Ingrid Stapf, Achim Lauber et al. (Hrsg.): Kinder im Social Web
Rezensiert von Prof. Dr. Christian Beck, 06.03.2013
Ingrid Stapf, Achim Lauber, Burkhard Fuhs, Roland Rosenstock (Hrsg.): Kinder im Social Web. Qualität in der KinderMedienKultur.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2012.
277 Seiten.
ISBN 978-3-8329-6830-4.
D: 44,00 EUR,
A: 45,30 EUR,
CH: 62,90 sFr.
Schriftenreihe "Jugendmedienschutz und Medienbildung" - Band 4.
Thema
Der vorliegende Sammelband befasst sich mit den Möglichkeiten, die sich Kindern bieten, an den Mitmach-Netzen im World Wide Web – dem Social Web – teilzuhaben. Das Social Web, so die These, nehme eine rasante Entwicklung, hinter der die wissenschaftliche Debatte um Kindermedienkultur bisher zurückgeblieben sei; vielmehr stehe diese Diskussion erst am Anfang.
Herausgeberin und Herausgeber
Das Arbeitsgebiet von Dr. Ingrid Stapf ist Medienethik und -pädagogik, das sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Erlangen verfolgt. Achim Lauber stellt sich als Kommunikationswissenschaftler und Medienpädagoge vor.
Die beiden anderen Herausgeber sind Universitätsprofessoren: Dr. Burkhard Fuhs in Erfurt für das Gebiet Lernen und Neue Medien, Kindheit und Schule und Dr. Roland Rosenstock in Greifswald für Religions- und Medienpädagogik.
Entstehungshintergrund
Dem Band liegen die Vorträge einer gleichnamigen Tagung zugrunde, die im November 2010 stattfand. Für die Veröffentlichung seien die Vorträge noch einmal auf den neuesten Stand der Diskussion und der Forschung gebracht worden. Der Band soll im Wesentlichen den Diskussionstand zu Kindern im Social Web dokumentieren und Interessierte ermuntern, sich an der Diskussion zu beteiligen.
Aufbau
Der Band umfasst – nach Grußworten und einer Einleitung – einen Haupttext, der aus vier Teilen besteht:
- „Grundlagen: Qualitätsaspekte in der Kindermedienkultur“ (der umfangreichste Teil),
- „Anwendungen: Merkmale und Umsetzung von Qualität in der Kindermedienkultur“ (der kürzeste Teil),
- „Förderungen: Qualitätssicherung und -förderung in der Kindermedienkultur“ sowie
- „Herausforderungen: Risiken und Gestaltbarkeit im Social Web“ (Hervorhebungen C.B.).
Jeder Teil besteht aus selbstständigen Beiträgen. In einem Anhang wird ferner ein „Entwurf der Kriterien zum Social Web“ vorgetragen, und zwar in der Fassung des Erfurter Netcode e.V. – dieser Verein habe seit 2004 „Kriterien für kindgerechte Internetangebote formuliert“ (Lauber/Julia Rommeley, S. 251).
Inhalt
Der Grundlagenteil zeigt fünf mögliche Betrachtungsweisen, die in ihrer Summe aber keine bestimmte Ganzheit ergeben. Dabei geht es um
- ethische Fragen eines „gelingenden Online-Leben[s]“ für Kinder im Social Web (Stapf, S. 29; Überschrift).
- Ein anderer Beitrag handelt von einer auf Bildung bezogenen Leistungsfähigkeit des Social Web und von künftigen Anforderungen daran (Benjamin Jörissen).
- Es folgt der Versuch der Begründung, das Internet schon im Vorschulalter einzusetzen und Beispiele dafür zu geben (Franz Röll).
- Aus dem Umgang Jugendlicher mit Angeboten des Social Web werden mögliche Qualitätskriterien für den Umgang von Kindern mit dem Netz abgeleitet (Maren Würfel).
- Chancen und Risiken einer durch die Mediatisierung entstehenden anderen Freundschaftskultur sind schließlich Gegenstand des letzten der fünf Beiträge (Fuhs).
Der folgende Teil stellt unter dem Gesichtspunkt der Qualitätsdiskussion einige Internetplattformen vor, die Social Web-Anwendungen enthalten und deshalb viele LeserInnen interessieren könnten. Beispielhaft geht es im Sammelband um drei sehr verschiedene Angebote: um die Video-Community des Deutschen Kinderhilfswerks („ClipKlapp“), um eine virtuelle Mitmachstadt für Kinder („Kidsville“) und um die Frage nach „Qualität in der Kinder-Gaming-Industrie“, die hier von einer Geschäftsführerin und einem Manager mit einem abstrakten Manifest beantwortet wird (Verena Delius/Martin Philip, Überschrift) – weshalb ich diesen Beitrag nicht näher darstelle.
- „ClipKlapp“ ist für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren konzipiert. Im Beitrag von Kai Hanke werden nicht nur die Ziele, sondern auch deren praktische Umsetzung dargestellt. Dieses Internetangebot richtet „sich schwerpunktmäßig an diejenigen Kinder […], die sich im Rahmen ihrer ersten Interneterfahrungen für Communityangebote interessieren und erste Schritte in solchen Webcommunitys machen möchten“ (S. 128). Von der Idee her sei ClipKlapp in erster Linie ein Unterhaltungsangebot, bei dem Medienkompetenz spielerisch entwickelt werde und außerdem eine Heranführung an das Medium Film stattfinde – eben dadurch, dass es sich um eine Video-Community mit selbst verfertigten Videos handelt.
- „Kidsville“ gehört zu den Pionieren und Klassikern, was den Austausch von Kindern untereinander und die Mitgestaltungsmöglichkeiten betrifft. Heute besteht „die virtuelle Mitmachstadt […] aus neun Themenhäusern“, die die Kinder „entdecken und […] spielerisch erkunden“ (Anke Hildebrandt, S. 140). Es gibt zum Beispiel die „Bibliothek“: „Hier schreiben und veröffentlichen Kinder ihre Geschichten und Gedichte“ – und wer Hilfe möchte, erhalte nicht nur Anregung durch die Geschichten anderer Kinder, sondern könne auch einen „Online-Schreibkurs“ quasi im Selbststudium belegen (ebd., S. 141). Die Kinder können sich austauschen über Kommentare, Chat oder Foren.
Unter dem Aspekt der Förderung werden im folgenden Teil wieder recht unterschiedliche Aspekte zusammengetragen. Es geht um die „Begutachtung und Bewertung speziell von Kinder-Angeboten im Rahmen des Grimme Online Award“, einem publizistischen Qualitätspreis (Friedrich Hagedorn,S. 157). Nochmals, wie schon im Grundlagenteil, ist die „Förderung frühkindlicher Bildung durch Online-Medien“ Gegenstand (Michael Thiel/Gerhard Seiler, Beitragstitel) – wobei jetzt die Qualifizierung des Fachpersonals im Vordergrund steht. Ein anderer Ansatz ist die Erstellung einer „Whitelist“: Dabei handelt „es sich um eine Zusammenstellung von für Kinder unbedenklichen Internetseiten“ (Friederike Siller/Cornelia Margraf/Lidia de Reese,S. 176). Schließlich werden medienethische Fragen in Richtung auf „mehr Eigenverantwortung“, auch der jüngeren NutzerInnen, diskutiert (Christian Möller, S. 195; Hervorhebung C.B.).
Der letzte Teil setzt sich besonders mit möglichen Gefahren für Kinder auseinander: mit „Kontakt- und Belästigungsrisiken“, bis hin zu sexueller Anmache durch getarnte Erwachsene (in nicht für Kinder gedachten Web 2.0-Angeboten); ferner geht es um „Cybermobbing“, „Datenschutzprobleme, Konfrontation mit ungeeigneten Inhalten […] sowie Werbung und Verkauf“ (Ulrike Behrens/Katja Knierim, S. 201). Ein Beitrag widmet sich der Verantwortung der Eltern (Jutta Croll/Sven Weber). Im Rahmen solcher Diskussionen wird aber zum Schluss keineswegs für einen „bewahrpädagogischen Weg“ plädiert (Lauber/Rommeley, S. 248). Es wird vielmehr mit dem – schon genannten – Erfurter Netcode gezeigt, wie Internetangebote zu gestalten wären, damit sie „Kindern ein sicheres und anregendes Umfeld im Social Web“ böten (ebd., S. 252).
Diskussion
Es fällt besonders auf, dass der Teil über Grundlagen dreimal so umfangreich ist wie der Teil, der sich mit Anwendungen befasst. Hier zeigt sich, dass sich die Diskussion noch relativ am Anfang befindet. Die fünf Perspektiven des Grundlagenteils scheinen dabei eher zufällig – mehrfach sind auch Titel von Beiträgen im laufenden Text gegenüber dem Inhaltsverzeichnis abgeändert (das gilt zum Teil auch für andere Beiträge des Sammelbandes). Dies gibt dem Grundlagenteil einen recht vorläufigen Charakter.
An den Beiträgen des Anwendungsteils ist bemerkenswert, dass so gut wie keine Literatur zitiert wird; eine Anbindung der Anwendungen an die Grundlagenreflexion fehlt also in diesem Teil des Buches weitgehend. Auch gibt es keinen Fundus an systematisch abgesicherten empirischen Untersuchungen, auf die man sich berufen könnte, speziell was die Nutzung der Netzwerke durch jüngere Kinder, auch im Vorschulalter, betrifft (für ältere Kinder vgl. eine europäische Studie „EU Kids Online II“ – hierzu ein Beitrag von Ingrid Paus-Hasebrink/Andrea Dürager im letzten Teil des vorliegenden Bandes).
Fazit
Der Band bietet eine recht bunte Mischung thematischer Aspekte, die jedoch für alle von Interesse ist, die sich in die beginnende Diskussion um das Thema einklinken möchten. Insofern dokumentiert er die vielfältigen Ausgangspunkte, wobei allerdings die Qualitätsniveaus zwischen den Beiträgen breit streuen.
Rezension von
Prof. Dr. Christian Beck
Pädagogische Forschung und Lehre
Website
Es gibt 53 Rezensionen von Christian Beck.
Zitiervorschlag
Christian Beck. Rezension vom 06.03.2013 zu:
Ingrid Stapf, Achim Lauber, Burkhard Fuhs, Roland Rosenstock (Hrsg.): Kinder im Social Web. Qualität in der KinderMedienKultur. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2012.
ISBN 978-3-8329-6830-4.
Schriftenreihe "Jugendmedienschutz und Medienbildung" - Band 4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13561.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.
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