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Klaus Weber (Hrsg.): Sucht

Rezensiert von Prof. Dr. Gundula Barsch, 05.09.2012

Cover Klaus Weber (Hrsg.): Sucht ISBN 978-3-86754-806-9

Klaus Weber (Hrsg.): Sucht. Argument Verlag (Hamburg) 2011. 193 Seiten. ISBN 978-3-86754-806-9. D: 9,90 EUR, A: 10,20 EUR, CH: 17,50 sFr.
Reihe: Texte kritische Psychologie - 2.

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Thema und Entstehungshintergrund

Sucht ist ein alter Begriff, der in seiner langen Geschichte bereits viele Deutungen durchlaufen hat. Heute wird mit ihm eine Bündelung physischer, psychischer und sozialer Phänomene bezeichnet, die in unserer Kultur als Krankheit oder zumindest als krankheitswertig verstanden wird, für die dringlich medizinisch-therapeutische Hilfe angezeigt ist und die mit weitreichenden Konsequenzen für den Suchtkranken einhergeht. Bis dahin gibt es in der Regel Einigkeit unter den sehr verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die sich aus ihrer jeweiligen Sicht mit dieser Erscheinungsweise im Handeln von Menschen beschäftigen. Die detaillierte Ausdeutung von „Sucht“ oder, wie in Expertenkreisen moderner formuliert, von „Abhängigkeit“ könnte jedoch nicht gegenteiliger sein. Biomedizinische Forschungen suchen seit Jahren und in verschiedenen Bereichen nach den materiellen Entitäten in Form von Genen und Hirnarealen, die das schier unerklärliche Handeln Süchtiger begründen könnten. Die klassische Psychologie hat längst einen Wust an Charakteristika einer kranken Seele vorgelegt, mit der das unverständliche Handeln nachvollziehbar werden soll; Soziologische Theorien steuern diesen Erklärungen verschiedenste gesellschaftliche Verursachungen bei. Seit der Jahrtausendwende mehren sich jedoch auch die kritischen Einwände gegen diese Interpretationen, die mehr oder weniger radikal n in Frage stellen, ob die immer wieder auffindbaren leidvollen Lebensmuster von Süchtigen mit dem Krankheitsmodell überhaupt richtig verstanden und mit Therapie und medizinischer Behandlung tatsächlich passende Formen von Hilfe und Unterstützung gefunden sind. Der vorliegende Reader ordnet sich in diese Debatten mit Texten ein, die aus der Denkschule der kritischen Psychologie stammen.

Aufbau und Inhalt

An dem, bescheiden im Pocket-Format daherkommendem Büchlein haben sieben Wissenschaftler mitgearbeitet, deren Hauptarbeitsgebiet nicht in jedem Fall die Auseinandersetzung mit „Suchttherapie“ oder „Suchtprävention“ ist. Allen gemeinsam ist aber, dass sie sich alle ausdrücklich als Kritische Psychologen verstehen, sich deshalb mehr oder weniger stringent an den theoretischen Grundlegungen von Klaus Osterkamp entlang bewegen und den von ihm entworfenen Subjektbegriff und die skizzierte Form der Vermittlung zwischen Sein und Bewusstsein auf die Debatten um Sucht übertragen.

Schlösser beschäftigt sich mit dem, was noch vor einigen Jahren in der Suchtkrankenbehandlung als „Rückfall“ dramatisiert wurde und regelmäßig zum Abbruch jeder therapeutischen Hilfe geführt hat. Er zeigt dabei nicht nur die Antagonismen auf, die ein solcher Umgang mit einem Rezidiv hat, wenn man das Krankheitsmodell zur Grundlage seines Verständnisses macht. Die heute durchgesetzte Praxis, „mit dem Rückfall zu arbeiten“ wird von ihm zugleich enttarnt als ein Ansatz, der dem ökonomischen Druck geschuldet ist, der heute auf vielen stationären Einrichtungen lastet. In seinem zweiten Buchbeitrag stellt Schlösser die historischen Ursprünge dar, warum Suchtkranke nicht, wie naheliegend, im System der psychiatrischen Versorgung behandelt werden, sondern sich ein separates Suchtkrankensystem mit völlig unterschiedlichen Werten und Normen herausgebildet hat – eine Entwicklung, die heute zu einer extremen versorgungspolitischen Benachteiligung von Suchtkranken geführt hat, weil diese nicht von den Entwicklungen einer Gemeindepsychiatrie profitieren konnten, sondern bis heute regelmäßig an dysfunktionalen Kommstrukturen scheitern müssen.

Braun und Gekeler stellen ihrem eigentlichen Thema zunächst eine Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden voran und führen dabei das Basiswissen ein, dass aus dem Einzelnen zwar Allgemeines geschlussfolgert werden kann, aber das Allgemeine nicht für Begründungen des Einzelnen taugt. So selbstverständlich diese Anmerkungen scheinen, so wichtig sind sie heute, da die quantitative Forschung oft unreflektiert zum „Gold Standard“ erhoben und insbesondere in der Therapieforschung vorschnell zur Prognose des Einzelfalls missbraucht wird. Sodann werden die Begriffe Drogenkonsum, Drogenabhängigkeit und Formen des gebrochenen Realitätsbezugs entlang „süchtiger“ Lebensformen subjektorientiert dargestellt, d. h. vor dem Hintergrund eines profunden Wissens um die sozialen Determinanten, in die sich exzessiv Konsumierende hineinmanövrieren, wird nachvollziehbar dargestellt, dass es keine Drogenmystik braucht, um die Logik hinter den so schwer aufzulösenden Verstrickungen in Drogenkonsum und Drogenszene nachzuvollziehen. Verstanden werden kann dadurch, dass es nicht ein soundso geartetes Schritte-Programm ist, was tatsächlich zu einem Ausweg in auswegloser Lage führen kann, sondern dass es eine Form der Hilfe und Unterstützung braucht, die in den frühen Selbsthilfeinitiativen auf den Slogan gebracht wurde: „Das Leben neu leben lernen“.

Wulff steuert dem Reader einen Text aus dem Jahre 1995 bei, in dem er in 14 Thesen sein Verständnis von Sucht und, süchtigen Gratifikationen festhält und diese in verursachende oder auch perpetuierende gesellschaftliche Bezüge stellt.

Vandreier setzt sich in seinem ersten Buchbeitrag mit der Entwicklung der von ihm so genannten „akzeptanzorientierten Drogenarbeit“ auseinander und wirft dieser vor, dass sie sich nach der Phase von Pioniergeist und Aufbruch, in der es immer auch um Gesellschafts- und Drogenpolitik ging, nunmehr etabliert hat und sich selbst auf ihre, von der Gesellschaft zugewiesene Rolle als Hilfeinstitution für Suchtkranke zurückgezogen hat. Folgerichtig würde sie kaum noch drogenpolitisch agieren, sondern durch den Dschungel von Therapieverfahren und -methoden pirschen, um den Dreh zu finden, an dem nachzustellen ist, damit der zu behandelnde Suchtkranke die ihm verordnete Therapie absolviert und allen Kriterien von Erfolg gerecht wird.

In dem nachfolgenden zweiten Beitrag skizziert Vandreier Ideen zu eine subjektorientierten Drogenhilfe, die nicht nur die Interessen und Bedürfnisse der Klienten ernst nimmt, sondern auch bereit ist, die gesellschaftliche Verursachung des „süchtigen“ Handelns in den Blick zu nehmen. Mit einer solchen Grundlegung müsste sich die Institution Drogenhilfe jedoch für fast alle Politikfelder dieser Gesellschaft engagieren oder, wie sie es in Metropolen schon tut, für ihre Klienten einen kompletten Schutzrahmen innerhalb Gesellschaft schaffen und damit die schon beobachtbare Ghettoisierung der Drogenhilfe noch konsequenter durchsetzen – eine Entwicklung, die auch nicht wünschenswert ist. Hierzu ist noch weiteres Nachdenken gefordert.

Sanin schließlich unterzieht die heute praktizierte Suchtprävention einer Radikalkritik und zeichnet dafür die normierende und disziplinierende Funktion dieses Bereiches nach. Indem er jedoch auch Ansätzen, die auf eine Selbstermächtigung durch Fördern, Lernen und Befähigen eine deutliche Abfuhr erteilt, lässt er seine Leser ratlos zurück, die zumindest einen Ausblick erwarten, ob er sich diesen Bereich als völlig unsinnig und deshalb abgeschafft vorstellt und welche Instanzen oder Bereiche statt dessen ein Hineinsozialisieren in die jeweiligen Drogenkulturen begleiten sollten.

Der Band wird durch Weber abgeschlossen, der nochmals die vielfach skizzierten sozialen Stereotype von Süchtigen aufgreift und deren Absurdität darstellt.

Fazit

Das Buch ist mit Recht im Pocket-Format herausgegeben, weil es auf diese Weise in jede Hand- oder Hosentasche passt und immer mal wieder gelesen werden kann, wenn man sich in der Übermacht der gegenwärtigen Denkweisen zu Abhängigkeit verfangen glaubt oder ratlos angesichts der immer neu aufkommenden Süchten ist, die als Teufelszeug eindrücklich medial inszeniert daher kommen und manchmal zweifeln lässt, ob man seinem geschulten Verstand denn dieses Mal auch glauben darf.

Rezension von
Prof. Dr. Gundula Barsch
Hochschule Merseburg
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Es gibt 23 Rezensionen von Gundula Barsch.

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Zitiervorschlag
Gundula Barsch. Rezension vom 05.09.2012 zu: Klaus Weber (Hrsg.): Sucht. Argument Verlag (Hamburg) 2011. ISBN 978-3-86754-806-9. Reihe: Texte kritische Psychologie - 2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12849.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.


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