Matthias Dressler, Karen Toppe: Erfolgreich führen in der Sozialwirtschaft
Rezensiert von Prof. Dr. Michael Mroß, 10.01.2012

Matthias Dressler, Karen Toppe: Erfolgreich führen in der Sozialwirtschaft.
Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler
(Wiesbaden) 2011.
114 Seiten.
ISBN 978-3-8349-2866-5.
49,95 EUR.
Reihe: Gabler Research.
Autor und Autorin
Matthias Dressler ist Professor für Marketing Management an der Fachhochschule Kiel. Karen Toppe studierte an der FH Kiel Betriebswirtschaftslehre und arbeitet beim Paritätischen Landesverband Schleswig-Holstein e.V.
Thema
Treffen die entsprechenden Einschätzungen und Stellungnahmen aus der sozialwirtschaftlichen Theorie und Praxis auch nur ansatzweise zu, dann ist das Thema Führung ein, wenn nicht gar das, zentrale Gegenwarts- und Zukunftsthema des Sozialmanagements. Nicht zuletzt getrieben und forciert durch den demographischen Wandel, begrenzte monetäre Konkurrenzfähigkeit der Sozialwirtschaft und fortschreitende Säkularisierung blicken Organisationen der Sozialwirtschaft oftmals einem sowohl quantitativen als auch qualitativen Mangel an Führungskräften entgegen. In der Publikation wird auf der Basis von Experteninterviews daher der Frage nachgegangen, ob bzw. inwiefern für die Sozialwirtschaft Handlungsoptionen bestehen, dem bezeichneten Führungskräftemangel entgegenzuwirken.
Aufbau und Inhalt
Die Untersuchung gliedert sich in sechs Kapitel, Literatur- und Internetquellen sowie der namentlichen Offenlegung der 16 Interviewpartner.
Im ersten Kapitel, der Problemstellung, nennen die Autoren als Anlass der Arbeit die „…praktische Erfordernis sozialer Organisationen, um Anforderungen an effizientes Personalmanagement sowie um Bedarfe im Bereich der Weiterbildung von Führungskräften zu klären.“ (S.1) Entsprechend ist es das erklärte Ziel, die diesbezüglichen Herausforderungen und Anforderungen aufzuzeigen.
Im zweiten Kapitel werden Rahmendaten der Sozialwirtschaft dargestellt, wobei hier, neben den vielerorts beschriebenen Definitionsproblemen, auch (kurz) anhand von Zahlenmaterial der Anlass für die Untersuchung gestützt wird. Eine Festlegung dazu, wie der Begriff der Sozialwirtschaft verstanden wird, erfolgt an dieser Stelle zwar nicht, die Auswahl der Interviewpartner lässt aber auf eine Beschränkung auf den Nonprofit-Sektor schließen.
Das Buch ist unter der Verlagskennzeichnung Research erschienen, was in den Kapiteln drei und vier auch deutlich wird. Im dritten Kapitel erfolgt quasi als Begründung und Fundierung des weiteren Vorgehens eine Darstellung der so genannten Grounded Theory. Als Einstieg in die Vorgehensweise der Grounded Theory eignet sich das Kapitel aber nicht. Dazu sind die Ausführungen zu knapp, beleuchten zu wenig die methodologischen Hintergründe dieser Theorie als solche. Der Leser muss folglich ein gewisses Vorwissen mitbringen, was nicht einfach vorausgesetzt werden kann.
Im vierten Kapitel wird die Vorgehensweise der durchgeführten empirischen Erhebung offengelegt und – mit einer Ausnahme – die Namen und die der Herkunftsorganisationen der Interviewten genannt. Insgesamt fließen die Aussagen von 16 Personen, Geschäftsführer oder Vorstände aus der Sozialwirtschaft, in die Untersuchung ein.
Der Logik der gewählten Grounded
Theory (Phänomen, Ursachen, Kontext, intervenierende Bedingung,
Handlungsstrategien und Konsequenzen) folgend, wird im fünften
Kapitel zunächst die Codierung vorgenommen. Im ersten Schritt
folgern die Autoren dann aus den meist wortgetreu abgedruckten
Aussagen der Experten, dass es „… „den einen“
Führungsbegriff“ in der Sozialwirtschaft nicht gibt (S. 39), was
freilich nicht überrascht. Die Autoren begeben sich sodann daran,
den Führungsbegriff für die Sozialwirtschaft näher zu analysieren
und stellen auf der Basis der Interviews fest, dass die meisten der
Befragten ein für die Sozialwirtschaft differenziertes
Führungsverständnis benennen, die Verwendung des Führungsbegriffs
als solchem aber von keinem der Experten in Frage gestellt wird; ein
Ergebnis, das in manchen Bereichen der sozialen Praxis m.E. noch
nicht derart vorbehaltlos geteilt wird, was auch von den Experten
bedauernd festgestellt wird (S. 48). Bemerkenswert – für manchen
vermutlich ernüchternd – fällt das Ergebnis aus, dass die
befragten Experten dem Wertebezug von Führung eine nur geringe
Bedeutung für die Führungspraxis attestieren. Für eine Branche,
die nicht zuletzt auch mit Bezug auf ethische, werteorientierte
Bezugsgrößen einen Besonderheitsanspruch kommuniziert, muss eine
solche Feststellung alarmierend sein. Nachdem, was kaum verwundert,
für die Sozialwirtschaft mit dem demographischen Wandel und der
finanziellen Abhängigkeit vom öffentlichen Sektor die beiden
üblichen Verdächtigen in Sachen Herausforderungen herausgestellt
werden, widmen sich die Autoren der aus der Sicht der Führungslehre
interessanten Frage, welche Ausbildung bzw. Qualifikation
Führungskräfte der Sozialwirtschaft benötigen (S. 66). Wenn die
befragten Führungskräfte diese Antwort den Autoren letztlich im
Detail auch schuldig bleiben, so sind die Interviewaussagen zum Teil
doch gleichermaßen erschreckend wie auch ehrlich, wenn etwa
ausgesagt wird: „Und da schafft man im Zweifelsfall schlechtes
Betriebsklima, aber das kann man aushalten… . Je größer die
Einrichtung ist, so egaler kann einem das als Führungskraft im
Zweifel auch sein.“ (S. 69). Oder auf die Frage danach, was
spezifisch für die Sozialwirtschaft sei, schlicht geantwortet wird:
„Nichts. …“ (S. 71) und man solle damit aufhören, so zu tun
als sei die Sozialwirtschaft „irgendwie was ganz besonderes,
exotisches…„(S. 71).
Im Weiteren (5.4.3) findet sich
die Erkenntnis, dass die befragten Führungskräfte zwischen
Personalführung und Unternehmensführung unterscheiden – für den
Betriebswirt eine kaum der Nachfrage lohnende Antwort, die gleichwohl
gerade in ihrer Einfachheit belegt, wie sehr sich Nonprofit und
Profit-Organisationen in der Wahrnehmung von oberen Führungskräften
mittlerweile einander angenähert haben: „Also, Zahlen haben bei
mir Priorität. Ich muss ja jeden Monat alle entlohnen können.“
(S. 75).
In den beiden folgenden Unterkapiteln (5.4.4,
5.4.5) untersuchen Dressler/Toppe dann, inwiefern
Führungskräfte aus der Sozialwirtschaft von denen der
Nicht-Sozialwirtschaft lernen können und umgekehrt. Insgesamt wird
die erste Frage recht eindeutig zustimmend beantwortet und bei
mehreren Experten schwingt in den Zitaten eine Art neidvolle
Bewunderung mit, während „das methodisch-pädagogische“ (S. 78)
wie eine Last abgestreift wird. Im umgekehrten Fall wird von den
Befragten überwiegend die Auffassung vertreten, dass auch die
Nicht-Sozialwirtschaft von der Sozialwirtschaft lernen kann. So
emanzipiert diese Auffassung klingt und de facto auch ist, so stellen
die Lernbeispiele auch hier ganz überwiegend in ihrem Kern eher auf
betriebswirtschaftliche Aspekte ab. (S. 82) In Abschnitt 5.5 greifen
die Autoren einerseits die Frage nach den aktuellen Reaktionen auf
die Herausforderungen der Sozialwirtschaft und nach speziellen
Qualifikationen auf. Andererseits gehen sie der Frage nach, ob
betriebswirtschaftliches Wissen eine Lösung für die
Herausforderungen darstellt und wie die Sozialwirtschaft auf den
Anstieg des Führungskräftebedarfs reagieren kann. Die Aussagen
fallen erwartungsgemäß vielschichtig aus. Die Spannweite reicht von
einer stärkeren (betriebswirtschaftlichen) Professionalisierung
(86), über die Auffassung einer – aus Sicht des Experten –
berechtigten Verdrängung von z.B. Sozial-Pädagogen aus
Führungspositionen (88), bis hin zum Plädoyer für einen
erfahrungsbasierten Zugang zu Führungspositionen, der auch ohne
solches Vorwissen auskommt (87f.). Praktische Hilfe, nützliche
Empfehlungen und überraschende Einsichten wird vor allem der
interessierte Praktiker aus diesem Abschnitt kaum ableiten können,
was aber auch nicht das Anliegen dieses Abschnitts darstellt. Der
Abschnitt 5.6 bietet schließlich eine Zusammenstellung von denk- und
wünschbaren Konsequenzen, um den sich abzeichnenden Mangel an
Führungskräften, „der strategischen Lücke“ (89),
entgegenzuwirken. Die Befragten nennen hier beispielsweise Lernen aus
Fehlern, Berücksichtigung von Gender-Aspekten,
Qualifikationsanpassungen und leistungsgerechte Entlohnung.
Im letzten Kapitel stellen die Autoren schließlich Implikationen für die Forschung und die Praxis dar. Nachdem sie selbst die Grenzen der Aussagekraft ihrer Erhebung skizzieren, regen sie an, die Vielzahl der in der Studie angesprochenen Themen in Folgeuntersuchungen separat vertieft zu analysieren. Des Weiteren plädieren sie für die Forschung dafür, sich mit dem Führungsbegriff im Kontext der Sozialwirtschaft verstärkt auseinanderzusetzen. Darüber hinaus wird der Nicht-Sozialwirtschaft empfohlen, sich auch für Führungspersonen aus der Sozialwirtschaft zu öffnen. Auch hier muss dann unausgesprochen wohl zuvor von einer verstärkten betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Sozialwirtschaft ausgegangen werden, anders wäre ein solches Interesse kaum plausibel. Auf eine intensivierte Verbindung von Sozial- und Nicht-Sozialwirtschaft laufen insgesamt auch die abgeleiteten Implikationen für die Praxis hinaus. Für dieses erkennen die Autoren für die Sozialwirtschaft die Chance einer Profilschärfung, die sich positiv auf die Akquisition von Führungskräften auswirken könne. Welches Interesse daran allerdings auf Seiten der Nicht-Sozialwirtschaft bestehen sollte, bleibt offen.
Fazit
Das Buch wendet sich an Praktiker und Wissenschaftler. Wer sich allerdings, dem Titel folgend, Hinweise auf erfolgreiche praktische Führungsarbeit erhofft, der wird enttäuscht. Der Titel ist irreführend, denn das Thema Führung i.e.S. spielt kaum eine Rolle. Ob mit diesem Beitrag tatsächlich Grundlagenforschung geleistet wird, ist zweifelhaft. Allenfalls ein Neuling auf diesem Themenfeld wird hier tatsächliches Neues finden. Erfrischend ehrlich und offen wirken indessen viele der abgedruckten Interviewpassagen, aus denen sich das Buch zu weiten Teilen – der Grounded Theory entsprechend – zusammensetzt. Vergleichbares ist in der Tat eher selten zu finden. Wenn die Autoren als Ergebnis die Erfordernis einer stärkeren Vernetzung von Betriebswirtschaft – gemeint ist damit wohl der Profit-Sektor – und der Sozialwirtschaft aufzeigen, dann ist diese Implikation viel zu allgemein und natürlich keineswegs neuartig.
Rezension von
Prof. Dr. Michael Mroß
Professur für Sozialmanagement, insbes. Organisation und Personalmanagement in der Sozialwirtschaft, Technische Hochschule Köln - TH Köln
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Es gibt 11 Rezensionen von Michael Mroß.
Zitiervorschlag
Michael Mroß. Rezension vom 10.01.2012 zu:
Matthias Dressler, Karen Toppe: Erfolgreich führen in der Sozialwirtschaft. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler
(Wiesbaden) 2011.
ISBN 978-3-8349-2866-5.
Reihe: Gabler Research.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12577.php, Datum des Zugriffs 30.01.2023.
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