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Antonie Schmiz: Transnationalität als Ressource?

Rezensiert von Dr. Maurice Schulze, 26.10.2012

Cover Antonie Schmiz: Transnationalität als Ressource? ISBN 978-3-8376-1765-8

Antonie Schmiz: Transnationalität als Ressource? Netzwerke vietnamesischer Migrantinnen und Migranten zwischen Berlin und Vietnam. transcript (Bielefeld) 2011. 370 Seiten. ISBN 978-3-8376-1765-8. 32,80 EUR. CH: 47,90 sFr.
Reihe: Kultur und soziale Praxis.

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Entstehungshintergrund und Thema

Antonie Schmitz legt mit ihrer Dissertation von 2011 ein Buch über transnationale Netzwerke vor, welcher ihre Ergebnisse einer empirischen Untersuchung von vietnamesischen Migrantinnen und Migranten in Berlin und Vietnam zugrunde liegen. Ihr Ziel ist es damit eine Lücke in der Forschung über die Entwicklungsmöglichkeiten zu schließen, welche einen Zusammenhang aus transnationaler Arbeitsmigration und lokaler Entwicklung der Entsendestaaten herstellt.

  • Kann Arbeitsmigration einen Beitrag oder gar Pfeiler einer ökonomischen Entwicklung sein?
  • Welche Folgen bringt eine Migration, welche durch ökonomischen Druck initiiert, als globalisierender Prozess in aller Munde ist?

In einer multi-sited Ethnography unterzieht Schmitz den transnationalen Raum, wie auch die Praxis vietnamesischer Migrantinnen und Migranten einer qualitativen Untersuchung, um auf die vorangestellten Fragen und Lücken der aktuellen Entwicklungsländerforschung zu reagieren.

Klassisch unterteilt sich ihre Publikation in zwei weiter untergliederte Teile – Theorie und Empirie. Zuerst widmet sie sich den theoretischen Grundlagen, um auf deren Füße ihre eigenen Forschung stellen zu können. Migration und Entwicklungen im städtischen Raum stehen hierbei im Mittelpunkt (vgl. Felicitas Hillmann, Michael Windzio (Hrsg.): Migration und städtischer Raum. Chancen und Risiken der Segregation und Integration. vgl. die Rezension).

Theoretisch bedient sie sich verschiedenster Konzepte, um dem vielschichtigen Problem der transnationalen Migration, den Migrantenökonomien als auch der besonderen Stellung ihres Fallbeispiels, nämlich der vietnamesischen Vertragsarbeitern in der DDR und Berlin gerecht zu werden.

Aufbau und Inhalt

In ihrer Einführung verweist Schmitz in sehr kompakter, stichhaltiger Form auf die verschiedenen Funktionen von Migrantenökonomien, welcher

  1. beschäftigungspolitischer,
  2. gesellschaftspolitischer,
  3. ökonomischer und
  4. stadtpolitischer
Art sind.

In logischer Folge stellt sie die Verknüpfung mit der aktuellen wissenschaftlichen Debatte über einen historischen Abriss der Paradigmen der Forschung zu Transnationalismus und transnationaler Migration her.

Die theoretischen Grundlagen führt die Autorin mit einer Kritik der bisherigen Migrationsforschung und zeigt hier Lücken auf, welche sie mit ihrer Arbeit versucht zu schließen. „Anhand einer explorativen Studie wird die strategische Nutzung der Transnationalität durch vietnamesische MigrantInnen in Berlin und RückkehrerInnen in Vietnam analysiert.“ (S.13) Dies soll durch eine „Verbindung der akteurszentrierten mit der strukturellen Ebene auf dieser neuen Mesoebene“ (S.14) mit dem Fokus auf „Dynamiken innerhalb sozialer Netzwerke“ (ebd.) geleistet werden. Grundlegend sind für die theoretische Konzeption von Schmitz empirischer Arbeit die Konzepte „Transnationale soziale Räume“, Bourdieus „Kapitalien“, sowie „Soziale Netzwerke“.

Den Diskurs um den Zusammenhang von Migration und Entwicklung führt sie historisch zur Debatte um Rücküberweisungen, welche sie kritisch in die Aufstellung ihrer theoretischen Grundlagen überführt. Hier wird dem Leser deutlich, welche Brisanz in der Darstellung von Migration als Chance für die tatsächlichen Entwicklungen in den Entsendestaaten hergibt. Konzepte wie „brain drain“ und „brain gain“ finden sich schlüssig in den Ansätzen zur Kritik und den Anknüpfungspunkten für aktuelle und auch kommende Forschungsvorhaben.

Mit neue Erklärungsansätze für Migrantenökonomien schließt Schmitz ihre theoretischen Grundlagen ab. Transnationale Migration stellt für sie, neben weitreichenden negativen Folgen, die Möglichkeit dar, „strukturelle Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmelandes“ (S.77) zu umgehen. Sowohl vertikal als auch horizontal kann eine Inklusion in der Aufnahmegesellschaft errungen werden.

Schmitz leitet nach dieser umfassende und prägnanten Einführung zum Themenkomplex von Migration und Entwicklung hin zu ihrem empirischen Fallbeispiel. Die Unterscheidung für die Beweggründe einer Migration nach Deutschland bietet die Möglichkeit, je nach Kontext auch die Möglichkeiten und Herausforderungen einer Inklusion auf den deutschen Arbeitsmarkt herauszustellen. In einem zweiten Schritt wird auf „kulturelle Spezifika“ (S.116) verwiesen. Bildung, Geschlechterrollen und die sozialen Netzwerke der Migranten sind hier ausschlaggebend. Um die aktuelle Situation transnationaler Beziehungen verstehen zu können, muss die Rolle der Migration für den vietnamesischen Arbeitsmarkt Beachtung finden. Mit Hilfe der quantitativen und qualitativen Sozialforschung untersucht Schmitz folgend die vietnamesischen Unternehmer in Berlin, wie auch in Vietnam. Überblickend beschriebt sie dabei die Branchen und deren historische Entstehung, wie auch Betriebsstruktur und Organisation. Die Bedeutung der sozialen Netzwerke für die Verfolgung verschiedener sozio-ökonomischer Strategien werden deutlich und für die Arbeitsmarktinklusion kritisch untersucht. Durch die Herausstellung einzelner Interviewausschnitte werden die Argumentationen der untersuchten Migranten belebt, wodurch die selbst zu Wort kommen. Heran zeigt sich die Lebensrealität der Beschriebenen. Dieser Schreibart folgend, zeichnet sich auch ein deutliches Bild eines transnationalen Habitus der Akteure, welches abschließend vor dem Hintergrund des Einflusses von Rückkehrern nach Vietnam zur Sprache kommt.

Für Schmitz ist es von zentraler Wichtigkeit, welche Rolle Migration für die Entwicklung von Entsenderegionen hat. Sie stellt daher explizit die Frage, inwiefern Migranten als Entwicklungsakteure wirken können. In der Auswertung ihrer empirischen Untersuchung stellt sie eine Typisierung der vietnamesischen Unternehmer heraus, welche sich in der Wirksamkeit ihres Entwicklungspotentials deutlich unterscheiden. Daran werden Möglichkeiten und Defizite differenziert deutlich. Transnationalität kann dabei als Ressource „mit beschränktem Zugang“ (S. 345) herausgestellt werden, welche „lediglich von einem Teil der vietnamesischen UnternehmerInnen zu ökonomischen Zwecken genutzt werden“ (ebd.) kann.

Fazit

In einer theoretisch, wie methodologisch umfassenden Studie zu transnationalen Beziehungen mit dem Fokus auf vietnamesische Migranten in Berlin und Vietnam, zeigt Schmitz, welche Rolle historische Prozesse zur Öffnung und Begrenzung von Handlungsmöglichkeiten spielen. Als Beitrag zur interdisziplinären Forschung zu globalisierten und globalisierenden Akteuren liefert die Arbeit einen fundierten Baustein und kann für folgende Arbeiten als beispielhaft gelten.

Rezension von
Dr. Maurice Schulze
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Es gibt 15 Rezensionen von Maurice Schulze.

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ISSN 2190-9245