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Peter Michell-Auli, Christine Sowinski: Die 5. Generation. KDA-Quartiershäuser

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 14.09.2012

Cover Peter Michell-Auli, Christine Sowinski: Die 5. Generation. KDA-Quartiershäuser ISBN 978-3-940054-27-2

Peter Michell-Auli, Christine Sowinski: Die 5. Generation. KDA-Quartiershäuser. Kuratorium Deutsche Altershilfe (Köln) 2012. 200 Seiten. ISBN 978-3-940054-27-2. 29,90 EUR.
Zukunft gestalten - Ansätze für die Praxis ; Bd. 6.

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Thema

Wohnen und Pflegen für Pflegebedürftige ist seit Jahrzehnten ein bedeutsames Thema für Senioren und auch die Öffentlichkeit. Pflegeheime haben gegenwärtig keinen allzu guten Ruf, denn ständig werden Alternativen wie Wohngemeinschaften oder ähnliche Einrichtungen als zeitgemäße Lösungen propagiert. Besonders für die Demenzkranken möchte man neue Versorgungsformen jenseits der Heimwelt schaffen, wie die verschiedenen Modellvorhaben zeigen. So soll nun auch das Mehr-Generationen-Wohnen für diese Personengruppe zugänglich gemacht werden.

Die vorliegende Publikation kann diesem Trend einer Weiterentwicklung der bestehenden Heimstrukturen zugeordnet werden.

Autor und Autorin

Dr. Peter Michell-Auli ist Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) in Köln, Christine Sowinski, Krankenschwester und Diplom-Psychologin, leitet im KDA den Bereich Beratung von Einrichtungen.

Aufbau und Inhalt

Die Schrift ist in neun Kapiteln und einem Anhang untergliedert.

Kapitel 1 (Einleitung, Seite 9 – 13) enthält zu Beginn eine Begründung, warum das KDA sich veranlasst fühlt, „eine neue Generation der stationären Pflege, die 5. Generation, KDA-Quartiershäuser, aus(zu)rufen.“ (Seite 9). Des Weiteren werden neue Begriffsbestimmungen vorgeschlagen: u. a. „Klient“ statt „Bewohner“, „Haus“ statt „Pflegeheim“ und „Wohngruppen / Hausgemeinschaften“ statt „Stationen“.

In Kapitel 2 (Ausgangspunkt für die Entwicklung der drei Prinzipien der KDA-Quartiershäuser, Seite 14 – 27) wird zu Beginn ein kurzer Abriss der bisherigen „Generationen“ im Heimbereich gegeben: das „Anstaltskonzept“ (ca. 1940 – 1960), das „Stationskonzept“ (ca. 1960 – 1980), das „Wohnbereichskonzept“ (seit ca. 1980) und das „Hausgemeinschaftskonzept“ (ca. seit 1995). Es folgt eine Beschreibung des Ansatzes der neuen „Generation“ – das Konzept „Lebensqualität als konkretisierte Normalität“ – mit den folgenden Faktoren: Sinn finden, Selbstverwirklichung, Gesundheit, soziale Kontakte, Sicherheit, Wohnen, Grundbedürfnisse und Arbeit.

Kapitel 3 (Prinzip „Leben in Privatheit“, Seite 28 – 55) enthält die Konkretisierung des Privaten in Gestalt des „Konzeptes Apartment“ als „Primärterritorium“ mit seinen Kernelementen Zugangskontrolle und „Gestaltungs-, Rückzugs- und Wohlfühlraum“ (u. a. Eigenmöblierung) einschließlich der Implikationen für die Angehörigen und Mitarbeiter. Es folgt eine Begründung für die Privatheit mit den Argumenten Regulierung der Reize, persönlicher Besitz, Statuserhöhung, geschützte Kommunikation, Entspannung und besondere Sinneswahrnehmung.

Kapitel 4 (Prinzip „Leben in Gemeinschaft“, Seite 56 – 79) beschreibt die wesentlichen Elemente der Konzeption der KDA-Hausgemeinschaften, die auch für das neue Modell gelten: kleine Gruppen, „familienähnliche Strukturen“ (Geborgenheit und Schutz) u. a. mithilfe der Nutzung der Wohnküchen als soziales Zentrum. Die praktische Umsetzung des Gemeinschaftsansatzes sieht u. a. Folgendes vor: Leben in kleinen Gruppen (8- 15 Personen), Verzicht auf zentrale Versorgungseinheiten wie Großküchen, „Präsenzkräfte“, „therapeutisches Essen“ durch Teilnahme der Mitarbeiter an den Mahlzeiten und „Gärtnerisches Arbeiten“ auf den Balkonen und im Garten („Gartenclub“).

In Kapitel 5 (Prinzip „Leben in der Öffentlichkeit“, Seite 80 – 105) wird das Öffentlichkeitsmodell des KDA-Ansatzes (Kurzformel: „Ich geh ins Quartier – das Quartier kommt zu mir“) expliziert, das u. a. aus den folgenden sechs Zielen einer „Quartiersentwicklung“ besteht: wertschätzendes gesellschaftliches Umfeld, tragende soziale Infrastruktur, generationsgerechte räumliche Infrastruktur, bedarfsgerechte Wohnangebote, bedarfsgerechte Dienstleistungen und Angebote und wohnortnahe Beratung und Begleitung. Anhand eines Beispiels in Gestalt einer mehrseitigen tabellarischen Analyse der Angebotsstruktur und eines sozialräumlichen Versorgungsangebotes werden die einzelnen Aspekte abgeleitet von dem Konzept „Lebensqualität als konkretisierte Normalität“ mit den entsprechenden Kategorien praxisnah dargestellt.

Kapitel 6 (Architektonische Implikationen, Seite 106 – 117) enthält überwiegend architektonische Raumentwürfe für vier verschiedene Gestaltungsformen der Apartments und für einen Entwurf für die Gemeinschaftsflächen des Wohnbereiches u. a. in Form von Entwurfsskizzen gemäß den Prinzipien „Privatheit“ und „Gemeinschaft“.

Kapitel 7 (Ansatzpunkte für ein erfolgreiches Management, Seite 118 – 152) beinhaltet die Aspekte Leistungsfähigkeit der KDA-Quartiershäuser, Personalfragen und Strategien der Umsetzung dieser Vorgaben in den Einrichtungen. Diesbezüglich werden u. a. das DCM (Dementia Care Mapping), Projektentwürfe zur Implementierung in sechs Schritten einschließlich Checkliste und eine Stärken-Schwächen-Analyse des KDA-Lebensqualitätsmodells vorgestellt.

Kapitel 8 (Gesetzliche Rahmenbedingungen, Seite 153 – 176) verweist auf den gesetzlichen Kontext für dieses Konzept der „Quartierwohnhäuser“, der aufgrund einer Zwischenstellung zwischen Privathaushalt und Pflegeheim nicht ganz eindeutig zu sein scheint. Da jedoch aus der Sicht der Bauordnung und damit zugleich auch aus der Sicht des Brandschutzes dieser Einrichtungstyp nicht als Wohnhaus, sondern als Sonderbau klassifiziert wird, werden kurz die Brandschutz-Anforderungen angeführt. Des Weiteren werden die entsprechenden zuständigen Behörden und Bestimmungen der Bundesländer mit Kontaktdaten aufgelistet: Bau- und Sozialministerium, Architektenkammer, Landesbauverordnung und Heimgesetz.

Kapitel 9 (Schlussbetrachtung: Warum wir die KDA-Quartiershäuser brauchen!, Seite 177 – 179) fasst noch einmal in wenigen Worten die wesentlichen Elemente dieses Ansatzes zusammen.

Diskussion

Wenn man mit der Materie der stationären Versorgungsstrukturen in den letzten Jahrzehnten im In- und Ausland vertraut ist, hat man bei der Lektüre dieser Publikation das Gefühl, in die Vergangenheit der 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts versetzt zu sein. In dieser Zeit vor ca. 30 Jahren entstand die fachliche Diskussion in Deutschland, ob Demenzkranke weiterhin mit nicht demenzkranken Bewohnern gemeinsam in einem Wohnbereich zusammen leben sollten (die so genannte „integrative Versorgungsform“), oder ob sie getrennt in eigenen Wohnbereichen, den Demenzwohngruppen (der so genannte „segregative Ansatz oder das Homogenisierungsprinzip) besser aufgehoben seien. Die Fragestellung wurde aufgrund des internationalen Forschungsstandes und der überzeugenden Erfahrungswerte auch aus deutschen Pflegeeinrichtungen bereits in den 90er Jahren in Fachkreisen dergestalt eindeutig geklärt, indem sich das Homogenisierungsprinzip als Leitkonzept für die stationäre Altenpflege etablierte. Nur wenige Institutionen, u. a. das KDA, sperrten sich explizit diesem Wandel (Siehe z. B. „Qualitätshandbuch Leben mit Demenz“ des KDA aus dem Jahre 2001. Dort werden Begriffe wie „Dementen-Wohngruppen“ und „demenzspezifische Versorgungsstrukturen“ als so genannte „Unwörter“ diskreditiert.)

Der vorliegende Ansatz der so genannten „Quartiershäuser“ beruht auf dem Modell einer „integrativen Versorgung“, er soll sowohl geistig rüstigen als zugleich auch demenzkranken Bewohnern gerecht werden. Entsprechend ist ein recht diffuses bauliches und versorgungstechnisches Konstrukt entstanden, eine Mixtur aus betreutem Wohnen und Pflegeheim ohne eindeutige Zielgruppenorientierung. Eine weitgehende Kompensation der körperlichen und geistigen Einschränkungen im Sinne einer Optimierung der Person-Umwelt-Passung lässt sich mit einem derartigen „Universalkonzept“ nicht bewerkstelligen.

Doch nicht nur der notwendige fachliche und wissenschaftliche Rahmen fehlt bei diesem Konzept, es fehlt ebenfalls der Hintergrund an überzeugenden Erfahrungswerten, der diesen Ansatz legitimieren könnte. Denn bereits das Modell der so genannten „Hausgemeinschaften“ ist in Deutschland flächendeckend gescheitert, indem z. B. bis auf wenige Ausnahmen in den Heimen die zentralen Versorgungseinheiten der Großküchen nicht aufgelöst wurden. Auch das Prinzip kleine Einrichtung mit ca. 40 Plätzen hat sich nicht durchgesetzt, es rechnet sich personal- und damit auch betriebswirtschaftlich einfach nicht im Zeitalter des Wettbewerbs auf dem so genannten „Pflegemarkt“.

Fazit

Wer sich bewusst der fachlichen Auseinandersetzung entzieht und nicht bereit ist, den Stand der Forschung im Bereich Versorgungsstrukturen für Demenzkranke als Grundlage für die Entwicklung von Modellen anzuerkennen, verliert fachlich den Anschluss und damit auch die Akzeptanz. Impulse für die Pflege und Betreuung können hierbei nicht erwartet werden.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 14.09.2012 zu: Peter Michell-Auli, Christine Sowinski: Die 5. Generation. KDA-Quartiershäuser. Kuratorium Deutsche Altershilfe (Köln) 2012. ISBN 978-3-940054-27-2. Zukunft gestalten - Ansätze für die Praxis ; Bd. 6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13189.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.


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