anschließend erfolgt die theoretische Verortung zu der in Kapitel fünf thematisierten wahrgenommen Attraktivität und der im elften Kapitel aufgegriffenen Stereotypisierung. Um dem Leser den wissenschaftlichen Zugang zu dem Thema zu eröffnen werden anschließend durch Darstellung einer psychologischen Metaanalyse, der sozialpsychologischen Konzeption der self-fulfilling-prophecy sowie der evolutionspsychologischen Erklärung physischer Attraktivität drei kontroverse Möglichkeiten aufgezeigt, den Gegenstand zu analysieren. Sodann werden die gemeingültigen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zum Gegenstand physischer Attraktivität bezüglich Gesichts- und Figurattraktivität, etwa dass „Merkmale des Babyface […] sich als Hinweise auf Jugendlichkeit auffassen“ ( S. 139) lassen, vorgestellt. Das Kapitel schließt mit der Übertragung der speziellen Erkenntnisse zur physischen Attraktivität auf den gesamten Gegenstandsbereich der Sozialpsychologie durch Beschreibung der Auswirkungen physischer Attraktivität.
Das letzte Kapitel, das Methoden sozialpsychologischer Forschung aufgreift, hat einen Sonderstatus. Es ist gleichzeitig Voraussetzung zum vollständigen Erfassen der zuvor vorgestellten Inhalte und Ausblick in den deskriptiv- und inferenzstatistischen Apparat der modernen Psychologie, der für sozialwissenschaftlich disponierte Leser weniger Relevanz vorweist als für ihre psychologischen Kommilitonen.
Das zwölfseitige Glossar am Ende des Bandes fasst die in den Kapitel gegebenen fachterminologischen Definitionen erneut auf. Ebenso verweisen die Kontrollfragen am Ende der Kapitel auf den jeweiligen Inhalt.
Diskussion
Der Stil der Aufsätze ist trotz unterschiedlicher Autoren kohärent. Er ist von der Zielgruppe inspiriert und somit durch zahlreiche Beispiele anschaulich, stringent und durch diverse Schaukästen, Grafiken und Hervorhebungen suggestiv. Im selben Sinne wird gemäß der konsekutiven Gliederung im ersten bis dritten Kapitel grundsätzlich deutlich gemacht, woran der Leser mit der Sozialpsychologie ist.
Der selbstgewählte Maßstab der Herausgeber stellt fünf Ansprüche an das eigene Werk: die Leser sollen ihre Fähigkeiten 1. zur Klassifikation, 2. zur Erklärung und 3. zur Vorhersage sozialpsychologischer Phänomene durch die Lektüre ausbauen, weiter soll 4. die Regulation des eigenen Umfelds verbessert werden und 5. humanistische Aufklärung geleistet werden (vgl. S. 17f).
Die ersten drei Punkte spiegeln die generelle Aufgabe von Einführungen wider. Der vorgelegte Band erfüllt diesen Anspruch aufgrund einer stringenten Gliederung und eines suggestiven, einsteigerfreundlichen Stils durchgehend. Andererseits ist es durch die Form der Aufsatzsammlung bedingt, dass Informationen redundant auftreten (vgl. etwa S. 160, S. 219ff.). Auch der Versuch, Ergebnisse, die unter Verwendung statistischer Methodik entstanden sind, zu generalisieren, um das Wissen von dieser Methodik nicht voraussetzen zu müssen, gelingt nicht ohne Reibungsverluste. Gleichsam ist das rudimentäre Methodenkapitel Ausdruck dieses Dilemmas, psychologische Inhalte ohne die vollständige Berücksichtigung der komplexen statistischen Voraussetzungen zu vermitteln. Es fällt nicht ausführlich genug aus, um ausreichendes Wissen zu vermitteln, und kann andererseits nicht ausführlich genug sein, ohne den Anspruch einer Einführung in Statistik zu erheben. Hier ist der Verweis auf eine entsprechende Ergänzungen in den Literaturempfehlungen hilfreich.
Das vierte Ziel ist zwar euphemistisch formuliert, jedoch gibt die lebensweltlich hochsignifikante Thematik ausdrücklichen Anlass, die präsentierten Forschungsergebnisse zur Reflexion des eigenen Verhaltens zu nutzen. Die fünfte Zielsetzung ist hingegen Beweggrund für Skepsis. Sicherlich ist reflektiertes und meliorisiertes Verhalten in der bürgerlichen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nützlich. Die Integration zu Norm- und Mittelwerten, die von der Methodik der Psychologie ausgeht, muss aber stets kritisch kontextualisiert werden. Da dieses von den Autoren des Bandes gewissenhaft umgesetzt wird, liegt keine Überschätzung der Relevanz psychologischer Daten vor.
Fazit
Die Themen, die die Sozialpsychologie bietet, sind ausgesprochen suggestiv. Die im vorliegenden Band genutzten Beispiele machen diese Eigenschaft deutlich. Gleichzeitig gelingt es – und hierin besteht die Leistung der Einführung – den Autoren, die psychologische Struktur zur Erklärung dieser alltäglichen Phänomene durch die Darstellung der zentralen theoretischen Ansätze zu präsentieren. Da das Niveau der Beschreibung grundsätzlich bleibt, ist die Aufsatzsammlung Psychologiestudenten zur Vor- oder Nachbereitung der Vorlesung zu empfehlen, die Vertiefung der Inhalte erfolgt jedoch eher durch das Studium der Literaturempfehlungen.
Studenten anderer Disziplinen mit sozialpsychologischen Einflüssen oder Interessierten muss vor Augen geführt werden, dass die inhaltlichen Darstellungen zwar leicht verständlich und übertragbar sind, die eigenständige sozialpsychologische Forschung allerdings nur durch eine separate Aneignung der psychologisch-statistischen Methodik, die ausführlicher als das vorliegende Methodenkapitel ausfällt, ermöglicht wird.
Rezension von
Dr. Alexander N. Wendt
Dr./M.Sc. (Psychologie), M.A. (Philosophie)
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