Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Peter Franzkowiak, Günther Homfeldt et al.: Lehrbuch Gesundheit

Rezensiert von Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner, Anika Stitz, 26.03.2012

Cover Peter Franzkowiak, Günther Homfeldt et al.: Lehrbuch Gesundheit ISBN 978-3-7799-2211-7

Peter Franzkowiak, Günther Homfeldt, Albert Mühlum: Lehrbuch Gesundheit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2011. 300 Seiten. ISBN 978-3-7799-2211-7. 23,95 EUR.
Reihe: Studienmodule soziale Arbeit.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Zählpixel

Autoren

Dr. disc. pol. Peter Franzkowiak promovierte 1985 zum Dr. der Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt auf Medizinsoziologie an der Universität Göttingen. Seit 1993 ist er Professor an der Fachhochschule Koblenz mit den Arbeits- und Lehrschwerpunkten Gesundheitswissenschaft und Sozialmedizin in der Sozialen Arbeit, Paradigmen und Entwicklungslinien von Prävention und Gesundheitsförderung, gesundheitsbezogene Soziale Altenarbeit.

Dr. phil. Hans Günther Homfeldt ist an der Universität Trier Professor (emeritiert) für Sozialpädagogik/Sozialarbeit. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Gesundheit und Soziale Arbeit, Internationale Soziale Arbeit, Lebensalter und Soziale Arbeit sowie aktuelle Fragestellungen.

Dr. phil. Albert Mühlum war bis 2008 mit den Arbeitsschwerpunkten Sozialarbeitswissenschaft, Sozialpolitik und Sozialethik an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der SRH-Hochschule Heidelberg. Er gehört zu den BegründerInnen der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) und war dort bis 2011 Sprecher der Sektion Klinische Sozialarbeit.

Aufbau und Inhalt

Das vorliegende Lehrbuch enthält vier- jeweils weiter untergliederte – Schwerpunkte:

  1. Gesundheit als öffentliches Thema – gestern und heute,
  2. Modelle von Gesundheit und Krankheit – Lebensalter und Lebenslagen,
  3. Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit – Kompetenzen und Handlungsfelder,
  4. Organisation und Kooperation sozialer Hilfesysteme.

Innerhalb des 1. Schwerpunktes legen die Autoren ihren Fokus auf die historische Entwicklung der Gesundheit vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis heute und geben damit einen Überblick über den Wandel der Gesundheitsthemen. Themen wie Weltkrieg, Armut und materielles Elend haben ihre Relevanz verloren, heute stehen eher solche wie soziale Benachteiligung, neue Formen der Armut und Risikokulturen im Vordergrund. Mit diesem Fokus wird bereits zu Beginn des Lehrbuches die Rolle der Sozialen Arbeit, die sich in den vergangenen Jahrzehnten zusehends weiter entwickelt und ausdifferenziert hat, für die Gesundheit beleuchtet. Sie nimmt im Lehrbuch eine Schlüsselfunktion ein, da Themen wie soziale und gesundheitliche Ungleichheit im unmittelbaren dualen Zusammenhang zur Praxis der Sozialen Arbeit stehen. Dies zeigt sich auch in einer wachsenden Kluft innerhalb der Gesellschaft, die sich u. a. im Verständnis und Umgang mit Gesundheit widerspiegelt (S. 28). Die Autoren geben einen historischen Abriss über wichtige Aspekte der Gesundheitsversorgung (Beratung, Aufklärung, Prophylaxe durch medizinische und soziale Fachkräfte) und über die Rolle der Sozialen Arbeit (in der jeweiligen Zeit).

Im 2. Kapitel wird der Sozialgradient von Gesundheit und Krankheit (im Hinblick auf Lebenserwartung, Mortalität, den allgemeinen Gesundheitszustand einer Bevölkerungsschicht etc.) näher beleuchtet. Die Autoren geben einen Überblick über die einzelnen Zusammenhänge und rücken die soziale Ungleichheit als Strukturmerkmal moderner Gesellschaften („vertikale und horizontale Ungleichheit“, S. 37) in den Vordergrund. Hierbei wird verdeutlicht, dass soziale Gesundheits-Ungerechtigkeiten „direkt oder indirekt von sozialen, ökonomischen und umweltbezogenen Faktoren sowie von strukturell beeinflussten Lebensweisen hervorgerufen“ (S. 39) werden. Diese Unterschiede sind i. d. R. sozial (ko)produziert und könnten den Autoren zufolge durch politische und gesundheitsbezogene Eingriffe verändert werden. Da soziale Bedingungen den Gesundheitszustand des/der Einzelnen beeinflussen und Determinanten wie bspw. Einkommen, sozialer Status oder (Aus-)Bildung eine hohe Vorhersagekraft für den Gesundheitszustand geben, ist ein mehrdimensionaler Blick auf Ungleichheit(en) unerlässlich.

Der 2. Schwerpunkt liegt bei der Vorstellung verschiedener „Modelle von Gesundheit und Krankheit – Lebensalter und Lebenslagen“. Im 3. und 4. Kapitel veranschaulichen die Autoren die Schwierigkeit, Begriffe wie „Gesundheit“ und „Krankheit“ empirisch oder begrifflich-operational zu fassen. Sie verweisen hierbei auf die vielfach verwendete und dennoch stark kritisierte Definition der WHO zur Gesundheit und geben einen kurzen Exkurs in verschiedene Gesundheitsmodelle (u. a. pathogenetische vs. salutogenetische Perspektive, subjektive Gesundheitskonzepte und -theorien, Agency). Im Anschluss daran liegt der Schwerpunkt auf Lebensalter und -verlauf sowie Biografie. Hierbei wird unterstrichen, dass der Mensch seine „Gesundheit wie auch seine Krankheit als biografischen Lernprozess mit der Perspektive erwartbarer Risiken und Gefahren auf der Basis des jeweiligen Lebensalters und des sozialen Status“ (S. 83) konstruiert. Vor allem chronische und komplexe Erkrankungen werden zunehmend als Zusammenspiel langfristiger sozialer, biologischer und psychischer Vorgänge wahrgenommen (S. 98).

Im 5. Kapitel liegt der Fokus auf „Gesundheit und Krankheit in ausgewählten Lebenslagen“ (S. 107). Dieses Kapitel unterstreicht die Wichtigkeit bestimmter Rahmenbedingungen und den Einfluss, den diese auf das individuelle Gesundheits- und Krankheitsverständnis haben. Denn nicht nur die subjektive Einschätzung und Betroffenheit des Menschen beeinflussen seine Gesundheit maßgeblich, sondern auch die gesellschaftlichen Umstände (z. B. ökonomische, ökologische, soziale Bedingungen). Die Autoren definieren zunächst die Termini „Lebenslage und -welt“ und geben einen Exkurs in den Ansatz „Person-in-Situation“, der von J. M. Karls und K. E. Wandrei zu einem Klassifikations- und Diagnosekonzept („Person-in-Environment“) weiterentwickelt wurde (vgl. S. 109). Im Folgenden gehen die Autoren näher auf die drei Rahmenbedingungen Armut, Migration und Geschlecht ein und zeigen detailliert deren Einfluss auf das Gesundheits- bzw. Krankheitsrisiko: Die mit soziokultureller und ökonomischer Benachteiligung einhergehenden Belastungen, schwachen Bewältigungsressourcen und reduzierte gesundheitliche Versorgung verdreifachen das Krankheitsrisiko. Dies führte u. a. zu der Erkenntnis, dass sich gesundheitliche und soziale Ungleichheit wechselseitig verstärken und gleichzeitig destruktive Spiralen erzeugen (S. 110). Personen mit Migrationshintergrund gelten als besonders gefährdet, da (im Vergleich zur Restbevölkerung inDeutschland) doppelt so viele unterhalb der Armutsschwelle leben (vgl. S. 116).

Weiterhin sei im gesundheitsrelevanten Verhalten ein geschlechtsspezifischer Unterschied zu beobachten. Einerseits seien Frauen im Allgemeinen gesundheitsbewusster als Männer (im Hinblick auf Suchtmittelgebrauch und Risikoverhalten), andererseits erkrankten Frauen häufiger an psychischen Erkrankungen (z. B. Depressionen und Angststörungen). Letztere führen bei 36 % der Betroffenen zu Frühverrentungen (vgl. S. 123). Die „geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Belastungen, Risiken und Ressourcen sind evident“ (S. 124). Am Ende des Kapitels beleuchten die Autoren mögliche Folgerungen für die Soziale Arbeit: Wo kann die Soziale Arbeit im Zuge ihrer Ressourcenorientierung ansetzen, um letztlich die Selbstverantwortung der KlientInnen (weiter) zu fördern? Wo kann sie die Betroffenen in deren Lebensführung in prekären Verhältnissen unterstützen? Wo kann sie ihrem Auftrag, „Gesundheit sozial [zu] gestalten“ (S. 126), gezielt begegnen und „das Verhalten und die Verhältnisse, Person und (Sozial-) Raum gesundheitsfördernd … beeinflussen“ (ebd.)?

Der 3. Schwerpunkt des Lehrbuches bezieht sich auf die gesundheitsbezogene Soziale Arbeit und gibt einen Überblick über ihre Kompetenzen und Handlungsfelder. Im 6. Kapitel werden die Aufgaben der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen beleuchtet. In diesem Zuge wird Soziale Arbeit als gesundheitssensible Profession aufgefasst, die das naturwissenschaftlich-medizinische Paradigma mit der sozialen Dimension von Gesundheit und Krankheit ergänzt (vgl. S. 131). Aufgrund ihrer Multiproblemperspektive kann sie einem komplexen Gesundheitsverständnis am ehesten gerecht werden. Durch ihre Multireferenzialität und Multifunktionalität können multiprofessionelle Teams entscheidend von der Sozialen Arbeit profitieren. Trotz vielfacher Publikationen und einer Vielzahl von PraktikerInnen im Gesundheitsbereich sei der Umfang und Stellenwert von Sozialer Arbeit in diesem Handlungsfeld noch immer wenig bekannt. Dies könnte auch der Struktur des deutschen Gesundheitssystems geschuldet sein, die sich vorrangig aus der ambulant medizinischen Versorgung, der stationären Versorgung und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zusammensetzt. Die „zahlreichen Stellen mit Gesundheitsbezug in ambulanten, teilstationären und Übergangseinrichtungen“ (S. 133 f.) etc. werden in dieser Struktur nicht berücksichtigt. Der Übergang von Gesundheitswesen zu Sozialwesen ist fließend. Die doppelte Verortung der Sozialen Arbeit ist, bedingt durch die schwierige Definierbarkeit von Gesundheitsauftrag und -wirkung, noch immer unbefriedigend. Exemplarisch geben die Autoren einen Überblick über die Aufgaben der Sozialen Arbeit in den drei Handlungsfeldern „Unterstützung der Krankheitsbewältigung im Setting Krankenhaus, die Hilfen für die gesellschaftliche Teilhabe in der Rehabilitation und … [den] Beitrag zur Gesundheitsförderung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ (S. 129).

Das 7. Kapitel beschreibt die Gesundheitsarbeit im Sozialwesen, die grundsätzlich in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit vorstellbar ist. Da die gesundheitsbezogene Soziale Arbeit in den einzelnen Lebensaltern unterschiedlich stark eingebunden ist, orientiert sich die Auswahl der Handlungsfelder (und Einrichtungen) an den jeweiligen Lebensphasen (S. 129). Der Aspekt der „interprofessionellen Kooperation und die Bewältigung von Schnittstellenproblematiken“ (S. 155) gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. „Gesundheitsarbeit“ wird von den Autoren v. a. als „Gesundheitsförderung und gesundheitliche Prävention“ (S. 155) definiert, mit dem Ziel der Chancengleichheit für ein gesundes Leben für alle Menschen. Folglich sollen sozial bedingte gesundheitliche Probleme minimiert bzw. verhindert werden. Als anschauliches Beispiel eines typischen Arbeitsfeldes dienen hier die Frühen Hilfen.

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich im Zuge der Ausdifferenzierung der Einrichtungen und der Vielzahl an wissenschaftlichen Disziplinen und Professionen die Klinische Sozialarbeit als Fachsozialarbeit mit einem eigenen Fachprofil etabliert. Diese reagiert auf die wachsende Anzahl an gesundheitsbezogenen Multiproblemkonstellationen in der Gesellschaft und wird im 8. Kapitel vorgestellt. Hierbei gehen die Autoren auf den Spezialisierungsbedarf, das Selbstverständnis und die Kompetenzen der Klinischen Sozialarbeit ein. Diese Fachsozialarbeit wird den steigenden Anforderungen und dem besonderem Beratungsbedarf in komplexen Problemkonstellationen gerecht, die u. a. aus dem gesellschaftlichen Wandel, dem Krankheitspanorama und Lebenslagen („Erosion des Sozialen“ S. 175) resultieren. Bei der Zielgruppe handelt es sich primär um Menschen, die schwer zugänglich sind („hard-to-reach“, S. 175) und von den Nachbarprofessionen als „austherapiert, beratungsresistent oder nicht resozialisierbar“ (ebd.) stigmatisiert werden. Trotz der Notwendigkeit von Spezialisierungen, um die KlientInnen weiterhin situations- und personengerecht unterstützen zu können, wird die Notwendigkeit der Klinischen Sozialarbeit noch immer zwischen GeneralistInnen und SpezialistInnen kontrovers diskutiert.

Im 9. Kapitel liegt der Fokus auf der Evaluation und Qualitätssicherung, die die gestiegenen Ansprüche an die Profession der Sozialen Arbeit widerspiegeln. Die Autoren beleuchten gleichzeitig das Dilemma, dass die vorhandenen Konzepte für Qualitätssicherung und -management nicht dem „zielgruppen- bzw. akteurssensiblen Arbeitsanspruch der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit“ (S. 130) gerecht werden können. Eingangs geben die Autoren einen kurzen Einblick in Evaluation, Qualität, Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung im Allgemeinen. Hierbei definieren sie die Begrifflichkeiten und geben eine Übersicht über Verständnis, Zielsetzung und Anspruch von Evaluation und Qualitätssicherung. Anschließend gehen sie näher auf den Qualitäts- und Evidenzdiskurs in der (gesundheitsbezogenen) Sozialen Arbeit ein. Im Rahmen von Evaluationen und Qualitätssicherungen sollen Schwächen und Verbesserungsbedarfe von Interventionen, Professionen und Organisationen systematisch dokumentiert und bewertet werden (vgl. S. 192). Die Arbeitsabläufe in der Sozialen Arbeit sind jedoch gekennzeichnet durch eine Komplexität, die nur schwer mit den Regeln der Standardisierung und Vergleichbarkeit erfasst werden kann. Gerade vor dem Hintergrund der schwer erreichbaren Zielgruppen der Sozialen Arbeit werden u. a. Handlungsabläufe, Interventionen und Zielebenen destandardisiert (S. 206). Als Ausweg aus diesem „Wirksamkeits-Komplexitäts-Dilemma“ (S. 208) nennen die Autoren die Konzepte von „Good Practice“ und partizipativer Qualitätsentwicklung, von denen sie einige daraufhin exemplarisch kurz vorstellen.

Anschließend folgt der 4. und letzte Schwerpunkt des Lehrbuches, der die „Organisation und Kooperation sozialer Hilfesysteme“ (S. 215) diskutiert. Die Autoren geben im 10. Kapitel einen Überblick über Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen von Prävention und Gesundheitsförderung. Nach der Definition und einer Einführung in das Grundverständnis von Prävention gehen sie auf das in den 1960er-Jahren konzipierte Triadische Strukturmodell ein, das zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Krankheitsprävention unterscheidet. Zum Vergleich ziehen die Autoren das in den 1980er-Jahren in Amerika entwickelte Strukturmodell heran, welches die präventiven Interventionen entsprechend der Spezifität und dem Maß der Gefährdung für den/die Einzelne/n kategorisiert. Hieraus ergeben sich die drei Präventionsformen der universellen, selektiven und indizierten Prävention. Im Anschluss geben die Autoren einen kurzen Überblick über krankheitspräventive Methoden (angelehnt an A. Leppin, R. Rosenbrock und C. Michel), stellen sechs Krankheitsgruppen vor, die epidemiologisch und präventiv besonders bedeutsam für die gesundheitsbezogene Soziale Arbeit sind und erörtern präventive Problemstellungen und Weiterentwicklungen. Am Ende des Kapitels geben sie einen Überblick über die Prozesse der Gesundheitsförderung, die den KlientInnen ein höheres Maß an Selbstbestimmung ermöglichen sollen (S. 227). Darüber hinaus zeigen sie zentrale Handlungsbereiche auf, die in „dynamischer Verbindung und Verstärkung“ (ebd.) stehen, wie z. B. die „Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik“ (ebd.) oder die „Neuorientierung von Gesundheitsdiensten“ (ebd.). Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention sind wichtige Interventionen, um z. B. Probleme wie Morbiditäts- und Mortalitätsentwicklungen gezielt zu beeinflussen (vgl. S. 229). Leider fehlt für die Gesundheitsförderung als Ganzes oder die Gesundheitsarbeit mit diesem Fokus noch immer eine nachhaltige Trägerstruktur.

Im 11. Kapitel fokussieren die Autoren die Gesundheitsförderung in den Settings Schule, Krankenhaus und Stadtteil. Hier wird exemplarisch dargestellt, welchen Beitrag die (gesundheitsbewusste) Soziale Arbeit zur Stärkung von Gesundheitsressourcen und zur Verringerung gesundheitlicher Benachteiligung leisten kann. Der Settingansatz manifestiert sich in der Förderung und der Stärkung von Ressourcen. Er „versteht Gesundheitsförderung als Organisationsprinzip“ (S. 238) und setzt dabei auf professionelle SozialarbeiterInnen, die lebensweltorientiert, netzwerkfördernd und sozialraumgestaltend in gesundheitsdienlichen Projekten tätig sind. Gemeinwesenorientierte Ansätze unterstützen dies, da sie die „Wechselwirkungen von Ökologie, Ökonomie und Sozialsystem“ (S. 239) und deren mögliche Auswirkungen auf den Gesundheitszustand des/der Einzelnen berücksichtigen. Durch diese Ansätze soll der Ungleichheit im Gesundheitszustand der Bevölkerung begegnet werden (ebd.). Hierbei nimmt die Soziale Arbeit eine Schlüsselrolle ein. Anschließend gehen die Autoren detaillierter auf die (Bedeutung der) Gesundheitsförderung in den o.g. Settings ein.

Im 12. Kapitel legen die Autoren ihren Fokus auf die Kooperation der sozialen Dienste und deren Organisation. Hierbei werden verstärkt die Bereiche der Kinder- und Jugend-, der Behinderten-, der Gesundheitshilfe und der Schule betrachtet. Die Notwendigkeit von Kooperationen zeigt sich vorrangig im Zuge von Spezialisierungen. Den Autoren zufolge weicht die Lebensweltorientierung formaler Hilfesysteme im Zuge von Spezialisierung und Differenzierung zunehmend einer Problemlösekompetenz (vgl. S. 255). Somit ist Kooperation zwischen den sozialen Diensten als „Bündelung eines Kompetenztransfers“ (S. 256) zu verstehen, der die Bindungskontinuität der KlientInnen verstärken soll. Vor allem im Kinder- und Jugendhilfebereich zeigen die intensiven Hilfen die Notwendigkeit einer Kooperation. Dennoch kommt es häufig zu Kooperationshemmnissen, die häufig in verschiedenen Funktionslogiken und Handlungspraktiken begründet sind. Dies zeigt sich u. a. in Form von „überzogenen Erwartungen, in je eigenen Denk- und Arbeitsstilen, im je eigenen Sprachcode, in unterschiedlichen Finanzierungen und Gesetzen“ (S. 262). Im weiteren Verlauf wird der Aspekt des Inklusionskonzeptes in den Vordergrund gestellt. Inklusion sehen die Autoren als „Voraussetzung für die gemeinsame Nutzung und gesellschaftliche Teilhabe durch heterogene Gruppen“ (S. 263), um allen Personen eine individuelle Förderung zu ermöglichen. Das Gemeinwesen erfüllt folglich eine Schlüsselfunktion, da sich darin soziale Dienste ansiedeln, der Alltag des/der Einzelnen vollzieht und insofern auch zivilgesellschaftliche Aktivitäten impliziert sind. Nur auf diese Weise können Personen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Lebenswelt mit den dazugehörigen Lebensvorstellungen „dort abgeholt werden, wo sie stehen“.

Am Ende des Kapitels nehmen die Autoren Bezug auf eine die Gesundheit fördernde Gesamtpolitik, die auf Landes- und auf Bundesebene angesiedelt sein sollte. Diese sollte systemübergreifende Bezüge von Gesundheit in den jeweiligen Gesetzestexten sichtbar machen. Darüber hinaus verweisen die Autoren auf die Schweiz, die mit ihrem „Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung (Präventionsgesetz)“ (S. 270) mit dem Ziel, „die nationale Steuerung von Präventions-, Gesundheitsförderungs- und Früherkennungsmaßnahmen zu verbessern“ (ebd.), als gutes Beispiel im Hinblick auf eine Gesundheit fördernde Gesamtpolitik vorangeht.

Diskussion

Das Lehrbuch Gesundheit stellt eine gelungene Antwort auf den rasant anwachsenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften in der Sozial- und Gesundheitsversorgung dar. Steigende Anforderungen und Erwartungen bei gleichzeitiger Enttraditionalisierung und Leistungsverdichtung bergen eine Reihe von Belastungen und Risiken für Menschen, die durch physische wie psychische Krankheit oder andere Benachteiligungen beeinträchtigt sind. Die dadurch entstehenden Gesundheitsprobleme und Exklusionsdynamiken gehören eindeutig in den Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit – in Kooperation mit anderen Disziplinen der Sozial- und Gesundheitsversorgung. Aus einem reichen und langjährigen Erfahrungsspektrum schöpfend und zugleich hoch aktuell werden die zentralen Themen des Aufgabenbereichs Sozialer Arbeit angesprochen und wegweisend für aktuelle Debatten aufbereitet.

Das Buch ist als Lehrbuch konzipiert und auch ausdrücklich für Lehrzwecke geeignet. Der Lehrbuchcharakter wird unterstützt durch ein überzeugendes didaktisches Konzept. Neu eingeführte Begriffe werden konsequent definiert, ehemalige und aktuelle Entwicklungen und Diskussionen werden aufgegriffen. Hilfreich ist auch, dass jeder Schwerpunkt und auch jedes Kapitel mit einer kleinen Einleitung beginnt. Das schafft einen guten Überblick über den Stoff, der auf den Leser zukommt. Im Buch wird außerdem auf viele Links verwiesen, über die Wissen vertieft werden kann und mit zahlreichen Übersichten und Tabellen gearbeitet. Auch der Praxisbezug verwirklicht sich durch eine Reihe konkreter Projektvorstellungen. Lediglich der stark substantivierte Sprachduktus behindert teilweise den Lesefluss.

Fazit

Bücher wie das Lehrbuch Gesundheit sind äußerst geeignet, aktuelle konzeptionelle (Weiter-)entwicklungen innerhalb der Sozialen Arbeit an Studierende, Forschende und PraktikerInnen zu vermitteln und Anregungen für innovative Weiterentwicklungen in diesem Arbeitsbereich zu bieten. Sowohl der Sozialen Arbeit als auch der Gesundheitsförderung, so wird im Lehrbuch deutlich, geht es um „sozialpolitische Aktivierungsstrategien, die auf Erschließung von Partizipationschancen und Mobilisierung sozialer Ressourcen zielen und die Entfaltung von individuellen Kompetenzen und die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten anstreben“ (S. 230). Ihr gemeinsamer Kern liegt in der Belastungssenkung und Ressourcenerhöhung vor dem Hintergrund der individuellen (prekären) Lebenslage. Studierende und Fachkräfte sind daher nicht nur gefordert, über eine große Ausstattung an klinisch und gesundheitsrelevanten Kenntnissen und Grundkonzepten zu verfügen, sondern diese auch zusätzlich auf Basis des Professionsverständnisses Sozialer Arbeit für ihre Berufspraxis kritisch zu reflektieren. Soziale Arbeit erweist sich damit jedoch im Konzert mit anderen beteiligten Professionen als souveräner Partner im Gesundheitswesen.

Rezension von
Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner
Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit für den Arbeitsbereich Psychosoziale Diagnostik und Intervention an der Alice Salomon Hochschule Berlin
Website
Mailformular

Anika Stitz
B.A. Soziale Arbeit
Mailformular

Es gibt 23 Rezensionen von Silke Birgitta Gahleitner.
Es gibt 10 Rezensionen von Anika Stitz.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Lesen Sie weitere Rezensionen zum gleichen Titel: Rezension 12426


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245