Martin Endreß: Soziologische Theorien kompakt
Rezensiert von Pfarrer Michael Lehmann-Pape, 23.03.2012

Martin Endreß: Soziologische Theorien kompakt. Oldenbourg Verlag (München) 2012. 250 Seiten. ISBN 978-3-486-59165-1. 24,80 EUR.
Thema
Eine Reihe von Gründen (veränderte Rahmenbedingungen für Studierende, fortschreitende Spezialisierung der Wissenslandschaft u.a.) haben zu einem „Verlust an grundlegendem Orientierungswissen auch in den Sozialwissenschaften geführt“. Daher gewinnen (nicht nur für Studierende) Bündelungen elementarer Traditionsbestände mehr und mehr an Bedeutung. Für den Bereich der Soziologie legt Martin Endreß eine solche „Bündelung“ nun durchaus inhaltlich umfassend vor.
Autor
Professor Dr. Martin Endreß lehrt Allgemeine Soziologie an der Universität Trier und im Rahmen seiner Lehrtätigkeit seinen Schwerpunkt auf die Allgemeine und theoretische Soziologie ebenso gesetzt, wie auf die Wissenssoziologie und die Soziologie der Politik und des Vertrauens.
Entstehungshintergrund
Die „Erinnerung an die Gründerväter der Soziologie“ war vor einigen Jahrzehnten noch höchst lebendig, deren Theorien und Forschungsergebnisse im Fachbereich relativ breit bekannt. Eine Situation, die sich geändert hat und daher die Erfassung dieser grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse erschwert. Als Einführung in die soziologischen Theorien stellt Martin Endreß, unter Verzicht auf jüngere Theorieentwicklungen, diesen „Basisstand“ der soziologischen Wissenschaft in kompakter Form im Buch dar.
Aufbau
In Aufbau und Gliederung konzentriert sich das Buch zum einen auf klassisch anerkannte, wesentliche Bezugspunkte der aktuellen Theoriebildung und der aktuellen empirischen Forschung, wobei zum anderen die behandelten Autoren möglichst hinreichend selbst zu Wort kommen zu lassen, um, neben den Ergebnissen der Forschungen, auch einen Eindruck des Argumentationsprofils jener Arbeiten zu ermöglichen. Die Anordnung des Überblicks erfolgt dabei chronologisch und bietet in den einzelnen Themenbereichen eine je in sich geschlossene Darstellung der Arbeiten und Ansätze (unter Ergänzung auf weiterführende Entwicklungen seit Formulierung der konkreten Thesen und Theorien).
Abgeschlossen wird die komprimierte Darstellung durch eine „komparative Aufforderung und Anleitung“, auf der Überzeugung des Autors beruhend, „dass sich analytische Kompetenz gerade in vergleichender Perspektive schulen lässt“.
Wobei im Rahmen dieses chronologischen Aufbaus die einzelnen Kapitel in je gleicher Weise strukturiert werden, um auch durch die Form eine Vergleichbarkeit und hohe Übersichtlichkeit der einzelnen Themen zu gewährleisten. Eine Kapitelstruktur, die sich in Grundzüge, Biographie, Methodische Überlegungen, zentrale Aussagen des jeweiligen Ansatzes, Zeitdiagnose und Wirkungsgeschichte jeweils aufteilt.
Inhalt
Anhand der „Gründerväter“ der soziologischen Wissenschaft geht Martin Endreß die Geschichte der soziologischen Theoriebildung und Forschung ab, beginnend mit Karl Marxund seine „Gesellschafts- und Geschichtstheorie des Kapitals“. Geht dann über zu Emil Durkheim und dessen Betrachtungen zu „Arbeitsteilung und Solidaritätsformen. Auf Georg Simmel (Individualisierte Subjekte in der Moderne) folgt eine hervorragende Darstellung von Max Weber im Zuge der „Vergesellschaftung als Rationalisierung“. Über die Darstellungen von Talcott Parsons und Norbert Elias führt die Bearbeitung und komprimierte Vorstellung zum (durchaus hochaktuellen Thema) „Sinnhaften Aufbau der sozialen Welt, verknüpft mit dem Namen Alfred Schütz.
Auch die Arbeiten der folgenden „Altvorderen“ legen den Kern auf immer noch und immer wieder aktuelle Diskussionen der „sozialen Welt“, von Peter L. Berger und Thomas Luckmann vor allem dann hin zur „Theorie und Kritik der Moderne“ durch Jürgen Habermas und zur „Systemtheorie der Gesellschaft“, verbunden mit Niklas Luthmann.
Die drauf folgende erkennbare Verschiebung auf die Fragen der Machtstrukturen in der Gesellschaft sind dargestellt durch die Arbeiten James S. Colemans „ Rationales Handeln und Gesellschaft“ und Michel Foucoults „Analyse der Macht der Sozialdisziplinierung“. Abschließend legt Martin Endreß den grundlegend kritischen Blick Pierre Bourdieus auf die Soziologie selbst vor, „Soziologie als Herrschaftssoziologie“.
Sowohl die am Ende sich findende komparative Übersicht, wie auch die komparativen Übungsaufgaben leiten sodann verständlich und klar zu einer verstehenden, vergleichenden und einen größeren Zusammenhang herstellenden Arbeit mit den Inhalten des Buches.
Diskussion
Jedes einzelne Kapitel liegt aufgrund des gleich gehaltenen Aufbaus verständlich und nachvollziehbar vor, auch in der Sprache erschließen sich die dargestellten Inhalte durchaus, wenn auch natürlich gerade da, wo Sprache und Argumentationsstil der dargestellten Personen selber in den Mittelpunkt treten eine gewissen Einarbeitung und Verständnisarbeit durch den Leser unumgänglich ist.
Trotz der komprimierten Form verbleibt nicht der Eindruck, dass Wesentliches an der Darstellung durch Martin Endreß fehlt. Auch wenn von Beginn an natürlich deutlich ist, das es sich um einen Einblick und Überblick handelt, mithin um eine Einführung in die konkreten Arbeiten der vorgestellten Personen, die zu einer konkreten Weiterarbeit an ausgewählten Themen anhalten will. Das Literaturverzeichnis bietet hier nur einen notwendigen, ersten Überblick, die eigentlich vertiefende Arbeit muss vom Leser im Folgenden in weiten Teilen dann selbst erschlossen werden.
Gerade aber die (in allen Kapiteln gleich gehaltene) Struktur und hier vor allem die jeweiligen Einlassungen zur „Zeitdiagnose“ und zur „Wirkungsgeschichte“ bieten in hohem Maße, gemeinsam mit den Hinweisen zur komparativen Arbeit, die Gelegenheit, größere Zusammenhänge herzustellen, die durchaus historische Abfolge der Themen einzuordnen und damit einen Gesamtstrang der Entwicklung der Soziologie zu erfassen, der ja immer auch eine Spiegelung gesellschaftlicher Realitäten darstellt.
Durch die einerseits Fokussierung auf je konkrete Personen und deren Arbeit, andererseits aber ebenfalls die gut gelösten komparativen Möglichkeiten des Buches gelingt Martin Endreß sowohl eine Einführung in konkrete Theorien mitsamt ausreichender Hinweise auf eine weitere, konkrete Erarbeitung, wie auch eine Öffnung der in sich geschlossenen Denksysteme hinein in eine vergleichende und in die gesellschaftliche Praxis führende Arbeit.
Fazit
Der Leser erhält einen komprimierten, verständlichen und dennoch breiten Einblick in grundlegende Erkenntnisse konkreter, soziologischer Theorien und wird zum Vergleich derselben angehalten (und befähigt) . Das Buch bildet in Inhalt und Form eine ganz hervorragende „Einführung in die traditionelle Soziologie“ und löst ein, was als Ziel vorgegeben wurde. Eine Bündelung und damit eine schnelle Verfügbarkeit elementarer Traditionsbestände der Soziologie.
Rezension von
Pfarrer Michael Lehmann-Pape
Es gibt 23 Rezensionen von Michael Lehmann-Pape.
Zitiervorschlag
Michael Lehmann-Pape. Rezension vom 23.03.2012 zu:
Martin Endreß: Soziologische Theorien kompakt. Oldenbourg Verlag
(München) 2012.
ISBN 978-3-486-59165-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12972.php, Datum des Zugriffs 22.03.2023.
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