Katrin Falk, Josefine Heusinger et al.: Arm, alt, pflegebedürftig
Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 06.02.2012

Katrin Falk, Josefine Heusinger, Kerstin Kammerer, Meggi Khan-Zvornicanin, Susanne Kümpers, Michael Zander: Arm, alt, pflegebedürftig. Selbstbestimmungs- und Teilhabechancen im benachteiligten Quartier. edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft (Berlin) 2011. 151 Seiten. ISBN 978-3-89404-254-7. 12,90 EUR.
Thema
Die Alltagsrealitäten von sozial benachteiligten, pflegebedürftigen alten Menschen stehen im Mittelpunkt dieser Fallstudie. Im Kern steht die Frage, wie die betroffenen Personen ihre Alltagssituationen bewältigen, wie ihr Bedingungsgefüge aussieht in Bezug auf Unterstützungsmöglichkeiten zu mehr Selbstbestimmung und zur aktiven Teilhabe an sozialräumlichen Ressourcen.
Diese grundsätzliche Problematik zeigt sich an vielen Stellen, u.a. am Nutzungsverhalten von alltagsbezogenen und sozialen Angeboten sowie von gesundheitsbezogenen Institutionen. Sie ist unabhängig vom Wohnort sowohl im ländlichen Raum als auch in Großstädten anzutreffen.
Die vorliegende Studie geht dieser Problematik theoriebasiert nach und stellt ausgewählte Ergebnisse vor aus dem Berliner Stadtteil Moabit. Die Studie wurde gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
Autorinnen und Autor
Katrin Falk, M.A. ist Soziologin und Politologin, forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) zu Versorgungsforschung, Sozialraumanalyse, Gerontologie und Pflegepolitik.
Dr. Josefine Heusinger ist Diplomsoziologin am Institut für Gerontologische Forschung e. V. in Berlin (IGF) und Hochschullehrerin für Soziale Arbeit an der HS Magdeburg-Stendal. Ihre Forschungsthemen sind u.a. soziale Ungleichheit, Versorgungsforschung, Milieutheorie.
Dr. Kerstin Kammerer ist Diplompsychologin und arbeitet am Institut für Gerontologische Forschung e. V. in Berlin (IGF). Ihre Forschungsthemen sind u. a. qualitative und quantitative Methoden der Gesundheitsforschung, Gesundheitspsychologie und Biografieforschung.
Dr. Susanne Kümpers ist Erziehungs- und Gesundheitswissenschaftlerin, Koordinatorin des Forschungsbereichs „Alter, Ungleichheit und Gesundheit" der Forschungsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Ihre Forschungsthemen sind u.a. Alter und gesundheitliche Ungleichheit, Prävention und Pflege, Gesundheit, Sozialraum und Zivilgesellschaft.
Meggi Khan-Zvornicanin ist Erziehungs- und Gesundheitswissenschaftlerin, Gastwissenschaftlerin der Forschungsgruppe Public Health am WZB zu Themen wie pflegerische Versorgung im Kontext von Autonomie, Alter, soziale Ungleichheit und Migrationsbiographien.
Michael Zander ist Diplompsychologe und Mitarbeiter am IGF. Seine Forschungsthemen sind soziale Ungleichheit und Autonomie in der Pflege.
Aufbau und Entstehungshintergrund
Der gut 150-seitige Band ist in 8 Kapitel gegliedert.
In der Einleitung wird auf die Problematik von Armut im Alter, u.a. anhand der Verknüpfung von Armut mit Pflegebedürftigkeit aufmerksam gemacht.
Im zweiten Kapitel wird die Empirische und theoretische Verortung vorgestellt. Sozial bedingte Ungleichheit basiert i.d.R. auf Vorgeschichten von ungleichen Lebens- und Gesundheitschancen, Mehrfacherkrankungen sowie sozialen und genderspezifischen Faktoren in der Lebenswelt. Zum theoriegestützten Verständnis sozialer Benachteiligung wird u.a. auf den milieutheoretischen Ansatz nach Bourdieu (Milieu, Kapital, Habitus) Bezug genommen.
Bei den Methoden im dritten Kapitel wird die Vorgehensweise beim Zugang zum Feld und bei der Auswertung dargelegt. Gegenstand der Studie waren Interviews mit haupt- und ehrenamtlichen AkteurInnen im Feld, Notizen aus Gesprächen und Beobachtungen sowie Interviews mit pflegebedürftigen Personen.
Im vierten Kapitel erfolgt eine Beschreibung des Untersuchungsgebietes Berlin-Moabit anhand von Auszügen aus der Stadtgeografie und Informationen über die Infrastruktur.
Das fünfte und sechste Kapitel stellt die Ergebnisse der Studie vor. Unter Alltag mit Pflegebedarf in Moabit erläutern die AutorInnen ihre Befunde zu den Themen Multimorbidität und Unterstützungsbedarfe, pflegebezogene Versorgung, hauswirtschaftliche Aspekte und Einkauf, Mobilität, Geselligkeit und Teilhabe sowie ärztliche Versorgung. Im Fokus der Ergebnisdarstellung stehen hierbei konkrete Elemente des Autonomieerhaltes und der sozialen Teilhabe der AkteurInnen mit Bezug auf die zuvor erläuterten unterschiedlichen Milieus.
Mit dem sechsten Kapitel Lokale Akteurskonfiguration und kollektives soziales Kapital als Ressourcen und Barrieren für den Autonomieerhalt werden die Ergebnisse auf bereitet in Anlehnung an das zuvor erläuterte Modell des sozialen Kapitals.
Das siebte Kapitel erläutert Milieuspezifische Strategien für Selbstbestimmung. Hier wird ein erstes Resümee gezogen bezüglich der im empirischen Teil identifizierten Barrieren und Ressourcen.
Das Buch schließt mit dem achten Kapitel Zusammenfassung und Fazit.
Zielgruppen
Das Buch kann vor allem einschlägig bewanderten Personen empfohlen werden mit Interesse an und guten Vorkenntnissen bezüglich der Problematik sozialer Ungleichheit und Versorgungsforschung. Wertvoll ist es weiterhin für Studierende, die sich z.B. im Rahmen einer Qualifizierungs- oder Forschungsarbeit mit diesem Themenkomplex befassen. Der Band ist niveauvoll und insgesamt gut lesbar geschrieben.
Diskussion
Insgesamt ist das Buch sehr gelungen und gibt gute, differenzierte Einblicke in die Versorgungssituation und Bedarfslagen der Betroffenen in Berlin-Moabit. Aufgrund der soliden theoretischen Fundierung und der gelungenen Verknüpfung mit der Anlage und den Ergebnissen des empirischen Teils bietet die Studie eine fundierte Auseinandersetzung und innovative, nachvollziehbare Einblicke in die Versorgungslage von Betroffenen im Quartier. Die Ergebnisse zum Ausleuchten, zur Passung und zu Interventionen bei sozialer Ungleichheit in Verbindung mit Alter und Pflegebedürftigkeit sind als exemplarisch und somit übertragbar zu betrachten. Vor allem die zentralen Elemente der Ressourcen, des gender-Bezugs und des Autonomieerhaltes werden in besonderer Weise gewürdigt. Beispielhaft gut gelungen sind die Ausführungen zu den Barrieren im Versorgungssystem (u.a. Einstufung in die Pflegeversicherung, Autonomie vs. Abhängigkeit). Deutlich wird ebenfalls das nicht auflösbare Spannungsfeld, in dem die professionellen Pflegedienste arbeiten müssen und aus dem es keinen einfachen Ausweg gibt. Wer ermutigen und befähigen will (Beispiele körperliche und sozialräumliche Mobilität S.79 ff , Geselligkeit und soziale Teilhabe S. 92 ff.), braucht hierfür neben einschlägigen Kompetenzen auch adäquate arbeitsbezogene Rahmenbedingungen, die oft nicht gegeben sind.
Leider enthält die Studie keine biografischen Angaben zu den AutorInnen.
Fazit
Wer sich für das Thema soziale Ungleichheit und Pflegebedürftigkeit interessiert und dabei insbesondere vertiefte Ergebnisse und mögliche professionsbezogene Interventionen zur Kompensation sozialer Benachteiligung und ihrer Folgen kennen lernen will, dem sei diese Studie sehr empfohlen. Die Ergebnisse und Diskussionslinien zeigen auf, dass es auf kommunaler bzw. quartiersbezogener Ebene noch viel zu tun gibt zur professionell gestützten Wahrnehmung und Unterstützung von Betroffenen im Wohnumfeld auf dem Weg zu mehr Partizipation und Autonomie.
Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
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