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Ralph-Christian Amthor: Einführung in die Berufsgeschichte der sozialen Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Carola Kuhlmann, 24.07.2012

Cover Ralph-Christian Amthor: Einführung in die Berufsgeschichte der sozialen Arbeit ISBN 978-3-7799-2214-8

Ralph-Christian Amthor: Einführung in die Berufsgeschichte der sozialen Arbeit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2012. 268 Seiten. ISBN 978-3-7799-2214-8. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR.
Reihe: Studienmodule soziale Arbeit.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-7799-3079-2 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema und Entstehungshintergrund

Die mangelnde Wertschätzung des Sozialen Berufes in der Öffentlichkeit und auch bei Studierenden dieses Faches steht in keinem Verhältnis zu seiner qualitativen und quantitativen Bedeutung – so die Eingangsthese des o.g. Buches von Ralph-Christian Amthor. Dieses Missverhältnis zu ändern ist das Anliegen des Autors, wozu er mit einem fundierten Blick in die Geschichte beitragen möchte.

Das in diesem Jahr in der Reihe „Studienmodule Soziale Arbeit“ im Beltz Juventa – Verlag erschienene einführende Lehrbuch zur Berufsgeschichte der Sozialen Arbeit basiert auf eigenen Studien des Verfassers von 2003 (Die Geschichte der Berufsausbildung in der Sozialen Arbeit: auf der Suche nach Professionalisierung und Identität), auf einer zusammenfassenden Auswertung weiterer in der Zwischenzeit erschienener Studien und neu erarbeiteter Quellen. Es ist weit mehr als eine Berufsgeschichte. Gelesen werden kann es auch als eine Einführung in die Geschichte Sozialer Arbeit selbst. Den besonderen Erkenntniswert erhält das Lehrbuch jedoch durch die Konzentration auf die Entwicklung Sozialer Berufe, welche der Autor inhaltlich und zeitlich weit fasst: Es gehören dazu die Bettelvögte und Polizeiknechte der Armenpflege der Neuzeit , die Kleinkindlehrerinnen von Kaiserswerth, die Jugendleiterinnen der Weimarer Republik, die Wohlfahrtspflegerinnen der sozialen Frauenschulen, die Volkspflegerinnen der NS-Zeit, die Gesundheits-, Jugend- und Sozialfürsorgerinnen der DDR, Erzieherinnen, Heilpädagogen, wie auch die universitär ausgebildeten Diplompädagoginnen und schließlich die Masterabsolventen der heutigen Hochschulen für angewandte Wissenschaften im Bereich Sozialer Arbeit. Der Autor führt in die sozialgeschichtlichen Hintergründe der Veränderungen im Profil der Tätigkeit, später auch der Ausbildungen ein. Lebendig wird die Darstellung durch eine Vielzahl historischer Bilder und Quellen wie Tätigkeitsberichten, Briefen, persönlichen Berufserinnerungen, Lehrplänen, Praktikumsberichten etc. Den didaktischen Wert erhält das Buch darüber hinaus durch Übungsfragen, Literaturtipps und Verweise auf Filme und links im Internet.

Aufbau und Inhalt

Einführend stellt der Autor die Soziale Arbeit der Gegenwart dar, die dazu gehörenden Arbeitsfelder und die Spezifika der Studierenden der Sozialen Arbeit. Er beginnt dann mit dem 14.- 16. Jahrhundert, den Zucht- und Waisenhäusern und schließt daran die Entwicklung der Armenpflege im 17. Und 19. Jahrhundert an.

Die weitere Entwicklung unterteilt er in drei Entwicklungslinien: die eher sozialpädagogische der Kindergärtnerin und der Jugendleiterin, die der sozialen Frauenschulen und die Anfänge der Ausbildung von Männern für die Sozialarbeit (u.a. Wichern, Mennicke). Mit diesem breiten Zugang kann der Autor deutlich machen, dass nicht nur Armut, sondern auch mangelnde Fürsorge, Betreuung und Erziehung von Kindern, Jugendlichen, behinderten Menschen und Pflegebedürftigen zum Spektrum des Sozialen Berufes gehörte und gehört. Es ist ein Verdienst des Buches, gerade auch die Geschichte des Berufes der Jugendleiterin nachgezeichnet zu haben, der schon früh für eine Leitungs- und Lehrtätigkeit im Bereich der Elemetar- und Hortpädagogik sowie der Jugendarbeit qualifizierte. Die höheren Fachschulen für Sozialpädagogik, an denen die Jugendleiterinnen ausgebildet wurden, gingen ab 1971 als Fachbereiche für Sozialpädagogik in vielen Fällen in die neu gegründeten Fachhochschulen des Sozialwesens ein und bildeten dort neben den Fachbereichen für Sozialarbeit einen Schwerpunkt der Ausbildung. Die Lehre in der Sozialpädagogik war dabei auf pädagogische Inhalte konzentriert, während die SozialarbeiterInnen ihren Schwerpunkt in der Verwaltungslehre und Rechtswissenschaft hatten.

Auch dass es neben dem Strang der sozialen Frauenarbeit Männer schon immer (vom Bettelvoigt bis zum Fürsorger der 1920er Jahre) in der Sozialen Arbeit gab, macht das Lehrbuch deutlich. So wird beispielsweise in dem Bericht eines Dresdener Armenpflegers von 1841 sehr deutlich, dass Empathie mit der Armutsbevölkerung kein Privileg der bürgerlichen Frauen war (S. 75ff.). Was der Autor aber an dieser Stelle weniger deutlich herausstellt, ist die Tatsache, dass die Aufgabenteilung im Bereich der Fürsorge bis in die 1070er Jahre klar unterschieden wurde: Entscheidungs- und Managementkompetenzen den Männern (bspw. an der Hochschule für Politik in Berlin), fürsorgliche, pflegerische und pädagogische Kompetenzen sollten eher bei den Frauen ausgebildet werden (soziale Frauenschulen).

Zwei Kapitel widmen sich der NS-Zeit: eines das die sozialrassistische „Volkspflege“ in den Auswirkungen auf Ausbildung und Beruf der Fürsorgerinnen, Kindergärtnerinnen und Jugendleiterinnen beschreibt, das andere widmet sich ausführlich der Verfolgung, aber auch dem Widerstand, vor allem von jüdischen und sozialistischen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Dass dies eine vernachlässigte Dimension der Geschichte der Sozialen Arbeit ist und mit der Emigration auf Jahre eine qualitativ hochwertige Soziale Arbeit aus Deutschland vertrieben wurde, kann der Autor hier an Personen wie der sozialdemokratischen Jugendleiterin Marianne Welter, aber auch bekannteren Personen wie Alice Salomon oder Walter Friedländer deutlich machen. Erinnert wird hier unter anderem auch an Gertrud Feiertag vom Landschulheim Caputh, aber auch an die polnische Sozialarbeiterin Irina Sendler, die tausenden jüdischen Kindern das Leben rettete (S. 186).

Es folgt die Entwicklung in der ehemaligen DDR und der BRD. Hier wird im Kapitel über die DDR nicht nur auf die Ideologisierung der Ausbildung auf dem Fundament des „wissenschaftlichen“ Sozialismus verwiesen, sondern auch ein Kapitel über den geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau (Umerziehung von „abweichenden“ Jugendlichen) vorgestellt. Interessant in Bezug auf die Ausbildung ist hier, dass eine Akademisierung des sozialen Berufes, die in der BRD 1971 erfolgte, nur auf Seiten der wenigen kirchlichen Ausbildungsstätten erfolgte, während es im staatlichen Bereich bei einer dreijährigen Fachschule blieb. Daher mussten nach der Wende die Sozial- und JugendfürsorgerInnen aus der ehemaligen DDR ein Studium nachholen (mit Ausnahme derer, die einen kirchlichen Abschluss hatten).

Abschließend an dieses Kapitel wird in dem Buch eine ergänzende vierte Entwicklungslinie zu den oben genannten nachgezeichnet: die der akademischen Ausbildung für den Sozialen Beruf, die bereits an einigen Hochschulen in der Weimarer Republik begann und schließlich durch die Diplomprüfungsordnung der Erziehungswissenschaft von 1969 beschleunigt wurde. An dieser Stelle wird auch noch einmal Bezug genommen auf die Auseinandersetzungen der 1990er Jahre über die Sozialarbeitswissenschaft und die universitäre Sozialpädagogik, die sich in den Diplomstudiengängen der erziehungswissenschaftlichen Fakultäten etabliert hat. Der Autor hält diese Auseinandersetzungen inzwischen für überholt, auch weil die Unterschiede der Ausbildung in der Praxis immer mehr an Relevanz verloren haben. Zum vierten Entwicklungsstrang gehört auch ein Blick in die angloamerikanische Tradition des „Social Work“ und ihrer Ausbildung, die schon lange akademischen Status mit eigenem Promotionsrecht hat und auf die deutschen und internationalen Berufsverbände, die „International Federation of Social Worker“ und die „Association of Schools of Social Work“, die regelmäßig Fachtagungen organisieren und auf internationaler Ebene die Profilierung der Sozialen Arbeit vorantreiben.

Abschließend werden wichtige Befunde noch einmal zusammengefasst und mit einem Votum für den Sozialen Beruf als Menschenrechtsprofession verbunden.

Diskussion

Die zunehmende Zahl von Veröffentlichungen, die sich theoretisch und historisch dem Gegenstand der Sozialen Arbeit widmen und zu der auch diese Veröffentlichung zählt, ist durchaus als Beitrag zu einer verbesserten Wertschätzung der sozialen Berufstätigkeit zu werten und trägt zugleich zum Prozess der Etablierung einer Wissenschaft der Sozialen Arbeit bei. Tatsächlich – darin ist dem Autor zuzustimmen – ist letzteres eines der Hauptprobleme in Ausbildung und Forschung. Denn immer noch wird die Lehre mehrheitlich durch Fachleute aus Psychologie, Rechtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft oder Medizin geleistet, welche oftmals nicht im hinreichenden Maß in der Lage sind, die Studierenden in der Ausbildung einer eigenen beruflichen Identität zu unterstützen. Das Promotionsrecht im Fach Soziale Arbeit – wie es im angloamerikanischen Bereich selbstverständlich ist – , fehlt bis heute.

Fazit

Das vorliegende Buch entspricht dem aktuellen Stand der Forschung und ergänzt ihn durch eine Vielzahl selbst erschlossener Quellen. Als Lehrbuch ist es für die Studiengänge der Sozialen Arbeit, aber auch für verwandte Berufe uneingeschränkt zu empfehlen.

Rezension von
Prof. Dr. Carola Kuhlmann
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Zitiervorschlag
Carola Kuhlmann. Rezension vom 24.07.2012 zu: Ralph-Christian Amthor: Einführung in die Berufsgeschichte der sozialen Arbeit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2012. ISBN 978-3-7799-2214-8. Reihe: Studienmodule soziale Arbeit. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13567.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.


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