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Antje Langer: Klandestine Welten. Mit Goffman auf dem Drogenstrich

Rezensiert von Dipl. Soz.-Arb. Monica Wunsch, 23.03.2004

Cover Antje Langer: Klandestine Welten. Mit Goffman auf dem Drogenstrich ISBN 978-3-89741-136-4

Antje Langer: Klandestine Welten. Mit Goffman auf dem Drogenstrich. Ulrike Helmer Verlag (Sulzbach/Taunus) 2003. 176 Seiten. ISBN 978-3-89741-136-4. 19,95 EUR.

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Die Autorin

Antje Langer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft (empirische Geschlechterforschung) der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Einführung

Der Gebrauch von Drogen, politische Sichtweisen und Aufteilungen in legalisierte und illegalisierte Drogen, rechtliche Implikationen, die unterschiedlichen Wirkungen und Wirkstoffe der verschiedenen Substanzen, die oftmals starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen der KonsumentInnen und nicht zuletzt Präventionsmaßnahmen gegen HIV und STD finden zumindest ansatzweise sozialwissenschaftliche Beachtung und sind Gegenstand der Drogenforschung. Einige Teilbereiche des Drogenkonsums, z.B. die immens hohe finanzielle Belastung von kompulsiven Heroin- (auch Kokain-, Crack-) KonsumentInnen, die Wege der Beschaffung und ihr lebensweltlicher Kontext, bleiben meistens außer Acht.

Beschaffungsprostitution ist ein häufig gewähltes Mittel kompulsiver Drogenkonsumentinnen, Geld für Drogen zu erwerben. Drogenkonsumentinnen, die der Prostitution nachgehen, sind im Rotlichtmilieu nicht gerne gesehen. Sie gelten als "Unsicherheitsfaktor", erwecken die Aufmerksamkeit von Dealern, Hehlern und der Polizei, sind für Bordell-, Laufhausbetreiber und Zuhälter keine stete Einnahmequelle und können sich die Miete in Clubs und Appartements nicht leisten. Beschaffungsprostituierte bezeichnen sich in der Regel nicht als Prostituierte, sondern vorrangig als Drogenkonsumentinnen. Prostitution ist notgedrungenes Mittel zum Zweck.

Die hier vorliegende Untersuchung von Antje Langer gibt Einblick in die Beschaffungsprostitution auf dem Frankfurter Straßenstrich. Mit dem besonderen Augenmerk auf die Interaktionsprozesse, insbesondere zwischen Prostituierten und Kunden, beschreibt und analysiert sie die Alltagsszenerie der Beschaffungsprostitution. Der Frankfurter Straßenstrich im Bahnhofsviertel kann hier stellvertretend für viele andere (Drogen-)Prostitionsstraßen in der BRD gesehen werden.

Aufbau und Inhalt

In der Einleitung definiert Antje Langer die "Spezifika der Drogenprostitution". Sie erläutert die Unterschiede zwischen "professionellen" Prostituierten und Beschaffungsprostituierten und in diesem Zusammenhang die differierenden Interaktionskontexte und Milieus. Im Folgenden stellt sie ihr Untersuchungsvorhaben dar, indem sie der Frage nachgeht: "Was geschieht hinter den Kulissen?". Fokussiert ist ihr Blick auf die Interaktionsprozesse auf dem Straßenstrich im Drogenmilieu, die anhand von Feldbeobachtungen die Abläufe und Strukturen des Alltagshandelns rekonstruieren sowie Selbstverständnisse und Kompetenzen der Beteiligten herausstellen sollen.

Im folgenden Kapitel "Annäherungen an das Geheime" führt sie die LeserInnen auf einem virtuellen Rundgang durch das Frankfurter Bahnhofsviertel. Sie beschreibt detailliert ihr eigenes vorsichtiges Zugehen, ihre ersten Beobachtungen und verdeutlicht die Schwierigkeiten und die erforderliche Sensibilität, eine eigene Zugangsform zum Milieu zu entwickeln. Durch die Unterstützung einiger MitarbeiterInnen örtlicher sozialer Einrichtungen war es ihr möglich, Kontakte zu Szenefrauen zu knüpfen. Ergänzend zur teilnehmenden Beobachtung machte sie 22 Interviews mit Frauen, die der Beschaffungsprostitution nachgehen, 1 Interview mit einer Streetworkerin und 2 Interviews mit leitenden Polizeibeamten.

Im Kapitel "Die Akteurinnen und Akteure auf der Drogenszene" wird der räumliche, personelle und institutionelle Kontext, in dem das Geschehen stattfindet, dargestellt, der Alltag, die Zusammenhänge und Funktionen der dort aktiven Menschen beschrieben und auf sehr interessante Weise gesellschaftspolitische Haltungen und juristische Vorgaben in der Analyse der Interaktionsprozesse reflektiert. Auf sehr ansprechende Art versteht es Antje Langer, Kontextwissen, Beobachtungen und Interviewsequenzen in einen Gesamtkontext zu stellen und so zu fundierten und transparenten Aussagen zu kommen.

Im folgenden und ausführlichsten Kapitel "Was geht hier eigentlich vor? " wird detailliert die Methode des Forschungsvorhabens dargestellt, das dafür entwickelte Sechs-Phasenmodell und der theoretische Bezugsrahmen erklärt. Antje Langer beleuchtet, inwieweit implizites Vorwissen und konkrete und geplante Vorbereitungen aller AkteurInnen, die am Geschehen auf dem Straßenstrich im Drogenmilieu beteiligt sind, notwendig vorhanden und bei genauer Studie in vielen Bereichen auch darstellbar sind. Die notwendigen Voraussetzungen und Vorbereitungen, die alle Beteiligten treffen müssen, um den verschiedenen Bedürfnissen und Geltungsansprüchen gerecht zu werden, die Interaktionsprozesse von der Kontaktanbahnung, über Verhandlungen, Kontaktabschlüsse und -beendigungen werden im Detail beschrieben und erklärt.

Im Anschluss wird ein Einblick in mögliche Gefahren gegeben, auf die häufig sehr gewalttätigen Erfahrungen der Prostituierten auf dem Straßenstrich eingegangen und das "Sicherheitskonzept Stammfreier" näher erläutert.

Zielgruppen

Das Buch zeigt zahlreiche und vielfältige Aspekte der Interaktion und des Alltagshandeln auf und ist allen zu empfehlen, die sich mit dem Drogenmilieu und der Beschaffungsprostitution im Allgemeinen und in diesem Kontext mit den Interaktionsprozessen im Besonderen beschäftigen möchten. Besonders interessant ist es für die mit dem Thema beschäftigten Berufsgruppen sowie StudentInnen der Pädagogik und Sozialwissenschaften.

Fazit

Antje Langer hat es auf ganz neue und sehr interessante Weise geschafft, einen detaillierten Einblick in die Lebenswelt von Frauen, die der Beschaffungsprostitution nachgehen und im Drogenmilieu auf dem Straßenstrich ihren Alltag leben, zu geben. Die hier vorliegende Untersuchung gibt Einsicht in eine Welt, die für gewöhnlich nur "Insidern" zugänglich ist. Es ist ihr hervorragend gelungen, die Interaktionsprozesse insbesondere zwischen Beschaffungsprostituierten und ihren Kunden zu veranschaulichen, die Handlungs- und Kommunikationsereignisse auf ihre "Rollen" hin zu betrachten und in Kontext mit dem Alltag auf dem Straßenstrich zu erfassen. Schade ist, dass der direkte Kontakt zu den Kunden (Freiern) nicht möglich gewesen ist. Zugangsmöglichkeiten zu finden und eine Freierbefragung in die Studie miteinzubeziehen, wäre auch für die Zukunft noch wünschenswert.

Rezension von
Dipl. Soz.-Arb. Monica Wunsch
Mercedes Monica Wunsch Dipl.-Soz.Arb. (FH) Geschäftsführender Vorstand Zug um Zug e.V. und Tochtergesellschaften (Köln)
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Es gibt 11 Rezensionen von Monica Wunsch.

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ISSN 2190-9245