Magdalena Stemmer-Lück: Beziehungsräume in der sozialen Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Ariane Schorn, 19.03.2012

Magdalena Stemmer-Lück: Beziehungsräume in der sozialen Arbeit. Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in der Praxis. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2011. 2., aktualisierte Auflage. 239 Seiten. ISBN 978-3-17-021966-3. 32,00 EUR.
Thema
Psychoanalytische Einsichten sind nicht nur für die berufliche Praxis von PsychotherapeutInnen von großem Wert. Über Kenntnisse von inneren Konfliktdynamiken, von Ich-Funktionen, unbewussten Dynamiken, Interaktions- und Übertragungsprozessen oder auch von Beziehungs- und Bindungsmustern zu verfügen, ist auch für andere Professionen hilfreich und notwendig.
Autorin und Anliegen
Magdalena Stemmer-Lück lehrt Psychologie im Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster. Sie will mit ihrem Buch gerade auch Erkenntnisse der modernen Psychoanalyse, die bisher vergleichsweise wenig von der Sozialen Arbeit aufgegriffen werden, für das berufliche Handeln zugänglich machen.
Inhalt und Aufbau
Nach einer persönlichen Vorbemerkung sowie einer einführenden Übersicht schließen sich sieben Kapitel an. Abschließend werden einige Überlegungen für die Integration psychoanalytischen Wissens in die Aus- und Fortbildung vorgestellt.
Das erste Kapitel („Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Sozialer Arbeit“) betrachtet zunächst in einer historischen Perspektive das Verhältnis von Psychoanalyse und Sozialer Arbeit. Im Weiteren werden dann Essentials der beiden Disziplinen herausgearbeitet. Das Kapitel schließt mit einer Diskussion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Disziplinen.
Das zweite, nur 8 Seiten umfassende Kapitel heißt „Beziehungsräume des Verstehens und Handelns“ und wird von Stemmer-Lück als „Herzstück“ (S. 14) des Buches bezeichnet. Stemmer-Lück setzt hier die Beziehung(sarbeit) als zentrale Bezugsgröße, die Psychoanalyse und Soziale Arbeit verbindet bzw. eine große Schnittmenge zwischen beiden Disziplinen bildet.
Das dritte Kapitel („Psychoanalytische Theorien“) skizziert zentrale psychoanalytische Theorieansätze (die Konflikttheorie, die Ich-Psychologie, die Objektbeziehungstheorie, die Bindungstheorie und die Selbstpsychologie) versucht hiermit Ordnung „in den Dschungel psychoanalytischer Theoriebildung“ (S. 74) zu bringen. Am Ende eines jeden Abschnitts werden Konsequenzen und Schlussfolgerungen für die Soziale Arbeit abgeleitet.
Im vierten Kapitel („Fallbeispiele – Verstehen und Handeln in der Praxis“) werden fünf Fallbeispiele aus verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit vorgestellt. Mit Rückgriff auf in den ersten Kapiteln entfaltete Begrifflichkeiten werden hier exemplarisch Aspekte wie die aktuelle soziale Situation, die aktuelle Problemsituation, die auslösende Situation, die Interaktionsdynamik, Gegenübertragung, institutionelle Übertragung sowie Verstehen und Handeln unter psychoanalytischen Gesichtspunkten beleuchtet.
In „Psychoanalytische Perspektiven zum Verstehen und Handeln in der Sozialen Arbeit“ beschreibt Stemmer-Lück verschiedene Ebenen, die zu erschließen für das Verständnis der psychosozialen Wirklichkeit eines Menschen notwendig ist: die aktuellen Situation des Klienten, seine Lebensgeschichte, seine Ich-Struktur, die interaktionelle Perspektive (was „will“ mir/uns eine Verhaltensweise mitteilen?), der Organisationskontext sowie dynamische und unbewusste Aspekte.
In den beiden letzten Kapiteln des Buches weitet sich der Radius: Im Mittelpunkt stehen hier nicht mehr dyadische, sondern gruppen- und institutionsbezogene Beziehungsräume. Kap. sechs thematisiert „Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in Gruppen“. Vorgestellt werden hier z.B. psychoanalytische Erkenntnisse über Gruppenprozesse und -dynamiken, von denen die Soziale Arbeit profitieren kann.
Kap. sieben („Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in Organisationen“) wendet sich schließlich unbewussten Prozessen und Dynamiken in Organisationen zu.
Fazit
Stemmer-Lück will mit ihrem Buch den Menschen, die in und mit Beziehungskontexten arbeiten, Einsichten und Wissensbestände der modernen Psychoanalyse zugänglich machen. Dies gelingt ihr vortrefflich. Das Buch besticht durch einen klaren Aufbau, eine gut lesbare Sprache und das Vermögen der Autorin, komplexe Zusammenhänge und komplizierte Sachverhalte anschaulich auf den Punkt zu bringen. Unbedingt und ohne Einschränkung zu empfehlen ist das Buch zunächst Studierenden, aber auch PraktikerInnen der Sozialen Arbeit. Hilfreich und inspirierend kann es aber auch für andere Berufsgruppen wie PsychologInnen, HeilpädagogInnen, LehrerInnen, ErzieherInnen oder auch für verschiedene Berufsgruppen des Gesundheitswesens sein.
Rezension von
Prof. Dr. Ariane Schorn
Fachhochschule Kiel, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
Entwicklungspsychologie, Qualitative Sozialforschung, Psychosoziale Beratung, Supervision
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Es gibt 19 Rezensionen von Ariane Schorn.
Zitiervorschlag
Ariane Schorn. Rezension vom 19.03.2012 zu:
Magdalena Stemmer-Lück: Beziehungsräume in der sozialen Arbeit. Psychoanalytische Theorien und ihre Anwendung in der Praxis. Verlag W. Kohlhammer
(Stuttgart) 2011. 2., aktualisierte Auflage.
ISBN 978-3-17-021966-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12530.php, Datum des Zugriffs 31.01.2023.
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