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Daniel Gredig, Stefan Schnurr (Hrsg.): Forschen in der Sozialen Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Erika Steinert, 20.11.2012

Cover Daniel Gredig, Stefan Schnurr (Hrsg.): Forschen in der Sozialen Arbeit ISBN 978-3-8340-0959-3

Daniel Gredig, Stefan Schnurr (Hrsg.): Forschen in der Sozialen Arbeit. Exemplarische Antworten auf typische methodische Herausforderungen. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2012. 206 Seiten. ISBN 978-3-8340-0959-3. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR, CH: 34,60 sFr.
Reihe: Grundlagen der sozialen Arbeit - Band 27, hrsg. Von K. Bock/M. Dörr/H.G. Homfeldt/J. Schulze-Krüdener/W. Thole.

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Thema

Auf typische Probleme, die sich einer Forschung in der Sozialen Arbeit stellen, sollen verallgemeinerbare Antworten gefunden werden, so formulieren Gredig/Schnurr als Herausgeber im Untertitel das mit dem vorliegenden Buch verbundene Anliegen.

Sie versammeln in dem von ihnen herausgegebenen Band eine Reihe unterschiedlichster und lesenswerter Forschungsberichte, die mit dem Anspruch präsentiert werden, innovative methodische Bearbeitungsmöglichkeiten vorzustellen. Die Herausgeber diagnostizieren Minuspunkte in der Sozialarbeitsforschung, die im Folgenden skizziert werden:

Bisher vorliegende Publikationen über Forschung in Sozialer Arbeit könnten kaum Forschungskompetenz vermitteln, wenn es um AdressatInnenforschung über Menschen geht, die eine andere Sprache sprechen oder die schwer erreichbar sind (S. 6). Defizite werden darüber hinaus bei der Analyse von Beratungs- und Kommunikationsverläufen sowie bei international vergleichenden Themen konstatiert, ferner sei „ein mixed methods design (S. 6) bislang nur selten angewandt worden. Diese Defizite sollen mit den im Band versammelten Beiträgen verringert werden. Die Beiträge sollen Orientierung in der Forschungspraxis und exemplarische Antworten auf typische, in der Sozialen Arbeit bestehende Probleme geben.

Herausgeber und AutorInnen

Die beiden Herausgeber Gredig und Schnurr sind forschungserfahrene Professoren an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz. Die meisten Autorinnen und Autoren gehören dieser schweizerischen Hochschule an (Büschi Eva, Jurt Luzia, Le Breton Maritza, Lichtenauer Annette, Messmer Heinz, Parpan-Blaser), darüber hinaus ist eine weitere schweizerische Hochschule (Pfister Andreas) vertreten. Damit sind Beiträge aus der deutschsprachigen Schweiz vorherrschend. Weiterhin findet sich jeweils ein Beitrag aus dem United Kingdom (Hetherington Rachel), den USA (Onken Steven) und Deutschland (Kruse Jan).

Aufbau und Inhalte

Die Forschungsberichte sollen einer vorgegebenen Systematik folgend zentrale methodische Probleme des jeweils darzustellenden Forschungsprojekts benennen und die dafür entwickelten methodischen Vorgehensweisen beschreiben.

Die versammelten zehn Beiträge sind nicht weiter inhaltlich untergliedert. Die AutorInnen des ersten Forschungsberichts – Eva Büschi, Maritza Breton und Anne Parpan-Blaser – stellen methodische Aspekte qualitativer Forschung, die sich auf Untersuchungspersonen einer anderen Erstsprache bezieht, in den Mittelpunkt (S. 14-35). Sexarbeiter und -arbeiterinnen mit Migrationshintergrund im Raum Basel-Stadt wurden zu Gewalt im Sexgewerbe befragt. Die methodische Herausforderung besteht darin, so wird ausgeführt, Personen, die nicht die Sprache der Untersuchenden sprechen, so zu interviewen, dass sie ihre Bedeutungsgehalte und Sinnzuweisungen kommunizieren und sich den Forscherinnen verständlich machen können. Hierfür wurden MediatorInnen eingesetzt, die die Übertragung in die jeweilige Erstsprache und deren Rückübersetzung ins Deutsche ermöglichten. Damit wurde das übliche Dyade-Setting durch ein Triade-Setting ausgetauscht. Nicht zu verhindernde Verzerrungseffekte sollten bewusst gemacht und reflektiert werden, so die Autorinnen. Die Autorinnen schildern mit dem schwierigen Zugang zu den SexarbeiterInnen eine aus ihrer Sicht weitere Herausforderung, die sie über die Kooperation mit sozialen Einrichtungen und den MediatorInnen meistern konnten.

Annette Lichtenauer beschreibt in ihrem Forschungsbericht „Menschen mit Kommunikationsbeeinträchtigungen und schweren Behinderungen als kompetente Interviewpartner“ (S. 36-59). Beansprucht wird hier, „Voraussetzungen einer gelingenden Befragung“ (S. 36) am Beispiel einer Evaluationsforschung darzulegen. Diese bezieht sich auf ein Wohnprojekt, mit dem für „Menschen mit schweren Behinderungen und hohem Assistenzbedarf ein möglichst integratives und normalisiertes Wohnangebot zur Verfügung“ gestellt werden soll (S. 41). Als Herausforderung wird beschrieben, die Ansichten von Menschen mittels des problemzentrierten Interviews zu erfragen, die Angehörige einer bisher kaum befragten Gruppe sind, darunter auch Menschen, die gar nicht über eine verbale Sprache verfügen, „deren Gestik und Mimik jedoch eindeutig bestimmten Worten zugeordnet werden kann“ (S. 43). Das Öffnen des Mundes wurde beispielsweise als Zustimmung interpretiert. Dieser Gruppe wurde im Rahmen eines kontrollierten Gruppenvergleichs Menschen mit einem guten Sprachverständnis und guten Ausdrucksmöglichkeiten gegenübergestellt.

Ein einfacher Leitfaden, thematisch eingegrenzt auf vier Themenbereiche, umgesetzt in einer einfachen und klaren Sprache, wird von der Autorin als erfolgversprechend und im Endeffekt als erfolgreich bezeichnet. Als unerlässliche Voraussetzungen einer solchen Evaluation gelten der Autorin die Vertrautheit mit der konkreten Lebenswelt der Interviewpartner, Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit schweren Behinderungen, eine Vertrautheit zwischen den beiden InterviewpartnerInnen, Aufmerksamkeit und Offenheit für die Kommunikationsmöglichkeiten und -muster der Befragten jenseits der gesprochenen Sprache (beispielsweise wird nonverbal Geäußertes von der Interviewerin verbalisiert „nachgesprochen“), ein großzügig bemessener Zeitrahmen ebenso wie eine flexible und individualisierte Befragung (S. 47-55). Die Grundlage einer gelingenden Befragung wird in dem grundsätzlichen Vertrauen in die Befragbarkeit der zu befragenden Personen gesehen (S. 58).

Luzia Jurts und Andreas Pfisters Beitrag behandelt die „Erreichbarkeit von schwer zugänglichen Personengruppen“ (S. 60-83). Probleme und Lösungswege werden anhand zweier Forschungsprojekte, die sich auf Zugangsprobleme bei einerseits Sexarbeitern, andererseits bei minderjährigen Hausangestellten beziehen, dargelegt. Bei beiden Personengruppen handelt es sich um in Illegalität Lebende, die deswegen schwer erreichbar sind. Erfolgreich kann ein Zugang zu beiden Gruppen gefunden werden, wenn die Wahrung größtmöglicher Anonymität, der Einbezug fremdsprachiger Interviewer, der angemessene Einbezug von Professionellen, die von Probanden nicht als kontrollierend empfunden werden, persönliche Bekanntschaft, ein Vertrauensverhältnis, die Durchführung der Befragung unmittelbar nach der Zusage durch den/die Probandin gegeben seien.

Heinz Messmer legt einen Bericht über „Interaktion und Kommunikation in der Sozialen Arbeit“ (S. 84-112) vor. Es geht dabei um, so der Untertitel, „die Methode der Gesprächsanalyse im Spannungsfeld von kategorien- und gegenstandsgeleiteter Forschung“ (S. 84). Die Praxis der Hilfeplanung soll empirisch untersucht werden, innovativ dabei soll sein, dass das analytische Verfahren der Gesprächs- und Konversationsanalyse bei der Analyse von 15 akustisch aufgenommenen und verschriftlichten Hilfeplangesprächen Anwendung findet. Auswahlkriterium war eine Heimunterbringung; sieben Mädchen und acht Jungen zwischen fünf und zwanzig Jahren wurden danach ausgewählt. Nach ausführlichen methodischen Erläuterungen zur veranschlagten ethnomethodologischen Analyse schlussfolgert Messmer, dass zwar mit der Konversationsmethode der Fallbezug als unhintergehbar gilt und sich mit ihr ein Generalisierungsverbot verbindet, die Ergebnisse also auf „kleinräumige und idiosynkratische Wirklichkeitsausschnitte beschränkt sind“ (S. 106), gleichwohl aber Fragen der theoretischen Generalisierbarkeit nicht ausgeschlossen werden sollen und erörtert Befunde in dieser Richtung.

Steven J. Onken bietet Einblick in das Forschungsprojekt „Mental Health Recovery“, in dem mit einem Methodenmix eine Bestandsaufnahme von Hilfen für Menschen mit psychischen Erkrankungen vorgenommen wird, Indikatoren werden darüber hinaus entwickelt, mit denen ein hilfreiches Angebotssystem bestimmt werden kann und Angebotsstrukturen beurteilt werden können. Beschrieben wird dabei, wie an der Schnittstelle von qualitativer und quantitativer Forschung verfahren werden kann (S. 113-132).

Rachel Hetherington stellt ein interkulturell vergleichendes Projekt („Reflective comparisons: Using vignettes and focus groups for the intercountry comparison of social work practice in child and family welfare“, S. 133-157) vor, in dem die Praxis Sozialer Arbeit unterschiedlicher Länder kontrastiert wird. Methodische Probleme werden angerissen und Lösungswege aufgezeigt.

Jan Kruse (S. 158-204) widmet sich mit seinem Beitrag „Strukturierung versus Offenheit – Reflexive theoretische Sensibilisierung als Grundsatz und Herausforderung rekonstruktiver Forschung“ grundsätzlichen Überlegungen, wie die methodologisch geforderte Offenheit im qualitativen Paradigma eingelöst werden kann, ohne dabei theorielos zu forschen. Er schlägt vor, sich im Forschungsprozess theoretisch zu „sensibilisieren“ und veranschaulicht, wie eine solche „reflexive theoretische Sensibilisierung“ (S. 188 ff) in einem Forschungsprojekt umgesetzt werden kann.

Zielgruppen

Das Buch richtet sich an Studierende, Lehrende und PraktikerInnen der Sozialen Arbeit in deutschsprachigen Ländern.

Fazit

Ein lesbares, nützliches und wichtiges Buch sowohl für diejenigen, die am Anfang ihrer Forschungserfahrungen stehen als auch für jene, die differenzierte Antworten auf komplexe Forschungsfragen erwarten.

Die fachliche Qualifikation der Autorinnen und Autoren ist durchweg gegeben. Manche Berichte werden vergleichsweise interessant und reflektiert präsentiert, sie machen dabei neugierig auf die Inhalte der Studien (vgl. beispielsweise Rachel Hetherington). Ein Innovationswert ist in einzelnen Fällen erkennbar. So ist beispielsweise Gesprächsforschung in der Sozialen Arbeit zweifelsohne ein Entwicklungsgebiet. Der Gewinn des von Messmer gewählten methodischen Zugangs scheint mir darin zu bestehen, dass Interaktion und Kommunikation in der Sozialen Arbeit durch einen direkten Zugriff und nicht gefiltert durch die Wahrnehmung der Beteiligten und ihren Narrationen zum Forschungsgegenstand gemacht werden können. Die in deutschsprachigen Ländern vorherrschende Narrationstradition kann damit ergänzt werden.

Kritisch bleibt hingegen anzumerken, dass einzelne Beiträge in ihrem Innovationswert etwas überschätzt werden, wenn beispielsweise lediglich eine gängige Praxis in grenzüberschreitenden oder internationalen Projekten beschrieben wird (Büschi, Breton und Parpan-Blaser). Das Problem des Zugangs bzw. der Erreichbarkeit von Untersuchungsgruppen wurde bereits im letzten Jahrhundert breit in der v. a. soziologischen Forschung, aber auch innerhalb der Sozialarbeitsforschung1 beschrieben. Nicht gänzlich nachvollziehbar ist auch der Befund, „ein mixed methods design (S. 6) sei bislang in der Sozialarbeitsforschung nur selten angewandt worden. Nach Konrad Maier2 ist schon seit den 90er Jahren ein Multimethoden-Design innerhalb der Sozialarbeit in Deutschland feststellbar.

1 Vgl. etwa Geiger, M./Steinert, E. (1999). Alleinstehende Frauen ohne Wohnung. Schriftenreihe des Bundesministers für Frauen und Jugend, Band 5, Stuttgart Berlin, Köln

2 Ausgewertet von Steinert, Erika (2007). State of the Art on Social Work Research in Germany. Vortrag an der Universität Antwerpen

Rezension von
Prof. Dr. Erika Steinert
Prof. i. R., Hochschule Zittau/Görlitz
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Es gibt 12 Rezensionen von Erika Steinert.

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ISSN 2190-9245