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Ursula Athenstaedt, Dorothee Alfermann: Geschlechterrollen und ihre Folgen

Rezensiert von Dr. Barbara Stiegler, 06.03.2012

Cover Ursula Athenstaedt, Dorothee Alfermann: Geschlechterrollen und ihre Folgen ISBN 978-3-17-020682-3

Ursula Athenstaedt, Dorothee Alfermann: Geschlechterrollen und ihre Folgen. Eine sozialpsychologische Betrachtung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2011. 240 Seiten. ISBN 978-3-17-020682-3. 32,90 EUR.

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Thema

Was ist ein richtiger Mann, – eine richtige Frau? Niemand ist ohne Vorstellungen von den Geschlechtern. Wie diese Vorstellungen aber genauer aussehen, worauf sie sich beziehen und wie sie sich auswirken, darüber gibt es eine Fülle von Erkenntnissen aus der sozialpsychologischen Forschung, die in diesem Buch zusammengetragen und diskutiert werden.

Autorinnen

Ao. Univ.-Prof. Dr. Ursula Athenstaedt ist Professorin für Sozialpsychologie in Graz, Prof. Dr. Dorothee Alfermann ist Professorin für Sportpsychologie in Leipzig

Entstehungshintergrund

Es handelt sich um die zweite Auflage (erste: Alfermann 1996) eines Lehrbuches zur psychologischen Geschlechterforschung

Aufbau

Im ersten der sechs Teile geht es um die Ergebnisse der Forschungen zu Geschlechterstereotypen, zu deren Inhalten, Folgewirkungen und zu den Messmethoden. Der zweite Teil handelt von der Beziehung zwischen dem Selbstbild und der Geschlechtszugehörigkeit, der dritte von Einstellungen gegenüber Geschlechterrollen. Im vierten Teil geht es um die verschiedenen theoretischen Ansätze, mit denen Geschlechterunterschiede im Verhalten erklärt wurden und werden. Der vorletzte Abschnitt beschäftigt sich mit Ergebnissen psychologischer Forschungen, die Unterschiede oder Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern entdeckt haben und in den abschließenden Bemerkungen werden Konsequenzen vor allem für die geschlechtersensible psychologische Forschung gezogen.

Inhalt

Geschlechterstereotype sind persönliche Überzeugungen und Erwartungen, die man zu den typischen Charakteristiken von Männern und Frauen hat. Sie sind interkulturell zwar verschieden ausgeprägt, lassen sich aber in vielen Gesellschaften erheben. Im deutschsprachigen Raum wird den Frauen mehr Wärme, den Männern mehr Kompetenz zugeschrieben, und die Kompetenz, die typisch für Frauen angesehen wird, bezieht sich auf weniger bedeutsame Bereiche. Direkte und indirekte Messungen belegen, dass Stereotypen sehr stark verankert sind und schon früh im Leben erworben werden. Es geht also um grundlegende soziale Wahrnehmungsstrukturen. Umso wichtiger ist es, sie in ihren Funktionen und Wirkungen kritisch zu erfassen: Sie vereinfachen die soziale Wahrnehmung, dienen der Legitimation von Ausgrenzungen und Statusunterschieden, haben aber auch Einfluss auf die Selbstdefinition. Der reale Statusunterschied zwischen den Geschlechtern wird mit Stereotypen verfestigt. Stereotype dienen als Beurteilungsgrundlage und führen dazu, dass Männer und Frauen mit zweierlei Massen gemessen werden. Die Folge z. B.: Frauen bedürfen mehr Nachweise, um dieselben Fähigkeiten wie ein Mann attestiert zu bekommen. Besonders für Führungspositionen gilt immer noch „Think-manager-think-male“ und Frauen in Führungspositionen wird die Eignung eher abgesprochen und sie werden negativer bewertet. Stereotype beeinflussen aber auch das Selbstbild und das Verhalten von Frauen und Männer. Der „Backlash Effekt“ beschreibt die negative Sanktion, die nicht geschlechtstypisches Verhalten nach sich zieht und damit das eigene Verhalten steuert. Die „Stereotypenbedrohung“ bedeutet, dass es zu Leistungsverschlechterungen bei Frauen kommt, wenn das feminine Stereotyp aktiviert wird.

Offenbar ist das geschlechtstypische Selbstkonzept entscheidender für das Verhalten als die bloße Geschlechtszugehörigkeit. Das führt dann zu der Frage nach den Hintergründen von Stereotypen und Geschlechtsrollenerwartungen und der Bedeutung der „Natur des Menschen“ als Mann und Frau. Hier setzen die Autorinnen auf die biosoziale Geschlechtsrollentheorie, nach der es biologische, gesellschaftliche und individuelle Verhaltensdeterminanten gibt. Damit stehen sie den evolutionstheoretischen Erklärungen („Männer und Frauen sind unterschiedlich, weil sie verschiedenen Rollen in der Fortpflanzung haben“) genauso wie den biologistischen Erklärungen („Hormone bestimmen das Verhalten“) kritisch gegenüber.

Viele Studien versuchen, die Unterschiedlichkeiten der Geschlechter zu belegen und können damit zur Legitimation der Stereotypen beitragen. Sie werden in kritischer Weise referiert: insbesondere die Metaanalysen, die vorhandene Studien zu einem Thema prüfen, kommen zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern überschätzt werden und sie nicht den Schluss zulassen, dass es Wesensunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, allenfalls gibt es statistisch feststellbare quantitative Unterschiede in der Ausprägung bestimmter Merkmale. Ob es um das Gesundheitsverhalten, die Erwerbstätigkeit oder das Sozialverhalten von Männern und Frauen geht, immer sind die Unterschiede innerhalb der Gruppe der Männer genauso bedeutsam wie die innerhalb der Gruppe der Frauen, sodass aus Mittelwerten kein Schluss auf eine generelle Unterschiedlichkeit oder gar auf das Merkmal einer einzelnen Person gezogen werden darf. Wenn aber die Geschlechterstereotypen vor allem als Teil des Selbstkonzeptes wirken, stellt sich die praktische (pädagogische) Frage, wie ein solches Konzept beeinflusst werden kann. Dazu geben die Autorinnen vielerlei Anregungen: Bereits die Kinder brauchen eine vielfältige Umgebung, um Rückmeldungen verschiedener, und nicht geschlechtstypischer Art zu bekommen. Dort, wo Geschlechterstereotypen die Gleichstellung behindern, ist die Bewusstmachung über ihre Wirkung ein erster Schritt. Im Sprechen über Geschlechter ist es wichtig, mehr auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen als die Unterschiede zu betonen. Auch eine geschlechtergerechte Sprache fördert die Gleichstellung, weil sie die Sichtbarkeit von Frauen auch in untypischen Zusammenhängen zulässt. Für die weitere Forschung empfehlen sie, einen männlichen Blick abzulegen, das duale Geschlechterkonzept kritisch zu befragen und sich vor allem mit dem „Funktionieren“ von Geschlechterstereotypen und -rollen zu befassen, – anderenfalls könnte auch die Forschung zur Stabilisierung von Geschlechterstereotypen beitragen.

Diskussion

Ziel des Lehrbuches ist es „ einen Einblick in die umfangreiche, psychologisch orientierte Geschlechterforschung zu geben“(S. 185) und dieses Ziel haben die Autorinnen sicher erreicht. In einer wohltuend geschlechtergerechten Sprache bieten sie eine Fundgrube empirischer Erkenntnisse. Manchmal fällt es allerdings schwer, bei den vielen empirischen Untersuchungen und vor allem den dahinter stehenden psychologischen Konstrukten noch den Überblick zu behalten. Die formulierte Absicht, den Stand der „vertrauenswürdigen“ (ebd.) Forschung aufzuzeigen und damit die Menschen mit einem Veränderungswillen zu unterstützen, schimmert in der Darstellung überall durch. Dem widerspricht ein wenig, wenn die berichtete Forschung als wertneutral bezeichnet wird (S. 56) und sich die Autorinnen von jedweder politischen Zielsetzung distanzieren (ebd). Weitaus deutlicher als die Neutralität wird die Grundhaltung der Autorinnen in ihrer Aufbereitung und Kritik des Forschungsstandes: sie möchten mit ihren wissenschaftlichen Instrumentarium zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen, und zeigen, wie Stereotypen und Rollenbilder genau diese Gleichstellung behindern.

Fazit

Wer sich also zu den „veränderungswilligen“ Menschen zählt und etwas aus der Wissenschaft über die Wirkungen von Geschlechterstereotypen wissen möchte, der sollte zu diesem Lehrbuch greifen. Es eignet sich für Studierende aller Fachrichtungen, nicht nur in der Psychologie, denn es bietet einen wissenschaftlich fundierten Überblick und zeigt die Wirkungen von Geschlechterstereotypen in den verschiedensten Zusammenhängen auf.

Es ist der Gegenentwurf zu Bestsellern, die die These belegen wollen, dass „Männer vom Mars, Frauen von der Venus“ sind.

Rezension von
Dr. Barbara Stiegler
Bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung
Friedrich Ebert Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
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Es gibt 46 Rezensionen von Barbara Stiegler.

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Zitiervorschlag
Barbara Stiegler. Rezension vom 06.03.2012 zu: Ursula Athenstaedt, Dorothee Alfermann: Geschlechterrollen und ihre Folgen. Eine sozialpsychologische Betrachtung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2011. ISBN 978-3-17-020682-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12727.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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