Klaus Sarimski: Behinderte Kinder in inklusiven Kindertagesstätten
Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 03.02.2012

Klaus Sarimski: Behinderte Kinder in inklusiven Kindertagesstätten.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2012.
162 Seiten.
ISBN 978-3-17-021095-0.
22,90 EUR.
Reihe: Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit.
Autor
Prof. Dr. Klaus Sarimski ist Professor für sonderpädagogische Frühförderung und allgemeine Elementarpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Vorher war er über 25 Jahre klinischer Psychologe am Kinderzentrum München.
Thema
Die Lehrbuchreihe „Entwicklung und Bildung in der Frühen Kindheit“ will Studierenden und Fachkräften das notwendige Fachwissen für die Bildungsarbeit im Krippen- und Elementarbereich vermitteln. Im vorliegenden Band geht es darum, praktische Wege aufzuzeigen, wie die soziale Partizipation behinderter Kinder in integrativen Kindertageseinrichtungen kompetent unterstützt werden kann.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst sechs Kapitel.
Im ersten Kapitel werden Integration und Inklusion definiert, die regionale Entwicklung der Integration in Deutschland dargestellt und die Einstellungen und Erwartungen von Erzieherinnen und Eltern beleuchtet.
Anschließend beschreibt Sarimski allgemein die soziale Kompetenz von Kindern im Kindergartenalter, geht auf die Bedeutung von Rahmenbedingungen wie Spielangebot, Erzieherverhalten und Gruppenzusammensetzung ein mit besonderer Berücksichtigung in integrativen Gruppen und für behinderte Kinder sowie auf die Entwicklungsfortschritte behinderter Kinder.
Ausgehend von diesen förderlichen Rahmenbedingungen werden die Planung und die Durchführung von Interventionen zur Förderung sozialer Kompetenz besprochen. Sarimski lenkt das Augenmerk auch auf die Vorbereitung der Aufnahme eines behinderten Kindes; die Erwartungen der Eltern und der Hilfebedarf des Kindes müssen eruiert werden. Anschließend werden Besonderheiten bei der Integration im Krippenalter besprochen.
In einem umfangreichen Kapitel geht Sarimski gezielt auf behinderungsspezifische Hilfen zur sozialen Integration ein und bespricht für die jeweilige Behinderungsform, belegt durch empirische Untersuchungen, Auswirkungen auf den Entwicklungsverlauf im Allgemeinen, die Entwicklung der sozialen Kompetenz und der Interaktion mit anderen Kindern. Daraus leitet er Empfehlungen für die pädagogische Praxis ab und stellt dar, wie gezielt die soziale Integration in der Kindertagesstätte gefördert werden kann. Im Einzelnen werden Kinder mit Seh- und Hörbehinderungen, schweren Spracherwerbsproblemen, Mobilitätseinschränkungen, besonderem Pflegebedarf, geistiger Behinderung und autistischen Verhaltensmerkmalen besprochen. Darüber hinaus geht er auf Verhaltensauffälligkeiten, „kritischem“ Sozialverhalten bei diesen Kindern ein und beschreibt das Konzept der „positiven Verhaltensunterstützung".
Für das Gelingen der Integration eines behinderten Kindes ist die Zusammenarbeit mit pädagogischen und therapeutischen Fachdiensten von großer Bedeutung. Aufgaben und mögliche Hindernisse werden diskutiert und der Ansatz „Teamteaching“ vorgestellt.
Im letzten (kurzen) Kapitel werden Qualitätsstandards thematisiert. Erwartungen und Verbesserungsvorschläge von Eltern und Fachpersonal sehen vor allem einen Bedarf an Verbesserung in der Aus- und Fortbildung sowie in der Kooperation mit anderen Stellen.
Jedes Kapitel endet mit einer Zusammenfassung und kommentierten Literaturhinweisen zur Vertiefung der Thematik.
Diskussion
Die Aufnahme behinderter Kinder in integrative Kindergruppen hat schon eine lange Tradition. Im Rahmen der Inklusionsdiskussion wird dies oft vergessen.
Es besteht die Gefahr – der Autor sieht es auch so – dass im Zuge des Ausbaus der gemeinsamen Erziehung wegen finanzieller Probleme die Regeleinrichtung ein behindertes Kind ohne geeignete Rahmenbedingungen, ohne konzeptionelle Überlegungen aufnimmt und das Kind nur außerhalb der Einrichtung systematische Förderung erhält. Denn, wichtig und richtig ist diese sprachliche Unterscheidung, die Sarimski trifft: die inklusive Einrichtung hat das Ziel der sozialen Integration des Kindes in die Tagesstätte.
Klaus Sarimski macht deutlich, dass eine gemeinsame Erziehung nur dann gerechtfertigt ist, wenn es sich nachweisen lässt, dass integrative Erziehung günstigere Verläufe in der sozialen Entwicklung bringt, ohne dass die Entwicklung in anderen Bereichen vernachlässigt wird. Um dies zu begründen bzw. nachzuweisen, referiert er den aktuellen wissenschaftlichen Stand, den er akribisch zusammengetragen hat.
Behinderte Kinder haben in integrativen Gruppen in der Regel mehr Spielkontakte als in Gruppen nur mit behinderten Kindern, wenngleich das Niveau der sozialen Kompetenz oder die Anzahl der Freundschaften auch unter günstigsten Bedingungen nicht das Niveau nicht-behinderter Kinder erreicht; ihre Fortschritte in anderen Entwicklungsbereichen sind im Durchschnitt mindestens ebenso groß wie in Einrichtungen für behinderte Kinder. Es trifft aber auch zu, dass einige Kinder nicht in geeigneter Weise gefördert werden können, deshalb darf auch der Wechsel in eine sonderpädagogische Einrichtung nicht ausgeschlossen werden; diese haben auch ihre Berechtigung.
Zu Recht wird die Kooperation mit anderen Stellen als Qualitätsmerkmal herausgearbeitet, besonders ausführlich die Zusammenarbeit mit der Frühförderstelle vor Ort. Erstaunlich finde ich, dass bei der ersten Darstellung der Kooperationspartner bei der Frühförderstelle nur die pädagogische Fachkraft gesehen wird und nicht deren Interdisziplinarität, Psychologen und medizinische Therapeuten werden nur dem SPZ und den freien Praxen zugeordnet. Später wird der Psychologe kurz auch einmal im Rahmen der Frühförderung erwähnt.
Insgesamt gefällt mir der sachliche, fachlich kompetente Stil sehr gut, der ohne Ideologisierung auskommt.
Zielgruppe
Pädagogische Fachkräfte in Ausbildung und Praxis.
Fazit
Ein sehr empfehlenswertes Lehrbuch, in dem das notwendige Fachwissen, sachlich und fachlich kompetent dargestellt wird.
Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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