Albrecht Wolff: Spritzen, Nadeln kostenlos, Kaffee 20 Cent!
Rezensiert von Prof. Dr. Gundula Barsch, 15.10.2012
Albrecht Wolff: Spritzen, Nadeln kostenlos, Kaffee 20 Cent! Spätdienst im Drogen-Konsumraum. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2012. 96 Seiten. ISBN 978-3-86099-927-1. D: 10,00 EUR, A: 10,30 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Räume, in denen illegalisierte Drogen unter Beobachtung konsumiert werden dürfen, gehören noch lange nicht selbstverständlich zum Drogenhilfesystem. Um den Sinn einer solchen Einrichtung tobt nach wie vor Streit:
- Welchen Beitrag leisten Konsumräume für die Entwicklung von Änderungsbereitschaft bei den Klienten?
- Warum sollte eine Kommune Sozialarbeiter und Ärzte für die Beaufsichtigung des Spritzens krankmachender Straßendrogen bezahlen?
- Welchen Sinn machen rechtsfreie Räume, in denen verbotene Drogen offen konsumiert werden dürfen?
Bis heute sind die Auseinandersetzungen um Drogenkonsumräume kontrovers. Deutschlandweit haben nur wenige Kommunen die Einrichtung solcher Drogenkonsumräume bisher befürwortet und unterstützt. Dieses Buch kommt ohne einen direkten sachlogischen Bezug zu all den drogen- und ordnungspolitischen Debatten aus. Und dennoch gibt es auf viele dieser Fragen eine Antwort. Diese erschließt sich, indem unkommentiert der Arbeitstag eines Sozialarbeiters in einem Druckraum beschrieben wird; ein Arbeitsalltag, in den jeder einzelne Nutzer bei der Inanspruchnahme des Konsumraums auch seine persönlichen Katastrophen, seine oft schwerwiegende gesundheitliche und psychische Verelendung und mehrheitlich seine Erlebnisse mit Stigmatisierung und Verfolgung mitbringt.
Aufbau und Inhalt
In stoischer Ruhe wird ein Spätdienst im Konsumraum beschrieben. In diesem sorgt ein kleines Team von Sozialarbeitern dafür, dass trotz limitierter Plätze auch bei großem Andrang alle Klienten eine Gelegenheit bekommen, ihre mitgebrachten Drogen unter sauberen und stressfreien Bedingungen zu spritzen. Keine emotionale Aufgeregtheit, kein moralisches Urteil und keine besserwissende Belehrung stört diese erzählende Schilderung. Aber mit jeder Person, die in dem Raum erscheint und die dem Leser kurz und knapp vorgestellt und deren Verhalten im Druckraum geschildert wird, eröffnet sich der Blick auf eine Welt, die der Gesellschaft in der Regel verborgen bleibt. Geradezu unglaublich erscheint, dass sich die Nutzer dieses Raumes weder durch extreme gesundheitliche Erkrankungen noch durch tiefgreifende soziale Isolation davon abhalten lassen, immer weiter zu konsumieren und sich quasi sehenden Auges selbst zu Tode zu bringen. Dem Leser drängt sich geradezu die Frage auf, wo und an welcher Stelle Menschen sich so sehr verlieren konnten, dass es nur noch darum gehen kann, diesen Drogenkonsum so geschehen zu lassen, dass möglichst keine weiteren schwerwiegenden Gesundheitsschäden dazu kommen und der Tod nicht durch eine Überdosis eintritt.
Aber auch die Beschreibungen der einzelnen Tätigkeitsabläufe und der Wortwechsel zwischen Klienten und Sozialarbeitern verdeutlichen, dass hier kein beschaulicher Arbeitsplatz gefunden werden kann. Der Ton ist oft rau und mit szenetypischen aggressiven Sprüchen durchtränkt; auf Dankesworte darf ein Sozialarbeiter selbst dann nicht hoffen, wenn er verunglückte Konsumenten, im wörtlichen Sinne, aus der Scheiße zieht, um ihn im Fall einer Überdosierung beatmen und damit retten zu können. Der tägliche Tanz der Drogenkonsumenten auf dem Vulkan holt auch die Sozialarbeiter ein, die im Druckraum regelmäßig mit Überdosierungen konfrontiert sind und nie sicher sein können, dass die Überlebenshilfe erfolgreich sein wird.
Wenn das Buch damit endet, dass die Sozialarbeiter am Ende ihrer Schicht physisch und psychisch völlig ausgelaugt und durch den permanenten Kontakt mit Schmutz, Eiter, Exkrementen verdreckt nach Hause gehen, hängt der Leser dem Geschilderten noch lange nach. So kreisen die Gedanken um die Frage, was Menschen bewegt, genau dieses besondere Arbeitsfeld mit der unausweichlichen permanenten Konfrontation mit Elend, Aggression, Gewalt, Verwahrlosung und Hoffnungslosigkeit zu wählen. Und was macht dieser Arbeitsalltag mit den Mitarbeitern des Druckraums, in dem sie regelmäßig und authentisch zumindest auf eine szenetypische Sprache zurückgreifen müssen, um die wenigen nötigen Regeln des Umgangs in diesem Raum durchzusetzen; ein Arbeitsalltag, in dem die normalen Regeln des gegenseitigen Umgangs nicht gelten, sondern in dem sie regelmäßig mit Szeneverhalten konfrontiert sind, das nicht nur die eigenen ästhetischen Ansprüche, sondern auch ihre eigene Integrität und Würde untergräbt. Und es stellt sich eine gewisse Scham ein, dass unsere Gesellschaft es zulässt, dass diese harte Arbeit nicht nur gering bezahlt, sondern insgesamt kaum wertgeschätzt wird.
Fazit
Das Buch ist kein Fachbuch im unmittelbaren Sinne. Aber es gehört in jeden Ausbildungsgang, in dem Studierende auf die Arbeit im Drogenhilfebereich vorbereitet werden. Dies vor allem deshalb, weil es abseits von sachlogischen Argumenten und kognitiven Beschreibungen niedrigschwelliger akzeptierender Drogenarbeit in gewisser Weise ermöglicht, sich damit auseinanderzusetzen, welche sinnlich-emotionalen Herausforderungen sich in diesem Arbeitsbereich stellen und weil es hilft, die besondere Bedeutung von Psychohygiene, Erholung und Abgrenzung zu begreifen, um sein eigenes physisches, psychisches und soziales Heil zu schützen.
Rezension von
Prof. Dr. Gundula Barsch
Hochschule Merseburg
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Zitiervorschlag
Gundula Barsch. Rezension vom 15.10.2012 zu:
Albrecht Wolff: Spritzen, Nadeln kostenlos, Kaffee 20 Cent! Spätdienst im Drogen-Konsumraum. Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2012.
ISBN 978-3-86099-927-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/13577.php, Datum des Zugriffs 10.10.2024.
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