Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Konrad Peter Grossmann: Langsame Paartherapie

Rezensiert von Prof. Dr. Ulrich Pfeifer-Schaupp, 09.01.2013

Cover Konrad Peter Grossmann: Langsame Paartherapie ISBN 978-3-89670-683-6

Konrad Peter Grossmann: Langsame Paartherapie. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2012. 232 Seiten. ISBN 978-3-89670-683-6. 24,95 EUR.
Mit einem Vorwort von Ilse Gschwend.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Paar-Therapie einmal anders?

Systemische Therapie ist einfach, kurz und gut – haben wir mal gelernt. Also macht natürlich schon der Titel „langsame Paartherapie“ den systemisch interessierten Leser neugierig: Ist das was ganz Neues? Ist es vielleicht gar nicht systemisch – obwohl beim renommierten systemischen Carl-Auer-Verlag erschienen? Wenn man den knapp 200seitigen Band durchblättert, wird schnell klar: hier schreibt ein versierter Systemiker – und er bürstet manches gegen den Strich und spart auch kritische Aspekte, z.B. zur Wirkung von Paartherapie, nicht aus. Das macht nochmal mehr neugierig auf den Inhalt.

Autor

Konrad Peter Grossmann studierte an der Uni Salzburg, ist promovierter Diplompsychologe (Dr. phil.), habilitiert an der Uni Klagenfurt, Lehrtherapeut für systemische Therapie beim Iasf Wien, Mitarbeiter der Ambulanten Systemischen Therapie Wien (AST) und lehrt an der Universität Klagenfurt und an der FH für Soziale Arbeit in Linz. Außer seiner systemischen Therapie-Ausbildung hat er Weiterbildungen in Verhaltenstherapie und Klientenzentrierter Therapie absolviert. Er publizierte bereits mehrere andere Bücher zu systemischen Themen. Zuletzt – zusammen mit Ulrike Russinger – Therapeutische Wege zur Freundschaft mit sich selbst. (2011)

Zielsetzung

Das Buch will (systemischen) TherapeutInnen helfen, Paare dabei zu begleiten und zu unterstützen, ihr „partnerschaftliches Unglück“ zu transformieren. „Im Kontext unglücklichen partnerschaftlichen Lebens beschreiben viele Paare dieses Leben mit Metaphern des ‚Kämpfens‘ oder des ‚Kriegs‘ … Friede hingegen – so Nadolny (1987, S. 226) in seinem Roman Die Entdeckung der Langsamkeit – entstehe am ehesten dort, wo Menschen langsam aufeinander zugingen.“ (S. 13) Der Fokus liegt dabei auf heterosexuellen Paaren, die zusammen bleiben oder wieder zusammenfinden wollen. Seine Erfahrung mit homosexuellen Paaren sei gering, gesteht der Autor freimütig gleich am Anfang. Auch diese Bescheidenheit wirkt auf mich sympathisch. Ich teile seine Vermutung, dass die Inhalte sich auch auf die Arbeit mit gleichgeschlechtlichen Paaren übertragen lassen.

Aufbau und Inhalt

Teil I führt in die theoretischen Grundlagen ein (S. 15 – 50). Paartherapie ist nach Grossmann nur ein Weg zur Linderung von gemeinsamem Unglück (S. 19) Er beginnt mit den ernüchternden Ergebnisse der Wirkungsforschung zur Paartherapie. Metauntersuchungen wie die von Sexton et al (2004, zit. S. 20) gehen davon aus, dass weniger als 50 % der Paare positive Behandlungserfolge zeigen. Im Vergleich zur Einzeltherapie erstaunen die hohen Abbruchraten von 48 %. Es lassen sich keine Wirkunterschiede zu nicht-systemischen, insbesondere zu kognitiv-behavioralen und einsichtsorientierten Ansätzen finden. Das kann die systemische Begeisterung dämpfen. Überzeugend für mich ist die Nüchternheit und Klarheit, mit der Grossmann diese Befunde trotzdem präsentiert. Er stellt dann die unterschiedlichen Funktionsebenen partnerschaftlichen Lebens dar – die biologische, sozioökonomische und psychologische Funktionsebene - und entwickelt ein „biopsychosoziales Modell partnerschaftlichen Unglücks“.

In Teil II, „Die Praxis langsamer Paartherapie“ (S. 51 – 94) wird zunächst die Gestaltung der Therapiebeziehung thematisiert, insbesondere die Grundhaltungen von Respekt und Wertschätzung, der Ressourcen- und Lösungsorientierung und der Neutralität. Erhellend ist die Differenzierung von Sozialer Neutralität, Konstruktneutralität, Veränderungsneutralität, Methodenneutralität und Systemneutralität. (S. 55 ff). Im Kapitel zur Gestaltung des paartherapeutischen Settings steht im Fokus des therapeutischen „Multilogs“ (S.61 f) die Verstärkung öffnender und die Hemmung schließender Kommunikation. Das Kapitel zur Gestaltung des Therapieprozesses beleuchtet die „Makroarchitektur“, und überträgt die bekannten systemischen Prinzipien – z.B. Kontextklärung, Problemkontextualisierung, Zielklärung, Kontraktentwicklung – auf das paartherapeutische Setting.

Teil III, „Wege der Verwandlung“ (S. 95 – 148) entfaltet die Prinzipien der „Problem-Lösungsübergänge“. Bemerkenswerterweise zählt Grossmann hierzu eben auch Langsamkeit und Einfachheit. Zur Reduktion von Stress trage u.a. die „Dekonstruktion hoher Ziele und Erwartungen“ bei. Mit Retzer plädiert der Autor für das bescheidene Ziel der „Vernunftpartnerschaft“ und für die „Banalität des Guten“. (S. 112) Methoden wie das Gespräch mit dem verinnerlichten Partner, die Partnerlandkarte, Zeitlinienarbeit, die Arbeit mit Multiple Voices, Reauthoring Conversations und Remembering Conversations zeigen die Vielfalt paartherapeutischer Interventionsmöglichkeiten.

In Teil IV (S. 149 – 175) geht Grossmann abschließend auf drei spezielle Themenstellungen ein, die in Paartherapien besonders wichtig sind: sexuelles Unglück, Kontexte von Gewalt sowie Untreue bzw. Außenbeziehungen. Vor allem hier spürt man die reichhaltige eigene Erfahrung des Autors, der klare und direktive Aussagen nicht scheut. Z.B. die Empfehlung, in Situationen von Untreue darauf zu bestehen, dass der „untreue“ Partner die alleinige und volle Verantwortung dafür übernimmt. „Diese einseitige und ausschließliche Übernahme von Schuld … entspricht zwar einer linear-kausalen Logik, die der Komplexität von Motiven, die Untreue determinieren, nicht gerecht wird,; aber sie spiegelt wider, dass Affären in autonomen Handlungsentschlüssen von Personen gründen – und ist zugleich jene Logik, welche im Kontext der Gekränktheit bzw. Traumatisierung des betroffenen Partners die einzig anschlussfähige ist.“ (S. 171 f.)

Fazit

Die Sprache ist an manchen Stellen für meinen Geschmack unnötig kompliziert. Aber das gehört leider zum guten Ton im systemischen Feld und man kann es dem Autor kaum anlasten, dass er diesem Trend folgt. Luhmann lässt grüßen. Ansonsten ein Buch, das Spaß macht beim Lesen, praxisnah, manchmal provozierend, klar und erfrischend. Alle zentralen Aussagen werden durch kurze Fallvignetten illustriert. Das Buch kann alle neugierig machen, die sich bisher vor Paartherapie eher „gedrückt“ haben und auch „alte Hasen“ bereichern und inspirieren. Das ausführliche Literaturverzeichnis mit vielen englischsprachigen Quellen lädt theoretisch interessierte LerserInnen zu weiteren Lese-Forschungs-Reisen ein.

Rezension von
Prof. Dr. Ulrich Pfeifer-Schaupp
Dozent für Sozialarbeitswissenschaft an der Evangelischen Hochschule, Universitiy of Applied Science, Freiburg. Systemischer Therapeut und Supervisor (DGSF), Leiter des Freiburger Instituts für systemische Therapie und Beratung

Es gibt 11 Rezensionen von Ulrich Pfeifer-Schaupp.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245