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Joseph Duss-von Werdt: Einführung in Mediation

Rezensiert von Dipl. Päd. Martin Zauner, 20.04.2012

Cover Joseph Duss-von Werdt: Einführung in Mediation ISBN 978-3-89670-823-6

Joseph Duss-von Werdt: Einführung in Mediation. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2011. 2., überarbeitete Auflage. 118 Seiten. ISBN 978-3-89670-823-6. D: 12,95 EUR, A: 13,40 EUR.
Reihe: Compact.

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Thema

Wenn sich zwei streiten, dann halten sie voneinander … meist wenig. „Was Menschen vom Menschen halten, weist [dabei] zurück auf sie selbst. Bilder des Menschen sind Selbstportraits. Eines davon ist das systemische, an dessen Perspektive und Stil sich diese Schrift hält. Sie beschreibt, dass zwischenmenschliche Bezogenheit … gestaltbar … ist … hebt wechselseitige Zusammenhänge zwischen Menschen hervor, … [und] verbindet sie in ihrer Autonomie miteinander“ (Duss-von Werdt, 2011, S.109).

Wenn zwei sich streiten … dann schlägt vielleicht die Stunde der Mediation – die soll´s richten. Und sie macht das in den verschiedensten Feldern oft recht gut. Mediation, so scheint es, ist ein Erfolgsmodell, das sich aus diesem Grund heraus zunehmender Verbreitung und Akzeptanz erfreut. Natürlich, wen überrascht es, wird auch viel publiziert, mehr oder weniger Lesenswertes. Das Thema interessiert und der Markt gibt's her. Das hier besprochene Buch stellt ein „systemisch-konstruktivistisches Modell“ der Mediation vor und übersetzt dieses für die Praxis von Mediatoren in ihrem Umgang mit jeweils autonomen Konfliktgegnern.

Autor

Da man als Rezensent den Autor ja nicht kennen darf, ist man wie alle anderen auf Quellen angewiesen. Es sei daher gestattet, hier pragmatischer Weise das zu besprechende Buch wörtlich zu zitieren:

Joseph Duss-von Werdt, Jg. 1932, Prof. Dr. phil., Dr. theol.; Ausbildungen in Paar- und Familientherapie sowie Mediation. Gründer und 20 Jahre Leiter des Instituts für Ehe und Familie, Zürich. Forschungen im Bereich Scheidung, Krankheit und Familie, Praxis der Mediation. 1976-1995 Herausgeber der interdisziplinären Zeitschrift Familiendynamik … . Dozententätigkeit an verschiedenen Universitäten. Bis 1997 Titularprofessor für systemische Familientherapie in Freiburg/Schweiz. Seit 1998 Lehrbeauftragter für Mediation … der Fernuniversität Hagen. Lehraufträge in Masterkursen für Mediation … bei der Arge Bildungsmanagement Wien. Bis 2008 assoziiertes Mitglied bei der Schweizerischen Sektion der Europäischen Richtervereinigung für Mediation (GEMME) (Duss-von Werdt, 2011, S.118).

Aufbau und Inhalt

Nichts wiederholt sich wirklich. Damit kann im Grunde auch nichts mit nichts verglichen werden. Veränderungen in Personen, Zeit und Kontexten generieren zwingend Veränderungen in der Situation und der Sicht auf diese. Alles was zu Regelmäßigkeiten gesagt wird, auch zu Mediation, kann somit nur Modell sein, Modellcharakter besitzen. Das ist Ausgangspunkt und Grundlage des vorliegenden Buchs, vor diesem Hintergrund muss der gesamte Inhalt betrachtet und interpretiert werden.

Die „Einführung in Mediation“ orientiert sich an folgender Dreigliedrigkeit:

  1. Sie stellt einerseits Grundannahmen des systemisch-konstruktivistischen Denkens dar,
  2. überträgt diese auf bzw. übersetzt diese für Fragen der praktischen Mediation, und,
  3. klassisch systemisch, verortet diese wiederum in den Kontext, in dem Mediation stattfindet: die ethischen, politischen, gesellschaftlichen Probleme der Zeit.

Kurz zum Inhalt der einzelnen Kapitel:

Kapitel 1: Wörter, Begriffe, Geschichte. Es geht, wenig überraschend, zunächst um Grundsätzliches. Man wird ja nicht selten eher nüchtern in Definitionen, Begrifflichkeiten und Geschichte eines Themas eingeführt. Dabei stellt sich ebenfalls nicht selten das Gefühl ein, dass das, was da eben mit größerem Widerstand erarbeitet wird, wohl nicht ganz so wichtig ist, eher notwendiges Beiwerk, nach dem es dann endlich losgehen mag. Oder aber: man wird unterhaltsam durch genannte Baustelle geleitet, die dann so gar nicht mehr eine solche ist. Wenn Bücher so beginnen gewinnen sie Herzen, die ihnen gewogen bleiben. Das Kapitel „Wörter, Begriffe …“ lässt auf das Kommende freuen.

Kapitel 2: Den Blick „systemisch“ und „konstruktivistisch“ einstellen. Die Konfliktparteien namens vielleicht Herr A und Frau B bilden ein System, das aber „leider“ keinem zweiten gleicht. Herr A und Frau B denken und handeln aufeinander bezogen, intersubjektiv, auf der Grundlage von jeweils aus Erfahrung ge(r/w)onnenen bzw. konstruierten Bildern. Die Bilder, die A von B hat, sind ziemlich sicher nicht die, die C von B hat oder A von C oder D von F. Es ist das Wesen von Bildern, egal ob sie mit feinem Pinselstrich gemalt oder grob skizziert sind, dass sie emotionale Resonanzen provozieren und/oder aus diesen entstehen. Folglich ist Objektivität zwischen Menschen ein Ding der Unmöglichkeit. Die jeweiligen Bilder, Haltungen, Meinungen von Herrn A und Frau B sind subjektive Wirklichkeiten, denen Mediation als jeweils „real“ Geltung verleiht. Die Frage ist nun, wie aus solchen sich oft augenscheinlich gegenseitig ausschließenden Wirklichkeiten eine gemeinsame Wirklichkeit entstehen könnte bzw. wie Unterschiede koordiniert werden könnten.

Kapitel 3: Mediation im Modell. Vor besagter Annahme der Nicht-Objektivierbarkeit zwischenmenschlicher Prozesse unternimmt das Buch ab jetzt doch den Versuch, quasi unterhalb dieser Prämisse zu objektivieren. Im Fokus dieses Kapitels stehen die „System-Rollen“ der am Vermittlungssystem beteiligten Personen in ihrer komplexen Abhängigkeit von vielen anderen Rollen in anderen Lebenskontexten. Die dabei natürlich besondere Fokussierung der Mediatorenrolle zieht sich darüber hinaus, oft implizit, wie ein roter Faden durch das ganze Buch und findet in anderen Kapiteln interessante Ergänzungen.

Kapitel 4: Ein System, das sich und seine Elemente selber erschafft. Es geht um Systeme im Allgemeinen und natürlich um „das Vermittlungssystem“ im Besonderen, das ja antritt, zwischen den Rollenträgern zu vermitteln. Die Grundaussage des Kapitels bringt am besten wieder der Autor auf den Punkt: „Ein soziales System hat seine Basis in der Verbindung autonomer Organismen und Psychismen und entwickelt aus dieser Verbindung heraus seine eigene Autonomie“ (Duss-von Werdt, 2011, S.50). Auch hier ist alles „anders“. Die vom Autor abgeleitete Konsequenz ist eine größtmögliche Unabhängigkeit von irgendwelchen Stallordern, wie sie in Mediatorenköpfen vor dem Hintergrund ihres z.B. Ausbildungs- oder auch Berufskontextes als vielleicht Jurist oder Psychologe bestehen. Zur Orientierung vor so viel Freiheit bietet das Buch jetzt ein gängiges Phasenmodell der Mediation und nimmt strategisch und teils sogar technisch Bezug dazu. Besonders erwähnenswert sind dabei die Ausführungen zum Perspektivwechsel.

Kapitel 5: Das autonome Kommunikationssystem. Eine „Einführung in Mediation“ kommt nicht um das Thema Kommunikation herum. Das Kapitel beschreibt das komplexe Wesen der Kommunikation, ihre Ein- bzw. Mehrdeutigkeit und deren essentielle Bedeutung für soziale Systeme. Sozusagen quer zu dieser Achse wird eine Zeitkoordinate gelegt: die Bedeutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für den Vermittlungsprozess, in dem ja vornehmlich kommuniziert wird. Was hier ein wenig wirr erscheinen mag, ist tatsächlich gut und schlüssig integriert!

Kapitel 6: Verstehen vermitteln. Die zentrale Frage ist, inwieweit Menschen Menschen überhaupt abschließend verstehen können. Erscheint ein Perspektivenwechsel in letzter Konsequenz möglich und wenn „jein“, wie ist ein solcher provozier- bzw. vermittelbar … und welche Rolle spielen dabei der gesunde Menschen- und der Sachverstand?

Kapitel 7: Mediation – Demokratie und „freier“ Markt. Die Mediation verlässt den Glaspalast, das Vermittlungssystem wird in seiner Einbettung in andere, größere Bezugssysteme beleuchtet. Konkret sind das einerseits die „seelenverwandte Demokratie“ und auf der anderen Seite der „freie Markt“. Zwischen diesen – ungeschützt – Antipoden oder gegebenenfalls sogar Antagonisten wird das Spannungsfeld erörtert, in dem sich Mediation faktisch bewegt.

Kapitel 8: Implizites Ethos und explizite Ethik. Die Grundaussage dieses Kapitels ist vielleicht so zu fassen: Ein Spielfeld ist definiert. Es begrenzt ein Spiel nach außen und öffnet nach innen. Es gibt einen expliziten Rahmen vor und ist generell verbindlich für alle, die das Spiel spielen: ein Bild für die „Ethik“ der Mediation. Die Spieler, die alle das selbe Spiel spielen, tun das aber nicht gleich. Sie spielen, vielleicht auf verschiedenen Positionen, mit unterschiedlichen Haltungen und Überzeugungen, ihrem jeweiligen „Ethos“. Es geht noch einmal mehr oder weniger explizit um die Rolle von Mediatoren, darum, wie sie sich aufstellen vor ihren Überzeugungen zu etwa Ehre, Würde, Recht und Macht … aber natürlich, wie gesagt, innerhalb der Grenzen des Spielfeldes!

Diskussion

„… [D]as Schicksal einer Mediation [entscheidet] sich nicht an dieser selbst …, sondern an den Menschen, die bereit sind, daran teilzunehmen, oder die sie ablehnen. Es ist deshalb nicht eine alleinige Frage nach der Qualität der Sache, sondern nach der Einstellung von Menschen. Nicht die Frage, was die Mediation ist, sondern wer sie sind, diese Interessierten und die Teilnehmenden, hat den Vorrang … . Darauf liegt … der Akzent in dieser Einführung in Mediation als System“ (Duss-von Werdt, 2011, 111).Genau das erwartet den Leser. In einer Mediation geht es nicht um „die“ Wahrheit. Es geht um die Koordination „der“ Wahrheiten, die sich jeweils konstruieren vor den individuellen Lebenskontexten der Konfliktparteien. Und da das so ist, beleuchtet das Buch genau dies: Mediation aus einer „systemisch-konstruktivistischen“ Blickrichtung heraus.

Was erwartet man, wenn eine „Einführung in Mediation“ angekündigt ist? Gegebenenfalls schon etwas anderes. Dies(e) ist kein „technisches“ Buch, es geht nicht darum, wie Mediation gemacht wird. Hier wird niemand eingeführt, um nach der Lektüre selbst ausführen zu können. Selbst ein Versuch schließt sich aus. Das hier vorliegende Werk beschreibt, wenn man so will, eine „Philosophie“ der Mediation, das Fundament und den Rahmen. Dem Leser bietet sich eine Fülle von Erklärungswissen, teils überraschend, stets sehr differenziert und „pfiffig“ aufbereitet. Entsprechendes Handlungswissen muss daraus selbst abgeleitet, entwickelt werden, wohl eher weiterentwickelt. Hier wird nichts fertig aufbereitet serviert. Im Grunde kann´s ja auch gar nicht anders sein. Da jede Situation anders ist, ist es jede Mediation auch – das ist der Punkt. Gefragt ist somit bei Mediatoren „Handlungskompetenz“, d.h. die Fähigkeit, in verschiedenen und immer anderen Situationen das jeweils Angemessene tun zu können – und es auch zu tun! Das verlangt viel Reflexions-, also „personale“ Kompetenz (als Bestandteil von Handlungskompetenz), zu deren Schulung das Buch viel beitragen kann.

Diese Einführung ist anders, sie provoziert zum reflexiven und kritischen Mit- und Nachdenken. Und das macht sie geschickt. Da wären zum einen die vielen Informationen und Aspekte, die in großer Dichte und Prägnanz präsentiert werden. Der Leser kommt nicht wirklich zur Ruhe. Einmal geistig abdriften heißt den Faden verlieren. Da wären zweitens die unendlich vielen, mancherorts sicher auch nur rhetorischen offenen Fragen, die zu mehr oder weniger jedem Thema unbeantwortet in den Raum gestellt werden. Der Leser ist so ganz nebenbei ständig aufgefordert selbst nachzudenken, Fragen zu beantworten, vielleicht auch Stellung zu beziehen. Und da wären zum dritten die wohl dosierten, durchaus kontrovers zu diskutierenden kleinen Behauptungen – nicht schillernd aufbereitet, eher nebensächlich angeführt: Löst sie jetzt vornehmlich Probleme, oder doch eher Konflikte?!?

Blickt das gesamte Buch im Grunde aus der „Metaebene“ auf die Mediation, so führt der Autor immer wieder noch eine Ebene höher, wenn man so will in die „Meta-Metaebene“. Er tut das, indem er die gängigen, mehr oder weniger im „mediationsdisziplinären Konsens“ stehenden Qualitätsvariablen aus Metaebene 1 auf ihre uneingeschränkte und ubiquitäre Gültigkeit hinterfragt, sei es die Freiwilligkeit der Teilnahme (s. Mediationsparadoxon), die Wichtigkeit von Grundberufen oder die multidisziplinäre Vielfältigkeit. Bitte richtig verstehen: diese heiligen Kühe werden nicht zur Schlachtbank getrieben, sie werden auf ihre übersituative Gesetztheit geprüft. Es ist gut, über vermeintlich sicheres Wissen immer wieder einmal nachzudenken.

Das Ganze klingt anspruchsvoll? Ist es auch – aber wunderbar präsentiert, im besten Sinne des Wortes: der Autor ist ein Sprachästhet, ein Wortjongleur und -akrobat. Es gelingt ihm, dieses für eine „Einführung“ doch komplizierte Buch einfach und „locker“, mancherorts gar „blumig“ nieder zu schreiben. Schön!

Für wen hat er es aber geschrieben? „Gewidmet denen, die vermitteln, ohne es zu wissen; denen die überlegen, ob sie es wollen; denen, die Mediation anders sehen und sie dadurch bereichern“ (Duss-von Werdt, 2012, 2). Das sind im Grunde alle, die sich interessieren. Dem ist auch nichts hinzu zu fügen. Der Nutzen ist aber wohl unterschiedlich. Für absolute „Newcomer“ in der Mediation erscheint das Werk kompliziert. Es erläutert dargestellte Themenbereiche – sicher interessant und auch nachvollziehbar. Es wird (vom Rezensenten) aber bezweifelt, dass sich tatsächlich bei alleiniger Lektüre erschließt, was Mediation ist und wie sie sich gegebenenfalls abgrenzt. Sobald etwas Kenntnis der Materie vorliegt – das muss nicht viel sein –, darf man sich uneingeschränkt zur potentiellen Leserschaft zählen.

Fazit

„Das ist doch keine Einführung!“ könnte eine erste Reaktion nach der Lektüre dieses blitzgescheiten, überraschenden und „ganz anderen“ Buches sein. „Doch“, könnte man darauf antworten, „sogar eine ganz besondere.“ Hier werden potentiell ganz unterschiedliche Zielpersonen eingeführt, solche, die vielleicht im grundliegenden Wortverständnis eingeführt werden wollen, da sie noch nicht eingeführt sind, und auch solche, die schon gut eingeführt sind: für alle eröffnen sich interessante Inhalte und alle können profitieren.

Das ist kein Buch eines Kritikers oder Skeptikers, sondern eines wie es scheint glühenden Verfechters von Mediation und das macht es wertvoll für die Szene. Der Autor stellt sein Bild von Mediation zur Diskussion, er bezieht vor dem Hintergrund eines höchst humanistischen Weltbildes Stellung. Er bekennt sich hierbei insbesondere zur individuellen Autonomie, hier natürlich vornehmlich auch zu der von Mediatoren – dies als Qualität, System hin oder her. Das Buch zielt auf die Haltung, den „Ethos“. Eine (wenn nicht die) wesentliche Intention ist dabei die Aufforderung an alle Mediierenden zur ständigen reflexiven Auseinandersetzung mit der „personalen Kompetenz“. Eine wichtige Aufgabe und ein wirklich lesenswertes Buch.

Rezension von
Dipl. Päd. Martin Zauner
Dipl.Päd.(univ), Dipl.Sozialpäd.(FH), Mediator (BM), AkadOR an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (Lehrgebiete: Gruppenarbeit, Teamführung /-entwicklung, Mediation, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit)
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Zitiervorschlag
Martin Zauner. Rezension vom 20.04.2012 zu: Joseph Duss-von Werdt: Einführung in Mediation. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2011. 2., überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-89670-823-6. Reihe: Compact. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12712.php, Datum des Zugriffs 12.10.2024.


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