Sylvie Naar-King, Mariann Suarez (Hrsg.): Motivierende Gesprächsführung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Rezensiert von Patrick Zobrist, 11.03.2013

Sylvie Naar-King, Mariann Suarez (Hrsg.): Motivierende Gesprächsführung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2012. 224 Seiten. ISBN 978-3-621-27945-1. 34,95 EUR. CH: 47,90 sFr.
Thema
„Jugendliche und junge Erwachsene stehen therapeutisch unterstützten Veränderungen oft zweifelnd und ambivalent gegenüber. (…). Mit Hilfe der Motivierenden Gesprächsführung werden den jungen Klienten die Diskrepanzen aufgezeigt, die sich zwischen ihren Werten und Wünschen einerseits und ihrem tatsächlichen Verhalten andererseits auftun.“ (Auszug aus dem Klappentext).
Herausgeberinnen, Autorinnen und Autoren
Die beiden Herausgeberinnen sind klinische Psychologinnen und Kinderpsychotherapeutinnen. Sie arbeiten klinisch und forschend in den Vereinigten Staaten.
Die 32 Mitautorinnen und -autoren sind in den Bereichen Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie, in der Sozialen Arbeit sowie im Gesundheitspräventionsbereich tätig und/oder arbeiten in Bildungs- und Forschungseinrichtungen in den USA.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist unter dem Titel „Motivational Interviewing with Adolescents and Young Adults“ im Jahre 2011 bei The Guilford Press im Kontext einer von Miller und Rollnick (den Entwicklern der motivierenden Gesprächsführung) herausgegebenen Reihe erschienen und wurde vorliegend ins Deutsche übersetzt. Die Absicht des Bandes ist es, den Ansatz der motivierenden Gesprächsführung („MI“) für die spezifischen Handlungs- und Arbeitsfelder der Psychotherapie, Beratung und Gesundheitsförderung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu konkretisieren und zu erweitern. Das Buch richtet sich nicht ausschließlich an Psychologen. Das Ziel ist es, die Inhalte „(…) auch für andere Fachkräfte anwendbar darzustellen und die vielen Anwendungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Settings mit Leben zu füllen.“ (S.18)
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in drei Teile:
- Im ersten Teil „Grundlagen“ führen die beiden Herausgeberinnen in das MI-Konzept – bezogen auf die junge Zielgruppe – ein,
- im zweiten Teil „Anwendungsfelder“ werden von den Autorinnen und Autoren verschiedene Problemstellungen vorgestellt, die mit MI bearbeitet werden können, und
- im dritten Teil „Den eigenen Weg finden“, beleuchten wiederum die Herausgeberinnen ethische Aspekte, die bei der Anwendung MI zu beachten sind und sie informieren über die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten von MI.
Der erste Teil mit den Grundlagen von MI strukturiert sich inhaltlich nach den von Miller und Rollnick vorgeschlagenen Elementen des Ansatzes und thematisiert „Grundhaltungen“, „personenzentrierte Beratungsfertigkeiten“, „Umgang mit Widerstand“, „change talk“ und „commitment“. Die Herausgeberinnen konkretisieren ihre Ausführungen von MI für die Bedingungen und Anforderungen des Arbeitens mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen und liefern hier keine „Wiederholung“ der MI-Grundlagen ab, sondern leisten eine eigenständige Weiterentwicklung. So leiten sie beispielsweise im Kapitel „Pubertät und frühes Erwachsenenalter“ entwicklungspsychologische und sozialisationstheoretische Aspekte her, die bei MI mit jungen Klienten zu berücksichtigen sind. Das letzte Kapitel des ersten Teils beleuchtet die Frage, ob und wie MI mit anderen Therapieansätzen kombiniert werden kann und thematisiert auch das Verhältnis von MI und Belohnungsstrategien.
Die Kapitel im zweiten Teil, in denen sich die Autorinnen und Autoren den Anwendungsfeldern zuwenden, sind jeweils identisch aufgebaut: Zunächst wird die Epidemiologie dargestellt, danach wird begründet, weshalb die Indikation für MI besteht und es wird gezeigt, wie MI für die Bearbeitung einer konkreten jugendtypischen Problemstellung eingesetzt werden kann. Die jeweiligen Kapitel schließen mit Aussagen zur Evidenz von MI im beschriebenen Themenkomplex und zu erkannten Forschungsdesideraten ab. Die im Band beschriebenen Problemstellungen sind: Alkoholprobleme, Marihuana-Abhängigkeit, Jugendstrafvollzug, riskantes Sexualverhalten, Raucherentwöhnung, psychische Erkrankungen, Essstörungen, chronische Erkrankungen, Gruppentherapie bei alkohol- und drogenabhängigen Jugendlichen, Schule und Familientherapie. Allerdings überschneiden sich die Themen: So werden beispielsweise im Kapitel über den Jugendstrafvollzug und über die Schule mehrheitlich Alkohol- und Suchtproblematiken behandelt. Die gesundheitsbezogenen Themenfelder dominieren diesen Praxisteil.
Im dritten Teil setzen sich die Herausgeberinnen mit den Fragen auseinander, inwiefern MI zur Beeinflussung angewandt werden darf und welche Werte und Ziele handlungsleitend sind. Sie skizzieren konkrete Gesprächssituationen, in denen ihres Erachtens ethisch resp. unethisch gehandelt wird. Zum Abschluss des Bandes werden das schrittweise Erlernen von MI, die Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung und die MI-Qualifizierung dargestellt.
Diskussion
Der vorliegende Band dokumentiert eindrücklich, wie sich MI in den Vereinigten Staaten als „Standardmethode“ etabliert hat, wenn es darum geht, Klienten/Patienten für Veränderungen zu motivieren. Die Herausgeberinnen konkretisieren diesen „Standard“ für die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Stärke von MI liegt darin, die inneren Diskrepanzen, d.h. die Ambivalenzen zwischen eigenen Zielen und dem konkreten Handeln, aufzulösen und einen Veränderungsprozess zu unterstützen. In diesem Zusammenhang präsentiert der Band anschaulich und gut nachvollziehbar die Möglichkeiten von MI, wobei sich die Anwendungsfelder – identisch mit der Indikation für MI bei Erwachsenen – mehrheitlich rund um die Bewältigung von gesundheitlichen Themen bewegen.
Allerdings: Das Jugendalter impliziert, dass die Akteure der Sozialisationsinstanzen immer wieder andere Absichten und Ziele verfolgen, als dies die Jugendlichen tun. Dies führt nicht nur zu „inneren Diskrepanzen“, sondern auch zu offenen interaktionellen Konflikten. Wie sollen sich hier Therapeuten und Berater positionieren? Die in diesem Band vertretenen Haltungen sind wenig konsistent: Einerseits wird argumentiert, wonach es von Bedeutung sei, dass die Jugendlichen selber ihre Werte und Ziele realisieren können. Anderseits wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Fachleute teilweise (zum Beispiel zur Verhinderung von Schädigungen) gegen den Willen der Klienten handeln müssen. Gleichzeitig wird davon abgeraten, MI einzusetzen, wenn sich die Fachperson in einer besonderen Machtposition befindet. Besonders in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit wie der Jugendhilfe oder im Kinderschutz akzentuiert sich dieses Dilemma augenscheinlich (die Verfasserinnen weisen im Themenfeld Bewährungshilfe darauf hin). Es wäre zu wünschen gewesen, dass sich der Band diesen handlungsrelevanten Widersprüchen noch vertiefter gewidmet hätte. Systemische Ansätze, die sich der jugendlichen Zielgruppe mit Motivationsschwierigkeiten annehmen (z.B. Liechti, 2009), bieten zu diesen Widersprüchen praktikablere Vorschläge an, als dies die Ausführungen in diesem Buch leisten können. Die ethischen Überlegungen der Herausgeberinnen sind zwar interessant, ihre Verankerung in übergeordneten professionsethischen Richtlinien oder ihre theoretische Herleitung sind leider nicht erkennbar. Auf die Vermarktung von Weiterbildungsangeboten im letzten Kapitel „Vertiefung und Weiterbildungsmöglichkeiten“ hätte ein Fachbuch gerne verzichten dürfen, möglicherweise ist dies dem „Produkt“ geschuldet.
Gelungen ist die Hervorhebung der spezifischen Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die entwicklungspsychologischen Ausführungen sind zwar sehr verkürzt, aber sie sensibilisieren den mit diesem Wissensfundus vertrauten Leser für diese zentralen Aspekte. Der Band ist übersichtlich gestaltet und didaktisch gut aufgemacht. Die Zusammenfassungen, „Do's and dont's“ und die vielen praktischen Beispiele illustrieren die Vorschläge der Verfasserinnen und Verfasser in anschaulicher Weise. Dieser Umstand lässt über das Faktum hinwegsehen, dass es sich „nur“ um eine Übersetzung aus dem Amerikanischen handelt und der Transfer in die Arbeitskontexte des deutschsprachigen Raums selber vorgenommen werden muss. Dies gilt auch für die präsentierte Literatur und den Forschungsstand. Das Buch bleibt – auch im Stil - amerikanisch und bei einigen Passagen hätte man sich fragen können, ob die Originalversion nicht mehr Lesegenuss versprochen hätte.
Die Befürchtungen der Herausgeberinnen, wonach die Adaption von MI für die spezifischen Bedürfnisse von Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Prägnanz der Methode reduzieren könnte, haben sich keinesfalls bestätigt. Im Gegenteil: Es gelingt allen Autorinnen und Autoren in diesem Band sehr gut, die Methode von Miller und Rollnick in gut verständlicher Weise weiterzuentwickeln und sie praxisorientiert darzustellen.
Fazit
Wer mit Hilfe von MI mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen an gesundheitlichen Themen arbeitet und seine Klienten für Veränderungen motivieren will, erhält mit dem vorliegenden Buch viele praktische Anregungen und Hinweise. Der Transfer in die eigenen Arbeitskontexte muss allerdings selber geleistet werden. Für die Belange der Methodenentwicklung und Forschung kann der Band gleichermaßen interessante Anknüpfungsmöglichkeiten und zu bearbeitende Leerstellen aufzeigen.
Literatur
- Liechti, Jörg (2009). Dann komm ich halt, sag aber nichts. Motivierung Jugendlicher in Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl Auer.
Rezension von
Patrick Zobrist
M.A./Sozialarbeiter, Dozent/Projektleiter, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, Luzern (Schweiz)
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