Gerhard Spangler: Kollegiale Beratung
Rezensiert von Peter Schröder, 17.10.2012

Gerhard Spangler: Kollegiale Beratung. Heilsbronner Modell zur kollegialen Beratung. Mabase Verlag (Nürnberg) 2012. 2., erweiterte Auflage. 152 Seiten. ISBN 978-3-939171-31-7. D: 15,00 EUR, A: 15,50 EUR.
Thema
Parallel zum Beratungsformat Supervision hat sich in den 80er Jahren auch die Kollegiale Beratung in vielen Bereichen der sozialen Arbeit etabliert. Während Supervision auf einen externen Berater bzw. eine externe Beraterin angewiesen ist, kann die kollegiale Beratung im Kreis von Teams, Ausbildungsgruppen etc. selbst erfolgen. Es ist dabei hilfreich, wenn der kollegiale Austausch methodisch strukturiert vor sich geht, weil sonst die Gefahr besteht, dass sich die KollegInnen mit Problemen statt mit Lösungen anreichern, nach dem Muster: „Ich habe folgendes Problem…“ – „Das kenne ich, bei mir ist es so…“
Alle Modelle kollegialer Beratung kommen darin überein, dass sie einen Beratungsprozess strukturiert und schrittweise durcharbeiten. Soweit ich sehe, haben Heinrich Fallner und Hans-Martin Gräßlin im Jahr 1990 das erste Modell veröffentlicht, das in den folgenden Jahren weite Verbreitung gefunden hat. Kim-Oliver Tietze hat in der Schulz von Thun-Reihe „Miteinander reden“ eine weitere Publikation vorgelegt. Im Jahr 2005 ist dann die erste Auflage des Buches von Spangler erschienen, die eine Zusammenfassung der seit Mitte der achtziger Jahre mit kollegialer Beratung gemachten Erfahrungen bietet.
Autor
Gerhard Spangler ist Diplomreligionspädagoge (FH) und Supervisor (IGSv). Er arbeitet als Referent für die Fortbildung in den ersten Dienstjahren im Religionspädagogischen Zentrum der Evang.-luth. Kirche in Bayern in Heilsbronn. (Vgl. http://www.rpz-heilsbronn.de/arbeitsbereiche/seelsorge-und-beratung/kollegiale-beratung.html).
Aufbau und Inhalt
Nach Vorwort und Einleitung, die die Geschichte des Heilsbronner Modells darstellen, beginnt unter der Überschrift „Kollegiale Beratung“ eine umfangreiche Beschreibung des Beratungsformates und seiner Vorteile. Kollegiale Beratung antwortet vor allem auf zwei Gegebenheiten: Zum einen suchen Mitarbeitende und Leitungsverantwortliche angesichts zunehmender Herausforderungen nach Möglichkeiten der Entlastung und der gegenseitigen Unterstützung, zum anderen nehmen die finanziellen Mittel ab, die für Supervision, Coaching und andere externe Beratungen zur Verfügung stehen. Spangler versteht kollegiale Beratung zugleich als einen Beitrag zur Personalentwicklung, nicht zuletzt deshalb, weil es schon früh in Aus- und Fortbildung die Option für kollegiale Kooperation öffnet, in der sich die fachlichen Kompetenzen der Gruppenmitglieder gegenseitig anreichern. Wenn Teams eine Kultur kollegialer Beratung entwickeln, profitiert davon letztlich auch die jeweilige Organisation.
Im Folgenden wird „Das Heilsbronner Modell zur kollegialen Beratung“ dargestellt: Die Geschichte, die für dieses Modell im Jahr 1985 beginnt. Die vier Säulen des Modells sind: der eingebrachte (berufsbezogene) Fall, die Gruppe, in deren Prozess sich die Situation spiegelt, und der Aspekt der Selbsterfahrung. Diese Säulen werden ausführlich dargestellt. Nach „Anlässe“ und „Themen“ folgt ein Überblick über die 10 Schritte des Heilsbronner Modells, die dann im Weiteren Ausführlich und praxisnah dargestellt werden.
Wolfgang Schindler hat einen Artikel über die Internet-Plattform www.kollegiale-beratung.net beigetragen. Die Website übersetzt das Heilsbronner Modell in ein webbasiertes Format, in dem moderierte Beratungsräume angeboten werden, in denen sich NutzerInnen nach Anmeldung mit KollegInnen nach dem Heilsbronner Modell kollegial beraten können. Dort kann man auch eigene Konferenzen organisieren.
Patricia Arnold ergänzt den Bericht über die Internetplattform mit einem Beitrag zum Thema „Wirksamkeit von Online-Beratung – was sagt die Forschung?“ Onlineberatung ist nicht zuletzt deshalb umstritten, weil nicht wirklich klar ist, wie man sich eine Beratungsbeziehung vorstellen kann, wenn lediglich Texte die Brücke zwischen Beratenden und Beratenen bauen. Andererseits gibt es seit langem – und intensiv genutzt – Beratungsforen zu den unterschiedlichsten Themen, so dass solche Formate vielen Menschen vertraut sind. Das Fazit von Arnold lautet: „Es geht um Gestaltung!“ Es geht nicht mehr um das „Ob“, sondern um das „Wie“ von Internetberatung.
Es folgt ein Abschnitt, den Spangler „Rund um die Praxis des Heilsbronner Modells“ überschreibt. Der Autor schildert die vorausgesetzten Fähigkeiten, schildert den Prozess der Gruppenfindung und -bildung, stellt dann die Rahmenbedingungen der Arbeit dar, weist auf Schwierigkeiten im Prozess hin, klärt Fragen wie die, ob es günstig ist, wenn auch Dienstvorgesetzte an einer kollegialen Beratung teilnehmen, und zeigt die Grenzen des Formates auf.
„Berichte aus der Praxis“ schließen sich an: aus der Schule, aus der Vikarsausbildung, aus der Fortbildung in den ersten Amtsjahren, aus der kollegialen Beratung im Pfarrkapitel u.a. Abschließend wird kollegiale Beratung von den „Nachbarformaten“ Intervision, Supervision und Coaching abgegrenzt. Eine Sammlung mit „Materialien für die Praxis“ rundet den Band ab: Auswertungsbögen, Entwürfe für Einführungstage kollegialer Beratung und anderes.
Diskussion
Es steht völlig außer Frage, dass kollegiale Beratung ein sehr wertvolles und wirksames Beratungsformat ist. Und es ist Beratungsfachleuten wie Spangler dafür zu danken, dass sie dieses Format entwickelt, intensiv reflektiert und in vielen Kontexten erprobt haben. Gern implementiere ich in Teamsupervisionen diese Methode, damit die Teams zwischen den Supervisionsterminen oder auch nach Abschluss eines Supervisionsprozesses allein effektiv weiterarbeiten können. Da das Format seit den 80er Jahren vielen vertraut ist, ist kaum zu erwarten, dass das Buch viele Neuigkeiten bietet. Neu (und spannend) ist vor allem die Übersetzung ins Web 2.0: Das führt weiter und löst das Problem räumlicher Distanzen bei knappen Zeitressourcen.
Aber neu oder nicht neu: Es ist hilfreich für Teams und Gruppen, die sich ein solches Modell zu eigen machen wollen, wenn sie einen detaillierten Leitfaden bekommen, an dem sie sich orientieren können. einen solchen Leitfaden bietet Spangler mit dem vorliegenden Band. Gerade der Abschnitt „Schritt für Schritt“ ist dafür hilfreich. Überhaupt ist es ein Buch aus der Praxis für die Praxis, und das macht es (für Praktiker) wertvoll.
Allerdings finde ich den Band in hohem Maße redundant. Vieles wird immer und immer wieder gesagt, manches liest sich wie eine Werbebroschüre: „Sie erleben Unterstützung und Förderung Ihrer Persönlichkeit“, „Sie profitieren von den fachlichen Qualitäten aller“, „In einer kollegialen Beratungsgruppe können Sie sich immer wieder riskieren“ etc. Hier könnte man straffen, und das Buch würde dadurch nicht verlieren, sondern gewinnen. Redundanz mag dem Lernen dienlich sein, wenn es aber um Inhalte geht, die man auch beim ersten Lesen schon verstanden hat, wirkt es ermüdend. Die Weiterentwicklung des Modells liegt vor allem in seiner Internetpräsenz, das kann ich mir auch anders vorstellen: In Fallner/Gräßlins Modell sind z.B. kurze Diskussionsphasen sowie ein „Fach-Baustein“ vorgesehen. Tietze erweitert sein Schema um hilfreiche methodische Impulse, differenziert nach Bausteinen für erfahrene und für noch nicht so erfahrene Gruppen. Das vermisse ich: einen kreativen Umgang mit einem kreativen Modell.
Fazit
Ein gutes, praxiserprobtes Modell wird gut und praxisnah vorgestellt. Mit dem Buch lässt sich das Modell erlernen, die Unterstützung durch die Onlineberatung finde ich sehr wertvoll. Eine eindeutige Empfehlung für Gruppen und Teams, die zu kollegialer Beratung zusammenfinden wollen!
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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