Britta Zander, Michael Knorr (Hrsg.): Systemische Praxis der Erziehungs- und Familienberatung
Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Torsten Ziebertz, 16.03.2004

Britta Zander, Michael Knorr (Hrsg.): Systemische Praxis der Erziehungs- und Familienberatung.
Vandenhoeck & Ruprecht
(Göttingen) 2003.
212 Seiten.
ISBN 978-3-525-46161-7.
24,90 EUR.
Mit einem Geleitwort von Helm Stierlin.
Einführung
Das vorliegende Buch gibt einen vielfältigen Einblick in das systemische Arbeiten einer Erziehungsberatungsstelle. Hierbei werden nicht nur klassische Beratungsfelder berücksichtigt, sondern auch gänzlich neue und unbekannte Bereiche.
Das Buch wendet sich an Mitarbeiter(innen) von Erziehungsberatungsstellen und anderen vergleichbaren Einrichtungen, sowie an Ausbildungskandidaten(innen) der systemischen Therapie.
Inhalt
Das Buch ist eingeteilt in 10 Kapitel unterschiedlicher Autoren. Die ersten zwei Kapitel stehen unter der Überschrift: "Kontext und Methode", die restlichen Kapitel tragen die zusammenfassende Überschrift: "Systemische Praxis".
Vorangestellt ist sinnvollerweise das Kapitel "Die Erziehungsberatung: Definition, Geschichte und Rahmenbedingungen" von Andreas Hundsalz. Hier wird der behandelte Gegenstand, die institutionelle Erziehungs- und Familienberatung, einleitend in ihren historischen, gesellschaftspolitischen und gesetzlichen Bezügen dargestellt.
Arist von Schlippe stellt in seinem Kapitel "Grundlagen systemischer Beratung" genau diese dar. Hierbei konzentriert er sich zum einen auf die theoretischen Grundlagen einer systemischen Sicht der Familie. Zum anderen greift er auch drei wichtige Methoden der Familientherapie und Beratung heraus und beschreibt sie (zirkuläres Fragen, Skulpturarbeit, Reflektierendes Team).
In dem Kapitel "Systemische Beratung und Kooperation bei Familien, deren Kinder aggressives Verhalten zeigen" thematisieren Katharina Ratzke und Britta Zander zunächst den Begriff der Aggression und des kindlichen aggressiven Verhaltens. Weiterhin entwerfen sie ein "Risikomodell für die Entwicklung aggressiver Verhaltensweisen bei Kindern" und beschreiben anhand eines Fallbeispiels aus der Praxis die konkrete Beratungs- und Kooperationsarbeit einer Familie mit einem aggressiven Kind.
Haim Omer beschreibt in seinem Kapitel "Gewaltfreier Widerstand: Elterlicher Umgang mit kindlicher Destruktion" anhand einiger Methoden (sit-in, gewaltfreie Behinderung) eine Möglichkeit, wie Eltern sich kindlichem Gewaltverhalten entgegenstellen können, ohne selber Gewalt auszuüben oder eine gewalttätige Eskalation beim Kind zu provozieren.
Was "Konzeptionelle Aspekte systemischen Arbeitens bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen" konkret bedeutet, beschreibt Peter Schmid in seinem Beitrag. Über das familiale System hinaus bezieht er auch Institutionen wie Tagesgruppen, Gerichte usw. in die systemische Arbeit hinein. Abgerundet wird sein Konzept durch offene Sprechstunden zu dem Thema, sowie Fortbildungsveranstaltungen für Personen, die in Bereichen wie Sportvereinen usw. mit Kindern zu tun haben.
Thomas Symalla und Holger Walther veranschaulichen mit einem Praxisbeispiel die systemische Beratung eines "homosexuellen Jugendlichen und seiner Familie" im gleichnamigen Beitrag. Dabei berücksichtigen sie die Veränderungen im Individuum, im Elternsystem, Geschwistersystem, wie auch im gesamten Familiensystem.
"Ich bringe meine Eltern mit ins Heim - Die Einbeziehung des Erziehers in den Therapieprozess des Kindes bei stationärer Unterbringung im Heim", so der Titel des Beitrages von Michael Knorr und Karin Grüter. Hier wird verdeutlicht, welche große Bedeutung die Ursprungsfamilien für Kinder in stationären Einrichtungen haben, auch wenn sie real nicht anwesend sind. Bei der therapeutischen Arbeit mit dem Kind/Jugendlichen in ihrer Erziehungsberatungsstelle beziehen die Autoren deshalb auch die zuständigen Erzieher aus der Heimgruppe, die Ursprungsfamilie und das Jugendamt mit ein.
Elisabeth Mackscheidt und Ingrid Rasch veranschaulichen in ihrem Beitrag "Im Kontext des neuen Kindschaftsrechts - Systemische Aspekte der Beratung bei Trennung und Scheidung" aufgrund der Beschreibung eines Beratungsprozesses das systemische Verständnis der Familiendynamik und das beraterische Handeln bei Trennung und Scheidung.
Über "Systemische Beratung im Zwangskontext - Begleiteter Umgang bei Trennung und Scheidung" berichten Britta Zander, Gerhard Herold und Christian Roland. Anhand eines Fallbeispiels verdeutlichen sie das schwierige systemische Handeln im oftmals unfreiwilligen Kontext des "begleitenden Umgangs bei Trennung und Scheidung", einem noch recht neuen und unbekannten Angebot der Jugendhilfe.
Zum Schluss beschreibt Hans Jellouschek "Systemisches Arbeiten mit Stieffamilien", den strukturellen Implikationen dieser besonderen Familienform, sowie der daraus erwachsenden Bedeutung für das systemisch beratende Handeln.
Persönliche Anmerkung
Die Tatsache, dass es den Herausgebern des Buches gelungen ist, einige "große" Namen des systemischen Ansatzes für ihr Buch zu gewinnen (Helm Stierlin, Arist von Schlippe, Hans Jellouschek) wird sicherlich viele Leser ansprechen. Aber auch die noch unbekannteren Autoren brauchen sich hinter diesen Namen nicht verstecken, denn herausgekommen ist ein Buch, welches vielfältig auch neue Themen behandelt und systemisch zugänglich macht. Besonders erfrischend finde ich, dass Britta Zander, Gerhard Herold und Christian Roland in ihrem Kapitel ein Negativ- Fallbeispiel gebracht haben, also ein Beratungsfall, der nicht direkt erfolgreich verlaufen ist, sondern viele Schwierigkeiten enthielt. Meiner Erfahrung nach sind solche Fälle näher an der Beratungs- Wirklichkeit, als allzu glatt laufende "Wunsch- Fallbeispiele", wie sie in Lehrbüchern noch leider viel zu häufig vorkommen. Denn lernen kann man aus Beiden gleichermaßen viel. Auf jeden Fall ein lesenswertes Werk !
Fazit
Die überschaubaren 10 Kapitel des Buches sind in verständlicher Sprache verfasst, garantieren daher eine gute Lesbarkeit. Dass in fast allen Kapiteln das systemische Vorgehen anhand von praktischen Fallbeispielen beschrieben wurde, ist ein weiterer Pluspunkt dieses Buches. Ebenso sind die zahlreichen Graphiken ein anschaulicher Vorteil. Hervorheben möchte ich den äußerst gelungenen Aufbau des Buches. Dadurch, dass die beiden eher theoretischen Kapitel über Grundlagen der Erziehungsberatung und der systemischen Therapie vorangestellt sind, wird auch dem "unerfahrenen" Leser das nötige Rüstzeug für die spezialisierteren Kapitel an die Hand gegeben. Auf jeden Fall ein lesenswertes Werk!
Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Torsten Ziebertz
Personzentrierter Berater, Systemischer Familientherapeut
Promovend am Erziehungswissenschaftlichen Institut der Universität Düsseldorf. Praktisch tätig in der Familienberatung und der Erwachsenenbildung.
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