Herbert Schatz, Dorothea Bräutigam: Locker Bleiben [...] Sozialtraining [bei] sonderpädagogischem Förderbedarf
Rezensiert von Dr. Georg Singe, 20.03.2012
Herbert Schatz, Dorothea Bräutigam: Locker bleiben. Sozialtraining für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Handlungsorientierte Methoden zum sozialen Lernen und zur Gewaltprävention ; [Buch & CD-ROM]. Verlag modernes lernen Borgmann GmbH & Co. KG. (Dortmund) 2012. 206 Seiten. ISBN 978-3-938187-82-1. 21,95 EUR. CH: 35,60 sFr.
Autorin und Autor
Herbert Schatz arbeitet als Heilpädagoge und Heilerziehungspfleger an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung in Augsburg und ist darüber hinaus als Fortbildungsreferent tätig. Dorothea Bräutigam ist als Sozialpädagogin an der gleichen Förderschule in Augsburg tätig. Auch sie arbeitet darüber hinaus als Beraterin und Referentin zum Thema „Umgang mit psychisch belasteten Schülern an Förderschulen“.
Entstehungshintergrund
Es gibt wenige Bücher, die aus der Praxis für die Praxis geschrieben werden und gleichzeitig eine solide theoretisch wissenschaftliche Fundierung der Praxis mitliefern. Entstehen konnte dieses Buch auf dem Hintergrund einer Plattform im Internet (vgl.: http://www.locker-bleiben-online.de ), die seit 2007 zahlreiche Erfahrungen aus dem Bereich der Sozialtrainings für Förderschüler sammelt und deren Nutzer sich fachlich austauschen und untereinander Rat geben. Die Idee, so schreiben die Autoren, ist nun eine Fusion von Buch, Website und alltäglicher Praxis, die dem Austausch, der Vertiefung und Verbreitung der Ideen dienen soll. Dabei versteht sich das Buch nicht als Lehrgang, der komplett abgearbeitet werden soll, sondern als Arbeitshilfe für Praktiker.
Aufbau
Das vorliegende Trainingsmanual gliedert sich in zwei Bereiche.
- Der erste Teil gibt eine theoretische Einführung über die Ziele, Grundgedanken und Umsetzungsmöglichkeiten.
- Der zweite Hauptteil beinhaltet den großen Praxisteil mit einer Fülle von Trainingsideen, die methodisch genau beschrieben und sortiert nach zentralen Themenstellungen wie „Regeln und Strukturen“, „in Gruppen kooperieren“ oder „Provokation aushalten – Miteinander reden“ gegliedert sind.
In einem Anhang findet der Leser zum Schluss des Buches Ideen der Vernetzung, Bezugsquellen für den Materialbedarf der Trainingseinheiten, viele Hinweise auf weitere Konzepte mit konkreten Kontaktmöglichkeiten, eine Literaturliste zur Vertiefung des Ansatzes und einen Index aller praktischen Übungen des Hauptteils mit zugeordneter Entwicklungsstufe und jeweiligen Lernanlässen. Dem Buch liegt eine CD-Rom bei, auf der viele Materialien für die Praxis zur Verfügung stehen.
Inhalte
Über 122 Übungen und Methoden werden in dem Hauptteil des Buches vorgestellt. Die Übungen sind für Schüler mit und ohne Behinderung gedacht und so strukturiert, dass sie sich auch hervorragend für Inklusionsklassen eignen. Das Programm sieht Einzel-, Partner- und Gruppenübungen vor. Schwerpunkte bilden die Gestaltung der Körper- und Bewegungsbildung, das Soziale Rollenverständnis und die Gestaltung sozialer Interaktion und Kooperation. In fünf aufeinander folgenden Stufen, die sich entwicklungspsychologisch nach dem Stufenmodell von Regina Erich (2005) auf dem Hintergrund des entwicklungspädagogischen und -therapeutischen Konzeptes der Amerikanerin Mary M. Wood aus den 70er Jahren beschreiben lassen, können individuelle Lernziele festgelegt werden. Marita Bergsson (1998; 2006) hat diesen Ansatz in den 90er Jahren in Deutschland adaptiert. Für die Diagnose des Entwicklungsstandes des einzelnen Schülers wird als Instrumentarium der „Entwicklungspädagogische Lernziel-Diagnosebogen“ (ELDiB) verwendet, der im Amerikanischen 1992 von Wood herausgegeben und 1994 von Bergsson ins Deutsche übertragen wurde.
Die einzelnen Trainingsmodule sind in ihrer Struktur immer gleich aufgebaut. Nach einer Orientierungsphase folgt eine erste Spielphase zum Aufwärmen und zur Kontaktfindung in der Gruppe. In einer weiteren aktiven Phase finden die eigentlichen gezielten Übungen der Trainingseinheit statt, die dann mit einer Auswertungsphase sowie der Phase des Umkleidens und des begleiteten Rückweges abgeschlossen werden, da das Programm „Locker Bleiben“ grundsätzlich in einer Turnhalle stattfindet. Das Programm ist eine langfristige Maßnahme, die präventiv wirkt und deren Einheiten möglichst über ein ganzes Schuljahr regelmäßig durchgeführt werden sollen.
In dem Praxiskapitel werden im Teil A Übungen und Methoden zu dem Regelsystem und den Übungsstrukturen vorgestellt. Teil B befasst sich mit praktischen Übungen zur Moderation, Auswertung und Übertragung der Lernergebnisse in den Alltag. Bei den jeweiligen Übungen finden sich methodisch-didaktische Hinweise auf die möglichen individuellen Zielsetzungen, die mit den ELDiB Bögen ausgewertet werden können. Teil C und D erfassen nun die Kompetenzen in kleinen Gruppen zu spielen und zu kooperieren. Teil E und F beinhalten Trainingsaufgaben zur Teamfindung und vertieften Kooperation sowie Methodenübungen zur Fähigkeit des Verstehens und des miteinander Redens. Die weiteren Teile G und H fassen unter dem Motto „Zusammen. Stark. Sein“ Übungen zusammen, in denen Schüler lernen, Provokationen auszuhalten, Aggressionen verstehen und kontrollieren zu können. Überschüssige Kräfte und Energien können in Kampfübungen und Anti-Aggressionseinheiten der Turnhalle zurückgelassen werden und ermöglichen so ein konstruktives und offenes Lernklima.
Diskussion
Das Handbuch ist im Aufbau und in der Ausführung mit seiner Vielzahl an Anregungen, Erklärungen und konkreten Übungen sehr klar strukturiert. Bilder und Fotos aus der Praxis lockern die Beschreibung der Übungen und Methoden auf und veranschaulichen deren Umsetzung. Die theoretische Einführung und der Praxisteil bieten den Trainerinnen und Trainern eine ausgezeichnete Anleitung für die praktische Umsetzung. Der theoretische Ansatz, bei Förderschülern von einem „Synchronisierungsdefizit“ statt von „Mobbing“ oder „Bullying“ im Kontext von Gewaltprävention zu sprechen, ist logisch, bereichert die Fachdiskussion und verändert den Blick in der Praxis auf eine neue Dimension des Sozialverhaltens. Das vorliegende Trainingshandbuch versteht sich als Praxisbuch für handlungsorientierte Methoden zum Sozialen Lernen und zur Gewaltprävention. Je nach Zielgruppe und Anlass lässt sich aus dem Pool der Übungen ein abgestimmtes Programm entwickeln, das situationsspezifisch eingesetzt werden kann.
Fazit
Gerade auf dem Hintergrund der Entwicklung zur Inklusion im Schulsystem ist das vorliegende Werk – einschließlich der gelungen Ergänzungen durch eine beiliegende CD-Rom – eine hervorragende Bereicherung für Praktiker und alle, die sich mit der sozialen Kompetenzentwicklung von Förderschülern auseinandersetzen. Das Buch ist in sich so motivierend, dass eine darüberhinausgehende Vernetzung über die Plattform www.locker-bleiben-online.de nicht ausbleiben wird. Nichts anderes wünschen sich die Autoren: die gegenseitige Unterstützung und Bereicherung der Praktiker untereinander.
Rezension von
Dr. Georg Singe
Dipl.-Sozialarbeiter, Dipl.-Theologe, Systemischer Familientherapeut, Supervisor und Lehrtherapeut (DGSF)
Dozent an der Fakultät I für Bildungs- und Gesellschaftswissenschaften, Fachbereich Soziale Arbeit der Universität Vechta
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Zitiervorschlag
Georg Singe. Rezension vom 20.03.2012 zu:
Herbert Schatz, Dorothea Bräutigam: Locker bleiben. Sozialtraining für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Handlungsorientierte Methoden zum sozialen Lernen und zur Gewaltprävention ; [Buch & CD-ROM]. Verlag modernes lernen Borgmann GmbH & Co. KG.
(Dortmund) 2012.
ISBN 978-3-938187-82-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12985.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
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