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Joseph Nye: Macht im 21. Jahrhundert

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 25.04.2012

Cover Joseph Nye: Macht im 21. Jahrhundert ISBN 978-3-88680-983-7

Joseph Nye: Macht im 21. Jahrhundert. Politische Strategien für ein neues Zeitalter. Siedler Verlag (München) 2011. 383 Seiten. ISBN 978-3-88680-983-7. D: 24,99 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 42,90 sFr.

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Macht heute

Macht, im persönlichen wie vor allem in der Innen- und Außenpolitik wird im allgemeinen beschrieben als die Herrschaft von Menschen über Menschen und Dinge und Einfluss darüber auszuüben, die Wahrnehmung und/oder das Verhalten anderer zu kontrollieren und zu verändern (I.C.Maxmillan). In der philosophischen Bedeutung, etwa bei Aristoteles, wird Macht, dynamis, als das Vermögen oder die Möglichkeit bezeichnet, etwas, was der Mensch besitzt oder wozu er fähig ist, zu verändern, auszuüben oder zu bewerkstelligen. Ein Mächtigsein ist somit „ein Wirklichsein, das von der Möglichkeit her zu verstehen ist“. Jeder Mensch übt in irgend einer Form Herrschaft aus, die von der Herrschaft und Beherrschtheit über sich selbst bis zur Herrschaft über andere Dinge und Menschen reicht. Als zôon politikon, als politisches Lebewesen, das von Natur aus mit Vernunft und dem Willen ausgestattet ist, in Gemeinschaft mit anderen Menschen zu leben und ein gutes Leben anzustreben, ist der Mensch Macht- und Moralwesen zugleich und es bedarf der Fähigkeit und Bereitschaft, Macht und Herrschaft im Sinne einer „Lebenskunst“ zu zähmen und allgemeinverträglich zu gestalten (Otfried Höffe, Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, S. 139ff; siehe auch: Martin Gessmann, Philosophisches Wörterbuch, Stuttgart 2009, S. 457).

Im politischen und gesellschaftlichen Leben der Menschen bedarf es einer Ethik, die den Missbrauch von Macht verhindert. Da kann der Kantische Imperativ, der im Volksmund übersetzt wird mit – „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu!“ – als Anhaltspunkt dienen, oder die in der Präambel der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formulierte Grundlage sein, dass „die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“(Deutsche UNESCO-Kommission, Menschenrechte. Internationale Dokumente, Bonn 1981, S. 48). Macht hat immer auch mit vielfältigen, persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Begehrlichkeiten zu tun, und bei Missbrauch von Macht fehlt die Obacht, was jemandem, der eine gesellschaftliche Aufgabe ausübt, gewissermaßen zusteht oder eben nicht zusteht. Es sind nicht selten die scheinbaren Selbstverständlichkeiten bei der Handhabe von Macht, die Unrechtsbewusstsein abhanden kommen lässt und die Machtausübung scheinbar zum Recht macht. Legitimierte Macht aber in einer Demokratie ist immer geliehen und begrenzt im Rahmen der Gesetze, Werte und Normen, die sich eine Gesellschaft gegeben hat.

Zu einer demokratischen Machtausübung gehören unabdingbar und unverzichtbar Verantwortung und Disziplin. Denn es sind die Versuchungen und Verführungen, machtpolitisch und materiell, die Machtmissbrauch bewirken (George M. Ball, Disziplin der Macht. Voraussetzungen für eine neue Weltordnung, Frankfurt/M., 1968, 368 S.).

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, diese eher pessimistische, manche sagen realistische Einstellung, die vermutlich irrtümlich Lenin zugeschrieben wird, gibt ja eine scheinbar einsichtige Volksweisheit wieder; und sie weist eine Erfahrung aus, dass der Mensch ein an sich egoistisches, auf Eigennutz drängendes Lebewesen ist, das Gelegenheiten nicht auslässt, Macht auszuüben, sich zu bereichern und sich Vorteile gegenüber anderen Menschen zu verschaffen. Diese Einstellungen zeigen sich im alltäglichen Tun, wie im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und machtpolitischen Handeln. Besonders auf materiellem Gebiet hat mittlerweile die ursprünglich negativ notierte „Gier“, als abzulehnendes und zu überwindendes Laster, eine Akzeptanz erhalten, die sich im Hype ausdrückt und den „Gierigen“ zum „Erfolgreichen“ macht. In der Gesellschafts-, System- und Kapitalismuskritik (Aus der ansteigenden Anzahl der Kapitalismuskritik vgl. z.B.: Tomáš Sedláček, Die Ökonomie von Gut und Böse, München 2012, www.socialnet.de/rezensionen/12902.php), wird dieser Einstellungswandel aufgespießt mit der Warnung, dass ein (ökonomisches) Immer-weiter-immer-schneller-immer-höher-immer-mehr“ in die Katastrophe führen muss und es eines Perspektivenwechsels bedarf, wie ihn die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ 1995 fordert: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden (Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt. Bericht der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ (Kurzfassung), 2., erweit. Ausgabe, Bonn 1997, S. 18“).

„Arroganz der Macht“ soll ja zum Ausdruck bringen, dass hierbei von Menschen Macht missbraucht wird, als eine Verhaltensweise, die gemeinschaftsschädlich und menschenunwürdig ist. Wie ein solcher Machtmissbrauch verhindert werden kann, bedarf es eines Bewusstseins, dass die Güter der Erde, die der Mensch nutzt und erwirkt, Gemeingüter sind, die nicht nur Einzelnen, sondern der menschlichen Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Mit der Frage „Wem gehört die Welt?“ wird in den Zeiten der sich immer interdependenter, entgrenzender und auseinanderdriftender (Einen) Welt – Die Reichen werden reicher und die Armen werden ärmer, lokal und global – der Finger in die Wunden unserer Welt gelegt und an die „Kompetenz der Allmende“ erinnert (Heinrich-Böll-Stiftung / Silke Helfrich, Hrsg., Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter, München 2009, 288 S. (www.socialnet.de/rezensionen/7908.php), sowie von der Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften (2009), Elinor Ostrom, mit der provozierenden wie verständlichen Aussage bestätigt: „Was mehr wird, wenn wir teilen“ (Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, München 2011, 128 S. (www.socialnet.de/rezensionen/11224.php).

Entstehungshintergrund und Autor

Nach dieser langen Vorrede endlich zum Buch: Es sind „Formeln zur Macht“ (Wilhelm Fucks, 1965) und der Ruf nach einer kontinentalen Neubesinnung (Europas), die Machtveränderungen zur Kenntnis zu nehmen (Jean-Jacques Servan Schreiber, Die amerikanische Herausforderung, 1968), die ein Nachdenken über Dominanz, Einfluss und Hegemonie von politischen Mächten den Diskurs bis vor wenigen Jahrzehnten bestimmten. „Balance“ und „Gleichgewicht“ standen dabei als strategisches Denken und internationales, politisches Handeln im Vordergrund, und das leitende Interesse der Staaten bestand darin, durch ein (Rüstungs-) Gleichgewicht angestammte Macht zu erhalten. Durch die geostrategischen Veränderungen, etwa der Auflösung des Ost-West-Konflikts und globale Entwicklungen, durch die Globalisierung, stellt sich auch die Frage nach der Macht neu; etwa durch die Interpretation des Friedensbegriffs, wie dies die UNESCO mit der „Deklaration von Yamoussoukro“ (1989) formuliert, oder mit der Auseinandersetzung des Gewaltbegriffs (Byung-Chul Han: Topologie der Gewalt, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12785.php), und nicht zuletzt durch „intelligente Macht“, wie dies der US-amerikanische Politikwissenschaftler der Harward-University lehrende und in der Clinton-Regierung als stellvertretender Verteidigungsminister fungierende Joseph Nye bezeichne: „Intelligente Macht ist die Kombination aus ‚harter‘ (mit Zuckerbrot und Peitsche operierender) Macht (hard power) und ‚sanfter‘, auf Überzeugungsarbeit und Attraktion setzender Macht (soft power)“.

Aufbau und Inhalt

Joseph Nye gliedert sein Buch in drei Teile.

Im ersten Teil diskutiert er die verschiedenen „Spielarten der Macht“, beginnend mit der Frage, was Macht in der Weltpolitik ist und differenziert in militärische und wirtschaftliche Macht. Dabei zeigt er an zahlreichen Beispielen auf, wie sich sanfte oder weiche Macht im nationalen und internationalen Geschehen darstellen kann und auf welchen Grundlagen sie beruht: Kultur – Werte – Außenpolitik. Er arbeitet dabei drei Formen von „weicher Macht“ heraus, wie sie sich im politikwissenschaftlichen Diskurs und in der globalen Praxis darstellen: Agendasetting – Anziehungskraft – Überredung. Es sind also nicht die Waffenlager und hegemonialen Drohgebärden, sondern es ist die Diplomatie als Kunst, Friedfertigkeit zu erzeugen. In Umfragen bei 143 Länderrelationen zeigt sich nämlich, dass in den internationalen Beziehungen, bei denen die Bevölkerung überwiegend ein negatives Urteil über die Führung und die Zustände im anderen Land fällten, sich vergleichsweise mehr (Terror-)Konflikte ereigneten. Das ist natürlich kein Automatismus, sondern abhängig von dem gesellschaftlichen Klima, dem Grad der Aufgeklärtheit und dem Friedens- und Verständigungswillen der Bevölkerung,

Im zweiten Teil geht es um Analysen von „Machtverschiebungen“, immer ausgehend von der US-amerikanischen Politik. Es sind die Veränderungen, wie sie sich als vertikale und horizontale Diffusionen von Macht ereignen; und es ist die „Cybermacht“, wie sie sich als „Informationsrevolution“ entwickelt und nationale Grenzen obsolet werden lässt: „Die Informationsrevolution hat zur Folge, dass Macht in Zukunft immer breiter verteilt sein wird und dass informelle Netzwerke die Monopolstellung der herkömmlichen Bürokratien (und Machtzentren, J.S.) auflösen werden“. Die differenten Strategien, Methoden und Auswirkungen zeigen sich sowohl als „harte“ Macht, durch Zensur, Überwachung, Verbote, Sperren von Netzwerken oder Attacken und Vireneinschleusungen, als auch als „weiche“ Macht durch Information, Kooperation und Aufklärung. Macht- und Einflussverschiebungen stellen sich für die Bevölkerung, im Kontext die in den USA, als Menetekel dar. Geostrategische Machtveränderungen, etwa zwischen den USA und China oder auch den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) dürften sich, nach Einschätzung des Autors in absehbarer Zeit nicht so vollziehen, dass von einem Niedergang der Macht der USA gesprochen werden kann; es sei denn, das schreibt Joseph Nye seinen Landsleuten ins Stammbuch, es gelingt nicht, innenpolitische, gesellschaftliche Reformen zu verbinden mit einem Wandel der Machtauffassungen.

Dieser Herausforderung widmet der Autor das dritte Kapitel, in dem er „intelligente Machtausübung“ als eine Lösung der drängenden globalen Entwicklungen propagiert. Dabei stellt er fünf Fragen: „Welche Ziele oder Resultate werden primär angestrebt?“ – „Welche Ressourcen stehen zur Verfügung und in welchem Kontext? – „Was sind die Standpunkte und Präferenzen der Objekte der versuchten Einflussnahme?“ – „Welche Formen von Machtverhalten haben die größte Erfolgswahrscheinlichkeit?“ – „Wie hoch ist meine Erfolgswahrscheinlichkeit?“. Obwohl die Analysefragen an die des klassischen Realismus erinnern, der die (westlichen) Machtauffassungen und -positionen in der Vergangenheit bestimmten, lässt sich doch, für die Frage nach der Macht der USA wie die der anderen Mächte, eine Unterscheidung erkennen: Die Abkehr von der hegemonialen und hin zur differenzierten, vielfältigen Macht. Nye bezeichnet seinen Systemwechsel als „liberalen Realismus“, der sich speist aus dem realistischen Wissen um die Stärken und Grenzen (amerikanischer) Macht, einer liberal-realistischen Strategie, „die harte Macht mit weicher, attraktiver Macht zu intelligenter Macht … (zu) kombinieren“, und der Notwendigkeit Sicherheit für die Bevölkerung zu gewährleisten.

Fazit

Joseph Nye formuliert für sein Konzept einer intelligenten Machtstrategie, im wesentlichen ausgerichtet auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung in den USA, aber übertragbar nicht nur auf die westlichen, sondern die globalen Mächte, fünf Herausforderungen: Ein konzentriertes, gemeinsames Vorgehen gegen den Terrorismus und der Verbreitung von nuklearem Waffenmaterial; der aufmerksamen Beobachtung der menschen- und friedensfeindlichen Entwicklungen, wie sie sich im radikalen islamischen Terrorismus vollziehen; einer Politik entgegenzuarbeiten, dass (in Asien und …) eine amerika(west-)feindliche Hegemonialmacht entsteht; ökonomische Weichenstellungen gegen eine neoliberale Wirtschafts- und Finanzentwicklung; und fünftens sich mit Strategien gegen den drohenden Klimawandel und die ökologische Katastrophe zu stellen. All dies wird nur zu bewerkstelligen sein, wenn die Völker in der (Einen?) Welt gemeinsam eine neue Weltordnung schaffen, die auf den Grundlagen der Menschenwürde beruht.

Joseph Nyes Frage, wie sich Macht im 21. Jahrhundert gestalten kann, ist, vom US-amerikanischen Standpunkt aus, eine geopolitische und -strategische Analyse über die traditionellen Machtverhältnisse und deren Wandel in der globalisierten Welt. Mit dem Begriff der „intelligenten Macht“ setzt der Autor einen zukunftsträchtigen Gegenpart zu herkömmlichen Machtpositionen. Es handelt sich dabei um eine amerikanische Stimme, die im internationalen Diskurs zu einem Element des globalen Dialogs werden sollte, nicht als (westlicher) Hegemonialanspruch, sondern als ein strategisches Angebot, die Welt – und damit die Macht – zu verändern, hin zu einer globalen Ethik, die sich in der Präambel der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausdrückt, dass „die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 25.04.2012 zu: Joseph Nye: Macht im 21. Jahrhundert. Politische Strategien für ein neues Zeitalter. Siedler Verlag (München) 2011. ISBN 978-3-88680-983-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13126.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.


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