Heidi Möller (Hrsg.): Vertrauen in Organisationen
Rezensiert von Pfarrer Michael Lehmann-Pape, 22.05.2012

Heidi Möller (Hrsg.): Vertrauen in Organisationen. Riskante Vorleistung oder hoffnungsvolle Erwartung?
Springer VS
(Wiesbaden) 2012.
232 Seiten.
ISBN 978-3-531-18118-9.
D: 34,95 EUR,
A: 36,00 EUR.
Reihe: Coaching und Supervision.
Thema
„Die Vertrauensdebatte ist alt und hochaktuell zugleich“. Diese Beobachtung gibt dem Buch zugleich sein Thema. Welchen Stellenwert haben (aktuell noch)Werte wie Loyalität, gegenseitige Verpflichtung und Vertrauen angesichts einer zumindest zunehmend entgrenzten Arbeitswelt, aber auch Gesellschaft? Angesichts einer, fast als räuberisch empfundener, Bereicherung weniger auf Kosten vieler? Aber auch, wie kann es überhaupt gelingen, ein Vertrauen zu sich, zur Arbeitswelt und zur Gesellschaft zu halten oder neu aufzubauen angesichts zunehmend prekärer Arbeitsverhältnisse und zunehmend in Frage gestellter Transferleistungen? Und in welchem Verhältnis stehen dabei Vertrauen und Kontrolle? Hier sieht Heidi Müller eine entscheidende und wichtige Schnittstelle für das Feld der Beratung, der sie die Funktion einer „Brücke zwischen personalem Vertrauen und Systemvertrauen“ zuspricht. Das thematische Feld der Wertediskussion ist somit für das Buch gesteckt und wird im Buch aus multidisziplinärer Sicht gerade auch für den Bereich der Beratung, der Supervision und des Coachings mit bedacht.
Autorin
Prof. Dr. Heidi Müller lehrt an der Universität Kassel Theorie und Methodik der Beratung und ist zugleich Organisationsberaterin, Supervisorin und Coach.
Entstehungshintergrund
Das Buch basiert auf dem 2. Beratungswissenschaftlichen Symposium an der Universität Kassel im November 2012 und bildet den dort geführten beratungswissenschaftlichen, interdisziplinären Dialog zum Thema Vertrauen erweitert ab.
Aufbau und Inhalt
Vorrangig die Frage nach dem Entstehungsprozess von Vertrauen, nach dem Stellenwert des Vertrauens bei der Beziehungsgestaltung und den Veränderungszyklen, denen das Vertrauen selbst ausgesetzt ist bilden die rahmenden Fragen des Buches. Wie sich Vertrauen bildet, wie es verloren geht, wie Misstrauen entsteht, wie Misstrauen und Vertrauen sinnvoll balanciert werden und wie das Verhältnis zwischen Vertrauen und Kontrolle erfasst werden kann wird dann im einzelnen anhand der diversen Beiträge diskutiert.
Zunächst wendet sich der Blick grundsätzlich auf Vertrauens- und Misstrauenskulturen in Organisationen, wie auch auf den Akt der Vertrauensbildung in Beratungsprozessen.
In den folgenden dargestellten disziplinären Perspektiven werden höchst unterschiedliche Themen um das Vertrauen herum dargelegt. Wieweit Vertrauen eine Frage (allgemein anerkannter) Moral ist ebenso, wie dargelegt wird, dass Vertrauen tatsächlich eine „zentrale Ressource“ der Organisationsberatung (natürlich) darstellt.
Das sensible Feld von „Vertrauen und Kontrolle“, die Reibung zwischen dem Kontrollauftrag der Betriebswirtschaft und dem Vertrauen zeigt Peter Eberl intensiv und nachvollziehbar auf, bevor mit dem „Vertrauen in Gruppen“ grundsätzliche Erwägungen zum Thema durch Karin Lackner vorgelegt werden.
In einem abschließenden, dritten Teil stellt das Buch drei konkrete Forschungsberichte vor. Untersuchungen zum Thema der „Neuen Verwaltungssteuerung“ mit dem Schwerpunkt eines „Vertrauens in Lehrkräfte“, ein Blick auf die breit vorliegenden und sich ständig erweiterten „virtuellen Gemeinschaften“ und die Vertrauensfrage in solchen und, abschließend, eine Untersuchung zu möglichen „Initiationsriten“ in ihrer möglichen Integration in die betriebliche Vertrauenskultur.
Diskussion
Unbestritten ist die Vertrauensfrage eine der zentralen Fragen für eine gesamte Gesellschaft, für das Funktionieren von Organisationen und für verlässliche, gemeinsam akzeptierte Werte. Ein Vertrauen, dass in so mancher Hinsicht aktuell unter Umständen nachhaltig in Kernbereichen erschüttert wurde (und wird). Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik schwindet ebenso, wie ein Misstrauen gegen „den Politiker“ breiten Raum einnimmt. Mobbing (teilweise auch strukturiert und gewollt) ist ein vieldiskutiertes Faktum in Organisationen, eine generelle Unsicherheit nimmt zu gegenüber Personen und Organisationen, im Kleinen wie in kleineren Betrieben und im Großen, was Gesellschaft und Staat angeht. Spannend stellt sich in diesem Zusammenhang gerade die Untersuchung virtueller Gemeinschaften dar. „Shitstorm“, „Mobbing“, entgrenzte Umgangsformen im Schutz der Anonymität sind hier ebenso bedenklich zu nennen, wie der Umgang größerer und kleinerer Anbieter mit den Daten der Nutzer (dem „Vertrauensvorschuss“). Ebenso aber bietet bereits der Einstieg in das Thema durch Heidi Müller eine klare Bestandsaufnahme in Richtung der Notwendigkeit eines „gesunden Misstrauens in Vertrauensseligkeit“, verweist aber zugleich eben auch auf die Notwendigkeit, manchmal auch gegen den Augenschein, Vertrauen im Misstrauen zu wagen und dieses nicht generalisierend, total und nachtragend zu verfestigen.
Sicherlich finden sich im Buch keine einfachen Antworten und keine Patentrezepte, wohl aber eine durchaus differenzierte und fundierte Darstellung einerseits der Gefahren, denen das „Bindemittel Vertrauen“ aktuelle stark ausgesetzt ist und andererseits Ansätze und Möglichkeiten zur Initiierung und / oder neuen Verfestigung einer (notwendigen) Vertrauenskultur. Die aber, das liest sich aus dem Buch heraus, gewisse Formen der Rahmungen und der Kontrolle benötigen. Nicht als Forderung, sondern rein bereits aus konkreten Erfahrungswerten (u.a. innerhalb der Finanzkrise) heraus.
Fazit
In angemessener Breite arbeiten die verschiedenen Autoren Wichtigkeit, Gefährdung, Notwendigkeiten und Möglichkeiten in und um den Spannungsbereich Vertrauen, Misstrauen, Kontrolle heraus und zeigen in wesentlichen Beiträgen die Möglichkeiten von Beratungsprozessen zur Steigerung der Vertrauenskultur, aber auch zur Verhältnisbestimmung von Vertrauen und Kontrolle auf. In Sprache und Form sind die Inhalte nicht immer einfach zu erfassen und bedürfen einer konzentrierten Erarbeitung. Diese gelungene Symbiose von allgemeinem gesellschaftlichem Grundthema und spezifischer Sicht aus der Beratungswelt heraus lohnt aber diese Anstrengung.
Rezension von
Pfarrer Michael Lehmann-Pape
Es gibt 23 Rezensionen von Michael Lehmann-Pape.
Zitiervorschlag
Michael Lehmann-Pape. Rezension vom 22.05.2012 zu:
Heidi Möller (Hrsg.): Vertrauen in Organisationen. Riskante Vorleistung oder hoffnungsvolle Erwartung? Springer VS
(Wiesbaden) 2012.
ISBN 978-3-531-18118-9.
Reihe: Coaching und Supervision.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13316.php, Datum des Zugriffs 24.03.2023.
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