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Jacob Spallek: Migrantengesundheit

Rezensiert von Prof. Dr. Matthias David, 30.05.2012

Cover Jacob Spallek: Migrantengesundheit ISBN 978-3-7799-1983-4

Jacob Spallek: Migrantengesundheit. Die Sicht der Life-Course-Epidemiologie am Beispiel von Krebs bei türkischen Zuwanderern. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2012. 120 Seiten. ISBN 978-3-7799-1983-4. D: 23,95 EUR, A: 24,70 EUR.
Reihe: Gesundheitsforschung.

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Autor

Der Autor Jacob Spallek ist Dr. Public Health und derzeit Juniorprofessor für Sozialepidemiologie mit dem Schwerpunkt Migration und Gesundheit an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Sein Forschungsgebiet ist die Sozialepidemiologie, er hat zahlreiche interessante Publikationen zum Thema Migration und Gesundheit im epidemiologischen Kontext vorgelegt, davon viele gemeinsam mit Professor Oliver Razum.

Entstehungshintergrund

Grundlage des etwas mehr als 100 Seiten umfassenden Buches sind zwei Studien, die die Häufigkeit von Krebserkrankungen bei Kindern türkeistämmiger Zuwanderer unter 15 Jahren anhand der Daten des Deutschen Krebsregisters in Mainz auswerteten und eine weitere Untersuchung, die die Krebsrisiken von türkeistämmigen Erwachsenen exemplarisch anhand der Daten des Hamburgischen Krebsregisters analysierte. Beide Studien sollen eine Lücke in der Gesundheitsberichterstattung über Migranten in Deutschland füllen. Gleichzeitig wird in der Publikation ein neues Modell zum Zusammenhang zwischen Migration und Gesundheit vorgestellt, das die Interpretation empirischer Ergebnisse von Migrantenstudien erleichtern und dazu beitragen soll, die gesundheitliche Situation von Migranten besser zu verstehen.

Aufbau und Inhalt

Der Einleitungsteil widmet sich der Einführung in das Thema Migration. Kursorisch und doch präzise werden alle wichtigen Definitionen und Problemfelder aufgeführt. Es wird betont, dass es in diesem Buch vor allem um die türkischen (d.h. eigentlich um die türkeistämmigen) Migranten geht. Selbst diese Migranten stellen eine durchaus heterogene Gruppe dar. Sie kann hier aber als „pars pro toto“ für die Zuwanderer nach Deutschland gelten und lässt sich aufgrund der guten „ethnischen Abgrenzbarkeit“ gegenüber anderen Migrantengruppen und der relativ großen Personenzahl für epidemiologische Untersuchungen gut nutzen.

Bereits in der Einleitung wird vom Autor auf das später noch näher einzugehende Lebenslaufmodell bzw. andere mögliche Erklärungsmodelle für die gesundheitliche Situation von Migranten kurz eingegangen und die theoretische Basis erläutert.

Im Kapitel „Hintergrund“ stellt der Autor zunächst das „Zuwanderungsland Deutschland“ vor: Die Geschichte der Zuwanderung in der Bundesrepublik Deutschland beginnt quasi mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, danach gab es zwei wesentliche große Zuwanderungsströme, nämlich die sog. Gastarbeiter und die sog. Spätaussiedler. Heute leben in Deutschland mehr als 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. In einem kurzen Kapitel wird die türkische Zuwanderungsgeschichte nach Deutschland von 1960 bis heute gesondert vorgestellt.

Es folgen eher medizinisch orientierte Kapitel. Unter der Überschrift „Vorkommen von Krebs“ stellt der Autor in Zahlen und Grafiken, die häufigsten Krebserkrankungen weltweit und dann im Speziellen für Deutschland und die Türkei vor.

In einem weiteren Abschnitt wird eine kurze Einführung in die Grundlagen der Krebsentstehung gegeben. Schließlich folgt ein umfangreicheres Kapitel, das in die Krebsepidemiologie einführen soll. Hier gibt der Autor zunächst einen Überblick über bekannte wichtige krebsepidemiologische Ergebnisse der Neuzeit, Erkenntnisse über die Entstehung von Krebs und die epidemiologische Ursachenforschung der Zukunft. Für einige Krebsarten sind ja mögliche Risikofaktoren identifiziert, wie z.B. aktives/passives Rauchen für das Lungenkarzinom oder UV-Strahlung für den Hautkrebs.

In einem nächsten Kapitel fragt der Autor „Warum Krebsepidemiologie bei Migranten?“ und damit nach dem Sinn der Studie und des Buches. Seine Antwort findet sich auf Seite 26 der Publikation: „Zusammenfassend haben Migranten verglichen mit der Mehrheitsbevölkerung zum Teil andere genetische Hintergründe und können verschiedene Lebensstil- und Umweltexpositionen aufweisen. Verglichen mit der Bevölkerung aus ihrem Herkunftsland haben sie weiterhin die gleichen genetischen Ursprünge, sind aber in ihrer Umwelt und ihrem Lebensstil […] durch ihre Migration zum Teil sehr großen Veränderungen ausgesetzt. Eine Chance für die Migrationsepidemiologie ist es nun, den Einfluss dieser unterschiedlichen Ursachen auf das Krebsrisiko zu untersuchen…“.

In diesem Kapitel werden auch interessante allgemeine Überlegungen zur Migrationsforschung angestellt.

Es folgt eine Darstellung von „Besonderheiten in den Krebsrisiken von Migranten“, wobei zahlreiche Quellen der internationalen Literatur zitiert werden. Der interessierte Leser kann sich einen guten Überblick zu dieser Thematik verschaffen, gleichzeitig wird die Situation in Deutschland erläutert und die entsprechenden Daten werden interpretiert. Ein eigenes Kapitel widmet sich „Krebs bei Migrantenkindern“, eine eher seltene Problematik. Dennoch werden einige mögliche Ursachen von Krebserkrankungen bei Kindern diskutiert und in einem eigenen Abschnitt auch Krebsrisiken und -häufigkeiten bei Kindern in Deutschland und der Türkei entsprechend den nationalen Krebsregistern vorgestellt. Auch zum internationalen Forschungsstand zu Krebserkrankungen von Migrantenkindern informiert der Autor in einem eigenen Kapitel.

Im dritten Hauptabschnitt des Buches geht es nun um Erkrankungsmodelle zu Migration und Gesundheit. Der Autor geht davon aus, dass die gesundheitliche Situation von Migranten von verschiedenen Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen während verschiedener Phasen im Lebenslauf beeinflusst wird, d.h. vor, während und nach der Migration.

Der sog. Healthy-migrant-Effect ist einer breiteren Fachöffentlichkeit bereits bekannt, ein weiteres, vom Autor in Anlehnung an Professor Oliver Razum vorgestelltes interessantes Modell ist das des „gesundheitlichen Übergangs“, welches eine therapeutische und eine Risikofaktorenkomponente enthält.

Im Kapitel 4 geht es um die beiden eigentlichen empirischen Studien, die zu Krebsrisiken bei türkeistämmigen Kindern und die an Erwachsenen in Deutschland durchgeführt wurden, welche ja das Kernstück des Buches darstellen. Ziel dieser Auswertungen war es, Informationen über die Häufigkeit einzelner Krebsarten zu erhalten und einen Überblick über das Krebsgeschehen bei türkeistämmigen Kindern und Erwachsenen in Deutschland zu gewinnen. Eventuelle Unterschiede in den Krebsrisiken zur deutschen Mehrheitsbevölkerung sollten ggf. aufgedeckt und interpretiert werden.

Der Autor stellt zunächst sehr anschaulich seinen Forschungsansatz, zum Teil unterstützt durch Grafiken, vor. Die Ausführungen zur Identifikation von Migranten in epidemiologischen Datenquellen wie auch der Abschnitt zum „Namensalgorithmus“, in dem der Autor die Möglichkeit beschreibt, mit Hilfe eines Computerprogramms türkische Namen zu identifizieren, sind insbesondere für den forschungsinteressierten Leser zu empfehlen.

Im nächsten Kapitel wird die Auswertungsmethodik vorgestellt und schließlich werden im Kapitel 5 die Ergebnisse beider Studien präsentiert. Für die Kinder werden die Resultate in sechs Tabellen zusammenfassend dargestellt, bei den Erwachsenen (Hamburger Krebsregister) erfolgt dies mit Hilfe von vier Tabellen und eine Abbildung. Es folgt eine kurze Diskussion der Ergebnisse, wobei der Autor auch auf die methodischen Probleme beider Studien eingeht. Die Studienresultate werden mit den internationalen Veröffentlichungen zu ähnlichen Themen verglichen.

Im Kapitel 7 des Buches kommt der Autor schließlich auf die Unterzeile des Buchtitels zurück und entwickelt am Beispiel der Studienergebnisse ein um eine Lebenslaufperspektive erweitertes Modell für das Zusammenspiel von Migration und Gesundheit. Dabei diskutiert er dieses relativ neue Modell am Beispiel von Krebsrisiken von Migranten. Dazu finden sich mehrere instruktive ergänzende Abbildungen.

In einem kurzen Schlusskapitel wird der mögliche Nutzen von migrationsepidemiologischen Studien für die Gesundheitsforschung und -versorgung allgemein und konkret bezogen auf den Forschungsgegenstand der beiden vorgestellten Studien dargestellt.

Ein „Fazit“ und ein umfangreiches Literaturverzeichnis runden das kurze Buch ab.

Diskussion

Das Buch gibt einen guten Überblick über den im Buchtitel genannten Forschungsgegenstand.

Die einzelnen Kapitel geben eine gute Einführung in die Thematik Migration und Gesundheit und reißen auch einige verwandte Themen wie die Zuwanderungsgeschichte der Bundesrepublik sowie Grundlagen der Krebsentstehung an, dem Umfang des Buches ist es jedoch geschuldet, das diese Themengebiete nur sehr knapp behandelt werden können. Man hätte sich gewünscht, dass hier eine etwas ausführlichere Darstellung Platz gehabt hätte. Die tabellarische Darstellung der Studienergebnisse ist für einen Überblick gut geeignet, wer aber tiefer in die Materie einsteigen will, muss sicherlich weitergehende Literatur heranziehen oder andere Publikationen des Autors nutzen.

Fazit

Das Buch „Migrantengesundheit…“ von Jacob Spallek ist eine interessante, gut lesbare wissenschaftliche Darstellung, die in Form und Inhalt vor allem für an der Forschung Interessierte (Migrationsforschung, Gesundheitsforschung, Public Health) geeignet ist.

Rezension von
Prof. Dr. Matthias David

Es gibt 1 Rezension von Matthias David.

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Zitiervorschlag
Matthias David. Rezension vom 30.05.2012 zu: Jacob Spallek: Migrantengesundheit. Die Sicht der Life-Course-Epidemiologie am Beispiel von Krebs bei türkischen Zuwanderern. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2012. ISBN 978-3-7799-1983-4. Reihe: Gesundheitsforschung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13204.php, Datum des Zugriffs 15.01.2025.


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