Jessica Bielinski: Bikulturelle Partnerschaften in Deutschland
Rezensiert von Prof. Dr. Brigitte Wießmeier, 09.02.2012

Jessica Bielinski: Bikulturelle Partnerschaften in Deutschland. Eine Studie über Diskriminierungen, Konflikte und Alltagserfahrungen.
ibidem-Verlag
(Hannover) 2011.
118 Seiten.
ISBN 978-3-8382-0299-0.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR.
Reihe: Kultur - Kommunikation - Kooperation - 7.
Autorin
Jessica Bielinski absolvierte ein Studium der Wirtschaftshispanistik in einer Fakultät für Sprachen mit dem Schwerpunkt auf internationales Marketing.
Entstehungshintergrund
Jessica Bielinski veröffentlichte ihre Studie 2011 in der Reihe „Kultur – Kommunikation – Kooperation“ im ibidem Verlag Stuttgart.
Die Rezensentin geht davon aus, dass diese knapp hundertseitige Studie als Diplomarbeit gefertigt wurde.
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau der Arbeit erfolgt in der Dreiteilung: Einführung in das Thema (8 Seiten), Empirieteil, einschließlich der Methodendarlegung (70 Seiten) und einer Schlussbetrachtung (4 Seiten). Ein Anhang mit Rechtsquellen, Statistik und dem Leitfaden liegt vor.
Jessica Bielinski versteht es sich zu beschränken, denn in diesem vor etwa 30 Jahren in Deutschland eröffneten Diskurs über binationale, bikulturelle oder auch interethnische Paare gilt es Schwerpunkte zu setzen. In ihrer Einführung verweist sie auf einschlägige Literatur, insbesondere auf Thode-Arora 1999, deren Kritik an fehlender Systematik der Forschung sie aufgreift. Mit Hilfe statistischer Daten belegt sie die Dimension binationaler Eheschließungen, wobei aktuell die langjährige Steigerung unterbrochen zu sein scheint. Durch ein Kapitel über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wird schon an dieser Stelle auf die Untersuchungsgruppe vorbereitet.
Die Methodenwahl wird relativ ausführlich vorgestellt. Drei leitfadenorientierte narrative Interviews mit deutschen Frauen und ihren Männern mit Migrationserfahrung sollen qualitative Ergebnisse ermöglichen. Die beschriebene Auswertungsmethode ist im folgenden Text sehr gut nachzuvollziehen, denn die Autorin geht gemäß Deppermann 2008 in zwei Schritten an die Transkripte heran: zuerst mit einer grobstrukturellen Gesprächsanalyse und dann mit einer detaillierten Sequenzanalyse. Eine abschließende gründliche Interpretation der Daten, des herausgehobenen Einzelfalls Diallo sowie der beiden weiteren Beispiele im Vergleich dazu stellt das Ergebnis dar.
Die Analyse ergibt vier Problemfelder: Diskriminierung durch Behörden (Standesamt, Ausländerbehörde), Reaktionen der Herkunftsfamilien, Konflikte innerhalb der Beziehung (Geld, Zeit, Familie) und Diskriminierung im sozialen Umfeld (Wohnungssuche). Exkurse innerhalb der Analyse verhelfen zu einem besseren Verständnis von angeschnittenen Themen, wie Familienformen und Zeitverständnis.
Diskussion
Jessica Bielinski lässt sich auf ein Thema ein, welches bisher weitgehend von Sozialwissenschaftlerinnen, besonders Sozialpädagoginnen, Psychologinnen und Ethnologinnen, erforscht wurde. Ihr eigenes Forschungsinteresse erschließt sich der Rezensentin nicht. Der kurze Theorieeinblick, insbesondere auf Thode-Aroras Kritik an fehlender Systematik der Forschung, impliziert eine nun folgende kritische Herangehensweise, die allerdings hinsichtlich Sample und Setting weitgehend vermisst wird. Eine eigene Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen unterlässt sie in diesem Text. Die Zugrundelegung des Begriffs „bikulturelle Partnerschaft“ begründet die Autorin mit Kienecker 1993; sie sieht damit die „kulturelle Verschiedenheit der Ehepartner“ am besten erfasst. Hier wäre ein kritischer Hinweis auf die Diversitydebatte und eine problematisierte Kulturalisierung durch diese Begrifflichkeit (z.B. nach Mecheril) hilfreich gewesen. Das 2011 erschienene Buch „Fernliebe“ der Soziologen Beck und Beck-Gernsheim stand ihr noch nicht zur Verfügung, es hätte ihr weitere Perspektiven ermöglicht.
Interessant ist bei den vorgelegten statistischen Daten zur Eheschließung der Verweis auf die Erhebung ausschließlich über die Staatsangehörigkeit. Diese Einschränkung spiegelt sich im Begriff Binationalität wider, von der Autorin wird dieses Definitionsangebot ignoriert. Dass diese jährlich erhobenen statistischen Daten nichts über die dahinterliegenden Kulturzugehörigkeiten auszusagen vermögen, ist spätestens seit dem 6. Familienbericht der Bundesregierung facettenreich erforscht.
Zur Methode: Mit einer vermeintlichen Vereinheitlichung des Samples durch die Konstellation deutsche Frau mit einem Mann mit Migrationserfahrung soll eine Vergleichsmöglichkeit gegeben sein, was bei genauem Hinsehen kaum möglich ist. Ein Bürgerkriegsflüchtling, ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling sowie ein Student weisen bereits höchst unterschiedliche Migrationshintergründe auf, womit nicht nur Fluchterfahrung, Aufenthaltstatus und Alter angesprochen sind, auch die sozialpolitische Dimension der drei Herkunftsländer Kosovo, Sierra Leone und Marokko lassen die Gefahren von vordergründigen Vergleichen deutlich werden.
Die Textanalyse verlangt eine zunehmende Distanz zum Interviewtext und führt so zu einer Verdichtung von Ergebnissen. Das hier ins Zentrum gestellte Paarinterview machte diese Distanz besonders notwendig, da wir erfahren, dass das Paar aus dem privaten Umfeld der Interviewerin stammt und dass ihr Interview im Rahmen eines dreitägigen Besuchs bei diesem stattfand. Das sind Umstände, die genau diese gewünschte objektive Verdichtung (und auch Anonymisierung) sehr erschweren können (vgl. Kritik von Thode-Arora).
Da der Leitfaden bereits problemorientiert ausgerichtet ist und Diskriminierungserfahrungen erfragt werden sollten, sind die Ergebnisse nicht überraschend. Besonders das 1.Problemfeld bietet der Interviewerin neue Einsichten in die Umgangsweisen von zwei wichtigen Behörden bei binationalen Eheschließungen. So scheinen Standesbeamte die Grenzen ihrer Verantwortung sehr unterschiedlich auslegen zu können, was den Verdacht zumindest einer Bevormundung aufkommen lässt.
Im 2.Problemfeld Reaktionen der Herkunftsfamilien überrascht die Autorin mit Interpretationen, die möglicherweise zu kurz greifen. Eine Akzeptanz der deutschen weißen Ehefrau durch die afrikanische Familie des Mannes ohne bisherigen persönlichen Kontakt, da eine gemeinsame Sprache fehlt, aber auch das Geld immer nur für seine Reisen zur Verfügung steht, lassen Fragen offen. Die abschließende „klare Tendenz“(S. 60) zu mehr Ablehnung bikultureller Ehen von Töchtern durch ihre deutschen Eltern kann hier nicht nachvollzogen werden; auch der Verweis auf Endogamieregeln, ausschließlich auf den deutschen/westeuropäischen Kontext bezogen, wirkt sehr einseitig. Zumindest die Frage nach etwaigen Heiratsregeln in Ländern wie Kosovo, Sierra Leone und Marokko hätte gestellt werden müssen.
Wenn von der Autorin kulturelle Unterschiede als Konfliktherd vermutet und im Interview primär finanzielle Schwierigkeiten thematisiert werden, gerät die Interviewerin in eine schwierige Situation. So kommt sie zu dem Ergebnis: „Das Ehepaar kann also manche Situation nicht richtig einschätzen …“ (S. 89).
Fazit
Jessica Bielinski befragt drei bikulturelle Paare nach ihrer gemeinsamen Geschichte und ihren Alltagserfahrungen und wertet ein Interview sehr gründlich per Sequenzanalyse aus und vergleicht das Ergebnis mit den beiden weiteren Interviews. Sie erkennt im Verlauf dieser Analyse die Vielschichtigkeit von aufgespürten Problemen und wagt folgerichtig nicht, sie zu verallgemeinern.
Rezension von
Prof. Dr. Brigitte Wießmeier
Forschungskoordinatorin
Institut für Innovation und Beratung an der Evangelischen Hochschule Berlin, INIB
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Es gibt 10 Rezensionen von Brigitte Wießmeier.
Zitiervorschlag
Brigitte Wießmeier. Rezension vom 09.02.2012 zu:
Jessica Bielinski: Bikulturelle Partnerschaften in Deutschland. Eine Studie über Diskriminierungen, Konflikte und Alltagserfahrungen. ibidem-Verlag
(Hannover) 2011.
ISBN 978-3-8382-0299-0.
Reihe: Kultur - Kommunikation - Kooperation - 7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12590.php, Datum des Zugriffs 30.09.2023.
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