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Klaus Ahlheim, Johannes Schillo: Politische Bildung zwischen Formierung und Aufklärung

Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 23.07.2012

Cover Klaus Ahlheim, Johannes Schillo: Politische Bildung zwischen Formierung und Aufklärung ISBN 978-3-930345-96-0

Klaus Ahlheim, Johannes Schillo: Politische Bildung zwischen Formierung und Aufklärung. Offizin (Hannover) 2012. 180 Seiten. ISBN 978-3-930345-96-0. 13,80 EUR.

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Thema

In dem vorliegenden Buch geht es um Politische Bildung. Der von Klaus Ahlheim und Johannes Schillo herausgegebene Sammelband vereint dabei neun Beiträge zu aktuellen Vorgängen, an denen sich Kontroversen über die kritische oder affirmative Rolle politischer Bildung entzündet haben.

Herausgeber

Prof. Dr. Klaus Ahlheim (Jahrgang 1942) lehrte bis 2007 politische Erwachsenenbildung an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Grundfragen und zur Wirkung politischer Erwachsenenbildung sowie empirische, theoretische und didaktische Arbeiten zu den Themen Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und zur Gedenkstättenarbeit, zuletzt das Buch „Sarrazin und der Extremismus der Mitte. Empirische Analysen und pädagogische Reflexionen“ (Hannover 2011). Die von ihm herausgegebene Reihe „Kritische Beiträge zur Bildungswissenschaft“, in der mittlerweile sechs Bände vorliegen, ist ein wichtiges Forum für die fachliche Debatte der Erwachsenenbildung.

Johannes Schillo (Jahrgang 1949) arbeitet als freier Journalist und ist leitender Redakteur der vom Bundesausschuss Politische Bildung herausgegebenen Vierteljahreszeitschrift „Journal für politische Bildung“. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge in Büchern und Fachzeitschriften zu unterschiedlichen Aspekten der politischen Bildung, darunter „Feuerwehr zum Dauereinsatz. Bildungspolitik und politische Bildung“ (in: kursiv. Journal für Politische Bildung, Heft 4/2009, S. 10-18), „Trends der Politik – Trends der politischen Bildung“ (in: Bundesausschuss Politische Bildung (Hrsg.): Trendbericht Politische Bildung, Schwalbach / Ts. 2011, S. 8-23) und „Deutschlandpolitische Bildungsarbeit vor 1989“ (in: Außerschulische Bildung, Heft 4/2011, S. 452-454).

Aufbau

Der Sammelband enthält neben einem Vorwort (S. 7-10) und Literaturhinweisen (S. 173-186) die folgenden neun Beiträge:

  • Jürgen Eierdanz: Formierung – Kritik – Affirmation: Politische Bildung zwischen 1950 und 1980 (S. 11-47)
  • Alexander Lahner: Aufklärung und politische Bildung (S. 48-62)
  • Dirk Lange: Das Bürgerbewusstsein und der Beutelsbacher Konsens in der außerschulischen Bildung (S. 63-74)
  • Klaus Ahlheim: Die „weiße Flagge gehißt“? Wirkung und Grenzen des Beutelsbacher Konsenses (S. 75-92)
  • Johannes Schillo: Standortbestimmungen im Mainstream (S. 93-106)
  • Manfred Pappenberger: Klassenkampf – die Schule im Visier der Bundeswehr (S. 107-125)
  • Johannes Schillo: Zur staatlichen Formierung politischer Bildung (S. 126-143)
  • Benno Hafeneger: Neue förderungspolitische Direktiven: Extremismusklausel und Extremismusbekämpfungsprogramme (S. 144-155)
  • Paul Ciupke: Außerschulische politische Bildung vor dem Systemwechsel? (S. 156-172).

Inhalt

Insgesamt betrachtet decken die einzelnen Beiträge ein breites Themenspektrum zur politischen Bildung ab, wobei unter anderem die Themen

  • bildungspolitische Tendenzen (Deutscher Qualifikationsrahmen)
  • politikdidaktische Standortbestimmungen (Beutelsbacher Konsens)
  • förderungspolitische Eingriffe (Extremismusklausel) und
  • das Vordringen fragwürdiger Bildungsakteure (Bundeswehr, Verfassungsschutz)

behandelt werden.

Zunächst beschreibt Dr. Jürgen Eierdanz (Jahrgang 1955), M. A., Leiter einer Bildungsstätte für die Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Altenpflege sowie Lehrbeauftragter an der Philipps-Universität Marburg, unter der Überschrift „Formierung – Kritik – Affirmation: Politische Bildung zwischen 1950 und 1980“ den schwierigen Weg aufklärender politischer Bildung von der Partnerschaftserziehung im „Kalten Krieg“, das heißt von der „Erziehung zur Anpassung“, über die kritische Reflexion von Staat und Gesellschaft in den 1960er Jahren bis hin zu emanzipatorischen Konzepten unter dem Einfluss der Studentenbewegung und der „Kritischen Theorie“. Nach Ansicht des Autors machte sich dabei schon in den 1970er Jahren „ein Roll-back in der politischen Bildung“ breit, mit folgenreichen Wirkungen bis heute.

Auf der Basis seiner langjährigen Erfahrungen in der politischen Jugendbildung setzt Dr. Alexander Lahner (Jahrgang 1974), Diplom-Pädagoge und seit zehn Jahren in den Feldern Jugendberufshilfe, Offene Ganztagsschule und Schulsozialarbeit tätig, hierzu mit dem Beitrag „Aufklärung und politische Bildung“ einen Kontrapunkt. Während er konzeptionelle Überlegungen zur politischen Jugendbildung in den Mittelpunkt rückt, geht er der Frage nach, was eine konsequente Orientierung an der Tradition der Aufklärung in der heutigen Bildungslandschaft bedeutet und worin die besondere Stärke der außerschulischen Szene für ein solches Vorhaben bestehen könnte.

In seinem Beitrag „Das Bürgerbewusstsein und der Beutelsbacher Konsens in der außerschulischen Bildung“ erörtert Dr. Dirk Lange (Jahrgang 1964), Professor für die Didaktik der Politischen Bildung an der Leibnitz Universität Hannover und Direktor der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung Niedersachsen, die Bedeutung des Beutelsbacher Konsenses für den non-formalen Bildungsbereich. Nach Ansicht des Autors ist dabei Lernen in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung „aktivierend, interessengeleitet und verpflichtet den demokratischen Staat auf Neutralität und Unparteilichkeit“.

Der Beutelsbacher Konsens steht auch im Mittelpunkt des Beitrages „Die ‚weiße Flagge gehißt‘? Wirkung und Grenzen des Beutelsbacher Konsenses“ von Prof. Dr. Klaus Ahlheim. Nach Ansicht des Autors sei zwar inzwischen diese politikdidaktische Vereinbarung aus dem Jahre 1976 zumindest für den schulischen Bereich zu Recht akzeptiert, weil sie didaktisch Richtiges, allerdings auch fast Selbstverständliches festhalte, gleichwohl habe sie „wirkungsgeschichtlich mitgeholfen, gesellschaftskritische und auf Gesellschaftsveränderung zielende Position auszuschließen, jedenfalls zu marginalisieren.“

Wie sich solche Marginalisierungstendenzen in den „modernen“ Abteilungen der Politikdidaktik bemerkbar machen, behandelt Johannes Schillo in seinem Beitrag „Standortbestimmungen im Mainstream“. Dabei macht er auf den Widerspruch aufmerksam, wonach Modernisierungsforderungen dem aktuellen Formierungsprozess wenig entgegensetzen, sich aber, wenn es um die politische Pädagogik „totalitärer“ Regime geht, ganz staatskritisch gäben.

In seinem Beitrag „Klassenkampf – die Schule im Visier der Bundeswehr“ beschäftigt sich Manfred Pappenberger (Jahrgang 1958), Diplom-Pädagoge und Dozent für politische Bildung am Bildungszentrum Bad Staffelstein, mit einer Praxis politischer Bildung, die kaum zu Auftrag und Selbstverständnis der Profession passt, nämlich mit dem Thema Werbung beziehungsweise der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr in Schulen. Nach Ansicht des Autors treten diese nicht nur an die Stelle ernsthafter Bildungsanstrengungen, sondern unterschreiten auch deutlich das Niveau, das mit dem Kontroversitätsgebot des Beutelbacher Konsens formuliert wurde.

Unter der Überschrift „Zur staatlichen Formierung politischer Bildung“ beleuchtet auch Johannes Schillo mit einer kritischen Betrachtung des Verfassungsschutzes einen weiteren Bildungsakteur, der sich seit einiger Zeit in den Vordergrund schiebt.

In seinem Beitrag „Neue förderungspolitische Direktiven: Extremismusklausel und Extremismusbekämpfungsprogramme“ befasst sich Dr. Benno Hafeneger (Jahrgang 1948), Professor am Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg mit dem Arbeitsschwerpunkt Außerschulische Jugendbildung, mit den neuen „Extremismusbekämpfungsprogrammen“ der schwarz-gelben Koalition und dem Rückschritt, der seines Erachtens dadurch im Kampf gegen rechts zu verzeichnen war.

Im abschließenden Beitrag „Außerschulische politische Bildung vor dem Systemwechsel?“ geht schließlich der Diplompädagoge Dr. Paul Ciupke (Jahrgang 1953), tätig beim Bildungswerk der Humanistischen Union NRW und Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung“, der Frage nach, ob die politische Bildung hierzulande vor einem politischen Systemwechsel steht. In den allgegenwärtigen modernen Steuerungsversuchen wie dem „Deutschen Qualifikationsrahmen“ (DQR) verbirgt sich nach Ansicht des Autors auch ein Angriff auf die Verfassung der politischen Bildung. Setze sich die „Anbindung an den DQR als Regelfall“ durch, würde dies „zur Beeinträchtigung und letztlich zur Zerstörung bisheriger Arbeitsprinzipien“ der politischen Bildung führen.

Diskussion

Das Ziel der Politischen Bildung ist bekanntlich, „Zusammenhänge im politischen Geschehen zu erkennen, Toleranz und Kritikfähigkeit zu vermitteln und zu stärken, demokratische Spielregeln zu verankern und damit zur Herausbildung und Weiterentwicklung von aktiver Bürgerschaft, gesellschaftlicher Partizipation und politischer Beteiligung beizutragen.“ Unabhängig von dieser Festlegung, wie man sie in „Wikipedia“ nachlesen kann, wird seit längerem immer wieder die Frage diskutiert, wie kritisch Politische Bildung sein darf? Genannt werden kann hierbei etwa das Handbuch „Kritische politische Bildung“, das die beiden Kölner Wissenschaftler Bettina Lösch und Andreas Thimmel im Wochenschauverlag (Schwalbach) im Jahre 2010 vorlegten (vgl. die Rezension in www.socialnet.de/rezensionen/9322.php). In diesen Kontext passt auch der von Klaus Ahlheim und Johannes Schillo herausgegebene Sammelband, zu dessen Bedeutung und Inhalt die Herausgeber in ihrem Vorwort schreiben: „Der wissenschaftliche Mainstream hat sich, nach einem emanzipatorischen Zwischenspiel in den 1960er und 1970er Jahren, von den Konzepten einer aufklärenden, gesellschaftskritischen politischen Bildung inzwischen weithin verabschiedet. Zugleich sind in der Praxis politischer Bildung, von der Politik absichtsvoll vorangetrieben, Formierungstendenzen unübersehbar. Pädagogischer Eigensinn, Widerständiges und dem Mainstream Widerstrebendes werden planvoll eingeebnet. Gegen diese Entwicklung schreiben die Autoren des vorliegenden Bandes“ (S. 7).

Nach Ansicht von Klaus Ahlheim und Johannes Schillo werden in der gegenwärtigen „politischen (Willens-) Bildung“ gesellschaftliche und politische Alternativen ignoriert oder sanktioniert und kontroverse Positionen, anders als es der allerorten zitierte Beutelsbacher Konsens nahelegen würde, erst gar nicht thematisiert. Der Beliebigkeitsspielraum, den eine sich überwiegend konstruktivistisch verstehende Politikdidaktik schafft, stehe dem nicht entgegen.

Das gemeinsame Merkmal aller Beiträge ist, dass sie gegen Formierungstendenzen der Bildungsarbeit, die auf Anpassung und Einordnung ins Gegebene setzen, Position beziehen und bestimmte problematische (aktuelle) Tendenzen im Bildungsbereich kritisch hinterfragen. Die dabei gewählten Zugänge und Themen sind nicht nur vielfältig, sondern repräsentieren auch unterschiedliche kritische Stimmen des fachlichen Diskurses. Insofern passt das Buch auch sehr gut in die Reihe „Kritische Beiträge zur Bildungswissenschaft“. Der Veröffentlichung ist weite Verbreitung zu wünschen, zumal kritische Interventionen wie die vorliegende heute wichtiger denn je sind.

Fazit

Wer sich mit dem Thema Politische Bildung in Theorie und Praxis beschäftigt, sollte den vorliegenden in jedem Fall zur Kenntnis nehmen.

Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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Es gibt 193 Rezensionen von Hubert Kolling.

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ISSN 2190-9245