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Flavia Nebauer, Kim de Groote: Auf Flügeln der Kunst

Rezensiert von Prof. Dr. habil. Ruth Hampe, 11.02.2013

Cover Flavia Nebauer, Kim de Groote: Auf Flügeln der Kunst ISBN 978-3-86736-324-2

Flavia Nebauer, Kim de Groote: Auf Flügeln der Kunst. Ein Handbuch zur künstlerisch-kulturellen Praxis mit Menschen mit Demenz. kopaed verlagsgmbh (München) 2011. 180 Seiten. ISBN 978-3-86736-324-2. D: 16,80 EUR, A: 17,30 EUR.
Reihe: Kulturelle Bildung - 24.

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Thema und Entstehungshintergrund

Mit dem Titel „Auf Flügeln der Kunst“ wird in Abwandlung des Ausdrucks von Heinrich Heine „Auf den Flügeln des Gesangs“ dem Anliegen entsprochen, die Bedeutung von Kunst und Kultur für ältere und an Demenz erkrankte Menschen aufzuzeigen. Angestoßen über ein „Konzertprojekt“ durch das Institut für Bildung und Kultur in Remscheid im Rahmen der Demenzwochen in Düsseldorf 2011 sollte mit diesem Handbuch eine Bestandsaufnahme zu Kunst und Kultur bzw. zur Bildenden Kunst, Literatur, zu den darstellenden Künsten, der Musik u.a. in der Begleitung von Menschen mit Demenz vorgenommen werden. Es handelt sich um eine Studie, die ein Verständnis für das Krankheitsbild der Demenz vermittelt sowie Möglichkeiten einer künstlerisch-kulturellen Praxis in diesem Kontext aufzeigt, d.h. auch im Hinblick auf bestehende Praxismodelle.

Aufbau

Das Buch ist sich nach folgenden Schwerpunktthemen gegliedert:

  • Künstlerisch-kulturelle Praxis im Kontext von Demenz,
  • Die Kunst des Begleitens - Anforderungen an eine kompetente Kunstbegleitung,
  • Baustein: Krankheitsbild Demenz,
  • Baustein: Kommunikations- und Beziehungsgestaltung,
  • Bedeutung und Wirkung von Kunst und Kultur,
  • Der Blick in die Praxis.

Daran wird deutlich, wie vielfältig die Einblicke in diesem Themenbereich aufgearbeitet und zusammengestellt sind. Zudem sind ganzseitige eindrucksvolle Farbfotographien von Michael Hagedorn mit in den Band eingefügt, die einzelne an Demenz erkrankte Personen in ihrer Individualität und selbstbewussten Aktivität zeigen.

Für diesen Band hat die Bundesministerin für Bildung und Kultur Prof. Dr. Annette Schavan ein Grußwort verfasst, das auf den demografischen Wandel einer immer älter werdenden Gesellschaft verweist und die Aufforderung zu einer Teilhabe am sozialen Leben herausstellt. Künstlerisch-kulturelle Praxisformen vermögen eine ressourcenorientierte Aktivierung von Fähigkeiten im Ausdruck von Gefühlen auch bei Menschen mit Demenz zu unterstützen und eine Kommunikationsebene über Defizite hinaus bereitzustellen.

Inhalt

In dem Kapitel „Künstlerisch-kulturelle Praxis im Kontext von Demenz“ wird facettenhaft auf verschiedene Aspekte einer sinnerfüllenden Beschäftigung für Menschen mit Demenz Bezug genommen. In Anlehnung an den Verfechter einer personzentrierten Pflege, Tom Kitwood, wird auf psycho-soziale Bedürfnisse eingegangen wie Trost, Bindung, Einbeziehung, Beschäftigung, Identität oder individuell bedeutsame Aktivitäten. Dahingehend werden Perspektiven künstlerisch-kultureller Aktivitäten ausgelotet. Künstlerische Therapien wie Kunst-, Musik-, Poesie- Tanz- und Theatertherapie bieten kreativbezogene Kommunikationsformen an, die auch Menschen zugänglich sind, wenn sie ihre verbale Mitteilungsfähigkeit verloren haben. Auch Künstler vermögen einen Zugang zu dieser Thematik der Demenz erhalten, um Kunst als Medium der Auseinandersetzung einzusetzen. Ähnlich verhält es sich mit der Kulturgeragogik als neue Disziplin, die auf Prinzipien der kulturellen Bildung ausgerichtet ist und sich auf Menschen der vierten Lebensphase bzw. Hochaltrige mit dem Fokus der Entwicklung und Erhaltung von Selbstständigkeit sowie auf die Bewältigung von durch Beeinträchtigung vorliegenden Alltagsproblemen konzentriert. Es geht auch um die Schaffung von Lernsituationen, um Sinnvolles gemeinsam zu tun und zu erleben bzw. Kompetenzen durch geistige, soziale und körperliche Aktivitäten zu fördern, also einem Abbau entgegenzuwirken. Unter dem Gesichtspunkt werden Offenheit, Ermöglichung von Selbstbestimmung, Kompetenz- und Entwicklungsorientierung als Prinzipien einer kulturgeragogischen Arbeit genannt, wobei die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur Selbstbildungsprozesse ermöglichen kann. Dies wird im Einzelnen herausgestellt und bezogen auf besondere Gestaltungsformen reflektiert. Es geht um die Entstehung einer „Neue Kultur“ in der Begleitung von Menschen mit Demenz in den verschiedensten Bezugspunkten.

Was dies praktisch bedeutet, wird im Kapitel „Die Kunst des Begleitens – Anforderungen an eine kompetente Kunstbegleitung“ behandelt. Es betrifft Aspekte wie Kompetenzen erleben zu lassen und Ausdrucksmittel an die Hand zu geben, Menschen zu motivieren und aktivieren, Aktivitäten zu individualisieren und Bezüge herzustellen sowie die Bedeutung eine anregende Umgebung und günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Weiterhin beinhaltet es die Unterstützung sozialer Einbindung und kultureller Teilhabe als auch die Kooperation mit anderen Berufs- und Bezugsgruppen bzw. die Herausstellung künftiger Bedarfe. Es werden Anforderungsbereiche thematisiert, die einen gewandelten Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen entwerfen.

Mit den folgenden Kapiteln zu den beiden Bausteinen „Krankheitsbild Demenz“ und „Kommunikations- und Beziehungsgestaltung“ werden Grundlagen zum Verstehen für die Arbeit in diesem Bereich vermittelt. Das Krankheitsbild wird in seinen jeweiligen Besonderheiten und Verläufen erläutert, so dass ein vertiefendes Verständnis über Formen möglicher Beeinträchtigungen vermittelt wird. Es ist ein Exkurs eingefügt, um verschiedene Formen des menschlichen Gedächtnisses darzulegen. Gleichzeitig wird mit Ikons auf Praxisbeispiele in den folgenden Kapiteln verwiesen. Wichtige Handlungsformen im Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen werden aufgezeigt. Dazu gehören u.a. die validierende Haltung sowie weitere Kommunikationshinweise. Auch die biografische Grundhaltung und Biografieorientierung werden in ihrer Bedeutung anschaulich herausgestellt.

Ausgehend davon wird im Kapitel „Bedeutung und Wirkung von Kunst und Kultur“ auf Aspekte wie Kompetenz erleben, Begegnung auf Augenhöhe, Identitätsstiftung, Augenblicksfreude und Sinnstiftung als auch auf soziale und kulturelle Teilhabe eingegangen, und zwar im Hinweis auf die Verringerung demenzbedingter Symptome und die Bedeutung Künstlerischer Therapien. In der Hinsicht werden zwei ausgewählte Studien zur Wirkungsforschung aus sozialwissenschaftlicher Sicht vorgestellt. Es betrifft zum einen das Museumsprojekt am Museum of Modern Art in New York mit dem Titel „Meet Me at MoMA“ in der Durchführung von Gruppenführungen für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen und zum anderen das Theaterprojekt der Theatertruppe Ladder to the Moon in London mit dem Titel „Grand Hotel“ in der Spezialisierung auf interaktives Theater mit benachteiligten Menschen. Es ist beeindruckend wahrzunehmen, wie hochbetagte Menschen in diesem Rahmen angesprochen und wirkungsvoll unterstützt werden konnten. Ergänzend werden Forschungsmethoden, Messpunkte und Ziele der Projekte mit ihren Ergebnisse vorgestellt und bieten vielfach Anregung zum Nachahmen.

Mit dem Kapitel „Der Blick in die Praxis“ werden unterschiedliche aktuelle Praxismodelle mit Webseiten-Angaben exemplarisch beschrieben. Ausgehend von Übersichtsthemen zur Demenz wird auf einzelne Medien Bezug genommen. Die Ikons wie Computer-Maus, Schriftseite, leuchtende Birne und Filmklappe verweisen auf weitere Informationsvermittlungen über das Internet, Bücher, Praxishinweise und Filme. Untergliedert nach Literatur und Erzählen, musikalische Praxisformen, Theaterformen, Tanzangeboten, künstlerisch-bildnerischen Gestaltungsformen, aber auch nach Medienarbeit, Kunst- und Kulturgenuss im Museum, Kulturprogrammen und Weiterbildungen zur künstlerisch-kulturellen Arbeit mit und für Menschen mit Demenz werden die verschiedene Bereiche einer Kunst- und Kulturpraxis dargelegt. Diese Zusammenstellung ist sehr umfangreich und verweist auf eine Vielfalt von bestehenden Angeboten, die mittlerweise meist über das Internet einsehbar sind bzw. über eine eigene Webseite verfügen. Es überrascht, wie viele Angebote es bereits gibt und welche Möglichkeiten sie in der Arbeit mit an Demenz erkrankten Menschen bereitstellen. In diesem Kontext bilden Weiterbildungsangebote für einzelne Kunstsparten, Schulungen für Pflegepersonal als auch pflegende Angehörige einen wichtigen Faktor, um diesen innovativen Ansatz gesellschaftlich zu verankern.

Fazit

Im Ganzen handelt es sich um eine kompakte Studie, die vielfältige aktuelle Praxisformen berücksichtigt und gegliedert nach Themenschwerpunkten vorstellt. Sie bietet sowohl Betroffenen, Kulturschaffenden, Künstlerischen Therapeuten, Pflegepersonal und pflegenden Angehörigen wichtige Einblicke in dieses Aufgabenfeld von an Demenz erkrankten Menschen. Damit fordert diese Studie heraus vergleichbare Modelle in Praxisfeldern umzusetzen oder neue zu entwickeln. Im Hinblick darauf sollte es auch eine Grundlektüre für die in der Ausbildung befindlichen Bezugsgruppen sein und von Bildungsinstitutionen in der inhaltlichen Ausrichtung einbezogen und umgesetzt werden. In der umfangreichen, gut verständlichen Darlegung von theoretischen Grundlagen zum Arbeitsfeld an Demenz erkrankten Menschen und von kreativen Praxismodellen aus unterschiedlichen Kunstsparten ist es ein praxisrelevantes Handbuch, das mit Nachdruck zu empfehlen ist.

Rezension von
Prof. Dr. habil. Ruth Hampe
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Es gibt 17 Rezensionen von Ruth Hampe.

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Zitiervorschlag
Ruth Hampe. Rezension vom 11.02.2013 zu: Flavia Nebauer, Kim de Groote: Auf Flügeln der Kunst. Ein Handbuch zur künstlerisch-kulturellen Praxis mit Menschen mit Demenz. kopaed verlagsgmbh (München) 2011. ISBN 978-3-86736-324-2. Reihe: Kulturelle Bildung - 24. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13055.php, Datum des Zugriffs 08.12.2023.


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