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Wolfgang Klug, Heidi Schaitl: Soziale Dienste der Justiz

Rezensiert von Wolfgang Wirth, 26.07.2013

Cover Wolfgang Klug, Heidi Schaitl: Soziale Dienste der Justiz ISBN 978-3-936999-97-6

Wolfgang Klug, Heidi Schaitl: Soziale Dienste der Justiz. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. Forum Verlag Godesberg GmbH (Mönchengladbach) 2012. 192 Seiten. ISBN 978-3-936999-97-6. 26,00 EUR.
DBH Schriftenreihe. Herausgegeben vom DBH-Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik, Band 38. Für Mitglieder von DBH und DVJJ € 19,50 (nur bei Bestellung über die jeweilige Geschäftsstelle).

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Thema

Im Kontext von Strafrechtspflege und Straffälligenhilfe wird das kriminologisch wie kriminalpolitisch gleichermaßen bedeutsame Thema der Verhinderung von Straftaten leider (noch zu) oft auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Da ist zum einen der akademische Diskurs über Ziele, Funktionen und Wirkungen der „Sozialen Arbeit in der Justiz“. Und da ist zum anderen die praktische Auseinandersetzung über die Aufgaben, Strukturen und Ergebnisse der Bewährungshilfe, Gerichtshilfe, Führungsaufsicht sowie anders benannter Einrichtungen mit vergleichbarer Aufgabenstellung. Indem sie die Praxis der „Sozialen Dienste in der Justiz“ zusammenfassend aus wissenschaftlicher Sicht beleuchten, wollen Klug und Schaitl zugleich fundierte Perspektiven für deren zukunftsorientierte und evidenzbasierte Gestaltung aufzeigen. Gefragt wird dabei insbesondere danach,

  • welche Erkenntnisse die Wissenschaft den Sozialen Diensten der Justiz bietet, um künftigen Herausforderungen fachlich, methodisch und organisatorisch gerecht werden zu können,
  • woran „Best-Practice-Modelle“ und förderliche Qualitätsstandards zu erkennen sind und welche Voraussetzungen für ihre Implementierung gegeben sein müssen,
  • wie die Motivations- und Beziehungsarbeit in sowie die erforderliche Zusammenarbeit zwischen Diensten aus wissenschaftlicher Sicht gestaltet werden können.

Autoren

Prof. Dr. Wolfgang Klug ist Professor für Methoden der Sozialen Arbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Heidi Schaitl (Master of Social Work) bereitet er wissenschaftliche Erkenntnisse für die Sozialen Dienste der Justiz auf. Dabei bringen sie vielfältige Erfahrungen aus der Projektbegleitung in zahlreichen Bundesländern Weise ein.

Aufbau und Inhalt

Der Anspruch, die Praxis der Sozialen Dienste der Justiz aus wissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten, wird in vier aufeinander aufbauenden Kapiteln eingelöst, die sich mit der Historie der Sozialarbeit in der Justiz, mit fachlichen Prozessen und spezifischen Organisationsformen in den Sozialen Diensten der Justiz sowie mit den Erfordernissen und Möglichkeiten ihrer Vernetzung beschäftigen.

Im Startkapitel werden einführende Fragestellungen behandelt. Dabei wird zunächst vergleichsweise kurz und prägnant an die Ursprünge der Sozialarbeit in der Justiz erinnert. Bei der Beantwortung der Frage „Wo kommt die Sozialarbeit in der Justiz her?“ steht ein Rückblick auf thematische „Dauerbrenner“ wie Selbstverständnis, Methodik und Zusammenarbeit in der Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie die wohl unvermeidbare Fallzahlendiskussion im Zentrum. Die anschließende Frage „Wo soll die Sozialarbeit in der Justiz hin?“ dient als grundlegender Leitfaden für die Ausführungen der folgenden Kapitel. Dabei wird der Fokus auf drei zentrale Themenbereiche – oder besser: Zukunftserfordernisse – gelegt:

  • die Entwicklung von Qualitätsstandards und die Qualitätssicherung in den Sozialen Diensten der Justiz
  • die Verwirklichung einer evidenzbasierten Praxis, die die Gestaltung der Arbeitsstrukturen und Methoden auf der Basis klar formulierter Ziele und empirisch fundierten Wissens über die jeweilige Zielerreichung ermöglicht
  • die Modernisierung der Dienste durch Implementierung standardisierter Bedarfs- und Risikoeinschätzungen, strukturierter Planungs- und Interventionsprozesse sowie kooperationsfördernder Organisationsstrukturen und Verfahrensregeln.

Auf dieser Grundlage beschäftigen sich die Autoren im zweiten und deutlich umfangreichsten Kapitel mit fachlich-methodischen Prozessen der Bewährungshilfe, der Führungsaufsicht und der Gerichtshilfe. Dabei werden jeweils vorab die (formalen) Anforderungen an die Fachlichkeit der Dienste definiert und am Ende der jeweiligen Abschnitte in leserfreundlicher Weise zusammenfassende Bewertungen angeboten.

Für die Bewährungshilfe und die Führungsaufsicht wird ein besonderer Fokus auf Zielklarheit bezüglich der Rückfallprävention gelegt. Resultierende Kontrollprozesse werden als „Risikomanagement“ beschrieben. Anschließend werden Motivationsprozesse mit einem besonderen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen der motivierenden Gesprächsführung mit Klienten behandelt und interaktive Hilfeprozesse als Dienstleistung dargestellt. Dabei werden die Phasen der Bedarfs- und Ressourcenklärung, der Hilfeplanung, der Interventionen und des Monitorings sowie der Evaluation unterschieden, die aus dem Handlungskonzept Case Management bekannt bzw. abgeleitet sind.

Die Ausführungen zur Gerichtshilfe beschränken sich auf eine Darstellung der Kernaufgaben, einiger Randbereiche und zentraler methodischer Abläufe, bevor auch hier Vorschläge für mögliche Weiterentwicklungen unterbreitet werden, die in exkursähnlichen Anmerkungen zum Thema „Beziehungsarbeit“ münden.

Für die praktisch interessierte Leserschaft werden danach „Einblicke in die fachlichen Standards ausgewählter Bundesländer“ ermöglicht, wobei im Einzelnen und ohne Anspruch auf Vollständigkeit Organisationsmodelle und Standards für die Sozialen Dienste der Justiz in Bayern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg – so die im Buch gewählte Reihenfolge – dargestellt werden.

In der zusammenfassenden Bewertung am Schluss dieses Abschnittes (Kap. II.4.2) wird mit Rückgriff auf zentrale Befunde der kriminologischen Wirkungsforschung für ein stärker strukturiertes (und damit standardisiertes) Vorgehen in den Sozialen Diensten der Justiz plädiert, das sich auf der Grundlage von Bedarfs- und Risikoeinschätzungen systematisch auf die Veränderung kriminogener Faktoren beziehen müsse und bei der Gestaltung der erforderlichen Interventionen auch die jeweilige „Ansprechbarkeit“ der Klienten sowie die Steuerung vernetzter Hilfen in den Blick zu nehmen habe. Dabei werden besonders positiv bewertete Einzelaspekte aus den Ländermodellen als „Best-Practice-Beispiele“ hervorgehoben und zur Nachahmung empfohlen.

Kapitel III widmet sich der Strukturqualität in der Organisation der Sozialen Dienste. Dabei stehen drei Aspekte im Vordergrund:

  • die weitgehend theoretische Darstellung der Anforderungen an Strukturen und Führungsprozesse
  • die Hervorhebung von Führungsfragen, die für die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Dienste von besonderer Bedeutung sind
  • die Beschreibung der Instrumente, die für den erforderlichen organisatorischen Wandel verfügbar sind

In der auch hier angebotenen, allerdings eher knappen Zusammenfassung wird die Bedeutung eines professionellen Managements der sozialen Arbeit unterstrichen, das durch Qualitätsbeauftragte und Qualitätszirkel, vor allem aber durch geeignete Controlling- und Schulungsprozesse unterstützt werden muss, um den veränderlichen Arbeitsbedingungen künftig angemessen Rechnung tragen zu können. Dabei wird das Zusammenspiel von Führungskräften und Praktikern insbesondere unter dem Gesichtspunkt gezielter Förderung (Personalentwicklung, Coaching) besonders betont.

Dem Thema „Zusammenarbeit“ ist auch das vierte Kapitel gewidmet, allerdings nicht auf der individuellen, sondern auf der inter-organisatorischen Ebene, die folglich mit dem Begriff der Vernetzung überschrieben wurde. Der Vernetzungsbegriff hat in den letzten Jahren in den Sozialen Diensten der Justiz zunehmend an Popularität und Bedeutung gewonnen, wobei immer wieder deutlich wurde, dass unser tendenziell eher fragmentiertes Hilfesystem dringend neue Kooperations- und Koordinationssysteme entwickeln muss, um erfolgreich(er) arbeiten zu können.

Die Anforderungen für eine verbesserte organisatorische Verzahnung der Dienste werden auch in diesem Kapitel zunächst aus der Perspektive der Wissenschaft erläutert, bevor die in der Praxis erkennbaren „Gründe für das bisherige Scheitern“, aber auch einige „Beispiele gelungener Zusammenarbeit“ beschrieben werden, um abschließend eine Grundlage für die Skizzierung neuer Lösungswege zu schaffen.

Diskussion

Es ist schade, dass gerade das vom Umfang her knappste letzte Kapitel auch vom Inhalt her die „größten Beschränkungen“ aufweist, wie die Autoren selbst feststellen. Denn tatsächlich sind im Bereich der Zusammenarbeit die größten Herausforderungen für die Zukunft der Sozialen Dienste der Justiz zu sehen. Allerdings kann dies nicht den Autoren angelastet werden, da in der wissenschaftlichen Analyse der organisatorischen Vernetzungspraxis bisher weit weniger Fortschritte gemacht wurden als im Hinblick auf die methodisch-fachliche Arbeit innerhalb der Dienste. Hier muss folglich noch allerlei empirische Pionierarbeit geleistet werden, zum Beispiel in Form von wissenschaftlich begleiteten Modellprojekten, deren Ergebnisse dann zu gegebener Zeit für die Praxis aufbereitet werden können.

Ihren Anspruch, den aktuellen Stand des wissenschaftlichen „state of the art“ für die Arbeit der Sozialen Dienste in der Justiz aufzubereiten und für die Praxis nutzbar zu machen, erfüllen Klug und Schaitl ansonsten aber voll und ganz – und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich, was die Lektüre des Buches für Wissenschaftler wie Praktiker gleichermaßen zu einem Gewinn machen dürfte.

Dabei stehen die aktuellen fachlichen Prozesse und die zukünftigen Herausforderungen für die Strukturierung der Arbeit in der Bewährungshilfe, der Führungsaufsicht und der Gerichtshilfe im Vordergrund. Hier werden nicht nur gegebene Aufgaben, Organisationsstrukturen und Verfahrensweisen in der gebotenen Ausführlichkeit beschrieben, sondern auch Möglichkeiten und Grenzen innovativer Leistungsgestaltung, Qualitätssicherung und Modernisierung in schlüssiger Weise ausgelotet. Insbesondere die Ausführungen zur standardisierten Gestaltung von Kontrollprozessen (Risikomanagement), von Motivationsprozessen (motivierende Beratung) und von Hilfeprozessen (Case Management) treffen dabei nicht nur vordergründig den „Zeitgeist“. Sie sind konsequent aus den Ergebnissen kriminologischer Wirkungsforschung abgeleitet und beinhalten sowohl zahlreiche wissenschaftliche Referenzen als auch konkret anwendbare und nachahmenswerte Praxisbeispiele.

Sehr verdienstvoll ist dabei die Auflistung der verschiedenen Modelle und Verfahrensweisen zur unterschiedlichen Strukturierung der Sozialen Dienste in den Bundesländern. Ein kritischer Geist wird hier wahrscheinlich mit Blick auf die Heterogenität der Strukturen und Verfahren über negative Folgen des Föderalismus klagen. Ein empirisch orientierter Forscher wird hingegen ein Füllhorn von Handlungsalternativen entdecken, die nach den Grundsätzen der „evidence based practice“ analysiert und im Interesse wechselseitigen Lernens für die bestmögliche Gestaltung der Dienste genutzt werden können. Genau dies haben Klug und Schaitl in geradezu vorbildlicher Weise getan.

Bedauerlich ist gleichwohl, dass sich die Autoren in ihrer Analyse auf die ambulanten sozialen Dienste der Justiz beschränkt haben. Damit wird letztlich der wenig hilfreichen Trennung zwischen dem Sozialdienst in den Justizvollzugsanstalten, also dem stationären Teil der sozialen Arbeit in der Justiz, auf der einen Seite und der Bewährungshilfe, der Führungsaufsicht und der Gerichtshilfe auf der anderen Seite Vorschub geleistet – obwohl sich dies angesichts der vielfältigen Vernetzungserfordernisse im Rahmen des vielzitierten „Übergangsmanagements“ zur Wiedereingliederung inhaftierter Straftäter verbieten sollte. Allerdings: Klug und Schaitl weisen selbst auf dieses Manko hin, und der Rezensent hofft darauf, dass beide die Zeit finden, sich alsbald auch diesem Thema ausführlicher widmen zu können.

Fazit

Den Autoren ist der Balanceakt zwischen einer empirisch orientierten Analyse und einer praxisorientierten Darstellung der komplexen und heterogenen Welt der „Sozialen Dienste der Justiz“ in Deutschland ausgezeichnet gelungen. Die in der Kriminologie und Strafrechtspflege tätigen Forscher finden in dem Buch eine kompetent beschriebene Darstellung der Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe. Die in der Praxis dieser Dienste Tätigen finden eine schlüssig vorgetragene Darstellung empirisch begründbarer und praktisch nutzbarer Handlungsoptionen für die zukünftige Gestaltung der sozialen Arbeit mit Straffälligen. Dabei beantworten Klug und Schaitl die eingangs gestellte Frage „Wo soll die Sozialarbeit in der Justiz hin?“ mit einem klaren Plädoyer für eine (Zusammen-) Arbeit, die stärker als bisher strukturiert, standardisiert und an den Ergebnissen der Wirkungsforschung orientiert ist. Wer sie auf diesem Weg in die Zukunft begleiten will, kommt an der Lektüre nicht vorbei.

Rezension von
Wolfgang Wirth
Leiter des Kriminologischen Dienstes des Landes Nordrhein-Westfalen (KrimD NRW)
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Es gibt 1 Rezension von Wolfgang Wirth.

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ISSN 2190-9245