Annette Harth: Stadt als lokaler Lebenszusammenhang
Rezensiert von Pfarrer Michael Lehmann-Pape, 21.05.2012

Annette Harth: Stadt als lokaler Lebenszusammenhang. Gemeindestudien als Ansatz in der Stadtsoziologie. Springer VS (Wiesbaden) 2012. 236 Seiten. ISBN 978-3-531-18215-5. 24,95 EUR.
Thema
Versteht man die Gemeinde als „soziale Wirklichkeit“, wie es die Autoren des Buches zugrunde legen, lassen sich drei zentrale Elemente eruieren, die mit das Thema des Buches darstellen. Lokale Einheit, soziale Interaktion und gemeinsame Bindungen. Auf dieser Basis bildet die vorliegende Studie eine „kritische Bilanzierung stadtsoziologischer Forschungen im deutsch- und englischsprachigem Raum“. Im Rahmen der vorliegenden Darlegungen werden sodann sowohl der theoretisch-konzeptionelle Ansatz als auch die empirisch-analytischen Vorgehensweisen kritisch beleuchtet und die Erträge der Studie dargestellt. Der Gegenstand des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Studie ist somit vor allem, die Frage nach dem Stellenwert gemeindesoziologischer Städteforschung im Blick auf eine (leichte) Form der „Renaissance“ von gemeindesoziologischen Stadtstudien.
Autorinnen und Autoren
Dr. Annette Hardt und Priv. Doz. Gitta Scheller arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Theorie und Geschichte der Architektur an der Universität Hannover mit dem Schwerpunkt der Planungs- und Architektursoziologie. Dr. Ulfert Herlyn und Dr. Wulff Tessin waren Professoren für planungsbezogene Soziologie, u.a. auch an der Universität Hannover.
Entstehungshintergrund
Die Autoren des Buches verfolgen das Ziel eine kritischen Reflektion deutscher und englischer soziologischer Forschung in Bezug auf Gemeinden und Städte. Dieses Interesse beruht auf dem neuerdings (wieder) vermehrt feststellbaren Interesse soziologischer Forschungen am Gegenstand der Gemeinde und Stadt. Von besonderem Interesse für die Autoren ist dieser Gegenstand aufgrund eigener empirischer Studien über die Entwicklung der Stadt Wolfsburg
Aufbau und Inhalt
Zunächst zeichnen die Autoren die Entwicklung des gemeindesoziologischen Ansatzes in der Stadtsoziologie nach und legen sodann das Konzept zugrunde, die Stadt als „einen lokalen Lebenszusammenhang“ zu begreifen. Im Folgenden legen die Autoren eine kritische Bilanzierung entsprechender Studien vor, die sodann in ihren spezifischen Potentialen, in ihren (typischen) Begrenzungen in Form von Einzelfallstudien untersucht werden. Vor allem die Frage nach der Möglichkeit der Verallgemeinerung solcher Einzelfallstudien ist hier eine der Leitlinien der Untersuchung. Anschließend erheben die Autoren den konkreten Beitrag, den die ausgewählten Studien zum Verständnis der Stadt als lokalem Lebenszusammenhang leisten. Hier beschränkt sich die vorliegende Studie allein auf diese Frage, andere Leistungen von Gemeindestudien werden nicht in den Blick genommen.
Abschließend ziehen die Autoren Bilanz, inwieweit bestehende Vorbehalte gegenüber Gemeindestudien (welche die Arbeit zum Thema über längere Zeit durchaus zum Erliegen brachten) gerechtfertigt sind und diskutieren, wieweit der gemeindesoziologische Forschungsansatz in der Gegenwart noch Perspektiven aufzuweisen hat.
Diskussion
Das grundsätzliche Problem des Themas ist das der Verallgemeinerung. Dieses Problem arbeiten die Autoren stichhaltig heraus und verweisen zugleich nachhaltig und nachvollziehbar darauf, dass dieses ein generelles Problem der gesamten empirischen Stadtforschung darstellt. Demgegenüber wird ebenso nachvollziehbar dargestellt, wieweit eine konkrete Einzelfallstudie durchaus zum Verständnis eines allgemeinen Problems durch ihre je vorliegende Konkretisierung beitragen kann. Grundproblematik, Grenzen, aber auch die Möglichkeiten der Gemeindestudien sind im Gesamten im Buch detailliert dargestellt und sorgfältig hergeleitet.
Des weiteren kann man konstatieren, dass hier ein (zur Zeit) doch „Randgebiet“ der Soziologie zum Thema gemacht wird, in welches die Autoren allerdings durch ihre Forschungsarbeit an der Stadt Wolfsburg intensiv eingearbeitet sind (dies mag auch der Hintergrund dieser nun erweiterten Betrachtung der Forschungsdisziplin an sich sein).
Hier verweisen die Autoren selber darauf, dass die „Lektüre solcher… Studien etwas quälend sein kann“.
Die Studie selber richtet sich daher sicherlich auch an den eher kleinen Kreis der in dieser Hinsicht (noch oder wieder) Forschenden und ist in Duktus und Form kaum als allgemeine Lektüre zur (soziologisch aufgearbeiteten) Situation von Gemeinden und Städten geeignet. Dennoch ist ablesbar, dass die Autoren eine sehr breite und differenzierte Sicht auf Chancen und Nutzen von Gemeindestudien in der Stadtsoziologie bieten und diesen durchaus einen Platz auch in der weiteren Forschung einräumen (Herausarbeitung der Eigenart konkreter Städte, deren Bestimmungsfaktoren und Herausarbeitung der Bedeutung dieser jeweiligen städtischen Eigenart für die dort lebende Bevölkerung).
Fazit
In klarer Fokussierung arbeiten die Autoren Potentiale und Begrenzungen von soziologischen Gemeindestudien heraus und zeigen auf diesem Weg auf, wo in der lokalen Betrachtung durchaus noch allgemein Erkenntnis ableitbar wären, wo aber auch die Begrenzungen solch lokaler Betrachtungen liegen. Im konkreten Ergebnis verbleibt diese hohe Differenzierung dann aber im Raume und bietet somit abschließend ein etwas vages Bild über Sinn und Nutzen von Gemeindestudien. Aufgrund der zugrunde liegenden Fallbeispiele ist allerdings die methodische Herangehensweise und die Diskussion der Ergebnisse im Rahmen von Gemeindestudien sehr gut nachvollziehbar.
Rezension von
Pfarrer Michael Lehmann-Pape
Es gibt 23 Rezensionen von Michael Lehmann-Pape.
Zitiervorschlag
Michael Lehmann-Pape. Rezension vom 21.05.2012 zu:
Annette Harth: Stadt als lokaler Lebenszusammenhang. Gemeindestudien als Ansatz in der Stadtsoziologie. Springer VS
(Wiesbaden) 2012.
ISBN 978-3-531-18215-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13315.php, Datum des Zugriffs 22.03.2023.
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