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Ramita G. Blume: Ethik hat keinen Namen

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 20.12.2012

Cover Ramita G. Blume: Ethik hat keinen Namen ISBN 978-3-89670-951-6

Ramita G. Blume: Ethik hat keinen Namen. Erziehung als Anthropotechnik bewusster Evolution von Individuum und Gesellschaft. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2012. 259 Seiten. ISBN 978-3-89670-951-6. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR.
Reihe: Systemtheorie, Gesellschaft, Pädagogik. Mit Vorw. von Wolfgang Dür und Thomas A. Bauer.

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Thema

Das Buch fußt laut Aussage der Autorin sowohl auf der Kybernetik zweiter Ordnung eines Heinz von Foerster, auf der Systemtheorie von Niklas Luhmann, als auch auf den Gesetzen der Form, wie sie von George Spencer-Brown vertreten werden und unter Bezugnahme auf die Reflexionsstufen des Bewusstseins nach Gotthard Günther – alles unter Bezugnahme auf Erziehung als „zentraler Referenz gesellschaftlicher Implementation von Ethik„.

Autorin

Ramita G. Blume ist promovierte Philologin (Dr. phil. und MSc), studierte in Wien Philosophie, Pädagogik, Medien- und Kommunikationswissenschaft, erlangte das Masterdiplom in Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung und arbeitet freiberuflich als systemische Therapeutin, Organisationsberaterin, Lehrsupervisorin und pädagogische Leiterin im Aus- und Weiterbildungsbereich.

Entstehungshintergrund

Der eigentliche Entstehungshintergrund, der aus der Publikation nicht direkt erkennbar wird, scheint in Betrachtung des gegenwärtigen globalen Zustands und der sich daraus ergebenden und dringlich sich stellenden Problemlösungs-Gebotenheiten von höchst krisenhaften Entwicklungen zu liegen.

Aufbau

Das Buch weist sechs Hauptkapitel auf, die sich wiederum zwischen zwei und sieben – jeweils wiederum mit Unterkapiteln versehene – Kapitel aufgliedern; dem Ganzen geht jeweils ein Vorwort von Wolfgang Dür und Thomas A. Bauer voraus, den Abschluss bilden eine die Erziehung als implementierte Ethik verstandene Schlussbetrachtung sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Aufbau und Inhalt

Die Autorin begründet in ihrer Einleitung die Beschäftigung mit der Thematik zunächst damit, dass sie die Gesellschaften an einem Wendepunkt der Entwicklung aufgrund eines gegenwärtig fundamentalen Wandels der Lebensformen zu erkennen glaubt, der ein Weitermachen wie bisher ostentativ verbietet. Sie konstatiert eine krisenhafte globale Entwicklung, die den Ruf nach einer Ethik der Verantwortung immer lauter werden lässt. Globalisierung einerseits und Individualisierung andrerseits sind für die Autorin Auslöser für die Frage nach dem daraus resultierenden neuen Stellenwert der Ethik in unserer Zeit und welcher Bedeutung derselben hinsichtlich notwendiger Entscheidungen und Lösungen für aktuelle Probleme beizumessen ist. Es geht der Autorin also um die Frage von ethisch orientiertem Handeln und Kommunizieren – ohne diese auf eine Moral zu reduzieren. Blume hinterfragt aus diesen Fragestellung heraus sowohl den Konnex zwischen Ethik und Gesellschaft einerseits wie auch zwischen Ethik und Erziehung andrerseits. Dabei geht es ihr nicht nur um die Bedingungen und Anforderungen einer globalen Welt an die auf ethische Überlegungen bezogene Entwicklung des Menschen in der Gesellschaft, sondern auch um den Aspekt der sekundären Sozialisation.

In dem nachfolgenden Kapitel wendet sich die Autorin der Kybernetik zu, geht auf die verschiedenen definitorischen Klärungsversuche der Begrifflichkeit ein, indem sie zum Beispiel auf Norbert Wiener mit dessen Verständnis der Kybernetik als der Wissenschaft von der Regelung und der Signalübertragung in Lebewesen und in Maschinen rekurriert ebenso hinweist, wie auf die Lesart von Stafford Beer, der die Kybernetik als die Wissenschaft der effektiven Organisation definiert hat. Des weiteren nennt sie Warren McCulloch, ehe sie nähere Erläuterungen zu der Begrifflichkeit – etwa auch aus der konstruktivistischen und weiteren Perspektiven – gibt. Diesen Ausführungen schließen sich Kapitel über den „Kalkül der Liebe“ (S. 31 ff.) und die „Reflexionsstufen des Bewusstseins“ (S. 43 ff.) an, ehe sie in einem dritten Kapitel „2nd Order Theorie der Ethik“ auf das eigentliche Kernthema zu sprechen kommt. Hier geht es ihr um „Die ethische Frage“ schlechthin, um die „Stufen der Ethik“ und um das „Zeigen der Ethik“. Dabei spielt bei der „ethischen Frage“ der Freiheitsbegriff nicht zuletzt in Anlehnung an von Foerster durchaus eine wichtige Rolle, ist doch davon auszugehen, dass „die Entscheidung zur Freiheit die Voraussetzung dafür [wird], Verantwortung übernehmen zu können und damit Bedingung der Möglichkeit einer Praxis der Ethik [wird].“ (S. 65)

Das vierte Kapitel unternimmt den Versuch einer Erklärung des Verhältnisses der Ethik zum Individuum und zur Gesellschaft zu analysieren: es wird auf die elementare Form des Menschen, sein Wahrnehmen, Fühlen, Wollen etc. vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Ethik als Frage nach dem Sein des Menschen eingegangen. Dabei spielen das biologisch-somatische System des Körpers wie auch das kognitive System des Geistes eine Rolle. Zu dieser wechselseitigen Beeinflussung tritt die Absicht oder Volition als Bindeglied zwischen beiden, was wiederum eine wechselseitige Beeinflussung und Bedingung bezüglich des Wahrnehmens, Empfindens etc. erzeugt.

Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich u. a. mit der Einheit von Theorie und Praxis der Ethik, wobei dezidiert auf die 2nd-Order Ethik als operational-funktionale Theorie eingegangen wird; Schaubilder vermitteln die Zusammenhänge zwischen Ethik, Ästhetik und Erkenntnis, deren Wurzeln in verschiedenen klassischen östlichen und westlichen philosophischen, logischen und mathematischen Konzepten – so wird auf die drei Grundformen der yogischen Theorie ebenso hingewiesen, wie auf die Aristotelische Trias von Ethik, Ästhetik und Logik – zu finden sind (vgl. S. 121 ff.). Während im nächsten Kapitel Fragestellungen bezüglich des Lernens und der Entwicklung von 2nd-Order Kompetenz im Mittelpunkt der Darlegungen stehen, beschäftigt sich die Autorin in Kapitel 7 mit der Rolle der Erziehung im Konnex mit der Ethik. Die Autorin sieht einen Zusammenhang zwischen der Orientierung von Erziehung an den „ethischen Grundausrichtungen einer Gesellschaft“, weshalb für sie die Ethik zum „Grund jeglicher Erziehung“ (S. 181) wird. So stellt sie beispielsweise ein interdependentisches Verhältnis von Ethik und Erziehung her, indem Erziehung zur Ethik nur dann gelingen könne, wenn sie ethisch relevant vorgeht. Erziehung wird für Blume zur Technik am Menschen, zu einem planvollen reflektierten Einwirken.

Schließlich wird im letzten Teil erörtert, weshalb die Implementierung der Ethik als Erziehung verstanden werden soll. Erziehung muss für die Autorin auf eine „offene, gestaltbare, jedoch unbekannte, unberechenbare, intransparente Zukunft vorbereiten“ (S. 237), dabei kommt der Ethik die Aufgabe der Orientierungsgebung ebenso zu, wie letztlich die Erziehung als Ort der generativen Weitergabe gesellschaftlicher Ethik verstanden werden muss. Das eigentliche Fazit der Ausführungen von Blume kann wohl in dem Satz gesehen werden: „Welcher Logik und welcher Ethik die Erziehung folgt, ist in diesem Sinne ausschlaggebend dafür, wie sich die künftige Gesellschaft gestalten wird.“ (S.238). Dass dafür eine „Umstellung der Selbststeuerung der Individuen von Anpassung auf empowerte Selbstreflexion notwendig zu sein scheint, wird von der Autorin schließlich (wenn auch hinterfragt) als Chance erkannt.

Diskussion

Der Autorin des Bandes gelingt es eine wissenschaftlich verklausulierte Aufarbeitung des Themas vorzunehmen. Dabei kommen immer wieder namhafte Philosophen wie Friedrich Nietzsche, Peter Sloterdijk oder auch Niklas Luhmann dahingehend zu Wort, als sie bei den jeweiligen Kapitelanfängen mit klar verständlichen Aussagen im Gegensatz zu dem meist Nachfolgenden entsprechend zitiert werden.

Es bleibt eigentlich zunächst unklar, weshalb die Autorin den Titel des Buches „Ethik hat keinen Namen“ genannt hat; dies klärt sich im weiteren Verlauf hingegen dadurch auf, dass im Grunde genommen gar nicht über das was Ethik ist, was ihr Grundanliegen ist, welche eigentliche Bedeutung ihr in unserer heutigen Gesellschaft zukommt, welche Werte und Normen diskutiert bzw. vorgegeben werden (können) und wo die tatsächliche Bedeutung und die dringende Notwendigkeit einer erzieherischen Vermittlung ethischer Inhalte liegen, gesprochen wird. Statt dessen erfolgt eine in eine wissenschaftliche Abstraktheit gehobene Themenbearbeitung, die nicht nur ein methodisches Unterfangen darstellt, sondern zugleich in ihrer Abgehobenheit den inhaltlichen Boden unter den Füßen zu verlieren droht.

Fazit

Die Bearbeitung des Themas des Werkes von Blume wäre gerade durch den Konnex zwischen Ethik und Erziehung ein lohnenswertes Anliegen, das sicher einer breiteren Leserschaft entgegenkäme, würde es sich nicht um ein recht schwieriges Werk handeln, das wegen seiner schweren Verständlichkeit wohl nur dem inneren Zirkel der Fachwissenschaft zugänglich bleibt.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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Es gibt 85 Rezensionen von Peter Eisenmann.

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ISSN 2190-9245