Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Corinne Igel: Großeltern in Europa

Rezensiert von Prof. Dr. Jochen Schmerfeld, 13.07.2012

Cover Corinne Igel: Großeltern in Europa ISBN 978-3-531-18599-6

Corinne Igel: Großeltern in Europa. Generationensolidarität im Wohlfahrtsstaat. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2011. 2. Auflage. 190 Seiten. ISBN 978-3-531-18599-6. D: 34,95 EUR, A: 36,00 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Corinne Igel hat Transferleistungen von Großeltern an ihre Enkel untersucht. Sie gibt in ihrer Arbeit einen Überblick über die emotionalen, praktischen und finanziellen Unterstützungsleistungen von Großeltern in elf europäischen Ländern.

Autorin

Corinne Igel war Assistentin von Marc Szydlik am Soziologischen Institut der Universität Zürich und zusammen mit Marc Szydlik Leiterin des Projekts „Großeltern und Enkelkinder“, in dessen Rahmen auch ihre Dissertation entstanden ist, die Grundlage des vorliegenden Buchs ist. Laut Verlagsangaben ist sie Studienleiterin an einem Marktforschungsinstitut in der Schweiz.

Aufbau und Inhalt

Unter der Überschrift „intergenerationelle Solidarität“ werden zunächst in zwei Kapiteln grundsätzliche Überlegungen zum Thema der Studie vorgestellt, bevor Datensatz und Methode präsentiert werden. Anschließend werden die Aspekte „Unterstützungspotentiale, Bedürfnisse und Kultur“, „Enkelbetreuung“ und „Finanzielle Transfers“ anhand der Datenauswertung erläutert.

Großelternschaft und intergenerationelle Solidarität

  • Großelternschaft. Der gesellschaftlich-kulturelle Wandel der Großelternschaft sei erst ab den 1990er Jahren von der Soziologie erforscht worden, wobei sie zunehmend auch in der Forschung als ein aktiver, nicht von disengagement geprägter Lebensabschnitt verstanden werde. Großeltern übernähmen dementsprechend wichtige Funktionen im sozialen Netzwerk der Familie und unterstützten in vielfältiger Form. Diskutiert werden Aspekte der Veränderung von Großelternfunktionen im Zuge des Aufwachsens der Enkel, geschlechtsspezifische Unterschiede, verschiedene großelterliche Beziehungsstile sowie evolutionsbiologische Aspekte der Großeltern-Enkel-Beziehung.
  • Intergenerationelle Solidarität. Der Generationenbegriff wird in diesem familiensoziologischen Zusammenhang genealogisch verstanden und in Hinblick auf seine verschiedenen Dimensionen, auf den Bezug zum Lebenslauf, sowie auf die Ambivalenzen der intergenerationellen Beziehungen diskutiert und schließlich in eine Dreigenerationenperspektive (Großeltern, Eltern, Kinder) gestellt. Es werden Motive und Bedingungen intergenerationeller Solidarität beschrieben und abschließend der Forschungsstand dargestellt.

Kulturell-kontextuelle Strukturen und intergenerationelle Solidarität. In Hinblick auf die empirische Analyse werden drei Ebenen kulturell-kontextueller Strukturen unterschieden: wohlfahrtstaatliche Arrangements, marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen und kulturelle Normen und Werte. In diesem Kapitel werden u.a. die länderspezifischen Unterschiede in der Familienpolitik ausführlich dargestellt, wobei sich die Autorin der Typisierung von Esping-Andersen bedient und sozialdemokratische (skandinavische Länder), konservative (u.a. Deutschland und Frankreich), liberale (Schweiz) und südeuropäische wohlfahrtstaatliche Regimes unterscheidet.

Datensatz und Methoden. Der Datensatz entstammt der Studie SHARE (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe), die zuerst 2004 als repräsentative Befragung der Bevölkerung im Alter 50+ in 11 europäischen Ländern und in einer zweiten Befragungswelle von Herbst 2006 bis Frühjahr 2007 mit über 30.000 Befragten in insgesamt 14 europäischen Ländern und Israel durchgeführt wurde. Ausgewählt wurden aus diesem sehr umfangreichen Datensatz für die vorliegende Untersuchung die Dimensionen: Enkelbetreuung, finanzielle Transfers an Enkelkinder sowie eine Reihe von unabhängigen Variablen (wie Alter, Gesundheitszustand, Bildung, Einkommen, …). Zur Erfassung der kulturell-kontextuellen Strukturen wurden überwiegend Statistiken der OECD benutzt. Zur Auswertung wurde ein Mehrebenenmodell angewendet: Großeltern-Enkel-Dyaden auf der ersten, Personen auf der zweiten, Haushalte auf der dritten und Länder auf der vierten Ebene.

Ergebnisse. Die Ergebnisse werden unter drei Themenbereichen zusammengefasst: „Unterstützungspotentiale, Bedürfnisse und Kultur“, „Enkelbetreuung“ und „finanzielle Transfers“.

  • Unterstützungspotentiale, Bedürfnisse und Kultur. Hier zeigten sich große Unterschiede zwischen südeuropäischen und nord- bzw. mitteleuropäischen Ländern: „Grundsätzlich hat sich demnach gezeigt, dass im Süden Europas zwar weniger individuelle Ressourcen vorhanden sind (z.B. Bildung und Haushaltsauskommen), dass aber gleichzeitig südeuropäische gegenüber nord- und mitteleuropäischen Großeltern stärkere kulturelle Voraussetzungen für die Leistung familialer Leistungen aufweisen.“ (S.109) Die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkeln seien demnach in Südeuropa stärker bedürfnisgeleitet, was auch im Zusammenhang mit dem gegenüber dem Norden geringeren Grad der Defamilisierung gesehen werden könne.
  • Enkelbetreuung. Die empirischen Analysen hätten gezeigt, dass Enkelbetreuung eine häufige Hilfeleistung von Großeltern für ihre Enkel sei. Die Intensität der Betreuung sei aber abhängig von wohlfahrtsstaatlichen Strukturen in dem Sinne, dass sie in Staaten mit hohen Familienausgaben und gut ausgebauten Betreuunginstitutionen weniger intensiv sei (ein Modell, dass die Autorin zu präferieren scheint): „Intensive Enkelbetreuung geht einher mit einer hohen Belastung der Großeltern. Die Kombination von staatlicher und privater Kinderbetreuung reduziert Überbelastungsrisiken der älteren Generation, indem sie es ermöglicht, dass Großeltern sporadische Betreuung leisten, während der Staat regelmäßige zeitintensive Betreuungsaufgaben übernimmt.“ (S.142)
  • Finanzielle Transfers. Die finanziellen Transfers von Großeltern an Enkel seien geringer als an Kinder und flössen vor allem an Familienfesten, was darauf hinweise, dass sie weniger bedürfnisorientiert erfolgten als in ritueller Form. Wiederum gäbe es hier Unterschiede zwischen nord- und südeuropäischen Ländern: im Süden würden insgesamt weniger Transfers geleistet, diese aber gleichmäßiger zwischen Enkeln und Kindern verteilt als im Norden, wo die Transfers an Kinder bevorzugt würden.

Zielgruppen

Das Buch ist interessant für an Familiensoziologie sowie an Gerontologie und intergenerationellen Beziehungen interessierte Leser.

Diskussion

Das Thema intergenerationeller Beziehungen aus einer empirischen Perspektive betrachtet bietet wenig neue Erkenntnisse und weiterführende Perspektiven, vielmehr werden wie so oft bei empirisch-quantitativen Analysen Erwartungen bestätigt (wie die Unterschieden zwischen Nord- und Südeuropa), dennoch regt das Buch auch zum Nachdenken an: sowohl die familienpolitisch bedeutsamen Ergebnisse: z.B. dass staatliche Institutionen und großelterliche Transferleistungen sich sinnvoll ergänzen können, wie das familiensoziologisch interessante Bild intergenerationeller Beziehungen in Europa sind dazu angetan.

Fazit

Corinne Igels Arbeit ist eine methodisch solide und sowohl zur Diskussion wie zum Nachdenken anregende Studie, die sowohl sozial- und familienpolitisch wie familiensoziologisch wichtige Ergebnisse präsentiert, die auch für die Gerontologie interessant sein können.

Rezension von
Prof. Dr. Jochen Schmerfeld
Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg

Es gibt 21 Rezensionen von Jochen Schmerfeld.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245