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Siegfried Schumann: Individuelles Verhalten

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.05.2012

Cover Siegfried Schumann: Individuelles Verhalten ISBN 978-3-89974-762-1

Siegfried Schumann: Individuelles Verhalten. Möglichkeiten der Erforschung durch Einstellungen, Werte und Persönlichkeit. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2012. 383 Seiten. ISBN 978-3-89974-762-1. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR.
Reihe: Politikwissenschaft. Wochenschau Studium.

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Menschliches Verhalten: Ein weites Feld

Was ist der Mensch? Ist er ein zôon politikon, ein politisches Lebewesen, das, wie Aristoteles ausgedrückt hat, in der Lage und fähig ist, seinen Verstand zu gebrauchen und ein „gutes (humanes) Leben“ zu führen? (vgl. dazu: Antonio Damasio, Selbst ist der Mensch. Körper, Geist und die Entstehung des menschlichen Bewusstseins, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/13124.php).Oder ist der Mensch eine „neuronale Maschine“, die abhängig ist davon, wie die Neuronen des Gehirns das Verhalten steuern? ( vgl. dazu: David Eagleman, Inkognito. Die geheimen Eigenleben unseres Gehirns, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13120.php; sowie: Ulrich Salaschek, Der Mensch als neuronale Maschine? Zum Einfluss bildgebender Verfahren der Hirnforschung auf erziehungswissenschaftliche Diskurse, Bielefeld 2012, 224 S.).

Bei der Frage nach dem individuellen menschlichen Verhalten bedarf es einer Grenzziehung: Steht damit das anthropologisch-sozialwissenschaftliche Interesse im Vordergrund (vgl. dazu: Bernhard Rathmayr, Selbstzwang und Selbstverwirklichung. Bausteine zu einer historischen Anthropologie der abendländischen Menschen, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11820.php), und wird die Komplexität des Vertrauens untersucht (Martin Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12878.php), oder geht es um die empirische Nachschau darüber, wie Verhalten zu erklären ist. Dabei sind sozialwissenschaftliche Fragestellungen über politische, ökonomische und ökologische Einstellungen und Verhaltensmuster (vgl. Dirk Lange / Sebastian Fischer, Hrsg., Politik und Wirtschaft im Bürgerbewusstsein, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11226.php) genau so bedeutsam wie Aspekte des Konsumverhaltens (Claus Tully / Wolfgang Krug, Konsum im Jugendalter, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11517.php) und die Verquerungen und Verirrungen, wie in der „Täuschgesellschaft“ Vertrauen missbraucht wird (Tilmann Moser, Geld, Gier & Betrug, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13080.php).

Entstehungshintergrund und Autor

In der empirischen Einstellungs-, Werte- und Persönlichkeitsforschung steht die Frage auf der Agenda, wie individuelles Verhalten erklärt werden kann. Insbesondere in der Persönlichkeitspsychologie ist bedeutsam, mit welchem Ansatz (Menschenbild) menschliches Verhalten analysiert wird. Es geht letztlich um die Frage, wie Verhalten ist und gemacht ist, welche inneren Einstellungen und äußeren Einflüsse auf menschliches Verhalten wirken.

Der Politikwissenschaftler am Institut für Politikwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, Siegfried Schumann, legt ein (Lehr-)Buch vor, in dem er, aus der Sicht der Sozialwissenschaften, die wichtigsten Theoriebildungen und Methoden der Persönlichkeits-, Werte- und Einstellungsforschung in Grundzügen beschreibt und an Forschungsbeispielen und -ergebnissen die theoretischen und praktischen Unterschiede verdeutlicht.

Aufbau und Inhalt

Der Autor gliedert das Buch in sieben Kapitel und schließt es mit einem Überblick und Ausblick auf die aktuelle Forschung ab.

Im ersten Kapitel werden „wichtige Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie“ genannt und diskutiert: Das psychoanalytische, das behavoristische, das Eigenschaftsparadigma, faktorenanalytische Ansätze in der Persönlichkeitspsychologie, das Informationsverarbeitungsparadigma, das dynamisch-interaktionistische und das humanistische Paradigma. Während sich die einzelnen Paradigmen in teilweise grundlegenden Sichtweisen über Persönlichkeitsbild und -prozess unterscheiden, besteht bei den meisten Theorien Einigkeit darin, dass menschliches Verhalten eine Funktion der Person und der Umwelt ist. Bei den jeweiligen Rück- und Hinführungen der den einzelnen Theoriebildungen zugeordneten Annahmen analysiert der Autor die Möglichkeiten, wie sie für Forschungen bedeutsam werden können, stellt die Vor- und Nachteile heraus und zeigt an Beispielen deren Relevanz auf. Dazu gehört sowohl das Modell der fünf Persönlichkeitsfaktoren („Big Five“: Emotionale Stabilität/Labilität = Neurotizismus; Extraversion; Offenheit für Erfahrungen; Verträglichkeit; Gewissenhaftigkeit), als auch Annahmen von der „Integrität der individuellen Persönlichkeit, an bewusster Erfahrung und am Entwicklungspotential“, wie sie sich als Zusammenspiel der Kräfte im humanistischen Paradigma ergeben.

Im zweiten Kapitel wird „Verhaltenserklärung durch Einstellungen“ verdeutlicht. Dabei wird von drei Einstellungsdimensionen ausgegangen: affektiv, kognitiv und konativ, es werden verschiedene Definitionen dazu geliefert, und es werden Modelle vorgestellt, wie die unterschiedlichen Einflussvariablen sich auf (politisches) Verhalten auswirken.

„Verhaltenserklärung durch Werthaltungen“ wird im dritten Kapitel thematisiert. In der Werteforschung wird davon ausgegangen, dass unserem täglichen Denken und Handeln Wertedimensionen zugrunde liegen, die in einer kulturellen Gruppe so etwas wie gemeinsame, meist nicht mehr in Frage gestellte individuelle Werteorientierungen bilden und mehr sind als Einstellungen oder gar (Vor-)Urteile. Für die Forschungsarbeit werden verschiedene Modelle vorgestellt und auf ihre Aussagekraft für die Ermittlung von Werthaltungen überprüft: Der Ansatz von Rokeach, der Wertprioritäten misst; der postmaterialistische Ansatz von Ingelhart, der den Schwerpunkt auf die Ermittlung und Wirkung von Wertewandel; ebenso der Ansatz von Klages, der den Wertewandel als zeitlich eng begrenztes Phänomen betrachtet; der Ansatz von Schwarz, der dem Erlernen und Erwerben von Werten und den Zielsetzungen von menschlichen Handlungen ein großes Gewicht beimisst; der Ansatz von Renner, der das lexikalische Konzept („Big Five“) auf die Werteforschung überträgt und damit insbesondere die Ansprüche auf internationale Vergleiche und interkulturelle Analysen zu erfüllen vermag.

Weil empirische, sozialwissenschaftliche Forschung immer auch Wert darauf legen muss, mit welchen Theoriebildungen und Methoden relevante Daten entstehen und für die Interpretation und Analyse zur Verfügung stehen, widmet der Autor mit „Entstehung der Daten“ das vierte Kapitel. Die dabei diskutierten Methoden zur Messung und Beantwortung von Forschungsfragen erhalten mit ausgewählten Beispielen für Methodeneffekte eine sehr praktische Bedeutung für empirische Arbeiten; und sie weisen hin auf die Gefahren, die sich durch Verzerrungen, Falschinterpretationen und aggregierte Messwerte ergeben.

Im fünften Kapitel geht Siegfried Schumann auf das „tägliche Brot“ beim sozialwissenschaftlichen Arbeiten ein, der „Prüfung von Kausalhypothesen“. Dabei zeigt er an zahlreichen Beispielen und Hypothesebildungen die Unterschiede bei den Annahmen auf, die sich etwa als korrelative Zusammenhänge darstellen. Die Verifizierung oder Falsifizierung von Annahmenaber erfordern eine Überprüfung, die durch die Regressionsanalyse, die Faktorenanalyse oder die Pfadanalyse möglich wird; oder sich auch, je nach Forschungsfrage, mit experimentellen und nichtexperimentellen Forschungsdesigns durchführen lassen. Obwohl sich „Kausalität“ im strengen Sinne nicht nachweisen lasse, gebe es doch Methoden, die eine annäherungsweise Annahme rechtfertige.

Mit dem sechsten Kapitel verdeutlicht nun der Autor mit dem Praxis-(Forschungs-)Beispiel „Autoritarismusforschung“ und im siebten mit „Wahlforschung“, die unterschiedlichen Zugangsformen und Wirkungen, wie sie sich in den dargestellten Paradigmen der Persönlichkeitsforschung darstellen und mit den unterschiedlichen Annahmen und Menschenbildern zeigen.

Fazit

Mit dem (Lehr-)Buch „Individuelles Verhalten“ stellt Siegfried Schumann verschiedene Forschungsansätze, Modelle und Methoden vor, wie eine sozialwissenschaftliche Erforschung von Einstellungen, Werten und Persönlichkeiten möglich ist. Weil eine der wichtigsten Ziele der Persönlichkeitspsychologie die Erklärung menschlichen Verhaltens ist, orientieren sich die diskutierten Paradigmen auch an diesem Forschungsfeld, immer gespiegelt in den Implikationen für die Erklärung politischen Verhaltens. Albert Einstein wird die Feststellung zugeschrieben: „Es kommt darauf an, alles so einfach wie möglich auszudrücken. Aber nicht einfacher“. Dieses Bonmot lässt sich auch bei der Frage anwenden, wie genau und stimmig menschliches Verhalten überhaupt erklärt werden kann. Die im Buch vorgestellten Theorie-, Hypothesenbildungen, wie die angewandten Forschungsmethoden zeigen, dass die Korrelationen nicht nur bei der Anwendung der verschiedenen Forschungsinstrumente sich unterschiedlich darstellen, sondern auch, „dass menschliches Verhalten nicht vollständig determiniert und damit prinzipiell nicht vollständig vorhersagbar ist“.

Weil aber sozialwissenschaftliche Forschung nicht nur notwendig ist, um individuelles und gesellschaftliches Verhalten von Menschen zu analysieren, sondern auch, um dazu beizutragen, dass menschliches Verhalten human sich vollzieht und nach Gründen und Ursachen zu suchen, wenn dies nicht geschieht, stellt das Lehrbuch „Individuelles Verhalten“ eine wichtige und hilfreiche Veröffentlichung dar, für Studierende (nicht nur) der Sozialwissenschaften.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245