Frank Vogelsang, Christian Hoppe (Hrsg.): Sollen wir den Menschen verbessern?
Rezensiert von Dr. Thomas Damberger, 21.06.2012

Frank Vogelsang, Christian Hoppe (Hrsg.): Sollen wir den Menschen verbessern? Versprechungen und Perspektiven des Neuroenhancements ; Dokumentation der Tagung 1.
Evangelische Akademie im Rheinland
(Bonn) 2011.
136 Seiten.
ISBN 978-3-937621-34-0.
D: 12,00 EUR,
A: 9,30 EUR.
Reihe: Begegnungen - 27.
Thema
Überlegungen, deren Gegenstand die technische Verbesserung des Menschen ist, richten sich auf den Menschen als Objekt. Sowohl religiöse, als auch humanistische Traditionen stehen einer solchen Verobjektivierung des Menschen entgegen [5]. Die eine Tradition betrachtet den Menschen als Geschöpf Gottes, die andere als Zweck an sich. In beiden Traditionen klingt ein unverfügbares Moment mit an, das durch die aufscheinende Möglichkeit der Menschenverbesserung durch Neuroenhancement übergangen zu werden scheint. Dass die Frage nach der technischen Verbesserung des Menschen im Kern eine zutiefst ethische ist, betont der Mitherausgeber Frank Vogelsang in seinem Vorwort des 136 Seiten umfassenden Tagungsbandes [6].
Aufbau und Inhalt
In insgesamt acht Aufsätzen wird Neuroenhancement mit Blick auf technische, kulturelle, gesellschaftlich-mediale, moralische und religiöse Fragestellungen analysiert.
Christian Hoppe stellt in „Hirnforschung: Vom Funktionsverlust über die intakte Funktion zur Funktionsverbesserung“ eine Methodologie der Hirnforschung vor, die er als eine doppelte methodische Dualität begreift [10]. Die Vermischung zweier Beobachtungsebenen – der biologischen bzw. psychologischen Beobachtung des Individuums und der physiologischen Beobachtung des Gehirns – lässt den Eindruck entstehen, „dass nur die Hirnprozesse objektiv wirklich seien und […] psychologische Phänomene, die man am Gesamtindividuum beobachtet, nichts anderes als diese Hirnprozesse“ [10f.]. Aus der Klärung beider Beobachtungsebenen erschießt sich eine Dualität der Methodik der Hirnforschung, die mit den Begriffen Psychophysiologie und Neuropsychologie bezeichnet werden. Hoppe arbeitet die praktischen Anwendungen dieser beiden „experimentellen Strategien der Hirnforschung“ heraus und verdeutlich hieran anknüpfend die „Notwendigkeit einer Neuroethik“ [22].
Frank Vogelsang deutet in „Enhancement – Die Verbesserung des Menschen als kulturelle Herausforderung“ auf eine untrennbare Verbindung zwischen dem kulturell geprägten Menschenbild und der Vorstellung einer Verbesserung des Menschen hin. Die Frage nach den Möglichkeiten des Enhancements ist für ihn „nicht so sehr eine ethische als vielmehr eine kulturelle Herausforderung“ [39]. Es ist ein Unterschied, ob der Mensch sich im Sinne Arnold Gehlens als Mängelwesen versteht, das seiner biologischen Unvollkommenheit durch Kultur (und Technik) zu begegnen versucht [34f.], oder als ein Geschöpf Gottes, das in sich selbst ein unverfügbares Moment wahrt. Sich des Unverfügbaren mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln nicht bemächtigen zu können, kann als Mangel, aber eben auch als ein Gewinn verstanden werden – je nach kulturellem Selbstverständnis. Zuletzt plädiert Vogelsang gerade mit Blick auf ein sinnerfülltes Leben für eine Kultur des Unverfügbaren, die sich jedoch keineswegs der Technik verschließt, sondern „die vielen technologischen Möglichkeiten ab[wägt], nutzt […] und […] darum [weiß], dass sie uns Menschen verändern. Sie sieht in ihnen jedoch keine Verheißung“ [41].
Die komplexen technologischen Herausforderungen, die mit dem Versuch einhergehen, beispielsweise Blinde zum Sehen zu verhelfen oder querschnittsgelähmten Menschen die Bewegungsfähigkeit wieder zu ermöglichen, erläutert Rolf Eckmiller in “Implantate als Sensoren und Stimulatoren von Hirnfunktionen?. Der Autor arbeitet mit einem durchweg technischen Verständnis des Menschen, der “als eine besondere Art “,Biologischer Automat? […] Technische Automaten und andere Maschinen auch zur Erkennung und Behandlung eigener ,Betriebsstörungen?? [43f.] einsetzt. Neuronale Implantate stellen dabei eine Möglichkeit dar, dem “Gehirn interpretierbare Signale zur Kommunikation auf[zu]prägen? [47]. Ähnlich wie neuronale Implantate können “Brille, Alkohol [und] Pharmaka? Veränderungen von “kognitiven, sensorischen, motorischen [und] psychischen Leistungen? [53] bewirken. Aus diesem Grund plädiert Eckmiller dafür, dass die Entwicklung und die Verwendung neuronaler Implantate von einem “fallweise sorgfältig erarbeiteten gesellschaftlichen Konsens? abhängig gemacht werden soll, dies gelte aber aus seiner Sicht ebenso für “Alkohol, Pharmaka und Medien?. Besonders bemerkenswert erscheint mir die abschließende Passage, dort verweist der Autor auf die “ethisch, philosophisch und spirituell bewussten Mitglieder unserer Gesellschaft? die aus seiner Sicht vor der Aufgabe stehen “das technologisch Machbare konsequent dem Menschenwürdigen unterzuordnen? [55]. Vielleicht erweist sich diese Entkoppelung von Naturwissenschaft bzw. Ingenieurwissenschaft und Ethik als notwendige Folge einer einseitigen Betrachtung des Menschen als “biologischer Automat?.
“Muss nur die Chemie stimmen?? fragt Boris B. Quednow und untersucht überaus detailliert die Wirkmechanismen von Neuroenhancern. Methylphenidat (Ritalin©) und Modafinil (Modasomil©) werden dabei als “Cognitive Enhancer zweiter Ordnung? [61] charakterisiert. Sie erzeugen “eine Steigerung der Wachheit (Vigilanz), der inneren Erregung […] und der Motivation? [ebd.], aber keine messbare Verbesserung der Gedächtnisleistung. Quednow verweist auf die inverse U-Funktion, dernach eine Verbesserung des Gehirns mittels Neuropharmaka nur bis zum optimalen Grad an Wachheit möglich ist. Der Versuch einer darüber hinausgehenden Steigerung, sprich: der Manipulation der Homöostase des Gehirns, geschieht immer auf Kosten anderer Bereiche [62].
Inwiefern die intellektuelle Leistungsfähigkeit insbesondere älterer Menschen durch gezieltes Gedächtnistraining gesteigert werden kann, thematisiert Jutta Kray in “Gehirnjogging – Leistungssteigerung durch Training: Was ist möglich??. Im Rückgriff auf empirische Untersuchungen stellt Kray dar, dass kommerzielle Gehirnjogging-Trainings lediglich diejenigen kognitiven Fähigkeiten verbessern können, die geübt wurden. Die Verbesserung intellektueller Fähigkeiten insgesamt sind jedoch nicht möglich. Im Internet angebotene Trainingsprogramme täuschen die Möglichkeit einer höheren intellektuellen Leistungsfähigkeit durch Gehirnjogging lediglich vor, indem in aller Regel gezielt solche Aufgaben gestellt werden, die in psychologischen Tests zur Erfassung der Intelligenz vorkommen [77].
Martin Huber richtet seinen Blick in “Schneller, besser, effizienter?? auf die Rolle der Medien im gesellschaftlichen Diskurs um Neuroenhancement [89]. Die Komplexität des Themas erfordert eine “dramaturgische Präsentation? die “den Rezipienten bei der Stange? [92] hält. Dies geschieht nicht selten in unseriöser Form, beispielsweise durch Emotionalisierung, Personalisierung [92] und einer verkürzten und daher suggestiv eiseitigen Darstellung des Themas [94]. Doch nicht allein der mangelnde Mut zur verständlichen Erläuterung wissenschaftlicher Methoden seitens der Medien, sondern auch die übertriebene Darstellung der Möglichkeiten von Neuroenhancement einiger Wissenschaftler führt zu einem verzerrten Bild in der Öffentlichkeit. Huber analysiert in seinem Aufsatz insbesondere die Rolle des neuen Mediums Internet mit Blick auf die Frage, ob hier nicht zumindest das Potenzial einer vielseitigeren, verständlicheren und zudem auch seriösen Form der Darstellung neurowissenschaftlichen Wissens vorzufinden ist [103].
Ob wir unser Glück in einer Pille suchen dürfen, ist Gegenstand der Überlegungen Edgar Dahls. In “Mother´s Little Helper? äußert er sich insgesamt optimistisch mit Blick auf einen vorsichtigen Umgang mit vermeintlichen Glücksdrogen. Nicht nur die Tatsache, dass mit jeder Wirkung auch eine Nebenwirkung einhergeht [106], sondern auch die möglichen Gefahren, die mit dem Ausbleiben von Wut, Neid und Eifersucht einhergehen, werden von Dahl angesprochen: “Die Wut verhindert, dass wir von anderen Menschen ausgenutzt werden. Der Neid bewirkt, dass wir anderen Menschen nacheifern. Und die Eifersucht lässt uns um die Menschen, die wir lieben, kämpfen.? [109]. Dass es viele Gründe gibt, “die dafür sprechen, dass wir uns von den Verlockungen des Glücks nicht verführen lassen? [ebd.], ist zweifellos der Fall, ob diese Gründe jedoch ausreichen, der Verführung zu widerstehen, wird sich zeigen.
In “Neuroenhancement und Menschenbild? befasst sich Ulrich Eibach mit der menschlichen Natur als Gabe und Aufgabe [111]. Bereits in Nietzsches Zarathustra ist der Mensch als derjenige angesprochen, der Gott getötet und sich zum Schöpfer seiner selbst erhoben hat. Scheinbar notwendig spreizt er dabei seine Macht aus, so dass alles, was ist, allein zum Ausdruck seines Gemächte wird. Aber: “Der Mensch müsse dies mit einer Gewalt und wachsenden Geschwindigkeit tun, die keine Zeit mehr lasse, dass er sich besinnt auf das, was er tut? [112]. Wenn der Mensch das, was er ist, aus dem Blick verloren hat, stellt sich die Frage, woraufhin Enhancement überhaupt abzielt? Eibach interpretiert den Fortschrittsglauben des Menschen als säkularisierte Form “der christlichen Hoffnung auf ein nicht innerweltliches ,Reich Gottes?? [114]. In säkularisierter Form scheint die Vollendung des Menschen in den Bereich des Machbaren zu rücken, wobei das, was der vollkommene Mensch ist, unausgesprochen und unbedacht bleibt: “Es scheint mir hier Nietzsches Hinweis lange bedenkenswert zu sein, dass der schnelle Fortschritt im technisch Machbaren keine Besinnung auf die Ziele mehr zulässt, dass von dieser Besinnung aber das Menschsein, die Humanität der Menschheit abhängt. Dazu gehört […], was der Sinn des Menschseins und die Bestimmung des Menschenlebens in dieser Welt ist? [126].
Fazit
“Sollen wir den Menschen verbessern?? ist insbesondere mit Blick auf die interdisziplinäre Ausrichtung bemerkenswert. Die Zusammenstellung und die Anordnung der einzelnen Aufsätze ist klug gewählt. Der interessierte Leser wird auf eine Reise quer durch die Disziplinen Philosophie, Psychologie, Medienwissenschaft, Neuroinformatik, Biomedizin, Pharmakologie und nicht zuletzt Theologie eingeladen, auf der er die im Untertitel erwähnten “Versprechungen und Perspektiven des Neuroenhancements? aus unterschiedlichen Perspektiven bedacht vorfindet. Die Tagungsdokumentation richtet sich an Wissenschaftler, bietet darüber hinaus jedoch allen Lesern, die sich für die Möglichkeiten und Fragwürdigkeiten des Neuroenhancements interessieren, einen durchweg gelungenen Überblick und nicht zuletzt Anreiz zur vertiefenden Lektüre.
Rezension von
Dr. Thomas Damberger
Professur für Bildungs- und Erziehungswissenschaften im Kontext der Digitalisierung an der Freien Hochschule Stuttgart
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