Dieter Ahrens, Bernhard Güntert (Hrsg.): Gesundheitsökonomie und Gesundheitsförderung
Rezensiert von PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke, 10.02.2004

Dieter Ahrens, Bernhard Güntert (Hrsg.): Gesundheitsökonomie und Gesundheitsförderung.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2003.
285 Seiten.
ISBN 978-3-8329-0454-8.
49,00 EUR.
CH: 84,00 sFr.
Reihe: Gesundheitsökonomische Beiträge, Band 41.
Die Herausgeber
Dr. P.H. Dieter Ahrens (Jahrgang 1966) hat an der Fachhochschule Osnabrück "Betriebswirtschaft in Einrichtungen des Gesundheitswesens" zum Dipl.-Kaufmann sowie an der Universität Bielefeld "Gesundheitswissenschaften" zum Master of Public Health (MPH) studiert; dort ist er seit 1996 an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Mitarbeiter der Arbeitsgruppe "Management im Gesundheitswesen". Seine Dissertation zum Thema "Technologiebewertung und Public Health: gesundheitsökonomische Evaluation und HTA am Beispiel der Krebsfrüherkennung" ist 2002 bei Huber erschienen.
Prof. Dr. oec. Bernhard Güntert (Jahrgang 1954) ist seit 1995 Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und leitet dort die gleichnamige Arbeitsgruppe. Nach Studium, Promotion und zahlreichen Tätigkeiten an der Universität St. Gallen (u. a. als operativer Leiter der Forschungsgruppe für Management im Gesundheitswesen und Vertreter des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaften) sowie bereits 1984/85 einem Studium an der Loma Linda University (USA) zum Master of Health Administration ist er u. a. seit 1994 Berater auf Zeit bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Einführung in das Thema
Sowohl der Erkenntnisfortschritt in den Gesundheitswissenschaften als auch die sich spürbar verschärfende Knappheit an Finanzmitteln zwingt Entscheidungsträger auch im Bereich der Gesundheitsförderung, nicht nur die Bemühungen um Effektivitäts-, sondern auch Effizienzsteigerungen zu intensivieren. Damit werden Wirksamkeit und Kosten entsprechender Interventionen bzw. deren Verhältnis zueinander zu Eigenschaften, über die sich diese Interventionen in der Konkurrenz mit anderen um beschränkte Ressourcen legitimieren müssen. Dies bedeutet einerseits, dass die Gesundheitsförderung aufgefordert ist, die Vorteilhaftigkeit ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses etwa im Vergleich zur kurativen Medizin nachzuweisen. Andererseits sind unter der Vielzahl vorgeschlagener Gesundheitsförderungsmaßnahmen auch jene auszuwählen, die unter Einsatz der verfügbaren, chronisch knappen Mittel maximal erfolgreich sind.
Dies ist aus meiner Sicht der Hintergrund, vor dem die "gesundheitsökonomische Diskussion der Gesundheitsförderung" im vorliegenden Band zu lesen ist, die sowohl "Fragen der ökonomischen Bedeutung der Gesundheitsförderung" als auch "Fragen zu den Problembereichen der gesundheitsökonomischen Evaluationsmethoden" beinhaltet (vgl. S. 21). Dabei ist ein besonderes Anliegen, das "häufig genutzte Argument der Ausgabenreduktion durch Gesundheitsförderungsaktivitäten" zu prüfen (ebd.) - und dabei vor allem in Anbetracht seiner weit verbreiteten Nichtanwendung auf kurative Interventionen kritisch zu würdigen.
Aufbau und Inhalt des Buches
Statt eines Vorwortes leitet Bettina Schmidt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung den Band mit dem zentralen Argument ein, dass es Prävention und Gesundheitsförderung vor allem deshalb so schwer hätten, weil ihr Erfolg darin besteht, dass nichts passiert (z. B. kein Herzinfarkt, kein Lungenkrebs); sie seien also weit weniger "sexy" als z. B. eine erfolgreiche Therapie. Umso wichtiger sei der möglicherweise unspektakuläre, jedoch beharrliche Nachweis der Effektivität und Effizienz von Gesundheitsförderung.
Den Hauptteil des Bandes eröffnen die Herausgeber Dieter Ahrens und Bernhard Güntert mit ihrem Titelkapitel Gesundheitsökonomie und Gesundheitsförderung. Sie geben zunächst einen Überblick über Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung, informieren über die Ökonomie der Gesundheitsförderung sowie über die Möglichkeiten und Grenzen der gesundheitsökonomischen Evaluation in diesem Zusammenhang, und geben schließlich einen ausführlichen Überblick über die weiteren Kapitel.
Alf Trojan, Direktor des Instituts für Medizin-Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und einer der führenden Vertreter der Gesundheitsförderung in Deutschland, stellt daraufhin grundlegend die verschiedenen Theorien der Gesundheitsförderung dar. Er unterscheidet dabei Entstehungstheorien von Gesundheit, Theorien des Gesundheitsverhaltens und -handelns sowie institutionelle und politische Veränderungstheorien und leitet aus ihnen die für (gesundheitsökonomische) Evaluationen wichtigen Nutzendimensionen und Zielparameter ab.
Das erste von zwei Kapiteln zu den methodischen Grundlagen von Evaluation ist von Bernhard Badura, Professor für Sozialepidemiologie und Gesundheitssystemgestaltung an der Universität Bielefeld und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Public Health. In seinem Beitrag zu Evaluation und Qualitätsberichterstattung im Gesundheitswesen stellt er den ziel- und ergebnisorientierten Ansatz der Programmevaluation, den epidemiologischen Ansatz von Cochrane, den prozess- und standardorientierten Ansatz von Donabedian sowie die Evaluation durch empirischen Vergleich vor, und schließt mit eigenen Vorüberlegungen zu einem erweiterten Qualitätsmodell. Speziell auf die Ökonomische Evaluation der Gesundheitsförderung geht Christine Godfrey ein, Professorin für Gesundheitsökonomie an der University of York. Lehrbuchhaft erläutert sie die Grundtypen partieller und vor allem vollständiger ökonomischer Evaluation (Kosten-Minimierung/-Effektivität/-Nutzwert/-Nutzen) sowie die einzelnen Arbeitsschritte entsprechender Studien, um dann auf aktuelle Debatten der gesundheitsökonomischen Evaluation speziell der Gesundheitsförderung einzugehen.
Die folgenden zwei Kapitel gehen jeweils auf einen eher inhaltlichen bzw. eher methodischen Ansatz ein. Matthias Morfeld, Silke Schmidt und Monika Bullinger vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität Hamburg stellen unter dem Titel Gesundheitsförderung und gesundheitsbezogene Lebensqualität die Frage, ob sich Lebensqualität als Bewertungskriterium für Gesundheitsförderung anbietet. Anhand verhältnis- und verhaltenspräventiver Studien, die u. a. den SF-36 eingesetzt haben (um dessen deutsche Adaptation sich Bullinger ja, nebenbei bemerkt, überaus verdient gemacht hat), bejahen sie diese Frage, konstatieren allerdings auch, dass die Integration des Konstruktes in Evaluationsansätzen noch unzureichend entwickelt ist. Wieder eher methodisch orientiert ist der Beitrag Entscheidungsanalytische Modellierung in der ökonomischen Evaluation von Gesundheitsförderungsmaßnahmen von Uwe Siebert, Mitarbeiter am MGH Institute for Technology Assessment (Boston, USA) und Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der LMU München. Hierin gibt er einen fundierten Überblick über die "pros" and "cons" entscheidungstheoretischer Modelle.
Nach diesen theoretischen Grundlagen folgen drei Kapitel mit Darstellungen von Maßnahmen der Gesundheitsförderung in verschiedenen Settings sowie Ansätzen ihrer gesundheitsökonomischen Bewertung. Zunächst diskutiert Dirk Philippsen vom Gesundheitsamt des Kreises Düren Integrierte Gesundheitsförderung in der Kommune, Dieter Ahrens erörtert Ökonomische Aspekte gesundheitsbezogener Interventionen im Setting Betrieb, und Reinhold Wolke schließlich, Professor für Gesundheits- und Sozialökonomie an der FH Esslingen, informiert über Aspekte von Gesundheitsförderung und Ansätze zu gesundheitsökonomischen Evaluation in Pflegeeinrichtungen unter besonderer Berücksichtigung von stationären Altenpflegeeinrichtungen. Während Philippsen u. a. auf Fragen der Gesundheitsverträglichkeitsprüfung und kommunalen Gesundheitsberichterstattung eingeht sowie Ahrens neben den Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen in Deutschland systematische Reviews zur betrieblichen Gesundheitsförderung darstellt, beleuchtet Wolke die Perspektiven von Gesundheitsförderung sowohl hinsichlich der Pflegebedürftigen als auch der -mitarbeiter - und ihrer Interdependenz.
Dieter Ahrens beschließt den Band mit einem Beitrag zu Prioritätensetzung im Gesundheitswesen und die Bedeutung von Gesundheitsförderung und gesundheitsökonomischer Evaluation aus Sicht von Public Health. Nach Begriffsbestimmungen zur "Prioritätensetzung", "Public Health" sowie ihrer Ziele und Aufgaben arbeitet Ahrens Qualitätsforschung, Public Health-Ethik und Medizin-Ethik als Dimensionen der Public Health-Perspektive heraus, und stellt dann ein System zur Priorisierung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen vor. Dabei hebt Ahrens als ein zentrales Argument für Gesundheitsförderung nicht nur durch das medizinisch orientierte Gesundheitswesen, sondern alle gesundheitsrelevanten Politikfelder insbesondere die soziale Ungleichverteilung von Gesundheit sowie Gesundheitsrisiken und -ressourcen hervor.
Qualität und Nutzen des Buches
Die 10 Kapitel von insgesamt 12 Autoren sind bis auf zwei Ausnahmen - Badura in B. Badura & J. Siegrist (Hrsg.) (2002). Evaluation im Gesundheitswesen (2. Aufl.). Weinheim: Juventa sowie Godfrey als englisches Original in I. Rootman et al. (Hrsg.) (2001). Evaluation in health promotion. Copenhagen: WHO Regional Office for Europe - vorher noch nicht erschienen. Sie schließen damit nicht zuletzt aufgrund ihrer Zusammenstellung m. W. eine Lücke in der deutschsprachigen Public Health-Literatur; so werden im einzigen anderen Treffer, den der Karlsruher Virtuelle Katalog für die Titelsuchbegriffe "Gesundheitsförderung Gesundheitsökonomie" für Deutschland, Österreich und die Schweiz bereithält ‑ Deutsche Gesellschaft für Public Health (Hrsg.) (1999). Public-Health-Forschung in Deutschland. Bern: Huber - beide Bereiche doch deutlich separat behandelt.
Inhaltlich bietet der Band eine insgesamt sehr fundierte gesundheitsökonomische Diskussion der Gesundheitsförderung. Er behandelt detailliert Fragen der ökonomischen Bedeutung der Gesundheitsförderung als auch die Probleme gesundheitsökonomischer Evaluationsmethoden in diesem Zusammenhang. Wichtig sind dabei neben den Grundlagenkapiteln auch die Beiträge zu einzelnen Settings (Kommune, Betrieb, Pflegeheime), die nützliche Informationen über konkrete Anforderungen, aber auch Schwierigkeiten in der Praxis liefern. Zwei Aspekte möchte ich nennen, die aus meiner Sicht etwas zu kurz gekommen sind. Einerseits wäre ein Beitrag - etwa im praxisorientierten Teil - zur Perspektive der Gesetzlichen Krankenkassen als Träger von Prävention und Gesundheitsförderung eine lohnende Ergänzung der o. g. Perspektiven. Andererseits hat mir insgesamt der für die Gesundheitsförderung im Sinne der WHO Ottawa Charta zentrale Aspekt der Bürgerbeteiligung/Partizipation einschließlich der spezifischen Probleme, die daraus für Bemühungen der Evaluation erwachsen, doch weitgehend gefehlt.
Der eigentliche Schwachpunkt des Bandes liegt allerdings im formalen Bereich. Zwar habe ich als die Rezeption sehr förderlich die Inhaltsverzeichnisse auf der jeweiligen ersten Seite der einzelnen Kapitel empfunden. Ziemlich störend allerdings mag der ein oder andere Leser jedoch einige stilistische Schwächen empfinden: so hätten zum Beispiel eine deutlich gründlichere redaktionelle Bearbeitung des Vorwortes und einer ganzen Reihe von Beiträgen (inkl. an einer Stelle der Schreibweise eines Autorennamens) sowie eine zumindest gewisse Vereinheitlichung der Literaturverzeichnisse dem Band aus meiner Sicht sicher gut getan.
Fazit
Das Buch greift als zentrales Thema der Public Health die Möglichkeiten und Grenzen auf, Prävention und Gesundheitsförderung neben ihrer mehrheitlich akzeptierten Plausibilität (und zugleich der entsprechenden WHO-Rhetorik) auch gesundheitsökonomisch zu untermauern und zu evaluieren. Das Thema wird von kompetenten und erfahrenen Experten aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Alles in allem ist der Band trotz einiger weniger inhaltlicher Lücken und einiger bedauerlicher formaler Schwächen ein empfehlenswertes Buch für gesundheitswissenschaftlich orientierte Sozialwissenschaftler und Ökonomen sowie Praktiker auf diesem Gebiet, die eine theoretische Fundierung ihrer Tätigkeit suchen.
Rezension von
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke
Stv. Leiter der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie der Medizinischen Hochschule Hannover
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