Jörg M. Fegert, Christian Eggers et al. (Hrsg.): Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Rezensiert von Thomas Buchholz, 11.10.2012

Jörg M. Fegert, Christian Eggers, Franz Resch (Hrsg.): Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. Mit 143 Tabellen. Springer Medizin (Heidelberg) 2012. 2., vollst. überarbeitete und aktualisierte Auflage. 1050 Seiten. ISBN 978-3-642-19845-8. 159,95 EUR. CH: 214,50 sFr.
Thema
2004 erschien die erste Auflage des Lehrbuchs „Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters“. In kürzester Zeit hat sich das Buch zu einem Standardwerk der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie entwickelt. Darin beschreiben die Autoren Jörg M. Fegert, Christian Eggers und Franz Resch die häufigsten klinischen Störungsbilder des Kindes- und Jugendalters sowie deren Therapie. Die nun vorliegende 2. Auflage des Lehrbuchs wurde vollständig überarbeitet und mit den neuen Erkenntnissen aus den letzten Jahren ergänzt. Mit der überarbeiteten Auflage reagieren die Autoren auf die rasanten Entwicklungen und Neuerungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Herausgeber, Autorinnen und Autoren
An dem Lehrbuch haben unter der Leitung der Herausgeber mehr als 40 Autorinnen und Autoren mitgewirkt. Die Mehrheit von ihnen sind praktizierende Ärzte, Psychiater und Psychotherapeuten.
Aufbau und Inhalt
Der Band wurde in zwei Abschnitte, einem Allgemeinen und Speziellen Teil und einen Serviceteil untergliedert.
Im ersten Teil werden in insgesamt zehn Beiträgen unterschiedlicher Autoren allgemeine Themenbereiche wie z.B. Entwicklungspsychologie und Entwicklungspsychopathologie des Kindes- und Jugendalters, Grundzüge der Diagnostik, Therapie, Sozialpsychiatrie und Begutachtung und präsentiert. Zur Auflage von 2004 neu hinzugekommen sind die Kapitel
- „Risiko, Vulnerabilität, Resilienz und Prävention“ sowie
- „Evidenzbasierte Medizin (EbM) und lebenslanges Lernen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“.
Der zweite und ungleich größere Teil des Lehrbuches enthält Beiträge zu 21 Störungsbildern des Kindes- und Jugendalters, wie z.B. Angststörungen, Essstörungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Hyperkinetische Störungen und Störungen des Sozialverhaltens. Jedes Kapitel beinhaltet Informationen zu Klassifikation und Symptomatik, Prävalenz, Ausschlussdiagnosen, Verlauf und Prognose, Ätiologie und Therapie. Hierbei räumen die Autoren dem Therapie-Teil den größten Umfang eines jeden Kapitels ein. Vorgestellt werden gängige Therapieverfahren und Therapiemanuale aus verschiedenen Therapieschulen, wie z.B. psychodynamische Ansätze, Ansätze aus der Verhaltenstherapie oder der Familientherapie sowie Pharmakotherapie. Neben den störungsspezifischen Beiträgen haben die Autoren weitere Beiträge zu den Themen
- „Kindesmisshandlung und sexueller Missbrauch“,
- „Infant Psychiatry – frühe Eltern-Kind-Interaktion“ und
- „Kinder- und Jugendpsychiatrische Notfälle“ aufgenommen.
Der dritte und letzte Teil des Lehrbuches (Serviceteil) enthält u.a. eine Übersicht und Verweis auf die Leitlinien zu Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter sowie relevante Gesetzestexte, Anschriften von Fachverbänden und Selbsthilfegruppen, sowie Hinweise zu ausgewählten Medikamente.
Diskussion
Es ist kaum möglich ein Lehrbuch dieses Umfangs in allen Einzelheiten zu diskutieren. Daher sollen im Folgenden auf einzelne Aspekte eingegangen werden.
- Im Störungsspezifischen Teil des Lehrbuches präsentieren die Autoren aktuell gängige Therapieverfahren für die Behandlung der jeweiligen Störung. Sie erläutern Ziele und grundlegende Herangehensweise der störungsspezifischen Therapie. So erhält der Leser einen guten Überblick über die gängigen Verfahren, ihre Wirkungsweise und Erfolgsquoten. Der Leser kann jedoch kein Praxismanual erwarten, in dem Therapieschritte modulartig dargelegt und durch Instruktionen oder Arbeitsblätter ergänzt werden. Wer entsprechende Veröffentlichungen sucht, sei auf die umfangreiche weiterführende Literaturliste am Ende jedes Kapitels hingewiesen. Das vorliegende Lehrbuch ist vielmehr als Überblickswerk zu den häufigsten Störungsbildern und ihre Therapie konzeptioniert.
- Das Lehrbuch wurde schulenübergreifend geschrieben. Die Autoren sind nicht an eine Therapieschule gebunden, sondern präsentieren für jedes Störungsbild die am besten geeigneten Therapieansätze. Damit leistet das Buch einen Beitrag zur Überwindung der strikten Trennung nach und Orientierung an Therapieschulen. Das macht das Lehrbuch für Leser interessant, die den Blick über eine Therapieschule hinaus erweitern möchten und gängige, empirisch erprobte Behandlungsmethoden in ein Gesamtkonzept für die Behandlung integrieren wollen.
- Der Zeitpunkt der Herausgabe ist insoweit kritisch zu sehen, als dass Änderungen in den Klassifikationssystemen DSM und ICD zu erwarten sind. Da Diagnosen nach dem ICD zu erfolgen haben, bleibt abzuwarten, welche Neuerungen sich insbesondere durch die Ablösung des ICD-10 durch das ICD-11 ergeben. Die Autoren berücksichtigen aktuelle Entwicklungen insofern sie diese Ergebnisse aufgreifen und skizzieren: „Die Veränderungen, die ein diagnostisches System in der Zeitspanne bis zur nächsten Revision erfährt, markieren hier wesentliche Einschnitte, die jeweils auch für die zukünftige wissenschaftliche Beschäftigung mit klinischen Phänomenen große Bedeutung hatten“ (S. V). Dennoch können sich im Hinblick auf die im Lehrbuch beschriebenen Störungsbilder hinsichtlich Klassifikation und Symptomatik in Zukunft Veränderungen und Neuerungen ergeben.
Fazit
Die aktuelle Neuauflage des Lehrbuches „Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters“ präsentiert fachlich fundiert und in ansprechend aufbereiteter Weise die wichtigsten Erkenntnisse und den aktuellen Wissensbestand der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Angesichts zu erwartender Veränderungen in Bezug auf die aktuell gültigen Klassifikationssysteme DSM und ICD stellt sich die Frage ob sich der hohe Anschaffungspreis von 159,95 EUR lohnt. Wen dies nicht abschreckt, der erhält ein fulminantes und gut verständliches Lehrbuch, welches die aktuellen Wissensbestände erschöpfend präsentiert und darüber hinaus durch seine klare Gliederung und ansprechendes Layout besticht.
Das Buch richtet sich in erster Linie an Fachärzte und Psychologen, die diagnostisch und therapeutisch in Kliniken oder Praxen arbeiten. Durch die gut verständlichen Texte eignet sich das Lehrbuch auch als Überblickswerk für Fachkräfte anderer, nicht medizinischer oder psychologischer Disziplinen wie Pädagogik, Sozial- und Heilpädagogik. So können z.B. auch Fachkräfte aus Beratungsstellen oder Integrationsfachkräfte an Schulen von dem Werk profitieren.
Rezension von
Thomas Buchholz
M.A.
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Es gibt 19 Rezensionen von Thomas Buchholz.