Wolfgang Bergmann: Sterben lernen
Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 29.06.2012

Wolfgang Bergmann: Sterben lernen. Kösel-Verlag (München) 2011. 80 Seiten. ISBN 978-3-466-30939-9. D: 10,00 EUR, A: 10,30 EUR, CH: 16,90 sFr.
Thema
Die Themen Leben mit schwerer Krankheit, Sterben und Tod haben in den letzten Jahren eine zunehmend große Aufmerksamkeit erfahren. Es gibt zahlreiche Texte, Tagungen und Filme, die mit diesem Themenschwerpunkt Einblicke bzw. Empfehlungen ermöglichen sowohl in professionelles Handeln als auch in individuelles Erleben. Das Lebensende ist öffentlich geworden.
Der Band von Wolfang Bergmann knüpft hier an und unterscheidet sich gleichzeitig von vielen der anderen Veröffentlichungen. Es handelt sich um ein Buch, das der Betroffene selbst geschrieben hat, solange er die Kraft dazu hatte.
Autor
Wolfgang Bergmann war Diplom-Pädagoge, Leiter einer Praxis für Kinder- und Jugendtherapie, und des Instituts für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover, das er 1995 nach einer familientherapeutischen Zusatzausbildung eröffnete.
Anneli Keil hat zu diesem Band ein Nachwort verfasst. Sie ist emeritierte Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bremen, einschlägig thematisch bewanderte Autorin und Unterstützerin von Palliative Care.
Aufbau
Der Band umfasst 80 Seiten einschließlich des Nachwortes von Anneli Keil. Er ist in dreiundzwanzig kleine Kapitel aufgeteilt.
Überblick und Inhalt
Wolfgang Bergmann erhält im Frühjahr 2011 die Diagnose „unheilbarer Knochenkrebs“. Mit diesem Buch schreibt er sich seine Angst, seine Verzweiflung über die nachlassenden Kräfte, über die Hoffnung und Enttäuschung der medikamentösen Therapien von der Seele.
Das Buch beginnt mit der Mitteilung der Diagnose. Wolfgang Bergmann gibt in einer schonungslosen und gleichzeitig sprachlich sehr niveauvollen Weise Einblicke in sein Befinden während des Verlaufs seiner Krankheit und Behandlung, in Wahrnehmungen seines Befindens, in Erinnerungen, Gedanken und Wünsche. Seine Auseinandersetzung mit dem Sterben thematisiert oftmals unausgesprochene und kaum beantwortbare Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Krankheit, nach der Schwere der Symptome und der Leichtigkeit des freudigen Moments. Seine Sprache ist klar, eindrücklich und faszinierend, macht traurig und betroffen. Seine reflektierenden Rückblicke auf sein Leben in gesunden Zeiten sind verknüpft mit Sequenzen von Einschränkungen durch die Krankheit, zeigen den abwärts gerichteten Verlauf und seine Verzweiflung über die Krankheit in nachdrücklicher und schonungsloser Weise auf.
Zielgruppen
Dieser Band wird zunächst vor allem Menschen ansprechen, denen der Name von Wolfgang Bergmann aus seinen Sachbüchern und aus seiner pädagogisch-therapeutischen Arbeit bekannt ist. Geeignet ist es für Menschen, die sich mit einem sehr offenen, selbstkritischen Text ohne religiöse Bezüge befassen möchten. Es ist u.a. empfehlenswert für eine literarisch-seminaristische Auseinandersetzung.
Diskussion
Dieses Buch beschreibt die autobiografische Krankheitsgeschichte eines Mannes, der seine Krankheit nicht akzeptiert, der kämpft um seine verbliebene Gesundheit und um seinen Körper. Beim Lesen entsteht das Bild eines Menschen, der seine sprachlichen Kompetenzen einsetzt, um seinem Hadern mit dem Schicksal Ausdruck und Form zu geben. Vom Umfang her ist es ein kleines Buch, das sich schnell lesen lässt, und das dennoch beim Lesen eine nachhaltige Dynamik entfaltet durch seine Sprache. Es vermittelt in seiner Kürze eine außergewöhnliche Dichte und Spannung, die verkraftet werden will. Insofern steht die Anzahl der Seiten nicht im Verhältnis zur Wirkung beim Lesen. Wolfgang Bergmanns Suche nach Antworten auf existentielle Fragen des Lebens mit nachlassender Gesundheit und Sterbens macht nachdenklich und vermittelt keinen vorschnellen tröstlichen Appell, zeigen jedoch die Bedeutung eines außergewöhnlichen Menschen im Umgang mit der Kraft der Worte.
Fazit
Dieses Buch hinterlässt Spuren, so wie Anneli Keil es in ihrem Nachwort gesagt hat. Diese Form der biografischen Auseinandersetzung eines Menschen ist ein anspruchsvoller Lesestoff, der besprochen und geteilt werden sollte, um die in ihm wohnenden Kräfte des Mutes und des Lebenswillens trotz und mit Krankheit zu spüren. Er wirft viele Fragen auf und ermutigt zum Leben, solange man atmet.
Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
Mailformular
Es gibt 37 Rezensionen von Margret Flieder.