Bernd Schorb, Helga Theunert: Medien und Gesundheitsförderung
Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 13.03.2012

Bernd Schorb, Helga Theunert: Medien und Gesundheitsförderung.
kopaed verlagsgmbh
(München) 2011.
128 Seiten.
ISBN 978-3-86736-270-2.
D: 10,00 EUR,
A: 10,30 EUR.
Reihe: merzWissenschaft.
Thema
Das Heft der Zeitschrift für Medienpädagogik setzt Impulse für „Diskussionen über gesundheitsrelevante Aspekte im Kontext der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen“ (Lampert, S. 4).
Herausgeberteam
Die Herausgeber der medienpädagogischen Fachzeitschrift von merz, Prof. Dr. Bernd Schorb sowie Professorin Dr. Helga Theunert, sind ausgewiesene Wissenschaftler auf dem Gebiet der Medienpädagogik. Die AutorInnen der jeweiligen Beiträge forschen in den Gebieten Erziehungswissenschaft, Psychologie sowie Medien und Kommunikation i.w.S.
Entstehungshintergrund
merzWissenschaft setzt sich in den einzelnen Heften mit unterschiedlichen Themen auseinander. Heft 6 widmet sich der Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen und der Bedeutung der Medien in diesem Kontext.
Aufbau
Die Zeitschrift beinhaltet verschiedene Beiträge zur Mediennutzung.
- Claudia Lampert: Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen – Risikofaktor oder Ressource für gesundheitliche Selbstbestimmung?
- Heiner Keupp: Gesundheitsförderung in und durch Gesundheitsdiskurse und die Rolle der Medien
- Diana Rauhfelder, Danilo Jagenow, Angela Ittel: Mediennutzung, Freizeitverhalten und Körperzufriedenheit in der früh-pubertären Entwicklungsphase
- Angela Ittel, Kate Drury: The Meaning of media and Body Issues of Girls and Boys
- Lena Hirschhäuser, Rudolf Kammerl: Elterliche Befürchtungen und Beobachtungen exzessiver Mediennutzung Jugendlicher aus Expertenperspektive
- Claudia Lampert: Den Bock zum Gärtner machen?! Möglichkeiten und Grenzen der Gesundheitsförderung durch Medien
- Anders Svensson, Vivian Vimarlund, Klas Gäre: „Online Participation with Obstacles“ Non-Willingness to Become Facebook Fans of a Health-Promoting Website
- Eva Baumann: Medien-Macht? – Macht Medien! Potentiale von aktiver Medienarbeit bei der Bewältigung von Essstörungen
- Julia Hünninger, Natalie Metzinger, Steffi Diana Storch, Klaus Bredl: Liebeskummer im Netz – Mental Health Support in virtuellen Selbsthilfeforen
- Claudia Lampert, Elisabeth Jäcklein-Kreis: Aktuelle Literatur zum Thema Kinder – Medien – Gesundheit
- Autorinnen und Autoren
- Call for papers 2012
- Impressum
Inhalt
Einleitend verweist Lampert auf den 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. In diesem Bericht wird Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe hervorgehoben. In diesen Kontext reichen auch die Medieninhalte sowie die Mediennutzung allgemein. Die Mediennutzung kann die gesundheitliche Entwicklung der Heranwachsenden unterstützen und dient sowohl als Faktor und Möglichkeit zur Bewältigung gesundheitlicher Problemlagen und auch als Ressource für die gesundheitliche Selbstbestimmung.
Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Gesundheit(sförderung) ist eingebettet in sich verändernde Gesundheitsdiskurse, die durch die Medien transportiert werden, indem sie Modelle für das „richtige Leben“ liefern. Wobei der Focus des 13. Kinder- und Jugendberichtes auf der Befähigungsgerechtigkeit liegt. Keupp sieht als Basis für dieses Ziel sowohl die salutogenetische Perspektive als auch den Capability-Ansatz. Wobei es nicht nur um ein theoretisches Fundament für die Sozial- und Bildungspolitik in Deutschland geht sondern auch um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Somit erfordert Befähigungsgerechtigkeit, so der Schluss, institutionelle Bedingungen, die Möglichkeiten zur praktizierten Selbstsorge zur Verfügung stellen.
Einen Meilenstein in der Forschungslandschaft von nicht-klinischen Studien in der früh-pubertären Entwicklungsphase legen Raufelder/ Jagenow und Ittel. Sie gehen der Frage „nach dem Zusammenspiel von Medienkonsum, Freizeitverhalten und Körperzufriedenheit bei frühpubertären Mädchen und Jungen zwischen acht und zwölf Jahren“ (S.22) nach. Zunächst werden die theoretischen Erklärungssätze erläutert und das Studiendesign vorgestellt. Die 166 Probanden setzten sich aus 77 Mädchen und 89 Jungen der 4.-6. Klasse zusammen. Exemplarisch sei auf ein wesentliches Resultat der Studie verwiesen: von den 122 normalgewichtigen Berliner Grundschulkindern waren lediglich 93 Kinder mit ihrem Körper zufrieden. Trotz der interessanten Ergebnisse sollte eine Längsschnittstudie die Resultate Forschungsfrage bestätigen. Denn die Ergebnisse zielen auf die Umsetzung in Präventions- und Interventionskonzepte für Kinder in der früh-pubertären Phase.
Ittel und Drury ergänzen die vorherigen Befunde durch eine geschlechtsspezifische Perspektive. In der beschriebenen Studie untersuchten die Autorinnen die Wechselbeziehung zwischen Medien, Peer und der Körpererfahrung unter geschlechtsspezifischen Aspekten. Die Ergebnisse belegen u.a. eine stärkere Hinwendung der Mädchen der Körperwahrnehmung an medialen Vorlagen. Schlussfolgernd und in Ergänzung zu Raufelder/ Jagenow und Ittel empfehlen Ittel und Drury geschlechtssensible Präventions- und Interventionsprogramme bzgl. Ess-, Medienverhalten und Körperbewusstsein.
Hirschhäuser/ Kammerl setzen den Schwerpunkt auf die elterliche Wahrnehmung exzessiver Mediennutzung Jugendlicher. Die Auswertung eines breit angelegten Forschungsprojektes TherapeutInnen, ExperInnen und Familien eingeschlossen) ergab u.a. Befürchtungen bzgl. der geistigen Entwicklung der Jugendlichen. Auch benannten die ExpertInnen die exzessive Mediennutzung als dysfunktionale Lösungsversuche. Hervorzuheben ist die Bedeutung der Eltern, die einerseits problematischen Medienkonsum zuerst beobachten und andererseits sich unsicher fühlen bzgl. der Medienerziehung. Deshalb benötigen Eltern besondere Unterstützungsleistungen, um problematischen Medienkonsum zu vermeiden oder ggf. zu erkennen.
Aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet Lampert die Medienaffinität von Heranwachsenden. Die Autorin fragt, inwieweit Medien gezielt für die Gesundheitsförderung genutzt werden können. Zunächst werden geeignete mediale Zugänge eruiert. Dabei liegt das größte Potential einzelner Medienangebote auf der Ebene der Sensibilisierung für gesundheitsbezogene Themen. Entscheidend für die Planung von Medienangeboten ist die exakte Kenntnis um die Zielgruppe und das Kommunikationsziel.
Ein anschauliches Beispiel für die Einbindung eines sozialen Netzwerkes in ein Gesundheitsangebot für Jugendliche in Schweden stellen Svensson/ Vimarlund/ Gäre vor. Auf einer Facebook Fan Page wurden Themen wie sexuelle Gesundheit, Fortpflanzung und psychische Gesundheit angeboten. Nach einem Jahr wurden Eintragungen u.Ä. analysiert und die Ergebnisse diskutiert. Im Fazit bestätigt auch dieses Gesundheitsangebot: mediale Angebote werden umso intensiver genutzt, umso besser das Informationsverhalten und die Mediennutzungspräferenz der Anwender beachtet werden.
Dass Medienarbeit auch eine sinnvolle Ergänzung bei der Bewältigung von Essstörungen sein kann, weist Baumann in ihrem Beitrag nach. Nach einer kritischen Reflexion des Forschungsstandes werden exemplarisch die Potentiale von aktiver Medienarbeit wie Kollagen und Videoclips bei der Bewältigung von Essstörungen verdeutlicht. Den essgestörten PatientInnen gab die Medienarbeit vor allem Impulse für die Auseinandersetzung mit der Krankheit und der Reflexion dahinter liegender Mechanismen. Für psychosomatische Erkrankungen im Allgemeinen hilft die Mediennutzung, der Erkrankung ein Gesicht zu geben. Perspektivisch eröffnet „die Rückbindung der wissenschaftlichen Befunde zum Beziehungsgeflecht zwischen Essstörungen und Medien“ (S. 94) die Weiterentwicklung von Mediennutzung für therapeutische Interventionen.
Die Verbindung zwischen mentaler Gesundheit und Laienberatung via Netz knüpfen Hünninger, Metzinger, Storch und Bredl. Der Ausgangspunkt der qualitativen Analyse bildet die soziale Unterstützung durch Online Communitys in emotionalen Ausnahmesituationen wie dem Liebeskummer. Als angemessene Alternative in dieser Phase instabiler mentaler Gesundheit und als „erste Hilfe“ bietet das „Deutsche Forum gegen Liebeskummer“ hilfreichen User-Austausch. Aus diesem Grund wäre eine fachliche und öffentliche Aufwertung derartiger (Selbsthilfe)Foren sinnvoll. Denkbar ist die Schulung von Moderatoren dieser Foren. Auch wenn diese Analyse lediglich Tendenzen aufspürt und Impulse für die Mediennutzung setzen kann, hat sie doch ein wesentliches Kriterium für die positive Wirkung der Hilfe im Netz herausarbeiten können: zeitnahe Antworten und regelmäßige Nutzung!
Abschließend geben Lampert/ Jäcklein-Kreis einen Überblick über die einschlägige Literatur zum Thema Kinder, Medien und Gesundheit.
Angaben zu den AutorInnen vervollständigen diesen Sammelband.
Diskussion
Das Heft der Zeitschrift für Medienpädagogik zeichnet sich durch Praxisrelevanz aus. Einerseits verweisen alle AutorInnen auf die wissenschaftlichen und populären Diskurse auf die Rolle der Medien innerhalb von Gesundheitsförderung bzw. riskantem Gesundheitsverhalten. Andererseits belegen sie mit Studien und Projekten die Macht der Medien, ihre Impulse für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, der mentalen Gesundheit, der Erkrankung sowie als Informationsplattform für Eltern und alle Interessenten. Die Bezüge zur theoretischen Basis, Fragen zum Forschungsdesign wurden zu Gunsten des fachlichen Diskurses kurz gehalten ohne die Bedeutung dieses fundamentalen Wissens zu schmälern. Besonders wertvoll ist der Mut zu Querschnittstudien mit kleinen Stichproben im nicht-klinischen Rahmen. Die Resultate die vorgestellten Studien belegen die Kraft und die Impulse, die diese Projekte für die konkrete Präventionsarbeit geben und vor allem liefern die Gründe für fachübergreifende Sozialforschung.
Fazit
Dieses Heft bietet eine Vielzahl von Ideen für die eigene Auseinandersetzung mit der Mediennutzung – als User, als Elternteil, als Praktiker, als Wissenschaftler. Die hervorragende Lesbarkeit der Artikel lässt die Medienprofis im positiven Sinne vermuten. Deshalb können selbst die beiden englischsprachigen Beiträge leicht erschlossen werden. Und weil diese Artikel alle ansprechen, Heranwachsende, Eltern. Professionelle und Wissenschaftler kann dieses Themenheft von einem breiten Leserkreis rezipiert werden. Mich als Rezensentin haben die Artikel angeregt zum Nachdenken, überdenken und Entwickeln neuer Ideen. Fazit: ein wirklich anregendes und empfehlenswertes Themenheft – ohne Einschränkungen der Zielgruppe.
Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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