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Juliane Sagebiel: Teamberatung in Unternehmen, Verbänden und Vereinen

Rezensiert von Tatjana van de Kamp, 23.01.2013

Cover Juliane Sagebiel: Teamberatung in Unternehmen, Verbänden und Vereinen ISBN 978-3-8382-0345-4

Juliane Sagebiel: Teamberatung in Unternehmen, Verbänden und Vereinen. Niklas Luhmann und Mario Bunge: Systemtheorien für die Praxis. ibidem-Verlag (Hannover) 2012. ISBN 978-3-8382-0345-4.
Unter Mitarbeit von Edda Vanhoefer.

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Thema

Die in der Organisations- und Teamberatung vielfach herangezogene Systemtheorie Niklas Luhmanns sei erklärungsstark für soziale Systeme, aber allein nicht hinreichend, um Aspekte des menschlichen Systemerlebens und der Machtverhältnisse in den Blick zu nehmen, schreibt Juliane Sagebiel im Vorwort des Buches.

Deshalb kombinieren die Autorinnen die funktionale Systemtheorie Luhmanns mit der ontologischen Systemtheorie Mario Bunges und beziehen diese beiden theoretischen Zugänge auf die Herausforderungen der praktischen Beratungstätigkeit.

Das Buch soll nicht nur Kollegen und Studierende der Sozialen Arbeit und Betriebswirtschaft an den Erfahrungen und dem erprobten Methodenrepertoire der Autorinnen teilhaben lassen und interne oder externe Berater bei der Teamentwicklung in Unternehmen unterstützen, sondern vor allem zur Reflexion einer beraterischen Grundhaltung und einem realistischen Verständnis über ihre Einflussmöglichkeiten anregen. Die Autorinnen möchten ihre Leser inspirieren, irritieren, nähren und verführen, ihren eigenen Trainingsstil verbessern.

Autorinnen

Juliane Sagebiel ist Professorin für Angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule München mit den Schwerpunkten Sozialarbeitswissenschaft, Systemtheorien und Machttheorien und darüber hinaus als Trainerin und Referentin im Sozialbereich tätig. Edda Vanhoefer ist Diplom-Sozialpädagogin, Gruppendynamikerin, Team- und Organisationsentwicklerin und Geschäftsführerin der Unternehmungsberatung Change Corporation. Ihre Schwerpunkte sind Organisationsentwicklung und Change Management.

Der vorliegende Band ist die zweite überarbeitete Auflage des Titels „Es könnte auch anders sein – systemische Variationen der Teamberatung“ von 2006 und nach „Theorieansätze, neue Konzepte und Anwendungsfelder systemischer Sozialer Arbeit“ von Wolfgang Krieger der zweite Band in der von ihm herausgegebenen Reihe „Systemische Impulse für die Soziale Arbeit“.

Aufbau

Das Buch hat drei Teile.

  1. In Teil I geht es um die Teamberatung in Organisationen und die Grundlagen der Gruppendynamik.
  2. Teil II ist der Theorie gewidmet und beschreibt die beiden Systemtheorien, ihren Nutzen, den Umgang mit Machtverhältnissen und das Professionalitätsverständnis von Beratern.
  3. Teil III behandelt praktische Fragen, stellt exemplarische Fälle aus der Teamberatung vor und beschreibt Varianten zur Bearbeitung und Lösung.

Am Ende ist ein Literaturverzeichnis.

Zu Teil I: Teamberatung

Im ersten Teil wird der Kontext einer Teamberatung beschrieben und die Kernbegriffe, mit denen das Buch weiterarbeitet, erklärt und abgegrenzt. Die Autorinnen setzten sich hier kritisch mit dem Teambegriff auseinander und beschreiben Teams nicht nur als Problemlösungsinstrument oder Maßnahme zur Leistungssteigerung, sondern zitieren auch kritische Stimmen, die es als „Instrument zur Ausbeutung von Humanressourcen“ sehen oder vor der „Gefahr des Identitätsverlustes des Einzelnen“ warnen. Sie zitieren Richard Sennets Kritik, Teamarbeit führe uns „in die Sphäre erniedrigender Oberflächlichkeit“, behandele „menschliche Beziehungen als Farce“ und erlaube Managern „Macht auszuüben, ohne Verantwortung zu übernehmen.“

Sagebiel und Vanhoefer grenzen ab, wann Teamberatung sinnvoll sein kann, klären Ziele, Grenzen und Phasen der Teamberatung sowie die Kompetenzen und Eigenschaften, die ein professioneller Teamberater in jeder Phase mitbringen sollte. Für die Klärung der Rollendifferenzierung bieten die Autorinnen eine Teamübung an.

Zu Teil II: Theoretische Grundlagen

Dieser Teil stellt die Systemtheorien von Mario Bunge und Niklas Luhmann vor und einander gegenüber, begründet beide als relevante Basis für ein ganzheitliches Verständnis von Teams und Organisationen und leitet daraus Handlungsempfehlungen für die systemische Teamberatung ab. Die beiden Systemtheorien unterscheiden sich vor allem in ihren Wirklichkeitsannahmen und der Rolle des Menschen im System.

In Mario Bunges ontologischer Systemtheorie ist die Wirklichkeit real und unabhängig von der selektiven Wahrnehmung der Beobachter. Systeme bestehen aus einer Anzahl von Komponenten, Menschen mit ihren Eigenschaften, Bedürfnissen und Wünschen sowie den von diesen gestalteten Interaktions- und Machtstrukturen. Wissen ist sowohl Ergebnis eines Lernprozesses als auch die Voraussetzung für weiteres Lernen. Berater fragen hier nach Ressourcen, Beziehungen und Wertesystemen.

In Niklas Luhmanns funktionaler Systemtheorie gestalten Systeme die Welt. Wirklichkeit ist eine Konstruktion der Systeme und kann nicht als real nachgewiesen werden. In der Dynamik sich selbst organisierender Systeme kommt der Mensch als Umwelt vor und kann das System nicht vorhersehbar steuern.

Luhmann stützt soziale Systeme auf sechs mit einander verknüpfte Grundannahmen: Komplexität, Kontingenz (Unbestimmtheit), funktionale Differenzierung (Arbeitsteilung), Kommunikation, Autopoiesis und Selbstreferenzialität sowie Sinn. Die Funktion von Systemen ist Komplexitätsreduktion. Hierzu bedient sich jedes System einer eigenen Sinnlogik, aus der sich Identitäten, Strukturen und Regeln herausbilden. Systeme sind autopoietisch und nicht steuerbar, weswegen Beratung nur durch professionelle Beobachtungen und Fragetechniken zur Selbstreflexion und Aufhebung von Wahrnehmungsbeschränkungen zu Veränderung führen kann. Die Erarbeitung von Handlungsalternativen innerhalb der systemimmanenten Logik und Systemregeln wird nicht von der Beraterin vorgeschlagen, sondern im Team erarbeitet. Das Ergebnis von Interventionen ist nur schwer prognostizierbar. Wissen ist ein Wahrnehmungsmuster, das auch versagen kann. Lernen bedeutet, alte Denkmodelle infrage zu stellen und neue Ideen auszuprobieren, was nur gelingt, wenn das neue Wissen anschlussfähig an die Systemlogik ist.

Die beiden Systemtheorien bilden zusammen ein theoretisches Fundament für die professionelle Teamberatung mit fünf Wissensebenen als „Scharnier zwischen Wissen und Handeln“ (Staub-Bernasconi, zitiert auf S.104) für die Beantwortung der W-Fragen: Was (Zustandsbeschreibung), warum (Erklärungsmuster), woraufhin (Zukunftsbilder und Kriterien), wie (strategische Umsetzung und Veränderung) und was (Evaluation der Ergebnisse).

Im folgenden Kapitel geht es um den Umgang mit Machtkonstellationen. In der Perspektive der ontologischen Systemtheorie ist Macht Kontrolle über knappe Ressourcen. Potentielle Machtquellen sind alle individuellen Ausstattungsmerkmale eines Menschen. Staub-Bernasconi unterscheidet eine sozial gerechte legitime Begrenzungsmacht, die den Zugang zu knappen Ressourcen sozial gerecht regelt, sowie eine illegitime Behinderungsmacht, die bestimmten Gruppen von Menschen den Zugang zu wichtigen Ressourcen verweigert und Ressourcen künstlich verknappt.

Die funktionale systemtheoretische Perspektive beschränkt sich auf die Unterscheidung Macht – keine Macht im Funktionssystem Politik. Macht wirkt als Kommunikationsmedium und Selektionsangebot komplexitätsreduzierend. Kritiker werfen diesem Ansatz Machtblindheit, fehlende Wertung zum Thema Gerechtigkeit und Vereinfachung vor. Für die Teamberatung zeigen die Autorinnen, wie anhand der fünf Wissensebenen und W-Fragen die Machtverteilung im Team beschrieben, analysiert und gegebenenfalls verändert werden kann und demonstrieren die Machtproblematik mit kleinen Beispielvignetten.

Im letzten Kapitel diskutieren die Autorinnen ihre Vorstellung über professionelle Beratung und welche Qualifikationen, überfachlichen und persönliche Kompetenzen dafür nötig sind.

Zu Teil III: Praxistransfer

Die Praxisbeispiele regen zur Erweiterung des Repertoires eines Teamberaters an und umfassen Techniken und Übungen aus Konzepten der Gruppendynamik, systemischen Familientherapie und der Organisationsentwicklung. Die wichtigste Intervention sind Fragen.

Nach einer Beschreibung der Auftragsklärung und der Kooperationsbeziehungen des externen Beraters zur Führungskraft und gegebenenfalls zu internen Beratern folgen vier Praxisbeispiele zu unterschiedlichen Beratungsschwerpunkten: ein neues Team, ein Konflikt im Team, ein widersprüchlicher Auftrag, der zu anfänglicher Unsicherheit über Ziel und Vorgehen führt und so das Erfinden immer wieder neuer Interventionen erfordert, sowie ein struktureller Wertekonflikt, der sich hinter „mangelnder Kooperationsbereitschaft des Teams“ und „mangelnder Führung“ verbirgt.

Die Autorinnen legen den Fokus auf verschiedene Erklärungsmodelle und Hypothesen aus den theoretischen Perspektiven der Gruppendynamik sowie der ontologischen und funktionalen Systemtheorie und skizzieren mögliche Umsetzungsvarianten und einzelne Techniken.

Diskussion

Dieses Buch spricht speziell professionelle externe Berater und die Problematik der Auftragsklärung und externen Deutungssicht und Intervention an, ist aber auch für interne Berater, Organisationsentwickler oder Studierende oder Lehrende der Sozial-und Betriebswissenschaften interessant zu lesen.

Der Schwerpunkt des Buches liegt im Theorieteil, der aber aus der praktischen Erfahrung heraus geschrieben ist und immer wieder Bezüge zum Nutzen für die Beratung und zur Reflexion des Vorgehens herstellt. Der Praxisteil liefert hierzu Beispiele zum vertieften Verständnis. Eine Gebrauchsanweisung für Anfänger findet der Leser eher nicht, aber dafür systemtheoretische Zugänge zur Teamberatung und den Fragen, die sich im Klärungsprozess stellen. Dem liegt die Kernannahme zugrunde, dass Teams sich nur aus sich selbst heraus entwickeln können. Da aus systemtheoretischer Logik eine externe Steuerung von Systemen nicht möglich ist, können Berater nur beobachten, spiegeln und durch gezielte Fragen Selbstreflexionen anstoßen. Dafür gibt es keine Rezepte. Die Autorinnen legen deshalb viel Wert auf das fachliche und persönliche Kompetenzprofil professioneller Berater.

Hilfreich ist auch, dass die Autorinnen gängige Schlagworte aus der Team-Mythologie relativieren und differenzieren, was Teams im Allgemeinen und Teamberatung im Besondern leisten können und wo ihre Grenzen liegen.

Die Systemtheorien werden anschaulich und gut nachvollziehbar erklärt, und der Nutzen für die Beratungspraxis wird durchgängig sauber herausgearbeitet.

Fazit

Der Band liefert neben einem kompakten Überblick über die Systemtheorien von Bunge und Luhmann auch deren handlungstheoretischen Nutzen für die professionelle Beratungspraxis sowie Erklärungsperspektiven, zielgerichtete Fragenkataloge und Praxisbeispiele für die systemische Teamberatung.

Rezension von
Tatjana van de Kamp
Dipl. Kauffr., MA (Arbeits- und Organisationspsychologie)
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Es gibt 71 Rezensionen von Tatjana van de Kamp.

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Zitiervorschlag
Tatjana van de Kamp. Rezension vom 23.01.2013 zu: Juliane Sagebiel: Teamberatung in Unternehmen, Verbänden und Vereinen. Niklas Luhmann und Mario Bunge: Systemtheorien für die Praxis. ibidem-Verlag (Hannover) 2012. ISBN 978-3-8382-0345-4. Unter Mitarbeit von Edda Vanhoefer. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13473.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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