Laszlo Trankovits: Weniger Demokratie wagen!
Rezensiert von Christoph Hornbogen, 16.07.2012
Laszlo Trankovits: Weniger Demokratie wagen! Wie Wirtschaft und Politik wieder handlungsfähig werden. Frankfurter Allgemeine Buch (Frankfurt am Main) 2011. 288 Seiten. ISBN 978-3-89981-245-9. D: 24,90 EUR, A: 25,50 EUR, CH: 42,80 sFr.
Thema
Das Anliegen des Buches erschließt sich im Zusammenhang mit dem Untertitel. „Weniger Demokratie wagen“, damit „Wirtschaft und Politik wieder Handlungsfähig werden“. Es stellt die Frage, wie „eine Welt mit zunehmender Komplexität, Vernetzung und Abhängigkeit [noch] zu beherrschen“ sei. Angesichts zahlreicher Krisensymptome in den westlichen Demokratien rät der Autor, „etwas weniger Demokratie zu wagen – um ihren Kern und ihr Wesen zu bewahren.“ (S. 11)
Autor
Laszlo Trankovits floh 1956 im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie nach dem Einmarsch Sowjettischer Truppen aus Budapest nach Frankfurt am Main. Er besuchte eine Journalistenschule und studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Frankfurt und München. Er begleitete zahlreiche Lehraufträge, etwa an der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Bayerischen Elite-Akademie und der Mannheim Business School. Seit fast 30 Jahren arbeitet er als Auslandskorrespondent der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und berichtete unter anderem aus den USA, der Türkei, Italien, dem Nahen und Mittleren Osten und Südafrika. Der ehemalige Leiter des dpa-Büros in Washington lebt zur Zeit in Kapstadt und leitet dort das dpa-Büro für die afrikanischen Länder südlich der Sahelzone. Ende 2009 veröffentlichte Trankovits das Buch „Die Obama-Methode“ im FAZ-Verlag, in welchem er die Strategien von Obamas erfolgreichem Präsidentschaftswahlkampf analysiert.
Entstehungshintergrund
Im Vorwort des Buches betont der Autor das hohe Maß an Freiheit, dass die Bürger westlicher Demokratien im historischen und internationalen Vergleich genießen und warnt zugleich davor, dieses zu missachten. Die Einschätzung, dass viele Menschen ein Unbehagen gegenüber der „real existierenden Demokratie“ (S. 11) besäßen, teilt Trankovits mit anderen Gelehrten seines Fachs. Der Politikwissenschaftler und -berater Herfried Münkler hatte Mitte 2010 in der Zeitschrift Internationale Politik innerhalb der Bevölkerung den „populistischen Wunsch nach »ein klein wenig Diktatur«“ und auf Seiten des Staates „das administrative Bedürfnis nach »bonapartistischen Lösungen«“ (Münkler, S. 11) ausgemacht. Mit letzterem hat Trankovits beileibe nichts zu tun. Beide Autoren stellen übereinstimmend fest: politischer Extremismus ist keine reale Gefahr für das demokratische System (S. 22), „das Unbehagen an der Demokratie bleibt ein Unbehagen in der Demokratie.“ (Münkler, ebd.). Es resultiert wesentlich, so Trankovits, aus einem „Mangel an Verständnis für [die] Spielregeln und Funktionsweisen freier Systeme.“ (S. 11) Vorstellungen von Freiheit und Demokratie, die ohne Repräsentation und Hierarchien, Autorität und Führung auskommen, erteilt er eine deutliche Absage. Es gehe hingegen um „Maß und Mitte in der Freiheit, in der Politik, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft.“ (ebd.)
Aufbau
Obwohl vom Autor nicht explizit vorgenommen, lassen sich die zehn Kapitel des Buches thematisch grob in drei Blöcke unterteilen.
- Im ersten knapp hundert Seiten umfassenden Block behandelt Trankovits das Verhältnis von Wahlbevölkerung, Politik und Medien. Eine Art Resümee des ersten Blocks bildet das vierte Kapitel, in welchem der Autor die „Last der Transparenz“ in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beleuchtet. Die zuvor betrachteten Probleme – das mangelnde Verständnis für den Ablauf politischer Prozesse, die Personalisierung und Emotionalisierung der Politik, die mediale Beschleunigung und der permanente Wahlkampf – werden durch die Forderung nach Transparenz in allen Gesellschafts- und Lebensbereichen verstärkt.
- Im folgenden Block geht Trankovits zunächst auf allgemeine Probleme des Modernisierungsprozesses westlicher Gesellschaften ein. Im Anschluss daran konkretisiert er die Folgen im jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Kontext Deutschlands und der USA. Das Deutschland-Kapitel nimmt dabei eine Schlüsselstelle im Buch ein, da der Autor hier auf die in seinen Augen falschen Hoffnungen der Befürworter vermehrter direktdemokratischer Entscheide eingeht. Im letzten Block wird das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft behandelt. Dabei wendet sich Trankovits zuerst gegen den in Wirtschaftskreisen einflussreichen Vorbildcharakter Chinas, um in Anschluss zum Beispiel Deutschlands zurückzukehren. Hier macht der Autor ein großes Maß an betrieblicher Mitbestimmung aus, welches jedoch unter dem Druck der Globalisierung und der Notwendigkeit der Vereinheitlichung im europäischen Einigungsprozess den Umständen angepasst werden müsse.
- Im darauffolgenden Kapitel, das als Resümee des Buches gelten kann, präsentiert er seine Vorschläge zur Reformation des politischen Systems. Im sich anschließenden knappen Nachwort kommt er auf die Herausforderungen realer gesellschaftlicher Krisenerscheinungen zurück, welche zu Meistern die Grundlage für die Akzeptanz und Funktionstüchtigkeit der bestehenden Demokratien wäre.
Inhalt
Trankovits Vorhaben, „Kern“ und „Wesen“ der westlichen Demokratien „angesichts vieler Krisensymptome“ (S. 11) zu erhalten, wird mit zwei Herausforderungen konfrontiert: einer um sich greifenden Verunsicherung in der Moderne sowie globalen Machtverschiebungen und damit verbundener verschärfter internationaler Konkurrenz der Staaten. Eine populäre Antwort auf das erfahrene „Unrecht, Unbehagen und [die] Verunsicherung vieler Menschen“ (ebd.) ist der Ruf nach mehr Demokratie. Trankovits weißt diesen zurück. Vielmehr sieht er eine ungebrochene Faszination westlicher Wirtschaftseliten für autoritäre Regime wie das aufstrebende China. Sein Kronzeuge ist der Wirtschaftswissenschaftler Francis Fukuyama. Hatte dieser 1989 angesichts der dritten weltweiten Welle der Demokratisierung noch das „Ende der Geschichte“ verkündet, schrieb er angesichts von Finanz- und Weltwirtschaftskrise, „die amerikanische Demokratie [könne] China nicht viel lehren.“ (S. 231) Trankovits gesteht ein, dass es Demokratien in Sachen Führungskraft und Effizienz naturgemäß schwer falle, mit autoritären Systemen zu konkurrieren. Chinas wirtschaftlicher Erfolg habe den westlichen Demokratien jedoch aufgrund der verschiedenen sozio-ökonomischen Voraussetzungen wenig zu sagen. Dennoch, lenkt er ein, sei ein „Übermaß an Partizipation“ für die westlichen Demokratien problematisch, denn ihre Schwächen „stärken die autoritären Systeme der Welt.“ (S. 237) Schwächen, wie das innenpolitische Ringen um „Stuttgart 21“, das er zum „Exempel für die Geschichte“ erklärt, und die Frage stellt, wieviel Bürgerbeteiligung sich Deutschland nach einem 16-jährigen Planfestellungs- und Raumordnungsverfahren leisten könne, „wenn es handlungsfähig und zukunftsorientiert sein möchte?“ (S. 177f) Das Schicksal der „krisengeschüttelten Demokratien“ verunsichere die jungen Demokratien in Osteuropa angesichts der erfolgreichen autoritären asiatischen Regime wie China, welches von ihm zum „Zentrum einer weltweiten antidemokratischen Allianz“ (S. 237) stilisiert wird. Die Forderung nach mehr Transparenz und Mitbestimmung drohe aber die Handlungsfähigkeit von Politik und Wirtschaft weiter einzuschränken. Ohnehin sei Deutschland, so formuliert er in Anlehnung an das „Mitbestimmungspapier“ der Arbeitgeberverbände und der Industrie, „Weltmeister bei der Mitbestimmung“ (S. 242). Neben dem „Problem der nicht zu kontrollierenden Öffentlichkeit“ drohe ein „Kontrollverlust der Unternehmen“ (S. 246). Seit Gründung der Bundesrepublik lasse sich ein ungeheurer Gewinn an Freiheit und Gleichberechtigung verzeichnen, der besonders Frauen, Minderheiten und Randgruppen zugute kam. Fast überall in Europa wurde der Sozialstaat ausgebaut, es gab erhebliche Werteverschiebungen und traditionelle Hierarchien und Autoritäten büßten an Bedeutung ein. Die im Zuge der digitalen Revolution noch zunehmende gesellschaftliche Unübersichtlichkeit und Komplexität erschwere jedoch auch politisches Handeln und Führen. Neben den vielen überaus positiven Entwicklungen „wie Emanzipation und neues Selbstbewusstsein von Randgruppen“ (S. 137) seien auch neue Probleme aufgetreten. So seien etwa typisch „männliche Eigenschaften“ wie „Mut, Durchsetzungsvermögen und Willensstärke“ (S.138) umgedeutet und negativ besetzt worden. Nach der Abkehr vom alten Obrigkeitsstaat trete der moderne Staat seinen Bürgern als Dienstleister gegenüber, was nicht nur zu selbstbewusst-aggressivem Auftreten deutscher Bürger, sondern auch zu einer selbstbewussten Integrationsunwilligkeit mancher Immigranten führe. Diese Entwicklung fordere nicht nur die Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft heraus, die sich auf subtilere Führungsmechanismen als Anweisung und Befehle einstellen müssen, sondern auch Schule und Familie in ihrer Rolle als Erziehungsinstitutionen. Dabei geht es Trankovits nicht um eine Rückkehr zu Untertanen- und Duckmäusertum, sondern um das gefährdende Potential einer Gleichzeitigkeit von starker Verunsicherung und hohem Selbstwertgefühl. Zusammenfassen ließe sich sein Standpunkt auf eine von ihm zitierte Aussage des ehemaligen Leiters des Internats Schloss Salem, Bernhard Bueb, dass Schüler einen Lehrer erwarten würden, „der weiß, was er will, der Konflikte nicht scheut und seinen klaren Führungsanspruch deutlich macht.“ (S. 156) Einen wesentlichen Grund für die wachsende Verunsicherung vieler Menschen sieht Trankovits in der beschleunigten Dynamisierung aller Lebensbereiche. Als Gewährsmann dient ihm der Jenaer Soziologieprofessor Hartmut Rosa. Angesichts des immer schnelleren Meinungs- und Präferenzwechsels der Wähler und immer dichter aufeinander folgender Stimmungsschwankungen und Empörungswellen spricht dieser von der „Repositionierung des Wählers“ (S. 15) als Herausforderung für die Politik. Die Hilflosigkeit der Politik gegenüber diesen Entwicklungen führe dazu, so Trankovits, dass politische Prozesse oft zur Inszenierung verkommen. Der Umgang vieler Politiker mit dieser Situation bestehe darin, Politik stärker zu personalisieren und zu moralisieren. Die Kehrseite dieser Entwicklung sei jedoch, dass private Verfehlungen von Politikern enorm an Bedeutung für politische Skandale gewinnen und der Beruf des Politikers weiter an Ansehen verliere. Auch wenn das Vertrauen der Wahlbevölkerung in das politische System ungebrochen hoch ist, verfestige sich ein durch die Entwicklung des Web 2.0 noch verstärkter „antiautoritärer, zynischer Zeitgeist“ (S. 17), der auch die Führungskräfte der Wirtschaft nicht unangetastet lasse. Dies äußere sich neben sogenannten Watchblogs unter anderem in der mehrheitlichen Ablehnung von Lobbyismus aus der Privatwirtschaft. Trankovits vertritt demgegenüber die Auffassung, dass solch ein System des Klientelismus naturgemäßer Bestandteil einer Demokratie sei. In den Zusammenhang mit der Beschleunigung gehören zwei weitere Phänomene, die dem Autor zufolge die politische Führung erschweren: Die „Geißel der Umfragen und Rankings“ (S. 59f) sowie der „permanente Wahlkampf“ (S. 71f). Die Verunsicherung von Politik und Medien führe zum Erstellen von Orientierungshilfen mittels Umfragen und Rankings. Was an sich kein Problem darstelle, wird problematisch, wo diese Umfragen beginnen die Politik maßgeblich zu bestimmen. Der permanente Wahlkampf ist vor allem Folge unabgestimmter Wahltermine, wird jedoch durch die Krise der Medien verstärkt. Die Vielzahl der terminlich nicht miteinander abgestimmten Wahlen der verschiedenen institutionellen Ebenen führe notwendig zu einer immer fortwährenden Wahlkampfsituation. Die damit verbundene und von den Medien erwartete Popularisierung der Politik ließe Politikern weder Zeit für Sachlichkeit im Wahlkampf, noch für das sachgerechte Abwägen in laufenden politischen Entscheidungsprozessen. Dabei können Missgunst und Gerüchte der nicht kontrollierbaren Öffentlichkeit des Web 2.0 schnell zusätzlich handfeste Folgen zeitigen. Die für Deutschland ausgemachte „Lust am Protest“ (S. 174f) sieht Trankovits durch die Aufbegehrungskultur der 68er und der neuen sozialen Bewegungen, aber auch der DDR-Protestbewegung tradiert. Doch auch weithin anerkannte Intellektuelle wie Richard David Precht und Peter Sloterdijk sprechen der bestehenden Form der Demokratie, wenn auch aus unterschiedlicher Motivation, den „sozialen Sinn für die Wirklichkeit“ (S. 168) ab und fordern mehr Mitbestimmung der Bürger. Trankovits verwirft dies als irrationale politische Romantik, nimmt die Kritikpunkte jedoch folgend zum Anlass, die „Sieben Mythen von »Mehr Demokratie wagen«“ (S. 187f) zu untersuchen. Diese, sowie seine Einwände, sind folgend aufgezählt.
- Mangelnde Mitsprache und Partizipation als Ursache für Politikverdrossenheit: Trankovits weist auf die geringe Wahlbeteiligung bei Volksentscheiden hin, die nahezu überall noch unter der von allgemeinen Wahlen liegt. Die häufig auftretende Enttäuschung über das Wahlergebnis nimmt er zum Anlass, auf die sinkende Attraktivität von Volksentscheiden in den US-Bundesstaaten und die darauf folgende Politikverdrossenheit hinzuweisen.
- Die Menschen wollen politisch stärker mitgestalten: Angesichts der sinkenden Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen und Volksbefragungen seien Zweifel angebracht. Repräsentative Umfragen würden fälschlicherweise das Interesse an politischer Mitbestimmung und die Kenntnis des Sachverhaltes suggerieren.
- Politisches Engagement werde durch den Parteienfilz verhindert: Die Politikverdrossenheit sei keineswegs nur eine Parteiverdrossenheit. Allerdings gäbe es tatsächlich gute Gründe für eine Reform des Wahlrechts, etwa die Einführung von Elementen der Mehrheitswahlrechts zur Brechung der Macht von Funktionären. Dennoch würden solche Reformen keine positive Zuwendung der Bürger zur Politik bewirken können.
- Die Macht der Lobbyisten ließe sich durch Partizipation beschränken: Trankovits weist nicht nur auf den Organisationsvorsprung und die größere ökonomische Macht von Unternehmen hin, sondern gibt auch die Zunahme von Kunstrasen-Bewegungen zu bedenken. Zugleich hegt er jedoch die Furcht vor sozialpopulistischen Bewegungen.
- Web 2.0 und »Liquid Democracy« bringen die wahre Demokratie: Von Bedenken über rechtliche und technische Probleme abgesehen, wäre es die Abschaffung der repräsentativen Demokratie zugunsten einer direkten Demokratie. Dies führe jedoch zu Anarchie und Totalitarismus.
- Mehr Demokratie stärkt die Schwachen in der Gesellschaft: Hinweis darauf, dass Volksabstimmungen vor allem Mittelschichten entgegen kommen und häufig für politisch konservative Positionen optiert wird.
- Mehr Demokratie verhilft Umweltanliegen zu mehr Gehör: Verweis auf das Sankt-Florian-Prinzip vor Ort. In der Regel wollen die Folgen eines Projekts, trotz Befürwortung, nicht selbst getragen werden.
Mit diesen Entgegnungen will Trankovits keinesfalls die historische Forderung, mehr Demokratie zu wagen, delegitimieren. Im Gegenteil: sie sei 1972 „wichtig und richtig“ gewesen, jedoch habe sich die Welt seither dramatisch verändert. Neben einem Zuwachs an Rechtspopulismus wie in der Schweiz befürchtet er eine Destabilisierung des politischen Systems. Der Bedeutungsverlust der Parlamente brächte den der Parteien mit sich und schwäche damit auch die politischen Bindungen innerhalb der Gesellschaft. Der bereits vorhandene Politikverdruss der Unterschichten drohe zuzunehmen und sich zu einem Demokratieverdruss weiterzuentwickeln. Um diesen und anderen Gefahren zu begegnen, empfiehlt er mithilfe folgender Vorschläge weniger Demokratie zu wagen.
- Keine direkte Demokratie: Neben der Gefahr einer „Abstimmungs- und Stimmungsdemokratie“ (S. 257) können Volksentscheide der Komplexität der behandelten Themen nicht gerecht werden. Bürger- und Volksentscheide auf kommunaler und auf Landesebene können sinnvoll sein, sollten jedoch eine Ausnahme unter hohen Hürden bleiben.
- Politik der einfachen Mehrheiten: Begrenzung der Themen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, da dessen Macht Deutschland „hin zu einer Konkordanzdemokratie“ (S. 258) dränge. Des Weiteren sollte die stärker werdende Einbindung des Bundesverfassungsgerichts aufgegeben werden.
- Weniger Wahlen: Zusammenlegung aller Landtagswahlen
- Demokratie-TÜV: Überdenken des föderativen Systems auf Basis einer politischen wie finanziellen Kosten-Nutzen-Rechnung
- Weniger Bürgerbefragung, mehr Wettbewerb und Controlling: Problem der interessengruppen- und parteipolitischen Verflechtung wissenschaftlicher Institute in Deutschland und Verweis auf unabhängige Institute in den USA
- Keine Wahl bei politischer Bildung: politische Allgemeinbildung als Pflichtfach in Schulen, Ersatz von Informationsbroschüren durch intelligente PR
- Neue Ehrlichkeit: Mut, unbequeme Wahrheiten auch gegen Umfragemehrheiten zu vertreten und glaubwürdiges Storytelling jenseits tagespolitischer Anliegen
- Bekenntnis zu Kapitalismus und Profit: Bemängelung einer fehlenden Solidarität unter den ökonomischen Eliten, Verwenden eindeutiger Begriffe in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs
- Schwarmintelligenz misstrauen: Auch wenn jede Wahl in gewissem Sinne eine Entscheidung der Schwarmintelligenz ist, handelt es sich dabei nur um eine Richtungsentscheidung. Zur Erörterung komplexer Fragen bedürfe es jedoch „Kompetenz, Entschlussfreudigkeit und Führungskraft“ (S. 268)
- Mut zur Führung: „Das Verschleiern Hierarchien und das Verschweigen von Verantwortung und Macht schüren bloß Unsicherheit und Destabilisierung.“ (S. 269) Auch die Lösung von Konflikten innerhalb politischer Organisationen wäre auf diese Weise denkbar.
Die vorgestellten Schritte seien notwendig, da in den westlichen Demokratien die „Grenzen wirklicher Gestaltungsmöglichkeiten […] für die Regierenden deutlich enger geworden“ seien, so dass es unrealistisch erscheine, „auch nur an die teilweise Erfüllung von Wahlversprechen zu glauben.“ (S. 274) Unbequeme Wahrheiten, wie dass „aufgrund der wachsenden Überalterung der Gesellschaft und der enormen Staatsschulden die sozialen Netze und das Rentensystem dringend reformbedürftig sind“ (S. 271), erringen bei Wahlen keine Mehrheiten. Es mangele jedoch nicht nur „allerorten [an] eine[r] gesellschaftlichen Übereinkunft über grundlegende Werte und gemeinsame Ziele“, sondern schon „an der Diskussion darüber.“ (S. 275) Der Autor erwünscht sich eine effizientere politische Führung, die sich der Aufgabe annehme, eine Erzählung zu gestalten, „in der sich alle wiederfinden, die die Zusammenhänge erklärt und die Richtung zeigt“ (ebd.).
Diskussion
Mit „Weniger Demokratie wagen“ hat Laszlo Trankovits ein gut lesbares politisches Sachbuch geschrieben, das allgemeine und aktuelle Probleme der modernen Gesellschaft aufgreift und – in einer weniger provokanten Weise als der Titel vermuten lässt – versucht zu beantworten. Dazu bemüht der Autor bekannte sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze von Colin Crouch, Ulrich Beck und Hartmut Rosa und ergänzt diese um eigene Gedanken. Die politische Zielrichtung der Argumentation ist von Beginn an festgelegt und, abgesehen von vereinzelten Widersprüchen und kleinerer apologetischer Abschweifungen, fast immer nachvollziehbar. Das Kapitel über die USA habe ich mir erlaubt wegzulassen, da es, obgleich sehr interessant, für die Darstellung der Grundgedanken nicht notwendig ist und eher als Fortsetzung von Trankovits Obama-Buch angesehen werden kann. Seine Stärke besitzt das Buch in der zu großen Teilen überzeugenden Kritik der in die Forderung nach mehr Bürgerpartizipation gesetzten Hoffnungen, als Schwäche sei die kaum vorhandene Beachtung von das demokratische System gefährdenden politischen und wirtschaftlichen Akteuren genannt.
Fazit
Laszlo Trankovits kann mit diesem Buch als liberalkonservativer Opponent Colin Crouchs bezeichnet werden. Ohne dessen Tiefgang in der historisch-gesellschaftlichen Analyse zu erreichen, teilt Trankovits in weiten Teilen dessen Diagnose der Postdemokratie. Doch wo Crouch in erster Linie die politischen und wirtschaftlichen Eliten in der Verantwortung für diese Entwicklung sieht, liegt das Verschulden für Trankovits primär auf Seiten der Wähler. Während Crouch sich in sozialdemokratischer Manier eine Revitalisierung des korporatistischen Modells der 70er Jahre wünscht, strebt Trankovits, vor dem „Dilemma des Konservatismus“ (Martin Greiffenhagen) stehend, eine moderne, wirtschaftsliberale Gesellschaft mit konservativen Werten an. Ein Folge-Publikation, in der Trankovits Crouchs aktuelle Thematik des „befremdlichen Überleben[s] des Neoliberalismus“ aufgreift, bleibt damit unwahrscheinlich.
Literatur
- Crouch, Colin: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II, Berlin 2011.
- Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1986.
- Münkler, Herfried: Lahme Dame Demokratie. Wer siegt im Systemwettbewerb?, in: Internationale Politik 3. Mai/Juni, Berlin 2010, S. 10-17.
Rezension von
Christoph Hornbogen
Politikwissenschaftler
Mailformular
Es gibt 11 Rezensionen von Christoph Hornbogen.
Zitiervorschlag
Christoph Hornbogen. Rezension vom 16.07.2012 zu:
Laszlo Trankovits: Weniger Demokratie wagen! Wie Wirtschaft und Politik wieder handlungsfähig werden. Frankfurter Allgemeine Buch
(Frankfurt am Main) 2011.
ISBN 978-3-89981-245-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13181.php, Datum des Zugriffs 09.09.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.